Kolumne: Das Altpapier am 18. März 2025 Digitale Besatzungszone
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18. März 2025, 09:28 Uhr
Das Bewusstsein, wie finster es um Europas digitale Souveränität steht, wächst. Gehört die "Intifada gegen die Presse" zu den üblichen Berliner Zuständen? Außerdem: Droht Medienmedienkonzentration? Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Unser Ex USA
Was der neue, alte US-amerikanische Präsident Trump in Deutschland bereits erreicht hat: Etwas, das lange verpönt war, USA-Kritik, ist in der Mitte der Gesellschaft und im breiten Strom ihrer Medien angekommen. Sie gilt nicht mehr nur vereinzelten Entscheidungen einzelner Präsidenten, die ja alle paar Jahre wechseln, sondern sogar den Datenkraken-Konzernen mit ihren hohen Sympathiewerten, starken Marken (Altpapier) und tollen Services, die oft weiter nichts als persönliche Trackingdaten kosten.
Am härtesten fasste das mal wieder Martin Andree, der im vorigen Jahr hier ziemlich oft erwähnte Kölner Medienwissenschaftler, in Worte. In der "FAZ" schrieb er, vorige Woche bereits, unter den Überschriften "Der digitale Freiheitskampf" bzw. "Wir müssen uns von den USA befreien" (Abo) Sätze wie "Die USA erweisen sich dieser Tage als feindselige, erpresserische und skrupellose Macht ...", "Unsere Freiheit wird von zwei Seiten bedroht: im Osten militärisch durch Putin, von Westen durch Trump, Vance und Musk – mit dem entscheidenden Unterschied, dass deren Allianz im Inneren unserer Gesellschaft ihre Posten bezogen hat" und "Wir leben in einer digitalen Besatzungszone".
Dazu richtet Andree an die künftige Bundesregierung (neben dem dezenten Hinweis, wie sehr das Medienrecht und die Zuständigkeit für seine Durchsetzung auf Bundes-Ebene fehleingeschätzt werden) einige konkrete Forderungen. Im Kern geht es darum:
"Die USA kontrollieren unsere Demokratie schon jetzt auf zwei kritischen Feldern. Erstens 'gehört' ihnen durch ihre oligopolistischen Plattformen unsere politische Öffentlichkeit in der digitalen Sphäre – und das ist nichts weniger als die künftige Grundlage unserer Demokratie. ... Nicht genug damit – es sind dieselben Tech-Unternehmen, die auch die digitalen Infrastrukturen kontrollieren. Das Ausmaß der Abhängigkeit ist schwindelerregend. Riesige Mengen sensibler Daten, aus Unternehmen, Behörden und Verwaltungen, liegen bei den großen US-Cloud-Providern, bei Amazon (AWS), Microsoft (Azure) und Google (GCP). Dieselbe Situation herrscht vor bei Office-Software mit dem Quasi-Monopol von MS Office (Microsoft)."
Ob Doro Bär, falls sie ein hoffentlich eigenständiges Digitalministerium bekommt, da etwas ausrichten kann und will?
Zumindest im "FAZ"-Umfeld machen solche Warnungen Eindruck. In der "Sonntagszeitung" alarmierte Roland Meyer, seines Zeichens Bild- und Medienwissenschaftler, dass in den USA "historische Bilder marginalisierter Gruppen sukzessive aus dem Netz gelöscht werden". Da geht es um Fotos etwa in Archiven des Militärs und der Geheimdienste. Im Zusammenspiel mit der sog. Künstlichen Intelligenz, die die unerschöpflichen Möglichkeiten, im Internet alles zu speichern und zugänglich zu machen, ziemlich anders nutzt als menschliche Intelligenz, könnte so "ein neues 'Imaginäres Museum' möglicher Vergangenheiten, ..., die es hätte geben können, jedoch nie gab", entstehen, zitiert Meyer den Medientheoretiker Lev Manovich.
"Buy European"?
Und im Samstags-Leitartikel "Europas digitale Existenzfrage" (Abo) schrieb Carsten Knop, der digital versierteste unter den "FAZ"-Co-Herausgebern:
"Die Frage nach der Handlungsfähigkeit im digitalen Raum wird in der aktuellen politischen Lage zur Existenzfrage für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, der alle Beteiligten größere Aufmerksamkeit schenken sollten. Denn die digitale Souveränität beschreibt die Fähigkeit von Individuen, Unternehmen und Staaten, im digitalen Raum eigenständig zu handeln, kritische Technologien zu entwickeln und strategische Entscheidungen ohne einseitige Abhängigkeiten zu treffen. Davon ist in Europa nichts zu sehen."
Mit konkreten Beispielen, also Namen hyperdominanter Konzerne, denen Politik auf allen Ebenen Einhalt gebieten müsste, geizt Knop auch nicht. Außer Microsoft wie Andree nennt er etwa auch Palantir ("Wollen deutsche Sicherheitsbehörden moderne Ermittlungsarbeit mit digitalen Hilfsmitteln leisten, kommen sie am Monopol" des maßgeblich vom gebürtigen Deutschen und ausdrücklichen J.D. Vance-Unterstützer gelenkten Software-Anbieters "nicht vorbei").
Unterdessen machen die Datenkraken-Konzerne weiter, was Datenkraken-Konzerne eben machen, weil es ihre Profitmargen und ihre Dominanz immer noch weiter vergrößert (und Widerspruch, zumal aus Deutschland, noch nie größer zu hören war): Amazon etwa kündigte mit den üblichen Noch-besser-relevanter-Floskeln an, dass künftig "Aufzeichnungen aller Sprachbefehle, die sich über Echo-Lautsprecher und Smart Displays an Alexa richten, .. automatisch an Amazon gesendet und in dessen Cloud-Dienst AWS verarbeitet sowie analysiert" würden (heise.de). Die Vereinfachungen, dass die Bosse von Amazon, dem Facebook-Instagram-Konzern Meta, dem Google-Youtube-Konzern Alphabet usw. Teile ihrer laufend steigenden Einnahmen auch aus Europa nutzen, um Donald Trump und seinem Hofstaat gefällig zu sein, und dass alle europäischen Nutzer und Kunden dieser Firmen ihr Scherflein dazu beitragen, ist da legitim.
Immerhin machen sich inzwischen wie gesagt Gegenbewegungen bemerkbar. Womöglich ringt sich bis Ende des Jahres sogar die schwerfällige EU zu einer Art "Buy European"-Regelung im Digitalbereich durch, meldet ebenfalls heise.de.
Wo und von wem Journalisten attackiert werden
Der "taz"-Redakteur Nicholas Potter ist gerade Objekt einer Rufmordkampagne (siehe zuletzt dieses Altpapier). Er selbst beschrieb sie nun so:
"Inzwischen kleben Sticker mit meinem Namen und Gesicht an Straßenlaternen, Litfaßsäulen und Ticketautomaten in Berlin. Ich werde damit als Feind markiert. Das Ziel: mich einschüchtern, um meine Berichterstattung zu verhindern".
Aber das ist nicht das eigentliche Thema seines "taz"-Kommentars "Intifada gegen die Presse". Da geht es vor allem um aktuell zirkulierende Zahlen von Angriffen auf Pressevertretern bei Demonstrationen (Altpapier) und die Frage, von wem diese ausgehen:
"Es gab letztes Jahr auf Versammlungen mindestens 118 Übergriffe auf die Presse, davon 66 auf propalästinensischen und antiisraelischen Demos. Auch in der Statistik von Reporter ohne Grenzen lösen solche Demos die vom rechten Rand an der Spitze ab. Wer in den vergangenen anderthalb Jahren auf solchen Demos berichtet hat, kann davon ein Lied singen. Viele Medienschaffende bleiben solchen Versammlungen längst fern – zu gefährlich ist die Lage geworden. Denn sie werden beschimpft, angespuckt, getreten, geschlagen."
Wer solche Über- und Angriffe zählt und dokumentiert (inzwischen auf Bluesky), auch weil er selber oft von Demonstrationen berichtet, ist Jörg Reichel von der Journalistengewerkschaft dju. Am Frauentag, im Bundesland Berlin bekanntlich ein Feiertag, wurde er in Berlin-Kreuzberg selber attackiert, bei einer Demo, bei der dann auch ein Vertreter des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus "mit heißem Tee übergossen" wurde. Dazu gab Reichel kürzlich der "Jüdischen Allgemeinen" ein Interview. So was seien inzwischen normale Berliner Zustände, sagt er darin:
"Autoren und Journalisten müssen seit dem 7. Oktober 2023 damit rechnen, dass sie in bestimmten Stadtteilen auf offener Straße angegriffen werden. Für Journalisten, die für pro-israelische oder jüdische Publikationen schreiben, ist der Aufenthalt in bestimmten Stadtteilen und bestimmten Cafés mit einem hohen Risiko verbunden. Wir reden hier neben Kreuzberg, Friedrichshain von Neukölln und teilweise vom Wedding."
Nicholas Potter schließt in seinem Kommentar:
"Meinungsvielfalt, vor allem zum Nahostkonflikt (aber nicht nur), wird nicht ausgehalten, sondern aktiv bekämpft – mit autoritären Methoden. Fakten dringen immer seltener durch. Und die Meinungs- und Pressefreiheit ist damit bedroht. Das ist nicht nur mit demokratischen Werten unvereinbar. Es sollte uns alle alarmieren."
Als Aufforderung an die Linke, zu der die "taz" ja gehört, den sowohl positiv besetzten als auch etwas Gutes und Wichtiges bezeichnenden Begriff "Meinungsvielfalt" nicht aufzugeben und sich nicht abluchsen lassen, bloß weil rechtsextreme Kreise ihn auch (derzeit geschickter und erfolgreicher) benutzen, lässt sich das wohl auch verstehen.
Halb "Übermedien" geht an DWDL
Lange Jahre oder Jahrzehnte war Medienkonzentration ein ganz wichtiges Thema des Medienjournalismus: Welcher Verlag schluckt welchen anderen Verlag? Oder will gar ein Konzern, der über das suggestivkräftigere Medium Fernsehen verfügt, einen Verlag schlucken? Das trieb viele Recherchen an, auch weil es die Vielfalt bedrohte oder zu bedrohen schien. Inzwischen wollen die verbliebenen europäischen Fernsehkonzerne ihre Rest-Printgeschäft lieber loswerden und werden dennoch immer weiter von den eingangs erwähnten Online-Datenkraken marginalisiert. Inzwischen ist Medienkonzentration kein sehr großes Thema mehr. Aber Medienmedienkonzentration? "Die Konzentration im Medienjournalismus schreitet voran", kommentiert zumindest "epd medien".
Da geht es um den gestern am Ende des Altpapierkorbs erwähnten Einstieg von dwdl.de bei uebermedien.de, bei dem es sich zugleich um den unternehmerischen Ausstieg des "Übermedien"-Gründers Stefan Niggemeier handelt. Ersteres Portal übernimmt genau 50 Prozent der Anteile an letzterem. Nun haben beide ausführliche Pressemitteilungen veröffentlicht, laut sie sich als "die beiden führenden Medienmagazine im deutschsprachigen Raum" (dwdl.de) bzw. "die führenden Medienmagazine im deutschsprachigen Raum, die von unabhängigen Medienjournalisten betrieben werden" (uebermedien.de etwas unterkandidelter), bezeichnen. Sind denn nun alle Mediengattungen, außer gedruckten und gesendeten auch online erscheinende, "Magazine"? Na ja, egal. Alles soll bleiben, wie es ist: dwdl.de werbefinanziert ohne Bezahlschranken, uebermedien.de weiterhin Abo-finanziert und daher häufig mit Bezahlschranken, die aber nach einem gewissen Zeitraum verschwinden. Beide betonen ihre "Leidenschaft für guten, kritischen Medienjournalismus" – eine Emo- Formel, die in jeder Funke-Redaktionenzusammenlegungs-Pressemitteilung wohl auch vorkäme, in diesem Fall aber sicher zutrifft. Jedensfalls ordnet "epd medien" ein:
"Der Konzentrationsprozess im deutschen Medienjournalismus ist zuletzt deutlich vorangeschritten. Im April 2024 hatte die österreichische Mediengruppe Oberauer den Mediendienst 'turi2' vom Verlegerpaar Peter und Heike Turi übernommen. Zum Medienhaus Oberauer gehören unter anderem auch Medienmarken wie 'Kress', 'PR Report', 'Medium Magazin', 'Wirtschaftsjournalist:in' und seit dem Jahresbeginn 2024 der Branchendienst 'Meedia'"..
Einstweilen bleibt bei den frisch Vermählten aber echt alles wie gehabt. Wenn eine dwdl.de-Überschrift lautet: "Wir wollen das Universum großer Marken ausbauen", geht es nicht um die Medienmediennische, sondern schwärmt ein leidenschaftlicher ProSiebenSat.1-Manager vom wackeren Streamingdienst "Joyn". Und wenn Johannes Franzen bei uebermedien.de (Abo) kolumniert, dass "Medienkritik mehr denn je auch wirtschaftliche Abhängigkeiten hinterfragen muss", geht's natürlich nicht um sich anbahnenden Wettbewerb zwischen einem Kölner und einem Salzburger Unternehmen auf dem überschaubaren deutschen Medienmedien-Markt. Sondern noch mal wieder um Amazon-Chef Jeff Bezos, der "die Maske des linksliberalen Medienmoguls endgültig fallen gelassen" hat. (Was freilich alle, die in den letzten Monaten und Jahren ab und zu die erfreulich vielfältige deutsche Medienmedienberichterstattung verfolgten, schon länger mitbekommen haben müssten ...).
Altpapierkorb (Deutsche Welle noch wirkungsvoller/ kaum beachtetes EMGR-Urteil/ Sicherheits-Streit/ digitale Fairness/ Milchkannen-Mobilfunk)
+++ Nun will die Trump-Regierung auch die US-amerikanischen Auslandssender von Voice of America bis Radio Free Europe abschalten (AP gestern). Das ist weiterhin ein großes Medienthema (z.B. "taz"). +++ Da passte, dass der Intendant des deutschen Auslandssenders Deutsche Welle, Peter Limbourg, gerade ein Pressegespräch gab (siehe "Tagesspiegel", "SZ"/ Abo, höre Deutschlandfunk). Er hätte nichts dagegen, dass jetzt, wenn in Deutschland und EU-Europa wohl bald Abermilliarden fließen, mehr Geld zur DW flösse, damit sie die entstehende Lücke der US-Medien ein bisschen ausfüllen könnte. Die DW "werde ihren Beitrag leisten, um die demokratischen Werte weltweit noch wirkungsvoller zu popularisieren", zitiert Helmut Hartung Limbourg in der "FAZ" (Abo). +++
+++ "Deutsche Leitmedien, so scheint es, stehen in der Souveränität und Distanz selbst ukrainischen Medien nach. Dort berichteten selbst Redaktionen wie die Ukrajinska Prawda oder der Kyiv Independent teils ausführlich" über ein Urteil, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gerade zu einem Geschehen fällte, das im ukrainischen Odessa im Mai 2014 zu 48 Toten führte, schreibt Harald Neuber bei "Telepolis". +++
+++ Zuletzt recht oft war, auch hier, zu lesen, wie sicher Deutschland gerade in den vergangenen Jahren geworden sei, ganz entgegen der Berichterstattung über Gewaltkriminalität. Wie umstritten diese Interpretation ist und dass die Zahlen sich auch anders interpretieren lassen, schrieb gerade die "FAZ" (Abo): "Das, was die Forscher als 'scheinbares Paradox' bezeichnen, kann man aus Opferperspektive als Haarspalterei wahrnehmen. Denn für ein Opfer ist es irrelevant, ob es vom Täter aufgrund dessen (in- oder ausländischer) Herkunft – oder wegen dessen Alters, Geschlechts und Wohnumfelds bestohlen, ausgeraubt, vergewaltigt oder totgeschlagen wird." +++
+++ Das oben erwähnte ProSiebenSat.1 aus Unterföhring gehört vor allem italienischen und tschechischen Investoren und möchte, um unabhängig zu bleiben, einen US-amerikanischen Investor dazu holen. Das wird auch schwieriger als gedacht, berichtet der "Standard". +++
+++ Ein "Gesetz zur digitalen Fairness" zu formulieren, hat Ursula von der Leyen ihrer Kommission auch noch ins Aufgabenheft geschrieben, berichtet die "taz". +++
+++ "Wir brauchen auch an jeder Milchkanne schnellen Mobilfunk", sagte dann noch Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller dem "Handelsblatt". Daher will die Agentur nun auf eine Versteigerung von Mobilfunkfrequenzen, wie sie bislang regelmäßig Milliardeneinnahmen brachte (freilich mit Kollateralschäden wie dem, dass die glücklichen Auktionsgewinner sich dann nur in lukrativen Ballungsräumen engagierten und in weniger besiedelten Regionen kaum) verzichten. Siehe auch golem.de. +++
Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch Ben Kutz.