Kolumne: Das Altpapier am 25. März 2025Gekippt

25. März 2025, 09:59 Uhr

Donald Trump und seine Schranzen machen weiter Wirbel. Nutzt den der türkische Staatschef Erdogan, um freie Medien und die Demokratie komplett abzuschaffen? Außerdem werden drei Hamburger Illustrierte in einen neuen "Heimathafen" verlegt. Und ein in Gera geborener "NYT"-Chefredakteur ist gestorben. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Nachtaktuelle Trump-Aufreger

Alle Augen auf die USA, lautet seit Monaten eine wichtige Regel für die Medien, Medienmedien inklusive. Wenn sie ins Ausland schauen, dann dorthin. Der Präsident und Entertainer Donald Trump bespielt permanent seine primäre Öffentlichkeit, seine Wähler, und in zweiter und dritter Linie den Rest der Welt – um vermeintlich gute Geschäfte ("Deals") anzubahnen und um ähnlich tickende Regime zu stärken.

Nachtaktuelle Nachrichten kreisen am frühen Morgen um "eines der weitreichendsten Leaks der jüngeren US-Geschichte" (zeit.de/Abo). Offenbar versehentlich hatten wichtige Schranzen aus Trumps Hofstaat einen Journalisten, den "The Atlantic"-Chefredakteur Jeffrey Goldberg, in eine Gruppe eingeladen, in der sie Bombenangriffe im Jemen bechatteten. Interessant, dass der Chat beim vergleichsweise sympathischen, nicht Konzern-besessenen Messenger Signal stattfand. Hier geht's zu Goldbergs Artikel "The Trump Administration Accidentally Texted Me Its War Plans".

Bemühungen, im alten Vertrauen auf weltbekannte Vorzüge des US-amerikanischen Rechtsstaats gegen Trumps Wirken einzuschreiten, laufen weiter. So haben die Reporter ohne Grenzen, gemeinsam mit der Gewerkschaft der mehr oder weniger aufgelösten US-amerikanischen Auslandssender (Altpapier), die United States Agency for Global Media verklagt. Und "Widerstand ist machbar", macht in der "FAZ" (Abo) Korrespondentin Nina Rehfeld Mut, dass "Wissenschafts- und Techmagazine ... zeigen, was unabhängige Presse für die Demokratie bedeutet". Auf "Scientific American", "Wired" und den Blog techdirt.com bezieht sich das etwa. Dabei kann sich streng genommen doch erst mittelfristig zeigen, was so etwas noch bedeuten kann.

Zugleich machen sich die Alle-Augen-auf-die-USA-Regel auch zahlreiche Brüder im Geiste zunutze. Zum Beispiel das langlebigste Beispiel dafür, dass der sog. Westen es mit seinen Idealen sowieso nicht genau nimmt, wenn es sonst ins Konzept passt. Also der türkische Regimechef Erdogan.

Türkei "in eine Diktatur gekippt"

"An politisch motivierte Gerichtsurteile hat sich die Türkei seit Jahren gewöhnt. Und doch markiert diese Nacht eine Zäsur. So defizitär die türkische Demokratie in den letzten Jahren – und auch schon vor Erdogan – war, so sehr Erdogan keine unfairen Mittel bis zur Annullierung von Ergebnissen gescheut hat, in den frühen Morgenstunden des 23. März 2025 hat sie ihren Todesstoß erlebt. Wo die Opposition nicht länger den Spitzenkandidaten ihrer Wahl nominieren kann, existiert keine 'gelenkte Demokratie', sondern gar keine. Erdogans Autokratie ist in eine Diktatur gekippt",

schrieb Deniz Yücel, der selber als Journalist ein Jahr in türkischen Gefängniszellen verbracht hat, in der "Welt". Den "verhaltenen Widerspruch aus Europa" nennt er als einen Faktor, der Erdogan stärkt. Der Rest-Westen muss ja froh sein über alle, die sich nicht auch von ihm abwenden. Also falls nicht sowieso "der Westen, wie wir ihn kannten, ... weg" ist (wie der Historiker Norbert Frei in einer neuen Habermas-Debatte, die die "SZ" initiieren möchte, schrieb. Aber das ist ja keine Feuilleton-Kolumne hier ...).

Die Vorgänge in der Türkei haben natürlich unmittelbar mit Medien zu tun: Schon am Freitag berichtete Friederike Böge in der "FAZ", dass, als der Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem Imamoglu verhaftet wird, "auch der Fernsehjournalist İsmail Saymaz von der Polizei abgeholt wurde". Und zwar wegen "Telefonaten und Tweets aus dem Jahr 2013", die ihm auf 40 Seiten ausgedruckt vorgelegt wurden. Falls Sie's nicht mehr parat haben: Tweets hießen die Posts auf Twitter, wie die Plattform X hieß, bevor Elon Musk (der damals noch nicht die Rolle einnahm, die er derzeit spielt) sie übernahm. X sei in der Türkei immer noch wichtig, sagt Deutschlandradio-Korrespondent Benjamin Weber (Audio). X ist aber auch in der Türkei nicht mehr, was es bzw. was Twitter war. Elon Musks Plattform erfüllte 2024 den hohen Wert von "rund 86 Prozent aller Sperranfragen der türkischen Behörden und Gerichte" und legt auch aktuell "Oppositions-Accounts ... still", meldet der "Standard". Die Reporter ohne Grenzen dokumentierten weitere Journalisten-Verhaftungen:

"Mindestens zehn Medienschaffende wurden seit dem 19. März von Sicherheitskräften körperlich angegriffen. Zudem wurden mindestens fünf Journalistinnen und Journalisten festgenommen. In Istanbul wurden unter anderem der bekannte Fotojournalist Bülent Kılıç und die freiberufliche Journalistin Zeynep Kuray aus ihren Wohnungen abgeführt ...",

Und die Zahl steigt weiter. Von neun festgenommenen Journalisten schreibt die "taz", die in der Hauptsache darüber berichtet, wie die Medienaufsichtsbehörde RTÜK "die wenigen verbliebenen kritischen Medien durch Sendeverbote und Lizenzentzug zum Schweigen zu bringen" versucht. Von zehn Verhafteten berichtete gestern abend bereits Korrespondentin Susanne Güsten im "Tagesspiegel". Bei weit über 1.000 insgesamt Festgenommenen ist das keine besonders hohe Zahl.

Viele deutsche Berichte zeigen sich optimistisch, dass "Die Proteste wirken" ("SZ"-Meinungsseite/ Abo). "Keine Medienzensur kann das ändern", schließt Ali Celikkan in der "taz". Allerdings, wann haben deutsche Berichterstatter sich nicht optimistisch gezeigt, und wie oft haben sie zuletzt in ihrem Sinne recht behalten? "Immerhin einer glaubt, dass Erdoğan irgendwann gestürzt wird: Erdoğan. Dem beugt er vor", scherzte Friedrich Küppersbusch dazu in der "taz".

Bertelsmann verkauft lieber Möbel als Presse

Harter Schnitt. "Inzwischen wollen die verbliebenen europäischen Fernsehkonzerne ihre Rest-Printgeschäft lieber loswerden", schrieb ich vor einer Woche hier. In der Hinsicht ist Deutschlands größtem Medienkonzern nun ein Erfolg gelungen: Bertelsmanns RTL verkauft drei der bekanntesten Zeitschriftentitel aus dem Angebot des Ex-Großverlags Gruner+Jahr, "Brigitte", "Gala" und "Eltern". Dazu gibt es eine wortreiche Gute-Laune-Pressemitteilung ("hochwertige journalistische Inhalte", "'Best Owner'-Philosophie","bestmöglich weiterentwickelt", "noch fokussierter", "enorme publizistische Strahlkraft", "Freude und Ehre" usw.). Vom Käufer, der Funke-Mediengruppe, gibt es auch eine ähnliche, aber nicht identische ("großartige Marken", "tiefe Überzeugung", " Empowerment und Haltung", "echte 'Love Brands'" usf.).

Daran, dass RTL 2023 noch zumindest "Brigitte" und "Gala" zu den "Kernmarken" des geschluckten, ebenfalls Bertelsmannschen G+J zählte, erinnert "epd medien". Und das "FAZ"-Wirtschaftsressort (Abo) schreibt:

"Erst im Dezember waren die 300 Beschäftigten der drei Medienmarken in ein neues Gebäude in der Hamburger Hafencity umgezogen. Jetzt steht den Beschäftigten ein weiterer Umzug bevor. 'Sie werden einen Heimathafen bei Funke finden', heißt es in der Pressemitteilung des Unternehmens aus Essen."

Auch wenn Springers "Welt" titelt: "Warum Bertelsmann die 'Brigitte' nach Essen schickt", und die Journalistengewerkschaft DJV fordert, "dass die Titel und Arbeitsplätze ... am Standort Hamburg langfristig erhalten bleiben" sollen, müssen die Hamburger Zeitschriften-Journalisten aber nicht ins Ruhrgebiet umziehen. Das lässt sich, etwas verklausuliert, der RTL-Mitteilung entnehmen. "Sie sollen mit ihren Hamburger Funke-Kollegen an einem neuen Standort zusammenziehen" (meedia.de). Die "Welt" aus dem Springer-Verlag (der den Funkes einst selber große Teile seines Print-Geschäfts verkaufen konnte) versucht die Logik des Geschäfts auch jenseits der in den Pressemitteilungen strapazierten Euphemismen darzulegen:

"Die Landschaft der privat geführten Verlage verändert sich damit weiter. Neben den immer noch zahlreichen Regionalzeitungsverlagen, bei denen es aber auch schon Konzentrationseffekte durch Verkäufe gibt, sinkt die Zahl der Zeitschriftenverlage mit einem breiten Portfolio unterschiedlicher Titel. Denn je mehr Titel ein Verlag in ähnlichen Segmenten hat, wie etwa Frauenzeitschriften oder TV-Programmtitel, desto kostengünstiger lassen sich diese Titel auch produzieren, beispielsweise in Redaktionen, die gleich für mehrere Titel verantwortlich sind."

Wobei Christian Meier anschließend "einen Linkedin-Post des Medienexperten Thomas Koch" zitiert, der von einem "ganz schwarzen Tag für die Medienwelt, für Print, für die Medienvielfalt" schrieb. Von "Panik bis Ernüchterung" berichtet dwdl.de über Reaktionen bei den betroffenen Redaktionen. "Wir sind fassungslos, erschüttert, wütend und traurig über den Ausverkauf von Gruner + Jahr", zitiert die "SZ" (Abo) aus einer Betriebsrats-E-Mail. Ausführlich und ausnahmsweise ohne Bezahlschranke berichtet außerdem das "Hamburger Abendblatt" – das zu den Blättern gehört, die Funke einst von Springer übernahm:

"'Funke ist auf jeden Fall besser als RTL', sagt einer, der lange bei Gruner+Jahr beschäftigt war, aber auch die vergangenen Jahre als Mitarbeiter erlebt hat, wie RTL das Ruder übernommen hatte. 'Funke ist im publizistischen Geschäft unterwegs, RTL nicht', fasst er zusammen."

Nimm das, Bertelsmann. Dazu nochmals ein Blick in die RTL-PM, die am Rande weitere Umstrukturierungen in der traditionell hochgradig hierarchisiert-verschachtelten Bertelsmann-Firmenstruktur ankündigt, nämlich dass

"die Marken 'Schöner Wohnen', 'Couch' und 'Häuser' ab sofort im Bereich RTL Consumer Products unter der Verantwortung von Thorsten Braun geführt werden, um ihr starkes Wachstum im Möbel- und Einrichtungsbereich weiter auszubauen."

Wenn man schon in der "holzverarbeitenden Industrie" (wie Willy Brandt in der vor-digitalen Zeit die Presse genannt haben soll ...) aktiv ist, dann lieber Möbel als Zeitschriften verkaufen, oder wie?

Max Frankel zwischen New York und Gera

"Herr Frankel war stämmig und bürgerlich und sah aus wie ein Schulmeister aus der alten Welt. In der Tat brachte er einen Eifer für das Lernen in seine Arbeit ein. Er studierte sein ganzes Leben lang internationale Angelegenheiten, Politik, Geschichte und Regierung, interessierte sich für Wissenschaft und Technologie, verstand etwas von Statistiken und Budgets, sprach Deutsch, Polnisch und Jiddisch und war mit Russisch, Französisch und Spanisch vertraut",

schreibt die "New York Times", deepl.com-übersetzt, in ihrem langen und mit vielen, vor allem schwarzweißen Fotos illustrierten Nachruf auf Max Frankel, der von 1986 bis 1994 ihr Chefredakteur war. Einen deutschen Nachruf schrieb Willi Winkler für die "SZ"-Medienseite, der sozusagen großes Hollywood-Kino bietet:

"1956 gelang ihm der erste Scoop, als er aus den Radiomeldungen einen Bericht über den Zusammenstoß der Andrea Doria und der Stockholm vor der Küste von Nantucket fertigte und dafür mit seinem Namen auf der Titelseite der 'New York Times' erschien. Die Zeitung schickte ihn nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstands nach Wien, dann nach Moskau, wo er, wie er sagte, so gründlich bewacht wurde, dass er abgesehen von Parteichef Nikita Chruschtschow und dessen Leuten so gut wie keinen Russen kennenlernte ..."

Wobei Frankels Karriere nicht nur aus Höhepunkten bestand. "Wie die ganze Zeitung war ihr bester politischer Reporter zu eng mit dem Weißen Haus verbandelt, als dass man die Regierungskriminalität recherchiert hätte", die vor der Tür des Hauptstadtbüros stattfand, notiert Winkler zum Watergate-Skandal. Aus dem hatte ja nicht die "NYT", sondern die "Washington Post" Ruhm geschöpfte (den Jeff Bezos erst in den letzten Jahren verspielte).

Lesenswert ist der "SZ"-Nachruf aber auch wegen der Bezüge zum heutigen Ostdeutschland. "Ende Oktober 1938 ließ Heinrich Himmler alle in Deutschland lebenden polnischen Juden nach Polen deportieren, darunter auch die Familie Fränkel aus Weißenfels" in Sachsen-Anhalt. Geboren wurde Frankel aber im heutigen Thüringen. "In Gera werden sie seiner hoffentlich gedenken", lautet die "SZ"-Überschrift (Abo).

Altpapierkorb ("Masterplan"-Doku, Rufmord, Joyn, Starlink, Komoot)

+++ Ausgesprochen unangekündigt hob die ARD gestern nach den "Tagesthemen" den Dokumentarfilm "Masterplan – Das Potsdamer Treffen und seine Folgen" ins lineare Programm. Vorabbesprechungen gab es gar keine. Heute haben "FAZ" und "SZ" eine (okay, gestern am frühen Abend online erschienene) Nachbesprechung zum nun in der Mediathek verfügbaren 90-Minüter.
Zur filmischen Integrität" des Filmautors Volker Heise "gehört, dass er auf Dämonisierung oder Heroisierung seiner Protagonisten ebenso verzichtet wie auf dramatisierende Effekte, Musikuntermalung zur Atmo-Färbung oder wertende Kameraeinstellungen", lobt Peter Laudenbach in der "SZ" (Abo). "Heises Dokumentarfilm ist mit dieser Erzählweise relativ weit von der Skandalisierungs-Dramaturgie, dem Schock-Kalkül der Correctiv-Veröffentlichung entfernt." Michael Hanfeld von der "FAZ" (Abo) hätte sich "mehr Detektivarbeit der Filmemacher gewünscht. Und auch die journalistische Kritik an der Correctiv-Geschichte handeln sie denkbar knapp ab." +++

+++ Themen, die weiter gedreht werden: "der schlimmste Fall von Rufmord, der mir in 30 Jahren begegnet ist". So nennt Rechtsanwalt Christian Schertz in der "SZ" den "Bild"-Fall, den Ben Kutz hier mit "Die verlorene Ehre der Judy S." überschrieb. +++ "Wie Israel-Feinde Journalisten drangsalieren", schildert nun auch die "Welt". Außer "Bild"-Reporter Iman Sefati äußern sich auch Nicholas Potter und Jörg Reichel von der Journalistengewerkschaft dju. +++

+++ ProSiebenSat.1' wackerer Streamingdienst Joyn kann sein Angebot um einen Kanal erweitern und streamt künftig auch das Parlamentsfernsehen des Bundestags, meldet "epd medien". +++

+++ Elon Musks Satelliten-Internet-Firma Starlink "profitiert von Trumps Breitbandprogramm" und könnte allerhand in Trumps USA bereitgestellte Infrastruktur-Fördermittel bekommen, berichtet "Telepolis". Das mit Ministerpräsidentin Giorgia Meloni schon angebahnte Starlink-Geschäft mit Italien könnte allerdings, auch Trumps wegen, scheitern, meldet heise.de. Wobei wahrscheinlich in den USA aber deutlich mehr Geld als in Italien fließt.  +++

+++ Und nochmals nach Potsdam: Dort sitzen die inzwischen "rund 150 Mitarbeiter" der von wanderfreudigen Studenten der TU Berlin anno 2010 gegründeten, mit zweistelligen Millionen-Umsätzen profitablen Wander-App "Komoot" – und erfuhren kürzlich "geschockt", dass auch ihr Unternehmen verkauft wurde, an ein eher berüchtigtes italienisches Unternehmen, und dass "es im Zuge des Betriebsübergangs Kündigungen geben werde". Das berichtete zunächst die "Wirtschaftswoche". +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch Ben Kutz.