Kolumne: Das Altpapier am 19. März 2025Mangelndes Problembewusstsein

19. März 2025, 10:05 Uhr

Die erweiterte Chefredaktion vom RBB hat den Rücktritt ihres Chefs kritisiert. Das kann man als Angst um weitere Instabilität im Dauer-Strauchel-Sender werten. Oder als mangelndes Problembewusstsein. Außerdem: Zum fünften Corona-Geburtstag gibt es endlich vermehrt Aufarbeitungs-Artikel. Nur die Rolle der Medien kommt dabei bisher noch zu kurz. Ein Altpapier von Ben Kutz.

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

RBB-Journalisten: Rücktritt des Chefredakteurs wäre "nicht nötig gewesen"

Immer was los im RBB. Am Montag hat mein Kollege Klaus Raab im Altpapier über die Rücktritte von Chefredakteur David Biesinger und Programmdirektorin Katrin Günther berichtet. Sie haben ihre Konsequenzen aus der Causa Gelbhaar gezogen. Im Altpapier werden verschiedene Kollegen zitiert, die die Rücktritte als den richtigen Schritt sehen.

Ganz anders sieht man das aber wohl im RBB selbst. "RBB-Journalisten kritisieren Rücktritt ihres Chefredakteurs", titelt gestern unter anderem die "FAZ". In einem Schreiben äußert die erweiterte Chefredaktion des Senders ihr "großes Bedauern". Der Rücktritt sei aus ihrer Sicht "nicht nötig gewesen". Und weiter:

"Im Mittelpunkt einer modernen Fehlerkultur stehen für uns strukturelle Verbesserungen, nicht der insbesondere in der Öffentlichkeit druckvoll formulierte Ruf nach personellen Konsequenzen."

Die erweiterte Chefredaktion sorgt sich wohl auch darum, dass der Sender in der Dauerkrise durch die Führungswechsel nicht gerade stabiler wird. Nochmal "FAZ":

"Die Führungskräfte der Chefredaktion betonen ferner den von gegenseitigem Vertrauen geprägten Führungsstil, den David Biesinger in der Chefredaktion etabliert habe. Er wäre insbesondere in der nun bevorstehenden Zeit des digitalen Umbaus hilfreich, um trotz Sparvorgaben qualitätsvollen öffentlich-rechtlichen Journalismus abzusichern."

Die Angst vor einer weiteren Hängepartie ist ja irgendwie verständlich. Das Signal, das die Chefredaktion sendet, ist trotzdem fatal. Denn einen Rücktritt nach einem handfesten Medienskandal als "nicht nötig" zu bezeichnen, kommuniziert nicht gerade überdurchschnittliches Problembewusstsein. Ähnlich kommentiert auch Medienjournalist Marvin Schade die Meldung bei Bluesky:

"Beim RBB hat man ja schon vor einiger Zeit den Kontakt zur Realität verloren. Das hier zeigt: Wiederhergestellt wurde er bislang nicht."

ARD-internes Lob für die Rücktritte gibt es dagegen von der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redaktionsausschüsse (Agra), schreibt "epd Medien":

"Die Agra begrüßte die Rücktritte von Günther und Biesinger. Durch den Verstoß gegen journalistische Grundsätze in der Berichterstattung über den Grünen-Politiker sei auch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gravierender Schaden entstanden, weil der Vorfall das Vertrauen in Seriosität und Verlässlichkeit untergrabe, hieß es in der Mitteilung. Es verdiene Respekt, wenn Führungskräfte in einer solchen Situation Verantwortung übernähmen."

Die Agra fordert nun, dass die Redaktion bei der Neubesetzung der Chefredaktion mit einbezogen wird:

"'Die Affären, die den RBB seit der Causa Schlesinger nicht zur Ruhe kommen lassen, führen vor Augen, dass es ein Weiter-So nicht geben kann', erklärte die Agra am Dienstag in Berlin. Die Einbindung eines Redaktionsvotums könne ein 'wichtiges Zeichen für Aufbruch und Erneuerung' sein."

Corona: Und die Medien?

Vor ziemlich genau fünf Jahren, am 22. März 2020, hat der erste Lockdown begonnen. Viele Medien nehmen diesen halbrunden Geburtstag zum Anlass, zurückzuschauen. "Erster Lockdown vor fünf Jahren - was bleibt?", fragt beispielsweise die dpa. "Was hätte bei Corona besser laufen können?", titelt vor einigen Tagen tagesschau.de. Spoiler: so einiges.

All die Artikel sind wichtig, schließlich haben wir als Gesellschaft die Aufarbeitung bisher einigermaßen verbaselt. Auch Bundespräsident Steinmeier mahnte kürzlich, wir müssten die Pandemie besser aufarbeiten, "um in einer ähnlichen Krisensituation in Zukunft noch resilienter, noch stärker zu sein – und damit auch unsere Demokratie zu schützen und zu stärken".

Und so gibt es nun gerade – endlich – auch eine Vielzahl von Medienbeiträgen zur Aufarbeitung. Über Sinn und Unsinn der Schulschließungen. Über die gesellschaftliche Spaltung, die die Pandemie verursacht hat. Über die Rolle von (verständlicherweise) völlig überforderten Politikerinnen und Politikern.

Was in dem Informationswust allerdings noch recht kurz kommt, sind Beiträge, die sich mit der Rolle der Medien während Corona beschäftigen. Immerhin: "DWDL" hat gestern eine Reihe zu genau dieser Frage angekündigt. Der erste Artikel der Reihe beschäftigt sich allerdings nicht mit Deutschland, sondern mit der Situation in Österreich und speziell mit dem ORF. Der ist damals einen besonders rigorosen Weg gegangen, als die Pandemie losging. 242 Mitarbeitende an allen Standorten wurden in Isolation geschickt:

"In Österreich übernachteten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Senders in ihren Büros, teilten sich mit ihren Kollegen Gemeinschaftsduschen und lebten so für mehrere Wochen hinweg in Schichten auf dem ORF-Gelände. Kein anderer Sender in Deutschland, Österreich oder der Schweiz machte das so. In Österreich konnten dafür alle ORF-Sendungen wie geplant stattfinden. Nur: In Deutschland und der Schweiz eben auch."

Im Artikel geht's auch um die Qualität der Berichterstattung:

 "An der Berichterstattung des ORF und anderer Medien wurde etwa kritisiert, dass sie zu lange im Gleichschritt mit der Bundesregierung erfolgt sei. So sei zu wenig hinterfragt und zu viel einfach nur verlautbart worden - und das auch über die erste heiße Phase im März 2020 hinweg."

Dass "DWDL" ihre Aufarbeitungs-Reihe ausgerechnet mit dem Blick nach Österreich eröffnet hat, wundert mich. Hoffen wir, dass in den nächsten Tagen noch mehr zur Rolle deutscher Medien erscheint. Ein interessantes Interview zu dem Thema hat allerdings schon vor einigen Tagen zdf.de gebracht. Kommunikationswissenschaftler Marcus Maurer bezeichnet die Berichterstattung deutscher Medien während Corona darin als "einseitig":

"Der Fokus lag auf dem akuten Problem. Negative Langzeiteffekte wie soziale Isolation, Bildungslücken bei Kindern oder psychische Belastungen gerieten aus dem Blickfeld. Sowohl in der Politik als auch in den Medien fehlte häufig diese langfristige Perspektive."

Maurer hätte sich mehr Vielfalt in der Berichterstattung gewünscht:

"Anstatt hauptsächlich Virologen zu konsultieren, hätte man auch Psychologen oder Bildungsforscher viel stärker einbeziehen sollen, um die Auswirkungen auf Gesellschaft, Kinder und mentale Gesundheit besser zu verstehen."


Altpapierkorb ("Nius" erfindet Zitate | Streik bei der "SZ" | Finanziert Europa Radio Free Europe? | Gerichtsurteil: Magdeburg muss mehr Details rausrücken | ZDF-Mediathek heißt jetzt "Streamingportal")

+++ "Nius", das "Wutportal von Julian Reichelt", erfindet offensichtlich regelmäßig Zitate. Das hat unsere ehemalige Altpapier-Kollegin Johanna Bernklau für "Übermedien" aufgeschrieben. Teils werden ganze Artikel auf ausgedachten Zitaten aufgebaut. Nachfragen dazu hat Nius – Ehrensache! – nicht beantwortet. "Die Fake-Zitate sind teilweise trotzdem weiter online", schreibt "Übermedien".

+++ Ungewöhnlich: Heute finden Sie keinen "SZ"-Artikel im Altpapier. Das liegt daran, dass die "Süddeutsche" momentan nur auf Sparflamme veröffentlicht. Grund: Streik. Noch bis heute finden bayernweit Warnstreiks bei Tageszeitungen statt, wie Verdi in einer Pressemitteilung schreibt.

+++ Springt nun Europa in die Bresche? Donald Trump hat die Finanzierung des US-Auslandssenders Radio Free Europe stark eingedampft (zuletzt AP gestern). Eine Gruppe von EU-Staaten, unter anderem Deutschland, hat sich nun in einem Schreiben für eine europäische Finanzierung des Senders ausgesprochen. Das berichtet der "Standard". "Wir rufen die zuständigen europäischen Institutionen und Mitgliedsstaaten auf, ihre Kräfte für eine nachhaltige Finanzierung von RFE/RL und anderen unabhängigen Medien zu vereinen, damit Medienfreiheit und Demokratie in Europa und darüber hinaus gesichert werden", zitiert derstandard.at aus der Erklärung.

+++ Die Stadt Magdeburg muss nun doch weitere Details zum Sicherheitskonzept ihres Weihnachtsmarkts rausrücken, auf dem im Dezember ein Attentäter sechs Personen tötete. Zunächst hatte sich die Stadt geweigert, Auskünfte an die Presse zu geben. Nach einer Klage durch Axel Springer hat das Verwaltungsgericht Magdeburg nun geurteilt, dass die Weigerung rechtswidrig war. Das berichtet "Legal Tribune Online".

+++ Mediathekst du noch oder streamst du schon? ZDF.de hat einen neuen Anstrich bekommen. "Im Zuge des Relaunchs kommt auch der Name 'Mediathek' in die Mottenkiste", schreibt "Horizont". ZDF.de versteht sich fortan als Streamingportal. "Endlich noch mehr Streaminganbieter!", gießt die "FAZ" Ironie-Soße über die Meldung – und fragt, ob man sich ausgerechnet durch Angleichung wirklich von der überbordenden privat finanzierten Streaming-Konkurrenz abheben kann.

Am Donnerstag schreibt das Altpapier Ralf Heimann.