Überlastete JustizStarker Anstieg offener Straffälle in Sachsen - Ministerin fordert Entlastung
Die Aufgaben der Justiz in Sachsen sind vielfältig. Ständig kommen neue Verfahren hinzu, die Aktenberge wachsen an vielen Gerichten und bei den Staatsanwaltschaften. Bei der Anklagebehörde dauern Verfahren teils so lange, dass Verdächtige aus der Untersuchungshaft freikommen. Sachsen fällt da besonders negativ auf. Die Justizministerin fordert mehr Bundeshilfe.
- In Sachsen sind die Aktenberge bei den Staatsanwaltschaften immer höher.
- Die Justizministerin fordert Entlastung auch vom Bund und einen "Pakt für den Rechtsstaat"
- Neue Richtervereinigung sieht auch hausgemachte Gründe wie die Einführung der E-Akte
Der Bearbeitungsstau bei den sächsischen Staatsanwaltschaften ist im vergangenen Jahr weiter gewachsen. Der Deutsche Richterbund berichtet unter Berufung auf das Landesjustizministerium von mehr als 46.000 offenen Verfahren am Jahresende. Das seien gut 4.600 Fälle mehr als Ende 2023. Seit 2021 gebe es einen deutlichen Anstieg der unerledigten Verfahren um 54 Prozent.
Das gilt laut Richterbund nicht nur für liegengebliebene, sondern auch für neue Verfahren. Ihr Anzahl sei von 225.000 im Jahr 2021 auf zuletzt mehr als 301.000 gestiegen.
So viele Verdächtige aus U-Haft entlassen wie sonst nirgends in Deutschland
Eine Folge: Allein 15 dringend Tatverdächtige mussten in Sachsen laut Richterbund 2024 aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Das sind bundesweit die meisten Fälle und ein Viertel aller Fälle. "Die Alarmsignale für einen überlasteten Rechtsstaat häufen sich", sagte Richterbund-Geschäftsführer Sven Rebehn. "Es ist offensichtlich, dass es jetzt ein Sofortprogramm braucht, damit die Strafjustiz nicht zum Flaschenhals bei der Kriminalitätsbekämpfung wird", betonte Rebehn mit Blick auf die anstehenden Koalitionsgespräche von Union und SPD.
Justizministerin dringt auf Entlastung
Justizministerin Constanze Geiert (CDU) dringt auf Entlastung für Sachsens immer stärker belastete Staatsanwaltschaften. "Die Situation ist mehr als angespannt", sagte die Ministerin. Nach Angaben des sächsischen Justizministeriums fehlen Dutzende Staatsanwälte, obwohl die Aktenberge weiter wachsen. Die konkreten Spielräume für eine Abhilfe würden erst mit Abschluss der noch laufenden Haushaltsberatungen für 2025/2026 klar.
Die Situation ist mehr als angespannt.
Constanze Geiert | Justizministerin Sachsen
Die Arbeitsbelastung in den Staatsanwaltschaften nehme kontinuierlich zu und sei derzeit "flächendeckend hoch, zum Teil sehr hoch". Die Neueingänge stiegen innerhalb von zwei Jahren allein um 50.000 Fälle auf über 271.500. Angesichts dessen bestehe unverändert hoher Personalbedarf. Ende letzten Jahres lag er demnach bei annähernd 440 Staatsanwälten, die Besetzungsquote lag bei knapp 86 Prozent. 2024 konnten den Angaben zufolge knapp 267.000 Fälle erledigt werden.
Straftaten im Zusammenhang mit Asyl oder Cannabisgesetz
Treiber der Entwicklung sind laut Ministerium Fälle, in denen es um Straftaten nach dem Aufenthaltsgesetz, Asylgesetz oder Freizügigkeitsgesetz geht wie illegale Einreise oder Schleppertum. Aber auch bei Diebstahl und Unterschlagung, vorsätzlicher Körperverletzung und Geldwäsche sei die Zahl der Ermittlungsverfahren angestiegen - und auch das Cannabisgesetz sorge für Mehrarbeit.
Die Justiz werde mit "handwerklich schlecht gemachten Gesetzen" zusätzlich belastet, kritisierte Justizministerin Constanze Geiert. "Das Gesetz ist bis heute im Vollzug eine einzige Katastrophe - viel Aufwand für die Justiz und kaum bis wenig Wirkung im Kampf gegen Drogenkriminalität." Immer komplexere Gesetze und Vorschriften belasteten nicht nur Wirtschaft und Bürger schwer, sondern auch die Justiz.
Geiert fordert neuen "Pakt für den Rechtsstaat" und Bundeshilfe
"Ziel muss es endlich sein, der Justiz den Rücken für die wesentlichen Aufgaben im Bereich der Strafverfolgung und in der Rechtsprechung freizuhalten", sagte Geiert und forderte eine finanzielle Beteiligung des Bundes am Erhalt einer handlungs- und leistungsfähigen Justiz. "Es braucht dringend eine Neuauflage des 'Pakts für den Rechtsstaat'", um wie schon in der Vergangenheit den ostdeutschen Ländern bei der Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften unter die Arme zu greifen. Es gehe letztlich um das Vertrauen in den Rechtsstaat und dessen wirksamen Schutz vor Anfeindungen oder Angriffen der Populisten.
Richtervereinigung: Einführung von E-Akte führt zu Mehrarbeit
Ein Grund für die vielen unerledigten Strafverfahren ist laut Neuer Richtervereinigung in Sachsen auch die Einführung der elektronischen Akte bei den Staatsanwaltschaften des Freistaats. Verbandssprecher Ruben Franzen, Richter am Amtsgericht Eilenburg, sagte MDR SACHSEN, die Einführung der E-Akte koste Ressourcen und bedeute zunächst einen Mehraufwand von etwa 20 Prozent. "Sachsen ist bei der Digitalisierung der Staatsanwaltschaften bundesweit am weitesten."
Auch die Einführung der Online-Anzeigen bei der Polizei führe zu Mehrarbeit bei den Staatsanwaltschaften, so Franzen.
Bis 2026 sollen elektronische Akten überall in Sachsens Justiz Standard sein. In anderen Bereichen ist die Einführung schon weiter vorangeschritten, etwa an den Arbeits-, Verwaltungs-, und Sozialgerichten in Sachsen. Auch neue Zivilsachen werden an den Amts- und Landgerichten nur noch elektronisch bearbeitet.
MDR (kbe)/dpa
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 11. März 2025 | 06:00 Uhr