Kolumne: Das Altpapier am 28. März 2025Der (digitale) Werkzeugkasten des Faschismus

28. März 2025, 10:26 Uhr

Der Kulturkampf von oben zieht tiefer in die US-Institutionen ein. Die Presse ist zugleich Feindbild und Austrägerin dieses Kampfes. Deutschsprachige Medien protestieren gegen die Abschaffung der Informationsfreiheit. Heute kommentiert Antonia Groß die Berichterstattung.

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Signalgate

Wenn sie immer wieder übertreten werden, lassen sich diskursive Grenzen verschieben. Wiederholungen von bis dahin "Unsagbarem" oder nicht "Salonfähigem" ermöglichen irgendwann, dass Tabus gar nicht mehr wie Tabus klingen – sondern als gesellschaftlicher Konsens durchgehen.

Das ist sehr verkürzt in etwa das, was die selbsternannte "Neue Rechte" seit einigen Jahrzehnten als mediale Strategie betreibt. Nach Herrschaft greifen, indem sie gesellschaftliche Debatten nach ihren Vorstellungen vor sich hertreiben. In letzter Zeit setzt sich dieser Kulturkampf-Modus in vielen Ecken der Welt immer deutlicher durch, längst auch ausgeführt von gewählten Regierungen. Sie teilen die Feindbilder, sie teilen die Taktiken. Der Kulturkampf von oben greift nach den Institutionen. Und die Medien sind darin Feindbild und tragendes Element zugleich.

Gestern schrieb Ralf Heimann hier im Altpapier darüber, welchen Beitrag die Nachrichtenmedien zur Verharmlosung rechter Kampfrhetorik leisten, wenn sie bestimmte Aussagen scheinbar neutral, also nachrichtlich wiederholen:

"Man beschreibt, was passiert, und so erscheinen die Abwertungen und absurden Äußerungen irgendwann wie eine akzeptierte Verhaltensweise. Und weil der Hinweis, dass Donald Trump auf jegliche Art von Vorwürfen mit der Entgegnung 'Hexenjagd' reagiert, für eine Nachrichtenmeldung zu viel Wertung enthielte, vertraut man einfach darauf, dass die Menschen das schon selbst erkennen werden."

Ein Fehler ist es also, wenn Medien nicht benennen, dass es sich bei Aussagen von noch so demokratisch gewählten Regierungen um kalkulierte Wiederholung von Lügen und Attacken handelt. Im gestrigen Beispiel ging es um die Reaktionen der Trump-Administration auf die Anfang der Woche geleakten Nachrichten aus einer regierungsinternen Chatgruppe, in der Angriffe der US-Armee auf die Huthi in Jemen mit Kurznachrichten bequatscht wurden (Altpapier). Irgendwer hatte versehentlich Jeffrey Goldberg, den Chefredakteur des Magazins "Atlantic" zu dem Chat hinzugefügt. Der hat den Inhalt dann erst teilweise und später ganz veröffentlicht. Seitdem kassiert er Beleidigungen, mit denen die US-Regierung ihn in seiner journalistischen Glaubwürdigkeit zu diskreditieren versucht. Das Spiel ist nicht neu, Trump und seine Entourage spielen es Runde für Runde, das ist ihr Kampf gegen eine unabhängige Presse.

Nun dreht sich die Debatte weiter, um den Leak, der eigentlich gar keiner war. Es geht um die Frage, wie Goldberg in den Chat kam. Nicht, dass das nicht bekannt wäre. Doch, wer hätte es gedacht, nicht etwa Trumps Sicherheitsberater Michael Waltz, der Goldberg zu dem Chat hinzugefügt hatte, trägt die Verantwortung. Sondern, Schuld ist aus Sicht der Regierung: der Journalist.

Jonathan Chait ordnet in einem Kommentar für den "Atlantic" nun die Reaktion auf das "Signalgate" als Beweis für den MAGA-eigenen Kulturkampf ein:

"Die Aussicht, von Staaten wie dem Iran oder China kompromittiert zu werden, ist weit entfernt im Vergleich zu dem tiefsitzenden Schrecken davor, den gefürchteten Mainstream-Medien einen Sieg zu schenken."

Soll die Menschen wohl beruhigen, die angebliche Unfehlbarkeit der Herrschenden. Die inszenierte Göttlichkeit des (An-)Führers. How Mittelalter. How Trump.

Beim rechten Propaganda-Sender "Fox News" vermutet ein Moderator, Goldberg müsse sich in den Chat "eingeschlichen" haben. Chait kommentiert:

"Unter dem Gesichtspunkt der nationalen Sicherheit ist diese Theorie das Gegenteil von beruhigend. Wenn Goldberg sich in ein hochsensibles Gespräch über eine geheime Militäroperation 'einschleichen' konnte, sollten wir dann nicht befürchten, dass chinesische, russische oder iranische Spione, deren Spionagefähigkeiten vielleicht noch größer sind als die eines Journalisten, sich ebenfalls einschleichen könnten?

Aber die Angst vor der Infiltration durch ausländische Feinde verblasst neben der viel größeren Angst, dass ein Trump-Berater mit einem Journalisten gesprochen hat."

Digitale Bücherverbrennung

Wie in den USA aktuell mit traditionell-faschistischen Werkzeug die Institutionen gefügig gemacht werden, ist auch Thema in einem Interview, das netzpolitik.org mit dem Historiker Sebastian Majstorovic führt. Er ist Teil einer Initiative, die sich "Data Rescue Project" nennt, und seit der Machtübernahme Trumps öffentliche Daten archiviert, bevor Elon Musk und sein Anti-Diversitäts-Kommando "DOGE" sie aus dem Netz löschen können. Musks Abteilung hat schon vor einer Weile eine Liste mit verbotenen Begriffen erstellt, deren Spuren sie am liebsten aus den Behörden und dem Internet löschen will. Darunter sind vor allem Begriffe, die auf queeres Leben verweisen, auf Menschenrechte, emanzipatorische oder antirassistische Bewegungen und ihre Geschichten. Die Liste ist lang. "Diskriminierung" ist dabei, "Gleichberechtigung", "soziale Gerechtigkeit", "transgender", "Behinderung", "Immigranten", oder "Frauen".

Historiker Majstorovic bezeichnet diese Zensur-Attacke als "digitale Bücherverbrennung". Er sagt:

"Wir sehen hier die ersten Auswirkungen eines Technofaschismus. Eine neue Form des Faschismus, in der die Tech-Oligarchen Hand in Hand mit Reaktionären arbeiten und Daten das Mittel der Kontrolle und Unterdrückung sind. Es gibt noch einen historischen Begriff, der mir in der öffentlichen Diskussion bisher zu kurz kommt: Was gerade in den USA passiert, ist Gleichschaltung. Das ist der Begriff, den man nutzen muss, wenn die Exekutive in Behörden, Justiz, Universitäten und Kultureinrichtungen politische Säuberungen durchführt, um diese Institutionen ideologisch gefügig zu machen."

Gesichtserkennung

In Ungarn nimmt die Verfolgung von Menschen, die nicht dem rechtskonservativem Abziehbild von Familie entsprechen, weiter zu. Auch hier: Anhand von umfassender Überwachung und der Kontrolle über Daten.

Vergangene Woche wurden Pride-Veranstaltungen gesetzlich verboten. Also Veranstaltungen, die das Leben von LGBTIQ sichtbar machen, daran erinnern, dass Gleichberechtigung dort, wo sie eingeräumt ist, auf historischen Kämpfen beruht. Mit dem Verbot geht die ungarische Regierung so weit, Teilnehmende von Pride-Demonstrationen per KI identifizieren zu wollen, um sie später bestrafen zu können. Nun informiert netzpolitik.org, dass das gegen EU-Recht verstößt. Die Fahndung auf dieser Grundlage greife laut Expert*innen in die Versammlungsfreiheit und Grundrechte ein.

Doch: Dass die europäische KI-Verordnung, die vergangenes Jahr verabschiedet wurde, für Repression genutzt wird, kommt nicht überraschend. Autor Chris Köver blickt zurück:

"Das Parlament hatte ein klares Verbot gefordert. Zu groß sei die Gefahr für Grundrechte, wenn solche Technologien in der EU eingesetzt würden. Doch kurz vor Schluss weichten die Mitgliedstaaten im Rat die Verbote wieder auf. Sie wollten auf die Fahndungsmöglichkeiten nicht verzichten und verhandelten zahlreiche Ausnahmen in den Gesetzestext."

Köver zitiert Nikolett Aszódi von der NGO Algorithmwatch:

"Über Jahre haben wir die Entscheidungsträger*innen immer wieder gewarnt und aufgefordert, die gefährlichen Schlupflöcher in der KI-Verordnung zu schließen, die zu Massenüberwachung und Machtmissbrauch führen können."

Staatsgeheimnisse

Und in der Bundesrepublik? Am Mittwoch hat die Transparenzplattform "Frag den Staat" den aktuellen Stand des Koalitionspapiers veröffentlicht. Nun ist bekannt, dass die Union die Informationsfreiheit einschränken will. Kontrolle über Informationen? Für den Anschein von Unfehlbarkeit?

Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) verpflichtet den Staat, Bürger*innen auf Anfrage Behörden- und Regierungsdokumente zur Verfügung zu stellen. Vor allem für den investigativen Journalismus ist das ein wichtiges Instrument. Die Merz'schen Konservativen greifen dieses Recht an, wollen es "in der bisherigen Form abschaffen". Der Vorschlag kommt wohl von Philipp Amthor, er leitet für die Union die Arbeitsgruppe, die sich mit "Staatsmodernisierung und Bürokratieabbau" beschäftigt – also die deutsche Fantasie des Musk'schen DOGE verkörpert. Ausgerechnet Amthor, der dank IFG-Recherchen selbst schon einen Lobbyismus-Skandal an der Backe hatte. Der Koallitionspartner SPD hat der Abschaffung des IFG noch nicht zugestimmt.

Der Protest aus der Medienwelt folgte geballt am Donnerstag. Nicht überraschend, schließlich sind Medienleute und Zivilgesellschaft momentan notgedrungen recht geübt darin, auf Angriffe der Konservativen zu reagieren. Die Unions-geführten Attacken auf NGOs (Altpapier) und die Zusammenarbeit mit der AfD (Altpapier) sind ja noch nicht allzu lange her.

Noch ein Mal netzpolitik.org, wo Sebastian Meineck und Markus Reuter dazu schreiben: Die Pläne der Union sorgen für "einen Aufschrei". Das Portal hat Statements von Vereinen, Organisationen und Institutionen gesammelt, die gegen die Abschaffung des IFG protestieren. Etwa von den Journalismus-Gewerkschaften DJV und dju, von Reporter ohne Grenzen oder LobbyControl und dem Chaos Computer Club. Auch Louisa Specht-Riemenschneider, die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, äußert sich:

"Informationsfreiheit hat eine überragende Bedeutung für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, denn Transparenz schafft Vertrauen in das Handeln staatlicher Institutionen. Das IFG abzuschaffen ist daher der völlig falsche Ansatz."

Das Prinzip, auf dem das IFG bei Inkrafttreten vor rund 20 Jahren fußte, war Ausdruck eines Umdenkens im Verhältnis Staat zu Öffentlichkeit:

"Geheimhaltung sollte fortan nicht mehr die Regel sein, sondern die begründungsbedürftige Ausnahme."

...erklärt Jost Müller-Neuhof im "Tagesspiegel", und erkennt im Vorstoß der Union einen "Hauch von Trump". Auch andere Nachrichtenmedien sind alarmiert. Das Portal "t-online" titelt: "Jetzt soll die Transparenz verschwinden". Und die "Schwäbische Zeitung" warnt: "Droht Pressezensur? Merz und Amthor wollen Auskunftsrecht neu justieren".

Im Interview mit dem Medienmagazin @mediasres erklärt Daniel Drepper, der Vorsitzende des Verbandes "Netzwerk Recherche", den Nutzen des Gesetzes für die journalistische Arbeit:

"Es ist auf jeden Fall für Journalist*innen aufwändiger, [ohne das IFG, Anm. Altpapier] an solche Dokumente zu kommen, weil sie natürlich jemanden finden müssen, der sagt, okay, ich möchte dieses Geheimnis, dieses Amtsgeheimnis brechen, ich möchte Dokumente herausgeben, obwohl ich das eigentlich nicht darf."

Falls die Union sich mit der Abschaffung des IFG durchsetzen sollte, sagt Drepper:

"Wir werden uns auf jeden Fall auf allen Wegen die wir haben dafür einsetzen, dass das nicht dazu führt, dass es gar keine Informationsfreiheit mehr gibt auf Bundesebene."

Nach der lauten Kritik ruderte CDU-Politiker Amthor am Donnerstagnachmittag etwas zurück. Gegenüber dem "Spiegel" sagte er, es gehe "natürlich auch nicht um eine ersatzlose Abschaffung".

Der für die Meldung verantwortliche Autor Jonas Schaible hat erst vor einer knappen Woche in einem Essay für den "Spiegel" der Union unter Merz die Versuchung diagnostiziert, in einen MAGA-mäßigen Kulturkampf-Modus zu verfallen, sich des Werkzeugkastens der autoritären Rechten zu bedienen.

"Es gibt einige Hinweise darauf, dass wichtige Christdemokraten verführt sind, das Land grundlegend auf rechts zu drehen."

Eine Woche später lässt die Drohung, das IFG abzuschaffen, nicht darauf hoffen, dass die Union diesen Kurs noch wechselt.


Altpapierkorb (Getötete Journalist*innen in Gaza / TV Sender in der Türkei verboten / Berlusconi will mehr Anteile an ProSieben / Österreicher*innen misstrauen Medien)

+++ Der Journalist Fadi al-Wahidi überlebte nur knapp eine Kugel, die ihn traf, als er einen Bombenangriff in Gaza filmte. "Zeit" Online schreibt über ihn, er "steht beispielhaft für alle palästinensischen Medienschaffenden, Journalistinnen und Journalisten, die seit Kriegsbeginn ihr Leben riskieren. Fast 170 wurden bislang getötet, so viele wie in keinem Konflikt der Neuzeit in einem vergleichbaren Zeitraum: ein "beispielloses Blutbad", wie die Organisation Reporter ohne Grenzen schreibt."

+++ Der Sender Sözcü TV ist von Erdoğans Regime in der Türkei verboten worden. Begründung: Berichte des Senders über Kundgebungen und Demonstrationen gegen die Verhaftung von Istanbuls Bürgermeister Imamoglu von der Oppositionspartei CHP. In anderen Worten: Der TV Sender wurde verboten fürs Nachrichtensenden.

+++ Die Medienfirma des verstorbenen ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, MFE, kündigt ein Übernahmeangebot für ProSiebenSat1 an. Pier Silvio Berlusconi, Sohn des alten Berlusconi, sagte laut epd Medien: "Es ist an der Zeit, einen anderen Gang einzulegen." Die MFE hält derzeit ohnehin schon als größter Einzelgesellschafter 29,99 Prozent an ProSiebenSat.1.

+++ Eine Studie zu autoritären Einstellungen in Österreich kommt zu dem Schluss: Die FPÖ habe so viel Zuspruch, weil "ein nicht unbeachtlicher Teil der Menschen im Land genauso denkt". Weit verbreitet sind scheinbar der Glaube an Verschwörungsideologien und ein Misstrauen in die Medien: "Mehr als jeder und jede Zweite ist völlig (21 Prozent) oder eher (30 Prozent) davon überzeugt, dass die Bevölkerung von den Medien systematisch belogen werde", berichtet der "Falter".

Das Altpapier am Montag schreibt Klaus Raab.