Polens Außenminister Radosław Sikorski
Polens Außenminister Radosław Sikorski stellte Elon Musk wegen seiner Drohung, der ukrainischen Armee das Internet abzustellen, zur Rede. Bildrechte: IMAGO / NurPhoto

Vom Exilanten zum Diplomaten Der Mann, der Musk Paroli bot – Polens Außenminister Radek Sikorski

22. März 2025, 08:00 Uhr

Elon Musk legt sich öffentlich mit Polens Außenminister Radek Sikorski an – und muss am Ende zurückrudern. Doch wer ist Sikorski, der einst als Kriegsreporter begann und heute eine zentrale Figur in der europäischen Politik ist? Und: Wird die Auseinandersetzung mit dem Vertrauten von US-Präsident Donald Trump ihn politisch beschädigen?

MDR AKTUELL Mitarbeiter Cezary Mariusz Bazydlo
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Musk beleidigt Polens Außenminister

Es war ein ungewöhnlicher Auftritt auf der Plattform X: Elon Musk, der milliardenschwere Unternehmer und einflussreiche Berater von US-Präsident Donald Trump, hat mit einem einzigen kurzen Satz den Zorn vieler Polen auf sich gezogen: "Sei still, kleiner Mann", wies er den polnischen Außenminister Radek Sikorski zurecht, der es gewagt hatte, Musk zur Rede zu stellen.

Der Milliardär hatte nämlich gedroht, der ukrainischen Armee das Internet abzustellen, das über sein Satellitennetzwerk Starlink bereitgestellt wird. Die Front würde dann sofort kollabieren, prahlte Musk. Doch diese Dienstleistung wird gar nicht von der Ukraine bezahlt, sondern von der polnischen Regierung, die so dem von Russland überfallenen Nachbarland seit 2022 hilft. Sikorski, der für seine scharfe Zunge bekannt ist, erinnerte Musk in sachlichen Worten an diesen Sachverhalt. 50 Millionen Dollar überweise Polen dafür jährlich an Musk – man werde sich nach einem zuverlässigeren Geschäftspartner umsehen, wenn Musk so weitermache.

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Später schalteten sich US-Außenminister Marco Rubio und Polens Regierungschef Donald Tusk ein. Während Rubio in Trump-Manier von Polen "Dankbarkeit" einforderte, sprach Tusk von der "Arroganz eines Verbündeten". Wenige Stunden später ruderte Musk schließlich zurück und versicherte, Starlink werde der Ukraine nicht abgeschaltet. Eine seltene Kehrtwende für den Tech-Milliardär – und ein klarer Sieg für Sikorski. Doch wer ist dieser Mann, der Musk öffentlich Paroli bietet und sich in den letzten Jahren zu einer der einflussreichsten politischen Stimmen Europas entwickelt hat?

Sikorski – schon als Schüler Dissident

Radosław (kurz Radek) Sikorski wurde 1963 in der 300.000-Einwohner-Stadt Bydgoszcz geboren und wuchs in einer Familie auf, die vom Antikommunismus und dem Geist der Solidarność-Bewegung geprägt war. Sein Vater gründete die Gewerkschaftsstrukturen in seinem Betrieb, seine Mutter sammelte während des Kriegsrechts in Polen heimlich Spenden für den politischen Widerstand​.

Er selbst engagierte sich schon als Schüler gegen das sozialistische Regime. Gemeinsam mit Freunden gründete er eine geheime Organisation und verteilte Flugblätter. "Wir hatten unser eigenes Informationsblatt mit dem Titel 'Weißer Adler' und schrieben auf Wände Parolen, die nur schwer zu entfernen waren", erinnerte er sich später​.

Ed McVey als Prince William und Dominic West als Prince Charles
Olivia Williams als Camilla Parker Bowles in der Netflix-Serie "The Crown". Während des Studiums war die britische Schauspielerin einige Jahre mit dem heutigen polnischen Außenminister Radosław Sikorski liiert. Bildrechte: IMAGO / Everett Collection

Früh begann er auch, Englisch zu lernen (damals kein Pflichtfach), u.a. um die Songtexte der englischen Band Pink Floyd verstehen zu können. Als 1981 in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde, war er gerade auf einer Sprachreise in Großbritannien. Dort beantragte er politisches Asyl und begann ein Studium an der Universität Oxford​.

In dieser Zeit begann auch seine Beziehung mit der später berühmten Schauspielerin Olivia Williams, bekannt u.a. aus dem Netflix-Hit "The Crown", in dem sie die Rolle von Camilla Parker Bowles verkörperte. Sikorski sei der einzige Mann, den sie kenne, der beim Begrüßen einer Dame "die Absätze zusammenschlägt und eine elegante Verbeugung macht", berichtete sie später über sein kavallierhaftes Auftreten​.

Als Kriegsreporter in Afghanistan

Nach dem Studium reiste Sikorski 1986 als Kriegsreporter nach Afghanistan, um über die sowjetische Invasion in dem Land zu berichten. "Viele meiner Altersgenossen träumten davon, Jerzy Urban (den kommunistischen Regierungssprecher in Polen – Red.) zu töten oder in Afghanistan gegen die Sowjets zu kämpfen. Ich entschied mich für Letzteres", erzählte er, wobei es eher ein Kampf mit Feder und Kamera war, auch wenn er damals zum eigenen Schutz eine Kalaschnikow mit sich trug​: "Ich hielt es für eine Frage der Ehre, dem Feind nicht wehrlos gegenüberzustehen", sagte er später​.

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Sein berühmtestes Foto – die von Bomben verschüttete Leiche einer afghanischen Mutter mit ihren Kindern – wurde mit dem World Press Photo Award 1988 ausgezeichnet​. Die Reportagen aus dem vom Krieg zerrissenen Land dienten als Grundlage für sein Buch "Asche der Heiligen. Eine Reise nach Herat in Zeiten des Krieges".

Rückkehr nach Polen – der Weg nach oben

Nach der politischen Wende 1989 kehrte Sikorski nach Polen zurück. "Ich war gleichzeitig bewegt und entsetzt. In Großbritannien hatte ich mich an eine andere Welt gewöhnt. Als ich in Bydgoszcz ankam, schien die Zeit stillzustehen – nur dass alles dreckiger und abgenutzter war als zuvor", erinnerte er sich​.

Doch er verlor keine Zeit: Bereits 1992 wurde er mit nur 29 Jahren stellvertretender Verteidigungsminister. Später diente er seinem Land als Verteidigungs- und als Außenminister – eine Position, in der er die polnische Integration in die Strukturen der NATO vertiefte​.

Radek Sikorski als Polens Verteidigungsminister (2006)
Radosław Sikorski als polnischer Verteidigungsminister an Bord einer Militärmaschine (2006) Bildrechte: picture-alliance/ dpa | Andrzej_Wiktor

In dieser Zeit gewann er politische Freunde, machte sich aber auch zahlreiche Feinde. Kritiker bescheinigten ihm eine aristokratische Attitüde, nannten ihn einen "arroganten Lord" und einen Anglophilen, der sich für etwas Besseres halte​. Auch Präsident Lech Kaczyński fand ihn zu selbstbewusst. Doch Sikorski kümmerte das wenig: "Ich bin der jüngste Minister, den Polen je hatte – und wahrscheinlich derjenige, der bis ins hohe Alter jung bleiben wird", witzelte er​.

Anne Applebaum – eine transatlantische Ehe

Sikorskis Beziehung zu Olivia Williams hat nicht gehalten. Er selbst sagte, die Geschichte habe sie auseinandergebracht. Williams sagte nach Jahren, Sikorskis Heimathafen sei Polen gewesen, während sie damals noch mitten in ihrem Schauspielstudium war: "Ich weiß noch, wie Radek dasaß und meine Steppschuhe in der Hand hielt. Er wollte Polen retten und ich lernte gerade tanzen. (…) Jeder von uns ging seinen eigenen Weg."

Seine große Liebe fand Sikorski wenig später in der US-amerikanischen Journalistin Anne Applebaum, einer der bekanntesten Expertinnen für osteuropäische Geschichte und Pulitzer-Preisträgerin. Applebaum war in den Achtzigern als Korrespondentin nach Polen gezogen – sie spürte, dass sich dort damals historische Umbrüche vollzogen und wollte dabei sein.

Polens Außenminister Radek Sikorski mit Ehefrau Anne Applebaum (2014)
Polens Außenminister Radek Sikorski mit Ehefrau Anne Applebaum (2014) Bildrechte: imago/Eastnews

Es war der Fall der Berliner Mauer, der das Paar zusammenbrachte. Beide wollten das Ereignis hautnah erleben. Kurzentschlossen stiegen sie in Annes Auto und kamen schon in der zweiten Nacht nach der Maueröffnung in Berlin an. "Wir kamen vom Osten und fuhren durch den berühmten Checkpoint Charlie, den es heute nicht mehr gibt. Wir kletterten von Westen her auf die Mauer, direkt am Brandenburger Tor. Die Leute schlugen mit Hämmern auf die Mauer und entkorkten Sektflaschen", erinnerte sich Sikorski.

Altes Herrenhaus als Rückzugsort

1992 heiratete das Paar und zog in ein altes Herrenhaus in Chobielin, das Sikorski in Eigenregie restaurierte. "Dieses Haus ist bereits wie ein Teil von mir. Wenn man so viel Arbeit reingesteckt hat, kennt man jedes Stück Wand. (...) Als ich mit der Restaurierung begann, war ich etwas über 20 Jahre alt. Chobielin ist meine Jugend", erklärte er in einem Interview.

Als Sikorski 1989 das erste Mal das Anwesen besuchte, war es eine halbe Ruine: "Ein Bild des Elends und der Verzweiflung", wie er es mit einer typisch polnischen Wendung beschreibt ​. Doch für Sikorski war das kein Hindernis, sondern nur eine weitere, willkommene Herausforderung. "Anfangs dachte ich, ich könnte es für den Preis einer kleinen Wohnung in London restaurieren. Das stimmte auch – nur sind die Wohnungspreise in London inzwischen enorm gestiegen", scherzte Sikorski​.

Polens Außenminister Radek Sikorski mit Familie vor seinem Herrenhaus in Chobielin
Ein altes Herrenhaus in Chobielin unweit seiner Geburtsstadt Bydgszcz ist seit Jahren das Domizil des polnischen Außenministers Radosław Sikorski und seiner Familie. Bildrechte: IMAGO / Eastnews

Am Eingang des Anwesens steht übrigens ein Schild mit dem Schriftzug "Kommunismus-freie Zone", das optisch an die polnischen Behördenschilder erinnert und seinerzeit für Schlagzeilen sorgte – ein Zeugnis seiner Kompromisslosigkeit bei einigen politischen Anschauungen.

Dauerhafter Schaden durch Musk?

Diese Kompromisslosigkeit machte sich nun auch beim verbalen Scharmützel mit Musk bemerkbar. Während politische Gegner aus den Reihen der ehemals regierenden PiS-Partei ihm vorwarfen, sich mit einer Weltmacht anzulegen, lobten Anhänger seinen Mut. Sikorskis Standing in den USA wird das aber wohl kaum beschädigen. Zum einen kommt ihm zugute, dass er mit einer prominenten Amerikanerin verheiratet ist und einer seiner Söhne in der US Army dient. Zum anderen konnte er sich über die Jahre starke Netzwerke jenseits des Atlantik aufbauen – nicht nur als Verteidigungs- und später Außenminister, sondern auch, weil er von 2002 bis 2005 in Washington lebte, wo er bei der einflussreichen konservativen Denkfabrik "American Enterprise Institute" eine Initiative zur Stärkung transatlantischer Beziehungen leitete.

Polens Außenminister Radek Sikorski mit Hillary Clinton
Polens Außenminister Radosław Sikorski mit Hillary Clinton (2011) Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images

Nach Informationen von "Newsweek Polska" schätzen viele US-amerikanische Partner sogar "seine Aufrichtigkeit, die das gegenseitige Verständnis fördert". Sikorski verstehe die USA wie kein anderer Politiker in Polen und er habe begriffen, dass Ja-Sager einen starken Partner vielleicht amüsieren, aber niemals respektiert würden, so das Wochenblatt. So ist das Wortgefecht mit Musk nichts weiter als eine Fußnote in einer politischen Karriere, die von Rebellion, Intellekt und Unnachgiebigkeit geprägt ist.

MDR (baz)

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk nimmt an einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj (nicht im Bild) nach ihrem Treffen im Büro des Premierministers teil. mit Audio
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk nimmt an einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj (nicht im Bild) nach ihrem Treffen im Büro des Premierministers teil. Bildrechte: picture alliance/dpa/PAP | Pawel Supernak

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 22. März 2025 | 07:14 Uhr

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