Kolumne: Das Altpapier am 27. Januar 2025: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
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"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 27. Januar 2025 Wer kriecht, gewinnt

27. Januar 2025, 13:10 Uhr

Musk macht den Gauland und hält eine "Vogelschissrede". Der Kanzlerkandidat der CDU/CSU hat keine Ahnung von Fußball. Der neue Claim von Deutschlandfunk Kultur ist laut SZ "eine Frechheit erwachsenen Menschen gegenüber". Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Die Öffentlich-Rechtlichen verstecken ihre Gedenktags-Filme

Heute ist mal wieder so ein Tag, an dem man sich ein ganzes Altpapier lang mit der Berichterstattung über den reichsten Mann der Welt beschäftigen könnte, und wir versuchen das natürlich zu vermeiden. Ein Grund, warum es sich nicht gänzlich vermeiden lässt: "Elon Musks Vogelschissrede" ("Spiegel") bei einer AfD-Veranstaltung. Der polnische Premierminister Donald Tusk reagierte darauf, wie ebenfalls der "Spiegel" dokumentierte, folgendermaßen:

"Die Worte, die wir von den Hauptakteuren (…) der AfD-Kundgebung über 'das große Deutschland' und 'die Notwendigkeit, die deutsche Schuld an den Naziverbrechen zu vergessen' hörten, klangen nur allzu vertraut und bedrohlich. Vor allem nur wenige Stunden vor dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz."

Der Jahrestag ist heute, und durch Musks "Vogelschiss"-Rede noch an Relevanz gewonnen hat ein Text, den Stefan Fischer für die Wochenendausgabe der SZ über die Rolle des Gedenktages in den öffentlich-rechtlichen TV-Programm geschrieben hat:

"Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat einen Informations- und Bildungsauftrag, zu dem unbedingt auch gehört, über das Verbrechen der Shoah aufzuklären. Nicht bloß am internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, aber an diesem besonders."

Wenn man am heutigen Montag um 20.15 Uhr seinen Fernseher einschalte, werde man, so Fischer, davon aber nichts spüren:

"Im Ersten warnt Eckart von Hirschhausen vor den Gefahren des Alkohols, im ZDF gibt es, was sonst, einen Regionalkrimi mit Martin Brambach. Zappt man durch die dritten Programme, lernt man etwas über die Schönheit des Geigenspiels (BR), über die neuesten Burger-Trends zwischen Köln und Münster (WDR), über Bunte Bentheimer, eine offenkundig besondere Schweinerasse (SWR), oder über Aromastoffe in E-Zigaretten (NDR), (…) bei Arte steuert Clark Gable ein U-Boot durch einen Kriegsfilm."

Es gebe zwar viele "sehenswerte" Filme zu dem Thema, aber die seien unangemessen platziert bzw. "in die Sparte (ab)geschoben" worden. In den Schaufenstern des linearen Fernsehens finde man sie jedenfalls nicht.

Ausführlich geht Fischer auf "Die Ermittlung" ein, RP Kahls Verfilmung von Peter Weiss' Dokumentartheaterstück, zu sehen bei Arte ab 21.45 Uhr. Der SZ-Autor dazu:

"Zu spät also auch er, Die Ermittlung dauert vier Stunden, endet also um 1.45 Uhr in der Nacht. Der Film ist radikal reduziert, er bebildert, wie auch die Bühnenversion, so gut wie nichts (…) Ein Film, der so clever ist, dass er keine Bilder zeigt und gerade dadurch am weitesten vordringt unter all den Spiel- und Dokumentarfilmen – viele von ihnen –, die an diesem Jahrestag im deutschen Fernsehen zu sehen sind. Ein Film, den die Öffentlich-Rechtlichen gerade so weit vor dem größten Teil ihres Publikums verstecken bei einem Spartensender im Spätprogramm, dass es davon garantiert nicht behelligt wird, und die Umstände dieser Ausstrahlung trotzdem haarscharf noch nicht peinlich sind."

Noch intensiver mit dem Film "Die Ermittlung" beschäftigt sich Heike Hupertz in der heutigen FAZ.

"In 40 Sekunden schafft es Merz, zwei krasse Falschbehauptungen aufzustellen"

Heute ist mal wieder so ein Tag, an dem man sich ein ganzes Altpapier lang mit der Berichterstattung über Friedrich Merz beschäftigen könnte, aber so etwas kann man man natürlich niemandem zumuten. Aus medienkolumnistischer Sicht interessant sind aber die Reaktionen auf Merz' Äußerungen zu eher peripheren Themen beim Neujahrsempfang der CDU Baden-Württemberg.

"Ich werde den Deutschen Fußball-Bund bitten, in der E- und F-Jugend wieder Fußballspiele stattfinden zu lassen, wo Tore geschossen werden dürfen",

sagte er dort unter anderem.

Die Sportjournalistin Nora Hespers ("Sport Inside") verweist darauf, dass seit einer Reform, auf die sich Merz möglicherweise bezieht, "Kinder sogar mehr als weniger Tore schießen".

Und n-tv.de reagiert so:

"Das Problem an der Sache: Das Verbot, das Merz aufheben will, gab es nie. Er redet also offen gesagt Quatsch."

Die Überschrift des kurzen Textes lautet:

"Friedrich Merz redet Unsinn über Nachwuchsfußball"

Huch, wie kommt denn das, dass ein Nachrichtensender* eines großen Medienhauses sich traut zu sagen, Merz rede "Unsinn"? Hätte es dafür nicht schon unzählige andere Gelegenheiten gegeben?

[* Die Passage ist am 28.01.2025 zur besseren Verständlichkeit geändert worden. Zuvor stand hier: ...wie kommt denn das, dass ein Redakteur oder eine Redakteurin eines großen Medienhauses ...]

Vielleicht ist die Klarheit dadurch zu erklären, dass es hier um Fußball geht. Wer sich mit Fußball auskennt, kennt nun mal keine Gnade mit Leuten, die so tun, als hätten sie Ahnung von Fußball, obwohl sie keine haben.

Der freie Sportjournalist und frühere Deutschlandfunk-Redakteur Maximilian Rieger weist darauf hin, dass Merz bei der Veranstaltung gleich noch einen zweiten Bock schoss, indem er die Wiedereinführung von Siegerurkunden bei Bundesjugendspielen forderte (die aber nie abgeschafft wurden). Rieger dazu:

"In 40 Sekunden schafft es Merz zwei krasse Falschbehauptungen aufzustellen und sie zur Grundlage von Politik zu machen. Wenn Merz einfache Sachverhalte wie die Existenz der Siegerurkunden bei Bundesjugendspielen nicht begreift, was ist dann bei wirklich komplizierten Fragen?"

Zum Hintergrund schreibt Rieger:

"Bundesjugendspiele werden von Konservativen seit einiger Zeit als Symptom deutschen Niedergangs durchs Land getrieben. Der Grund: Minimale Änderungen im Format für die 3. und 4. Klasse, aus denen dank Kolumnen von Blome und Fleischhauer die Abschaffung der BJS wurde."

Das war auch Thema im Altpapier, unter anderem unter der Zwischenüberschrift "Der Bundesjugendspiele-Kolumnenschrott"

Merz hat also möglicherweise gesagt, was er gesagt hat, weil er glaubt, was Leute wie Jan Fleischhauer und Nikolaus Blome schreiben, und das wäre kein gutes Zeichen, denn vermutlich glauben nicht einmal Jan Fleischhauer und Nikolaus Blome selbst das, was sie schreiben.

Was in der Berichterstattung über hohe Krankenstände zu kurz kommt

Heute wäre eine gute Gelegenheit, ein gesamtes Altpapier den Beiträgen zu widmen, die in den vergangenen Tagen anlässlich des fünften Jahrestags der ersten Corona-Infektion in Deutschland erschienen sind, aber dann hätte ich heute keine Zeit gehabt, mich mit Musk und Merz zu beschäftigen.

Positiv ist mir ein Interview mit Sandra Cisek und Lungenfacharzt Cihan Çelik in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" aufgefallen. Celik sagt:

"Wir haben ja in den vergangenen Wochen viele Diskussionen über hohe Krankenstände geführt. Dabei wird zu selten thematisiert, dass es jetzt eine Viruserkrankung mehr gibt, die zu zusätzlichen Krankheitstagen und zusätzlichen Patientenzahlen führt."

Auf die Nachfrage "Sie meinen, die nachweislich höhere Zahl der Krankheitstage in Deutschland ist durch Covid bedingt?" erläutert er:

"Wenn man die Fallzahlen an Atemwegsinfekten in der Klinik und die Ausfälle unseres Personals hochrechnet und extrapoliert, ist es eine naheliegende Hypothese, dass das mit ein Aspekt ist. Es wird mehr als einen Grund dafür geben, denn die großen Unterschiede in Europa sind damit nicht erklärt."

Schöne Grüße an dieser Stelle an die MDR-Kollegen von "Fakt ist!", die vor rund zwei Wochen einer Sendung den Titel "Faule Nation. Feiern die Deutschen zu oft krank?" gaben. Ein Titel, dessen Subtilität von der Bebilderung der Programmankündigung (Hängematte!) noch locker übertroffen wurde.

In Sachen Corona-Bericherstattung aus anderen Gründen empfehlenswert als das FAS-Interview: ein Thread von Markus Pössel, der auf einer Auswertung der "Politbarometer"-Umfragen in den vergangenen Jahren basiert. Pössel schreibt:

"Eine Reihe der Berichte darüber, ob und wie es eine Aufarbeitung der Maßnahmen geben soll, (hören sich) so an, als gäbe es nur die Zufriedenen und die 'Alles übertrieben!'-Gruppe. Das ist den Daten nach einfach falsch. Es macht eine wichtige Gruppe von Menschen unsichtbar. Ironischerweise wird über die Maßnahmengegner (…) immer wieder gesagt, ja, das sei zwar eine Minderheit, aber wir müssten deren Sorgen ernstnehmen. Und dann wird eine deutlich größere besorgte Gruppe unter den Tisch gekehrt (…) Fast immer größer als die Übertrieben-Gruppe war (nämlich) die Zu-wenig-Gruppe."

Ausführlicher schreibt Pössel dazu in einem Blogbeitrag für die Zeitschrift "Spektrum": In manchen Beiträgen zur Corona-Aufarbeitung komme die Frage, "ob wir zumindest in bestimmten Phasen zu wenig geschützt haben", nicht vor. Pössel:

"Ein Beispiel ist der Beitrag "Woran krankt die Corona-Aufarbeitung?” von Britta Spiekermann vom 28.12.2024 im ZDF. Da wird ab 2:48 die Prozentzahl-Kurve derjenigen gezeigt, die die staatlichen Corona-Maßnahmen als 'gerade so richtig' einschätzten. Gegenübergestellt werden dann, mit Videoaufnahmen verschiedener Querdenker-Demonstrationen diejenigen, die die Maßnahmen für überzogen hielten. Dass es da noch eine dritte Möglichkeit gibt, diejenigen nämlich, die mit den Corona-Schutzmaßnahmen ganz oder zeitweise unzufrieden waren: Fehlanzeige. Diese Gruppe wird in dem Beitrag komplett ausgeblendet (…) Die Fragen, ob bzw. wann wir als Gesellschaft bei der Infektionsbekämpfung zu träge waren, zu zögerlich, zu wenig getan haben, (kommen) in jenem Beitrag schlicht nicht vor."

Die kritisierte Redakteurin Spiekermann hatte im vergangenen Frühjahr die "RKI-Files" aus dem Verschwörungstrottel-Milieu hochgejazzt (Altpapier).

Ein öffentlich-rechtliches soziales Netzwerk als Grundlage für viele Generationen

Eine der größten Fragen, die so gut wie alle Internet-Nutzer betrifft, thematisiert Bert Rebhandl im Aufmachertext der Medienseite der heute schon erwähnten FAZ-Sonntagszeitung:

"Wohin (…) mit dem Bedürfnis, das Internet wie einen gemeinsamen Ort nutzen zu können, als die List der Vernunft, die es ursprünglich ja war? Wohin mit der Hoffnung, sich irgendwo mit einem Profil, mit seiner Persönlichkeit zeigen zu können, ohne sich damit Strukturen auszuliefern, für die das alte Wort vom Verblendungszusammenhang wie eine Verharmlosung wirkt? Die klassische, marktliberale Lösung wäre, darauf zu hoffen, dass jemand mit einer schlauen Idee kommt und ausreichend Menschen für eine neue Form des digitalen Zusammenseins gewinnt. Ein nüchterner Blick auf den jüngeren Kapitalismus macht klar, dass diese Hoffnung naiv ist."

Was also müsste passieren? Rebhandl:

"Vielleicht wäre jetzt ein Zeitpunkt, noch einmal darüber zu diskutieren, ob ein soziales Netzwerk nicht auch denkbar wäre als eine öffentlich-rechtliche Institution, mit der die europäischen Demokratien sich eine digitale Grundlage geben. Ein Geschenk der EU an ihre Bürger (und an den Rest der Welt), verfasst zum Beispiel in einer unabhängigen Körperschaft, die dem EU-Parlament zugeordnet wäre. Ein zugleich technologisches, industrie- wie demokratiepolitisches Experiment, ein Kohäsionseffekt. Ein Gefäß, keine Konkurrenz für die vierte Gewalt der freien Medien, die darin neues Publikum finden könnten."

Der Autor plädiert dafür, in möglichst langen Linien zu denken:

"Es wäre (…) ja kein Projekt für zehn, zwanzig Jahre, sondern würde eine Grundlage für viele Generationen schaffen. Es würde ernst nehmen, dass die liberalen Demokratien nun eine technische Form haben, an deren Aneignung sie eigentlich ein vitales Interesse haben sollten."

Mit der Frage, was aus der "unabhängigen Körperschaft, die dem EU-Parlament zugeordnet wäre", werden würde, wenn sich im Parlament die Mehrheitsverhältnisse zu Gunsten der Rechtsextremisten verändern, müsste man sich aber wohl auch befassen.

An dieser Stelle kann man fast bruchlos zu einem Text über die "dystopian Tech-Trump Oligarchy" übergehen, der bei bylinetimes.com erschienen ist und auf den ich durch einen Skeet von Harald Staun aufmerksam geworden bin. Die "Byline Times" schreibt:

"Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte haben so wenige Menschen einen so großen Teil der globalen Kommunikation kontrolliert und waren gleichzeitig so eng mit einem autoritären Führer verbunden. Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte sind Oligarchen so mächtig geworden."

Die vielleicht düsterste Passage des Textes:

"Die (…) Rhetorik von der Rettung der Demokratie durch Faktenüberprüfung und Medienkompetenz war schon immer ein Hirngespinst."

Das "Wiederaufleben oligarchischer und autoritärer Herrschaft" sei dadurch nicht aufzuhalten.

Zu Musk schreiben die Autoren:

"Mit seinem Verhalten bedient er nun schamlos Neonazis, wie etwa, als er sein X-Profil in Kekius Maximus mit einem Bild von Pepe dem Frosch änderte (…) (Dies) signalisierte (…) eindeutig eine gruppeninterne Sympathie, wenn nicht sogar eine Zugehörigkeit zu den gewalttätigen Demonstranten von 'Unite the Right', die diese Symbole zusammen mit Nazi-Fahnen schwenkten."

Einen Fallstrick in der Berichterstattung zu Musk benennt der Text auch:

"Die Personalisierung von Musks Politik hat breitere Trends verdeckt. Sie zwingt die Diskussion und die Analyse auf einen fruchtlosen Weg, der die Psychologie des Einzelnen und die Absicht hinter seinen Handlungen erforscht"

Ein für heute letztes Wort zu Elon Musk noch von Harald Martenstein ("Welt am Sonntag"), der den Lesern einzureden versucht, dass sie nicht gesehen haben, was sie gesehen haben (siehe Altpapier). Sondern "dass (…) Musk während der Trump-Amtseinführung die Hand zum Herzen führte und danach offenbar irgendwem mit erhobenen Arm zuwinkte oder jemand grüßte (…) Ich habe auch schon oft den rechten Arm gehoben, am Bücherregal zum Beispiel".

Wie tickt eigentlich der "Spiegel"-Newsdesk?

Lehnt eine Redaktion einen Beitrag ab, ist das normalerweise ja nicht gleich ein Medienberichterstattungsgrund. Aber wenn es um den Text eines langjährigen Kolumnisten geht, der in jenem Haus einst ein halbes Jahrzehnt lang Ressortleiter war, lohnt es sich, mal kurz auf die Sache raufzugucken. 

Es geht um eine "Spiegel"-Kolumne des an dieser Stelle öfter zitierten Christian Stöcker. Er schreibt dazu:

"Der (…) Newsdesk möchte einen aktuellen, zugegebenermaßen bitterbösen Satiretext nicht als Kolumne publizieren, weil man dort sagt 'wir machen keine fiktionalen Texte' (…)".

Bei medium.com hat er den Text veröffentlicht. Der Vorspann lautet:

"Die Chefs der Tech-Konzerne sind nur die bekanntesten der vielen Leute, die jetzt vor Donald Trump buckeln. Aber wie macht man das richtig? Hier zwei Protokolle (fiktiver) Telefonate mit einem Experten für Trump-Management."

Textauszug:

"Nehmen Sie Sam Altman von OpenAI: Eine Million für die Amtseinführung gespendet, bei X dann gesagt, ER würde 'für das Land in vieler Hinsicht unglaublich' sein — und schon sprudeln die Milliarden für OpenAI! Wer kriecht, gewinnt! Da kann man ja schon mal über seinen Schatten springen, nicht wahr?' (…) "Ja, aber es ist ja nicht nur Sam. Schauen Sie sich Jeff, Mark und Sundai an, wie sie bei der Amtseinführung brav strammgestanden sind. Sogar Tim Cook von Apple. Der und, klar, auch Amazon, Meta und Google hatten ja vorher schon je eine Million für die Party bezahlt. Sogar Bill Gates ist jetzt von IHM 'beeindruckt'. (…) Ich sage Ihnen: Wenn die das können, können Sie es auch. Runter in den Staub, nicht zucken, immer schön spenden, immer schön schmeicheln — dann werden das für Sie und ihren Verband vier hervorragende Jahre. Ja, garantiert. Genau. Immer an unser Motto denken: Be smart, be spineless! Rock on! See you!"

Die Spekulation, dass der Text Haltungen persifliert, die der „Spiegel“ nicht allzu gern persifliert sehen möchte, scheint mir zumindest nicht unzulässig zu sein.

Das Unterspielen ausgedachter Ansprüche

Ein vielsagendes Fortsetzungskapitel in der Geschichte der Verzwergung des öffentlich-rechtlichen Kulturjournalismus erzählt Marie Schmidt in der SZ. Thema des Textes: Dass Deutschlandfunk Kultur seinen alten Claim "Das Feuilleton im Radio" gegen "Wie groß ist deine Welt?" ausgetauscht hat.

"Was an dem alten Claim 'Das Feuilleton im Radio' nicht mehr gut war, wissen wir nicht (…) Die vom Deutschlandfunk angeheuerte Berliner Werbeagentur Dojo (…), die mit Jobs für Marken wie Tinder, Easyjet und Wolt für sich wirbt, scheint ihrerseits Erwartungen des Auftraggebers gespürt zu haben, und gibt an, sich gefragt zu haben, 'ob wir jetzt auf jeder Vernissage bedeutungsvoll über das Arrangement von Licht und Schatten philosophieren müssen? Oder ob wir unsere geliebten portugiesischen Art-House-Filme nur noch in Originalton ohne Untertitel schauen dürfen?' So ein kokettes Bespötteln und Unterspielen ausgedachter Ansprüche kultivierter Menschen hat man ja neulich wieder gehört, als der damals designierte Moderator der ARD-Kultursendung Titel, Thesen, Temperamente, Thilo Mischke, angab, einen 'unterkomplexen Kulturbegriff' zu vertreten."

Der Werbespruch "Wie groß ist deine Welt?" sei "eine Frechheit erwachsenen Menschen gegenüber". Tatsächlich klingt er eher ja nach Kika. Und was das "kokette Bespötteln und Unterspielen ausgedachter Ansprüche kultivierter Menschen" angeht: Die ist in der Rhetorik öffentlich-rechtlicher Entscheiderinnen und Entscheidern schon seit Jahren wahrnehmbar.


Altpapierkorb (erneute Spiegel-Recherchen zu russischen Propagandakampagnen bei X, Ankündigung einer RBB-internen Untersuchung zur Falschberichterstattung in Sachen Gelbhaar, Kommentar zum Ende von "10 nach 8")

+++ Der "Spiegel" beschäftigt sich in der aktuellen Ausgabe erneut ausführlich mit staatlich russischen Desinformationsstrategien: "Die Berliner Non-Profit-Organisation Cemas, die seit 2021 soziale Netzwerke analysiert, entdeckte von Mitte Dezember bis Mitte Januar 630 neue deutschsprachige Originalposts auf X, die sie der russischen Einflussoperation zurechnet. Laut Cemas-Expertin Julia Smirnova wurden sie jeweils Hunderte Male geteilt. Insgesamt seien die Posts mehr als 2,8 Millionen Mal angesehen worden. 'Inhaltlich ging es häufig um wirtschaftliche Ängste, die Ampelregierung wurde kritisiert, vor allem die Grünen und Olaf Scholz, aber auch die CDU – die AfD hingegen wurde mehrmals positiv erwähnt', so die Expertin. Interessanterweise nutzten manche dieser Beiträge die russische Abkürzung der Partei (ADG für Alternatiwa Dlja Germanii)."

+++ "Auch wenn der RBB aufwendig getäuscht wurde, liegt das Problem darin, dass er sich hat täuschen lassen", lautet einer der Sätze, die David Biesinger, der Chefredakteur des Senders, gerade zum Fall Gelbhaar (Altpapier, Altpapier, Altpapier) gesagt hat. Er steht am Ende eines "Süddeutsche"-Textes über eine vom Sender angekündigte externe Aufarbeitung der eigenen Fehler. Die FAZ geht darauf ebenfalls ein. Der "Tagesspiegel" stellt in seiner Überschrift die Frage "Täuschte die Redaktion ihre Hausjuristen?" Spoiler: Eher ja.

+++ Simone Schmollack kommentiert für die taz, dass die "Zeit" die feministische Kolumne "10 nach 8" eingestellt hat: "Natürlich hat jeder Verlag das Recht, alle möglichen Formate zu erfinden und auch wieder abzuschaffen. Und doch muss es für das '10 nach 8'-Kollektiv bitter sein." Nicht nur wegen der die Kolumne prägenden "Themenvielfalt, angefangen bei Politik, Kultur und Sport bis hin zu Sex, Genuss und Abseitigem", sondern auch, weil hier "Autorinnen aus Syrien, Afghanistan, Belarus, Polen, der Ukrai­ne (…) den feministischen Blick aus der Welt und auf die Welt (mitgebracht) haben".

Das Altpapier am Dienstag schreibt Klaus Raab.

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