Kolumne: Das Altpapier am 11. März 2025Eigentlich ist alles Infrastruktur

11. März 2025, 10:00 Uhr

Die mutmaßliche neue Bundesregierung bekommt scharfe Kritik und gute Ratschläge zu hören. Der unscheinbare Sender Phoenix bekommt gerade allerhand Aufmerksamkeit. Gestorben sind Victoria Roshchyna (unter übelsten Umständen) und ein Schauspieler aus "einer der lustigsten" Filmszenen. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Sondervermögens-Diskussion

"Friedrich Merz verspielt das Erbe Wolfgang Schäubles", kommentiert das wirtschaftsnahe "Handelsblatt". "Schäuble würde sich im Grabe umdrehen", sagen die Grünen (laut z.B. "Berliner"), denen die "Wirtschaftswoche" aus der Verlagsgruppe Handelsblatt bescheinigt: "Es war richtig, dieses Angebot", also das von CDU/CSU/SPD, noch rasch im alten Bundestag für hunderte Milliarden Sondervermögen-Schulden abzustimmen, "platzen zu lassen". "Auch der Bundesbank-Präsident warnt Merz jetzt vor zu vielen Schulden", warnt die "FAZ" ihre in Teilen ja schon noch konservative Leserschaft.

Um die Pläne der mutmaßlich künftigen Bundesregierungs-Koalition geht es also kontrovers zu. Vor allem um die Frage, um was genau es sich bei der "Infrastruktur", der das umstrittene Sondervermögen gelten soll, handelt. Laut "Sondierungspapier" (ausführlich frei online z.B. bei "Telepolis"):

"Dies umfasst insbesondere Zivil- und Bevölkerungsschutz, Verkehrsinfrastruktur, Krankenhaus-Investitionen, Investitionen in die Energieinfrastruktur, in die Bildungs-, Betreuungs- und Wissenschaftsinfrastruktur, in Forschung und Entwicklung und Digitalisierung."

Was gehört dann nicht zur Infrastruktur? (Okay, Steuersenkungen und Rentenerhöhungen, die künftig dann umso besser aus den normalen Nicht-Sonder-Haushalten mitbezahlt werden könnten; oder besitzen Stimmen der wichtigsten Wählergruppe, der Rentner, für Parteien mit Regierungswillen nicht doch auch quasi infrastrukturelle Bedeutung?..). Gut immerhin, dass Infrastruktur gerade zum großen Thema wird. Bis hin zu retro-verspielten Feuilletons, die von Zebrastreifen ausgehen und bei bekannten Langspielplatten-Covern der 1960er landen ... Und immerhin, Digitalisierung wird, anders als z.B. Klimaschutz, im Infrastruktur-Zusammenhang ausdrücklich genannt.

Theorie und Praxis der Digitalpolitik

An wohlmeinenden und -klingenden Appellen zur Digitalpolitik mangelt es auch nicht. "Geld ist nicht alles", ruft netzpolitik.org und rät, außer zur "Einbindung von Betroffenen, Fachleuten und Stakeholdern" (wobei Nicht-Stakeholdern vielleicht doch erklärt werden sollte, was dieser Begriff in diesem Kontext zu bedeuten hat...), nicht auf alle "Begehrlichkeiten" einzugehen, wie sie von anderen, im Artikel jeweils verlinkten Interessenverbänden bereits geäußert werden:

"Der Branchenverband Bitkom wünscht sich milliardenschwere Investitionen in Künstliche Intelligenz und Quantencomputing. Auch der KI-Verband fordert mehr Rechenkapazitäten für KI. Und die Wissenschaftsminister:innen der Länder verlangten vor wenigen Wochen eine 'KI-Offensive von Bund und Ländern'."

Der andere Branchenverband, eco, hat den guten Rat: "Jetzt richtige Entscheidungen treffen!" und sieht "in Sachen Digitalisierung ... im aktuellen Sondierungsergebnis noch viel Luft nach oben". Stimmt. Was die mutmaßliche neue Regierung konkret ankündigte, klingt zwar hübsch, aber nicht neu:

"So sollen Behördengänge flächendeckend digital möglich sein. Union und SPD knüpfen damit an die Ziele der Ampel an, die – wie schon deren Vorgängerregierung – ebenfalls eine umfassende Verwaltungsdigitalisierung anstrebte",

heißt es in einem weiteren netzpolitik.org-Artikel zu "schwarz-roten Digitalplänen im Überblick". Tatsächlich besteht ein roter Faden der deutschen Digital-Politik darin, alle paar Jahre so ziemlich dasselbe anzukündigen. Was deswegen locker möglich ist, weil es bei den vorherigen Ankündigungen dann jeweils geblieben war. Interessantes zur konkreten Infrastruktur-Politik der unglückseligen Ampelregierung und ihres Verkehrs-Digitalministers Wissing (der freilich darauf hoffen kann, dereinst in den 2070er Jahre bei Bahnfahrern in gutem Ruf zu stehen, sofern dann noch eine Bahn-Infrastruktur betrieben wird ...) kann heise.de beisteuern:

"Von den 8,3 Milliarden Euro, die zur Förderung des Glasfaser-Ausbaus bewilligt wurden, sind für die Förderjahre 2021 bis 2024 gerade einmal 91 Millionen Euro tatsächlich kassenwirksam geworden, also von den Antragstellern auch wirklich abgerechnet worden. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion hervor."

Gar so verheerend, wie das klingt, wird die Gesamtbilanz nicht ausfallen, weil zur Kassenwirksamkeit gehört, dass nach Abschluss der geförderten Arbeiten Rechnungen anerkannt wurden. Aber davon, dass so etwas Regierungspolitiker nicht unbedingt ärgert (weil spendabel versprochenes, aber nicht ausgegebenes Geld später dann für andere Zwecke weiterversprochen werden kann), kann man wohl auch ausgehen. (Nach abgeschlossenem Glasfaser-Ausbau läuft übrigens weiter Streit, und zwar um "Endgerätefreiheit" bzw. "Routerzwang", meldet ebenfalls heise.de. Allerhand weitere Verbände haben Widerspruch gegen eine Bundesnetzagenturs-Entscheidung eingelegt ...)

Südkorea, Phoenix, Medienpolitik

Gestern im Altpapierkorb wurde etwas erwähnt, was selten vorkommt: dass eine Dokumentation "aus den Mediatheken von ARD und ZDF entfernt" wurde. Nach dem "Spiegel" berichten nun auch, knapp, die "FAZ" und ausführlicher Korea-Korrespondent Thomas Hahn auf der "SZ"-Medienseite (Abo) über den 30-Minüter "Inside Südkorea – Staatskrise im Schatten von China und Nordkorea". Er war bereits in den Mediatheken abzurufen, beiden öffentlich-rechtlichen, weil er zur linearen Ausstrahlung auf Phoenix, einem der von ARD und ZDF gemeinsam betriebenen Kanäle, vorgesehen war. Wegen dieses Offenen Briefs, der dem Film die Dominanz von "far-right" und "right-wing"-Stimmen vorwirft, die den suspendierten, zeitweise verhafteten Staatspräsidenten Yoon Suk Yeol unterstützen, wurde er depubliziert. Hahn schreibt nun:

"Rund 53 Prozent der knapp 52 Millionen Menschen in Südkorea beziehen ihre Nachrichten auf Youtube – das berichtete 2023 das Medienforschungsinstitut Korea Press Foundation. ... Auch seriöse Medien haben Youtube-Kanäle, und natürlich gibt es linke Youtuber. Die Medienwissenschaftlerin Kang Hye-won von der Sungkyunkwan University sagt: 'Diese Art von Online-Mobilisierung begann auf dem linken Flügel und breitete sich auf den rechten Flügel aus.' Aktivismus ohne Fakten-Grundlage ist durch Youtube ein gutes Geschäft geworden."

Phoenix zeigt sich reumütig, Hahn zitiert

"Julia Viegener, Leiterin der Ereignisredaktion bei Phoenix, man habe die Seite der Yoon-Anhänger beleuchten wollen. Aber der Sender nahm die Beschwerden an. 'Wir sehen ein, dass wir einen Fehler gemacht haben'"

Das sind nicht die einzigen aktuellen Schlagzeilen rund ums sonst wenig beachtete Phoenix. Wenn morgen die Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin tagt, findet mal wieder eine Übergabe statt. Doch wird kein mehrhunderseitiges Gutachten überreicht, sondern die von bereits mehr als 103.000 Menschen unterschriebene (hoffentlich nicht mit allen Namen ausgedruckte!) Petition "Phoenix muss bleiben!". Das berichtet dwdl.de. Bekanntlich (Altpapier) haben die Ministerpräsidenten beschlossen, dass die Zahl der linear gesendeten öffentlich-rechtlichen Programme sinken soll, dass aber nicht sie, sondern bitte die Anstalten selbst bzw. ihre Aufsichtsgremien beschließen sollen, um welche. Dass es bitte nicht Phoenix treffen soll, fordert die Petition.

Fehler zuzugeben, ist ja ein sympathischer Zug. Insofern wird das Phoenix kaum schaden. Allerdings, für Erstausstrahlungen von Dokus ist Phoenix eher nicht bekannt. Wäre es nicht sinnvoll, Dokus, die aus irgendwelchen Gründen nicht ins Programm von ARD, ZDF oder Arte kommen (weil dort zwischen Krimi und Comedy kein Sendeplatz frei ist), auf genau einem Kanal zu konzentrieren?

Übrigens werden sich die Ministerpräsidenten morgen wohl nicht mit ihrem medienpolitischen Steckenpferd beschäftigen, dem Rundfunkbeitrag, sondern wollen abwarten, bis das Bundesverfassungsgericht über die vorläufig ausgebliebene Erhöhung geurteilt haben wird, schreibt die "FAZ". Das werde wohl "frühestens zum Jahresende" geschehen.

Eine totgefolterte Journalistin

Bei den Medienaufritten Donald Trumps und seines Hofstaats handelte es sich nicht um "aus dem Ruder gelaufene" Shows, sondern um "choreografierte" Inszenierungen, lautet eine der Aussagen des gestern schon hier empfohlenen Herfried-Münkler-Interviews. Über Trump sagte der Politikwissenschaftler:

"... sein derzeitiger art of deal: Die Schlagzeilen müssen einander jagen, wir sollen keine Zeit zum Reflektieren haben!"

Wobei 'art of deal' wohl kein neuer Trend-Anglizismus ist, sondern auf ein frühes Trump-Buch anspielt. Jedenfalls, umso abstoßender wirken die ausgefeilten Inszenierungen gegenüber dem, was anderswo im Zusammenhang passiert. Wenn Sie hier zur "FAZ" (Abo) klicken oder hier zu den internationalen Reportern ohne Grenzen, sehen sie Victoria Roshchyna. Die ukrainische Journalistin lebt seit vermutlich einem halben Jahr 2024 nicht mehr. Warum genau, trugen die RSF zusammen und referierte die "FAZ" auf deutsch: Bereits 2022 war Roshchyna zehn Tage lang in russische Gefangenschaft geraten, wurde "nach einem erzwungenen Entschuldigungsvideo" aber freigelassen. Dennoch reiste sie

"im Sommer 2023 ... erneut in den von Russland besetzten Süden der Ukraine. Laut einem anonymen Augenzeugenbericht wollte sie zu russischen Foltergefängnissen recherchieren. ... Am 3. August verschwand sie in Enerhodar."

Victoria Roshchyna fand solche Foltergefängnisse und wurde dort offenbar selber zu Tode gefoltert, schildern beide Texte in schwer erträglichen Worten. Dass das allmählich bekannt wurde, folge dem russischen Prinzip "Tue Schlechtes und rede darüber", sagt die frühere Russland-Korrespondentin Gesine Dornblüth im Deutschlandradio (Audio).

Hans Peter Korff zwischen "Uhlenbusch" und Usedom

Noch ein Todesfall, ein deutlich weniger schlimmer. Hans Peter Korff wurde 82 Jahre alt. Die "FAZ" handelt ihn (vorläufig?) knapp auf der Bunten Seite ab; "epd medien" zitiert warme Worte der noch amtierenden Kulturstaatsministerin Roth. Über den Nachruf der "SZ" (Abo) auf ihrer Medienseite würde Korff sich freuen. Schon wegen des Vorspann-Satzes "Seine beste Szene ist eine der lustigsten der Filmgeschichte". Damit meint Stefan Fischer eine Szene aus Loriots Kinofilm Pappa ante Portas". Tatsächlich könnte Korff, auch Alters-abhängig natürlich, aus unterschiedlichen Zusammenhängen bekannt sein:

"In 'Neues aus Uhlenbusch' war Korff von 1977 bis 1980 der Briefträger Onkel Heini, in 'Diese Drombuschs' von 1983 an bis in die dritte Staffel hinein, bis zum Serientod der Figur, der Familienvater Sigi. Wer mangels eigener Anschauung etwas über die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft erfahren möchte, findet in den Drombuschs jede Menge Stoff",

empfiehlt Fischer diese 1980er-Serie sozusagen in den deutschen Osten hinein. Immerhin spielt die erwähnte und im Nachruf recht ausführlich beschriebene "lustigste Szene" dort, also im Zug nach Usedom.


Altpapierkorb (Islamisten gegen Presse, Rufmordkampagne, "Joyn", DSGVO, Rumänien ...)

+++ "Auf fast jeder Demonstration radikaler lslamisten und linker, militanter Splittergruppen gebe es mittlerweile Gewalt gegen die Presse", zitiert "epd medien" Jörg Reichel von der Journalistengewerkschaft dju. Sie zählte "in Deutschland 2024 mindestens rund 100 Angriffe auf Pressevertreter" [Was sich auf sämtliche Demonstrationen, nicht allein auf pro-palästinensische bezieht, wie "epd medien" am Nachmittag seine Meldung korrigierte]. +++

+++ "Mit Drohungen und bösartigen Lügen versuchen Aktivisten, einen Journalisten aus Berlin zu mobben. Eine russlandnahe Internetplattform hat daran Anteil", schreibt Sebastian Leber im "Tagesspiegel" und meint damit einen Kollegen von der "taz". +++

+++ Im dwdl.de-Interview betont der ProSiebenSat.1-Chief Content Officer Henrik Pabst, der kürzlich die ARD- und ZDF-Mediatheken von "Joyn" entfernen musste, dass die P7S1-Plattform weiter "das Ziel verfolgt, alle deutschsprachigen Inhalte zu bündeln". +++

+++ Noch 'ne eher große deutschsprachige Koalition? Was die Reform der DSGVO, also der gut gemeint gewesenen, in der Praxis vermurksten Datenschutz-Grundverordnung der EU, angeht, sind nun Max Schrems, der wackere österreichische Kämpfer gegen Datenkraken, und das EU-Parlaments-Urgestein Axel Voss (CDU) der gleichen Meinung, weiß netzpolitik.org. +++

+++ Im EU-Staat Rumänien ist der Kandidat, der bei der dann anullierten (Altpapier) Präsidentschafts-Wahl die meisten Stimmen bekam, Calin Georgescu, nun von der Wiederholungs-Wahl ausgeschlossen. Keine gute Lösung, meint die "FAZ". +++

+++ Der Zeitungswissenschaftler Marcel Machill war in Sachsen der Spitzenkandidat von Sahra Wagenknechts BSW, das den Einzug in den Bundestag sehr knapp verpasste. Steffen Grimberg bedauert das in der "taz", weniger des BSW und des Bundestags wegen als wegen des Leipziger Instituts für Kommunikations- und Medien­wirtschaft, an dem Machill nun bleibt. +++

+++ "Ein Videospiel ist das komplexeste Medium, das es überhaupt gibt", schreibt die "SZ" (Abo) dann noch in ihrer Besprechung der ARD-Mediatheken-Doku "Crunch – Traum und Albtraum in der Gaming-Industrie". Dem Filmautor Khesrau Behroz ("gilt als Goldstandard für Doku-Podcasts") sei der "Sprung von Ton zu Bild" gelungen ... +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch René Martens.