Kolumne: Das Altpapier am 14. März 2025Milliardäre: Das sind ganz viele Nullen
Der Abschiedstext einer weiteren "Washington Post"-Reporterin ist nur ein weiterer Beleg: Das Silicon Valley hat sich unterworfen. Was kommt als nächstes bei Prime, Disney oder Netflix: Tesla-Werbung for free? In Deutschland derweil fragt die Rundfunkkommission: Was, wenn Musk Bertelsmann kauft? Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Und wenn Elon Musk RTL übernähme?
Was wenn Elon Musk Bertelsmann kauft? Es deutet nach Stand der Dinge konkret nichts darauf hin, dass er das vorhat. Aber ausschließen sollte man, wenn man an die US-Regierung denkt, ja lieber nichts. Mit dem Szenario, dass Musk den größten deutschen Medienkonzern kauft, befasst sich deshalb die Rundfunkkommission der Länder vorsorglich am Dienstag. Das hat die Koordinatorin der Kommission, Heike Raab (SPD) der Katholischen Nachrichten-Agentur gesagt (mit Login lesbar). Bertelsmann, das ist RTL, das ist alles, was mal Gruner+Jahr war und noch davon übrig ist, das sind viele Buchverlage, und und und.
Eigentlich geht es, wie Heike Raab zitiert wird, um "Fragen der Plattformregulierung und Medienkonzentration". Aber ihr Versuch, sich durch ein beispielhaftes Szenario verständlich zu machen, wird hiermit ausdrücklich goutiert. Üblicherweise backt die Rundfunkkommission ja eher das, was man im Journalismus "Graubrot" nennt. Mit zusammengesetzten Hauptwörtern schläfert sie, no offense, bisweilen sogar jene Journalistinnen und Journalisten ein, die nicht selbst in der digital- und medienpolitischen Nische arbeiten. Beim Medienpublikum kommt von der Bedeutung von Dingen wie Plattformregulierung und Medienkonzentration dann womöglich oft nicht mehr viel an. Ein wenig RTL und damit Lebenswelt ins Spiel zu bringen, kann kaum schaden. Es ist ja nicht nur abstrakt relevant, ob Medien Milliardären gehören und ob international aktive Plattformen vor einer Regierung in den Staub fallen.
Auch du, Netflix (und Disney und Amazon ja eh)
Was sowas bedeutet, sieht man ja gerade in den USA, wo das halbe Silicon Valley, wo Plattformen und Streamingdienste deutlich wie nie nachweisen, dass sie nicht in der Tradition von Journalismus stehen.
"Ich bin definitiv überrascht davon, in welchem Ausmaß sich das Silicon Valley in die amerikanische Regierung regelrecht hineingearbeitet hat",
sagt zwar der kanadische Technikkritiker Paris Marx in einem Interview bei Netzpolitik.org. Gleichwohl, das medial lange gezeichnete freundliche Bild sei immer schon falsch gewesen:
"Jahrzehntelang haben die Medien das Silicon Valley in einem rosigen Licht dargestellt: Facebook verbindet die Welt, Musk löst das Klimaproblem, Google verschafft uns Zugang zu grenzenlosen Informationen. Die Tech-Branche wurde als eine von Natur aus gute Kraft dargestellt, die die Gesellschaft vorantreibt und die Zukunft gestaltet."
Seine Schlussfolgerung aus den laufenden Entwicklungen:
"Tatsächlich ist jetzt der Moment gekommen, die globale Abhängigkeit von der US-amerikanischen Technologiebranche insgesamt neu zu bewerten. Länder wie Kanada und die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union müssen sich fragen, ob es sinnvoll ist, dass Unternehmen aus dem Silicon Valley ihre Märkte dominieren und ob ihr Einfluss nicht erheblich eingeschränkt werden sollte. Außerdem brauchen diese Regionen unbedingt alternative technologische Infrastrukturen, um ihre Abhängigkeit von den Milliardären aus dem Silicon Valley zu verringern."
Nichts ganz Neues vielleicht, aber die Häufigkeit der medienöffentlichen Appelle, handfest zu handeln, nimmt ja doch gerade nochmal zu.
Kommen wir zu ein paar neuen Beispielen für die Trumphörigkeit der Plattform- und Medienkonzerne: Der Streamingdienst Disney+ etwa wies seit 2020 vor Klassikern wie "Dumbo" auf rassistische Stereotype hin (siehe zum Beispiel spiegel.de). Schon klar, was konservative Kolumnisten von solchen Warnungen hielten: Hat ihnen früher auch nicht geschadet usw. (oder vielleicht ja gerade doch). Pädagoginnen und Pädagogen – die tatsächlichen Fachleute für Kinderkognition – fanden Disneys Hinweistafeln allerdings richtig und wichtig.
Im Februar, kurz nach dem Antritt der Regierung Trump, wurden sie entfernt. "Änderungen bei DEI-Bemühungen" heißt das in Disneys Verschleierungsjargon (axios.com). DEI ist kurz für Diversity, Equity and Inclusion und ein rotes Tuch für MAGA-Freund:innen (die Genderform kommt mit ganz lieben Grüßen).
In Deutschland kam die Nachricht von Disneys DEI-Rückwärtsrolle nun auch an, zusammen mit den neuesten Streichen von Amazon Prime und jetzt auch noch Netflix (wiederum spiegel.de). Prime nimmt demnach demnächst die Reality-Serie "The Apprentice" – eine von Donald Trumps Sprungfedern ins Weiße Haus (Altpapier) – wieder ins Programm, sehr wahrscheinlich ohne Triggerwarnungen. Und Netflix plant Shows mit einem rassistischen Comedian, der bei einer Trump-Kundgebung aufgetreten war. What’s next? Tesla-Werbung for free?
"Washington Post" erreicht nächste Schwundstufe
Aufruhr im Rahmen ihrer Möglichkeiten immerhin verursacht Ruth Marcus von der "Washington Post". Besser: nicht mehr von der "Washington Post". Die "Post" ist die einst stolze Zeitung, Watergate usw., die nun auf dem Weg zur Regierungsklitsche ist, weil Amazon-Chef Jeff Bezos die Trump-Agenda als Linie im Meinungsressort ausgegeben hat.
"I stayed for forty years, six months, and six days",
schreibt Ruth Marcus über ihre "Post"-Karriere: 40 Jahre, sechs Monats und sechs Tage bei der "Post". Ihre jüngste Kolumne, in der sie ihre "Besorgnis über die neu angekündigte Richtung" des Ressorts zum Ausdruck brachte, sei von Herausgeber William Lewis abgelehnt worden. Ein Trump-kritischer Text von Dana Milbank war kürzlich noch durchgegangen (Altpapierkorb). Ihr Text nicht mehr. Jetzt sei Schluss (tagesspiegel.de).
Sie schreibt, frei online auf den Seiten des "New Yorker":
"Die Entscheidung von Will – etwas, was ich in fast zwei Jahrzehnten des Kolumnenschreibens noch nicht erlebt habe –, eine Kolumne nicht zu veröffentlichen, in der ich respektvoll gegen Jeffs Edikt protestiert habe unterstreicht, dass die traditionelle Freiheit der Kolumnisten, die Themen auszuwählen, die sie ansprechen wollen, und zu sagen, was sie denken, auf gefährliche Weise ausgehöhlt wurde."
Ruth Marcus’ Kolumne, von der sie selbst schreibt, sie habe sie gezielt so formuliert, dass sie durchaus hätte durchgewunken werden können, steht am Ende ihres "New Yorker"-Texts. Vorher kommt ihre Deutung der Bezos-Linie, eine Chronologie der Entwicklung, an deren vorläufigem Ende die "Post" dem US-Präsidenten die Füße küssen soll.
Dass der neue Schwerpunkt im Meinungsressort Jeff Bezos zufolge auf "persönlichen Freiheiten und freien Märkten" liegen soll, ist die schlechte Pointe der Geschichte. Die Freiheiten von Kolumnistinnen sind jedenfalls nicht gemeint. Marcus verlässt die "Washington Post" nicht als erste und – wetten, dass? – auch nicht als letzte.
Mal wieder ein Phoenix-Tag
Der Donnerstag war wieder ein Tag für Phoenix: ein Tag mit einer Bundestagsdebatte, die besonders viele verfolgt haben dürften. Und damit auch ein Tag, um sich zu fragen, ob man auf Phoenix gegebenenfalls verzichten wollte. Das ist keine anlasslose Frage. Dass die öffentlich-rechtliche Fernseheinrichtung gekippt wird, die das Parlament rundum ernstnimmt und sich auch verlässlich nicht ausklinkt, wenn es mal wieder länger dauert, ist nicht ausgeschlossen. Im Rahmen der Reform der Öffentlich-Rechtlichen sollen von den vier Spartensendern ARD Alpha, Tagesschau24, ZDFinfo und Phoenix wohl nur zwei erhalten bleiben. Dass für Phoenix getrommelt wird – übrigens der Liste der Erstunterzeichnenden nach von Linkspartei und Grüne Jugend bis Julia Klöckner, was Kleine Anfragen der Union wohl erübrigt –, stand in diesem Altpapier.
Ob die Kürzungspläne nur die linearen Fernsehkanäle (also die, die man mit den Ziffern auf der Ferrnbedienung findet) betreffen oder auch eine lineare Onlineverbreitung, ist nicht so hundertprozentig klar. "epd Medien" hat aus der medienpolitisch wichtigen Staatskanzlei Rheinland-Pfalz jedenfalls gehört, dass ein linearer Online-Weg möglich sei. Das gilt, so ist der Hintergrundtext zu verstehen, zunächst für die Spartenkanäle, die es 2033 noch gibt, wenn ihre lineare Verbreitung generell enden soll. Ob man auch den einen oder anderen der einzustellenden Spartenkanäle auf die Art weiterbetreiben könnte, wenn’s – immer ein Argument – der Auftragserfüllung dient…?
Peggy Parnass ist gestorben
Im Alter von 97 Jahren ist die Gerichtsreporterin Peggy Parnass gestorben. Unter anderem "Menschen Machen Medien" von Verdi und Willi Winkler in der "Süddeutschen Zeitung" haben Nachrufe geschrieben. "Autorin, Journalistin, Schauspielerin, Übersetzerin und unermüdliche Kämpferin für die Menschlichkeit", nennt sie Lars Hansen bei mmm.verdi.de.
Winkler erinnert an ihre Zeit als Gerichtsreporterin bei "konkret":
"Sie war dafür geboren, brauchte keine Nachhilfe zu nehmen bei der Weltbühne, bei dem legendären Reporter Sling oder Alfred Döblins beiden Freundinnen und ihrem Giftmord, schrieb einfach auf, was sie erlebte vor Gericht. Für die Richter, die das StGB draufhatten und sonst gar nichts (‚Er war hart, aber dafür ungerecht‘) hatte sie kein Verständnis, kein Mitleid mit den bestimmt schlecht bezahlten Polizisten. Sie wurde angezeigt wegen Körperverletzung, weil sie einem ‚bewaffneten Staatsdiener‘, der sie packte, eine gescheuert hatte. So wurde sie berühmt."
Für Parnass seien "fast alle Angeklagten schön" gewesen, außer die "Mörder und Schreibtischtäter des Nazi-Regimes, die den Befehlsnotstand im Schlaf hersagen konnten und mit geringen Strafen davonkamen". Sie sei, schreibt er, "die reine Menschlichkeit" gewesen.
Altpapierkorb ("Nius", Recherchen zu Corona-Erkenntnissen, SXSW-Konferenz)
+++ Dass das Wutportal "Nius" die Union vor sich hertreiben könnte, kann sich "taz"-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann vorstellen.
+++ Fünf Jahre ist es her, dass die Welt pandemiebedingt die Schotten dichtgemacht hat. Pünktlich zum Jubiläum, keine Glückwünsche!, sind in "Zeit" (Abo) und "Süddeutscher Zeitung" (Abo) von Holger Stark und Georg Mascolo gemeinsam aufgeschriebene Recherchen veröffentlicht worden, denen zufolge das Coronavirus nach einer Einschätzung des Bundesnachrichtendiensts "wahrscheinlich aus einem chinesischen Labor" stamme: "Die Wahrscheinlichkeit taxiert der Nachrichtendienst anhand eines speziellen Systems, des ‚Probability-Index‘, ein Maßstab für die Verlässlichkeit einer Information. Die Laborthese stuft der BND als ‚wahrscheinlich’ ein, er ist sich zu ,80 bis 95 Prozent’ sicher. Einen finalen Beweis aber besitzt der Dienst nicht." So steht es in der "Zeit" (Abo), die diese BND-Einschätzung "ebenso elektrisierend wie hochpolitisch" nennt – und "jahrelang das wohl bestgehütete Geheimnis von Berlin".
Das Thema hat medienjournalistische Tangenten. Wie sollen Medien mit einer Angabe wie "80 bis 95 Prozent sicher" umgehen? Stefan Fries hat für das Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres Volker Hahn gefragt, was davon zu halten sei. Hahn leitet die Kommunikation beim Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung. Er sagt, er halte es "für angemessener zu sagen, wir halten es für sehr wahrscheinlich", als die Wahrscheinlichkeit exakt zu quantifizieren. Das impliziere eine Genauigkeit, die es nicht gebe. Aber überhaupt auf eine Unsicherheit hinzuweisen, sei aus Sicht der Wissenschaftskommunikation richtig. Er empfiehlt Journalisten, gegebenenfalls im Konjunktiv zu sprechen: "Diese Daten könnten darauf hinweisen, dass…".
+++ Bei spiegel.de kommentiert Julia Merlot, die vorliegenden Erkenntnisse sollten (adressiert ist hier die Regierung) veröffentlicht werden. +++ Ebenfalls zum Thema schreibt die FAZ (Abo) allerdings: "Dass das Bundeskanzleramt sich bisher nicht dazu entschieden hat, zu kommunizieren, dass sein Geheimdienst die Laborthese als plausible Option ansieht, ist bedauerlich, hätte es die öffentliche Debatte wohl bereichert. Doch die zugrunde liegenden Belege lassen sich womöglich nicht veröffentlichen, ohne Quellen zu gefährden. Der Wissenschaftsgemeinschaft stehen keine neuen, verwertbaren Daten zur Verfügung, Verschwörungstheorien werden wohl weiter sprießen. Ein finaler Beweis wird kaum möglich sein, er stünde sofort unter Manipulationsverdacht. Außer Peking räumt einen Laborursprung ein."
+++ Eva Wolfangel berichtet bei Zeit Online von der Tech-Konferenz SXSW in Austin. "Politik stand nie im Zentrum der Konferenz, die in den 1980er-Jahren als kleines Festival für Indiemusik und Film gestartet war. Und doch gilt sie als Wohlfühlort für woke junge Menschen mit liberalen, progressiven Ansichten." Wolfangel vermisst in der diesjährigen Ausgabe allerdings explizit politische Debatten über die USA:
"Selbst bei einer Veranstaltung zum Thema Desinformation und Propaganda, an der unter anderem eine Redakteurin der Washington Post teilnimmt, wird nicht thematisiert, wie Donald Trump systematisch etablierte, seriöse Medien diskreditiert. Auch nicht, dass Amazon-Chef und Washington-Post-Besitzer Jeff Bezos in vorauseilendem Gehorsam seine Meinungsredaktion auf Linie bringt. Man habe sich darauf geeinigt, nicht über aktuelle Politik zu sprechen, sagt der Moderator entschuldigend, ohne dies zu begründen. Stattdessen diskutiert das Panel über Desinformation auf eine Art, wie das seit zehn Jahren diskutiert wird."
Ein Chilling-Effekt habe eingesetzt, heißt es im Artikel, vorauseilender Gehorsam. Kritik an der Politik in den USA nähere sich "offenbar an chinesische Verhältnisse an, wo sich Menschen nur noch trauen, in Symbolen, Andeutungen und Geschichten kritisch über Politik zu sprechen". Das führe so weit, schreibt Wolfangel, dass der dann doch deutliche politische Vortrag des Marketingprofessors Scott Galloway zwar live gestreamt und zunächst auch als Aufzeichnung auf der Website der SXSW abrufbar gewesen sei, mittlerweile aber von dort verschwunden sei. Der Vortrag, habe die Pressestelle auf Anfrage erklärt, sei "nur aus Versehen hochgeladen worden". Andere Programmpunkte der Hauptbühnen seien allerdings noch da, so Wolfangel. Sicherlich auch ein Versehen.
Am Montag schreibt das Altpapier wieder Klaus Raab.