Kolumne: Das Altpapier am 27. März 2025Geschichten vom Rückzug

27. März 2025, 12:02 Uhr

Aus den USA kommen täglich neue Zwischenstände zum Abriss der Demokratie. Reicht es aus, wenn Nachrichtenmedien das einfach beschreiben? Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

"Signal"-Affäre: Und immer wieder Lügen

Nachdem die US-Regierung und der Geheimdienst den Inhalt der "Signal"-Chatgruppe heruntergespielt haben, in der aus Versehen der "The Atlantic"-Chefredakteur Jeffrey Goldberg mitlas, hat das Magazin den gesamten Inhalt des Chats veröffentlicht. Darauf hatte Goldberg zunächst verzichtet, um die nationale Sicherheit nicht zu gefährden. Jetzt spielt sich wieder das ab, was in der Trump-Regierung immer passiert, wenn unangenehme Informationen an die Öffentlichkeit gelangen. Nach den Lügen folgen die Beschimpfungen und der Gegenangriff. Donald Trump nannte Goldberg einen "Drecksack", dessen Magazin "scheiternd", der nationale Sicherheitsberater Michael Waltz bezeichnete Goldberg einen "Lügner" und "Abschaum", Verteidigungsminister Pete Hegseth sprach von einem "Journalisten, der Unsinn verbreitet". Fehlte im Grunde nur noch die übliche Behauptung von der Hexenjagd, aber die kam dann auch noch.

Das Bemerkenswerte an diesem durchsichtigen und schlichten Muster ist, dass es auch nach Jahren weiterhin funktioniert – vielleicht sogar immer besser, denn die anfängliche Empörung über die Ungeheuerlichkeit einer solchen Reaktion ist erst zur Ernüchterung geworden, dann zur Normalität.

Man beschreibt, was passiert, und so erscheinen die Abwertungen und absurden Äußerungen irgendwann wie eine akzeptierte Verhaltensweise. Und weil der Hinweis, dass Donald Trump auf jegliche Art von Vorwürfen mit der Entgegnung "Hexenjagd" reagiert, für eine Nachrichtenmeldung zu viel Wertung enthielte, vertraut man einfach darauf, dass die Menschen das schon selbst erkennen werden.

Nachrichten transportieren ohne Verwunderung jeden Irrsinn, wenn Menschen in Ämtern oder entsprechenden Funktionen ihn verbreiten. Das Fachwort ist "Sanewashing" (Altpapier).

In den vergangenen Tagen war eine Variation davon auch immer wieder in Meldungen aus der Türkei zu beobachten. Nach Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu meldete zum Beispiel der Deutschlandfunk:

"Wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, werden ihm (Imamoglu, Anm. Altpapier) Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation, Korruption und Unterstützung der verbotenen kurdischen PKK vorgeworfen."

Als wäre die türkische Staatsanwaltschaft eine Quelle, die verlässliche Informationen verbreitet. Tatsächlich steht in der Mitteilung Erdogans seit vielen Jahren üblicher Satzbaustein, wenn es darum geht, Journalisten oder politische Konkurrenten aus dem Rennen zu nehmen.

Unterschlägt man diese Information, wirkt das Stilmittel der Wiederholung, das Autokratien und Diktaturen gern einsetzen, um ihre Lügen zu Wahrheiten zu transformieren, und so bleibt irgendwas hängen: Imamoglu? War das nicht dieser korrupte Terrorist?

Nachrichtenmedien möchten einfach berichten und auf jegliche Bewertung verzichten, die sie in irgendeiner Weise als Partei dastehen lassen könnten. Das ist wichtig, denn andernfalls ginge ihre Glaubwürdigkeit verloren. Aber wenn Akteure diesen Mechanismus sabotieren, indem sie systematisch Lügen verbreiten, wäre das auch nach objektiven Kriterien ebenfalls eine wichtige Information.

Bei einzelnen Personen lösen Nachrichtenmedien das gern mit dem Wort "umstritten". So vermitteln sie elegant, dass die Glaubwürdigkeit einer Person ein paar Kratzer hat.

Im Falle von gewählten Regierungen, die zumindest der Form nach noch Demokratien sind, ist das nicht so leicht. Umstritten ist eine Regierung in Demokratien ja meistens. Die US-Regierung hat noch vor wenigen Monaten bei demokratischen Wahlen eine Mehrheit bekommen. Aus Perspektive dieser Menschen ist weder Donald Trump umstritten, noch sind es seine Lügen und Umgangsformen.

In Organisationen ist oft zu beobachten, dass Verhaltensweisen der Menschen an der Spitze auch auf die Ebenen darunter übertragen. In den USA agiert mittlerweile die komplette Regierung wie ein Mensch mit schwer narzisstischen Zügen, dem Grenzen oder demokratische Regeln egal sind – und damit auch Medien als Korrektiv.

Seit Beginn von Donald Trumps zweiter Amtszeit wird der lange absehbare Plan, Medien als unabhängige Instanz auszuschalten, immer realer.

Druck auf Medien wird immer größer

Mitte März hat die Regierung etwa dem Auslandssender "Radio Free Europe" das Geld gestrichen (Altpapier). Das hat ein US-Bundesrichter der Regierung am Dienstag per einstweiliger Verfügung untersagt, berichtet unter anderem "epd Medien". Die Finanzierungsvereinbarung ohne Zustimmung des Kongresses zu kündigen, sei verfassungswidrig, urteilte der Richter. Die Überschrift "Radio Free Europa darf vorläufig weitersenden" verrät allerdings schon, dass das nur ein Zwischenstand ist, den die US-Regierung so wohl nicht hinnehmen wird.

Urteile wie dieses wirken wie Rückzugsgefechte, wie kleine Landgewinne in einem immer mehr brechenden Widerstand.

In einem anderen aktuellen Fall ist in der epd-Meldung von einem "Rückschlag" für Donald Trump die Rede. Aber im Gesamtbild ist so etwas kaum zu erkennen.

Der Oberste Gerichtshof der USA hat entschieden, dass ein seit 1964 geltender Rechtsgrundsatz zum Schutz von Medien vor Verleumdungsklagen Prominenter bestehen bleibt. Nach diesem Grundsatz müssen öffentliche Personen in Verleumdungsklagen nachweisen, dass falsche Aussagen mit "tatsächlicher Böswilligkeit” verbreitet worden sind, also wissentlich unter Missachtung der Wahrheit.

Das macht es etwas schwerer, Medien einfach so mit Klagen zu überziehen. Aber es gibt keine Hinweise darauf, dass Donald Trump das in irgendeiner Weise beeindrucken würde.

Trump hatte erreicht, dass Meta und der Fernsehsender ABC ihm viel Geld gezahlt haben, vom Sender CBS fordert er absurde 20 Milliarden Dollar. Hier war der Grund, dass der Sender ein Interview mit Kamala Harris so geschnitten hatte, dass sie in einem guten Licht erschien.

Die Klagewut betrifft allerdings nicht nur große Medien. Gegen die Regionalzeitung "Des Moines Register" ging Trump wegen einer Umfrage vor. An das alles erinnert "epd Medien" in seiner Meldung.

Niemand kann sicher sein. Das zeigte auch die Posse um das Gemälde von Trump im Parlament von Colorado, das schließlich abgehängt wurde.

Von all diesen Bagatellfällen geht eine Signalwirkung aus, die sich aufs ganze Land überträgt. Ein wichtiger Funktionsmechanismus ist Geld, oft in Form von Fördermitteln oder zu erwartenden Staatsaufträgen.

Maximilian Rieger berichtete in dieser Woche für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" über den Kurswechsel von Hochschulen und Medien, in diesem Fall der "Washington Post", die dem Druck immer mehr nachgibt. Im vergangenen Jahr verzichtete sie auf eine Wahlempfehlung. Dann ordnete Eigentümer Jeff Bezos an, unangenehme Themen von der Meinungsseite zu räumen.

Rieger zitiert die Journalistik-Professorin Margot Susca, den früheren "Washington Post"-Chefredakteur Marty Baron und den früheren Medienreporter Paul Farhi (der hier Robert heißt). Rieger:

"Als Grund für den Kurswechsel sehen Susca, Robert Farhi (sic!) und Marty Baron vor allem eines: Bezos wolle seine anderen Geschäftsinteressen schützen. Amazons Cloud-Plattform AWS hat milliardenschwere Verträge mit US-Behörden abgeschlossen. Auch Bezos Weltraumunternehmen Blue Origin braucht Staatsaufträge zum Überleben. Das ist ein großer Interessenkonflikt."

In die Nachrichtenredaktion greift Bezos laut dem Bericht nicht ein. Weil Teile der Redaktion den neuen Kurs aber nicht mittragen und viele gekündigt haben, wirkt sich der Richtungswechsel aber auch hier auf die Berichterstattung aus. Es bleiben die, die etwas flexibler sind. Gleichzeitig sind tausende Abos verloren gegangen. Das könnte dazu führen, dass die Redaktion schrumpft und so ebenfalls die Berichterstattung beeinträchtigen.

Vertrauen in den Rechtsstaat schwindet

Der Amerikanist und Demokratieforscher Johannes Völz von der Uni Frankfurt ordnet die Entwicklungen in den USA im "@mediasres"-Interview mit Sebastian Wellendorf ein. Er warnt davor, dass die mediale Gegenmacht bröckelt, dass die "Checks and Balances" nicht mehr funktionieren und dass sich die Medienlandschaft langsam zu einer Propaganda-Landschaft entwickelt. Mittlerweile existiere ein übermächtiges rechtes Mediennetzwerk, das Trump unterstütze. Das sei kein Journalismus mehr, sondern ein PR-Apparat für Trump.

Völz beschreibt auch den vorauseilenden Gehorsam, mit dem Medien auf Einschüchterungen reagieren, zum Beispiel im Fall von Trumps Klagen gegen ABC News und CBS. Völz:

"Das waren Klagen, die waren aus juristischer Sicht absolut wenig erfolgversprechend. Im Grunde war das juristisch gesehen ein großer Witz. Aber die großen Konzerne, die hinter ABC News und CBS stehen, also in einem Fall Disney und im anderen Fall Paramount, die haben unheimlich große Angst davor, dass sie mit Strafaktionen zu rechnen haben, die wiederum aus anderen Zweigen der Trump-Regierung dann kommen können. (…) Und rein rechtlich gesehen muss man sagen, fragt man sich, warum habt ihr das gemacht? Aber offensichtlich vertrauen auch ABC News und CBS nicht mehr dem Rechtssystem, sondern sie befürchten einfach, dass das mit Sanktionen einhergehen würde. Und dem wollen sie sich nicht aussetzen."

Hier schwindet zuallererst das Vertrauen in den Rechtsstaat. Und wenn das nicht mehr vorhanden ist, dann geraten die rechtsstaatlichen Grundlagen ins Wanken. Fehlt das Vertrauen, schwindet die Bereitschaft kritisch zu sein, denn das kann unabsehbare Folgen haben. Und das ist der nächste Schritt zu einem Land, in dem der Präsident festlegt, was wahr und was falsch ist.

Es wäre naiv zu denken, Nachrichtenmedien könnten diese Entwicklung aufhalten. Aber in einer Zeit, in der sie manipuliert in ihrer Funktionsweise angegriffen werden, sollten sie in der Lage sein, auch das zu benennen.


Altpapierkorb (Lex Frag den Staat, SWR-Staatsvertrag, Pressekodex, RBB-Krise, Gaza-Berichterstattung, Türkei)

+++ Die Union will das Informationsfreiheitsgesetz abschaffen, berichtet Arne Semsrott auf seiner Plattform "Frag den Staat", die Menschen dabei hilft, Anfragen nach dem Gesetz an Behörden zustellen. Eine treibende Kraft hinter dem Vorhaben ist offenbar der CDU-Politiker Philipp Amthor, der selbst durch Anfragen nach dem Gesetz unter Druck geraten war. Das Informationsfreiheitsgesetz hat in den vergangenen Jahren geholfen, viele politische Skandale aufzudecken. Die SPD hat dem Vorschlag bislang nicht zugestimmt, eine Entscheidung werde nun von den Parteispitzen erwartet, schreibt Semsrott.

+++ Der SWR soll einen neuen Staatsvertrag bekommen. Die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wollen den Vertrag im April unterzeichnen. Helmut Hartung hat dem baden-württembergischen Medienstaatssekretär Rudi Hoogvliet (Grüne) und der rheinland-pfälzischen Medienstaatssekretärin Heike Raab (SPD) dazu jeweils drei Fragen geschickt und die Antworten auf seiner Seite "medienpolitik.net" veröffentlicht. Ziel des Vertrags ist es, durch strukturelle Reformen wie den Abbau von Doppelstrukturen, die Reduzierung der Hörfunkprogramme auf sechs und flexiblere Programmgestaltung Geld zu sparen und gleichzeitig das Regionale etwas mehr zu betonen.

+++ Der Deutsche Presserat hat die Vorgaben zur Vermeidung von Interessenkonflikten im Journalismus verschärft, berichtet "epd Medien". Künftig müssen Redaktionen auch persönliche Beziehungen offenlegen, wenn durch sie der Eindruck entstehen kann, dass Berichterstattung nicht unabhängig ist.

+++ Eigentlich sollte die neue RBB-Intendantin Ulrike Demmer den Sender aus den Schwierigkeiten herausholen. Timo Niemeier zeichnet für das Medienmagazin "DWDL" nach, wie sie selbst Teil der Misere wurde. Zuletzt führte die fehlerhafte Berichterstattung über den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar zum Rücktritt von Chefredakteur und Programmdirektorin. Parallel dazu verschärft sich die finanzielle Lage: Ein zusätzliches Sparpaket in Höhe von 22 Millionen Euro führe zu einem Stellenabbau, Kantinenschließungen und einer massiven Verunsicherung des Personals, schreibt Niemeier. Besonders hart treffe den Sender die weiterhin blockierte Erhöhung des Rundfunkbeitrags – alleine dadurch fehlten 2025 über 15 Millionen Euro.

+++ Die deutsche Berichterstattung über den Gaza-Krieg sei einseitig und von Angst getrieben, schreibt Stefan Mey in einem Beitrag für "Übermedien". Während israelische Opfer mit Namen, Fotos und persönlichen Geschichten gezeigt würden, mangele es an Empathie für palästinensische Opfer. Journalistinnen und Journalisten wollten alles richtig machen. Und das führe zu einem blinden Fleck. Mey: "Sie sind unsicher, wo legitime Israel-Kritik aufhört und Antisemitismus beginnt. Und sie haben panische Angst, dass ihre Berichterstattung oder die eigene Person als antisemitisch diffamiert wird. Viele Journalist*innen reflektieren zu wenig, dass ihre Unsicherheit und Angst zu einem anderen Problem führen kann, zu medialem Rassismus."

+++ Die Organisation Reporter ohne Grenzen verurteilt die zunehmenden Repressionen gegen Medien in der Türkei im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu, berichtet "epd Medien". Journalistinnen und Journalisten würden geschlagen, festgenommen und unter Druck gesetzt. Die Medienaufsicht bedrohe Fernsehsender mit Lizenzentzug und Geldstrafen, wenn sie weiterhin kritisch berichteten.

Das Altpapier am Freitag schreibt Antonia Groß.