Kolumne: Das Altpapier am 26. März 2025 Erhört die Signals
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26. März 2025, 09:29 Uhr
Die hanebüchene Geschichte um den Leak aus einer hochkarätig besetzten Signal-Gruppe in den USA ist dominierendes Medienthema. Jeffrey Goldberg, der die Geschichte aufgeschrieben hat, wird auch in deutschen Medien völlig zurecht gefeiert. Immerhin scheinen durch seine Recherche die Demokraten endlich aus einem langen Winterschlaf zu erwachen. Ein Altpapier von Ben Kutz.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Immer neuer US-Wahnsinn
Der Leak-Skandal rund um US-Vizepräsident J. D. Vance war gestern auf zahlreichen Medienseiten Aufmacher. Eine Gruppe hochrangiger US-Diplomaten hat offenbar eine Signal-Gruppe. Soweit, so unseriös. In der haben sie unter anderem über Bombenangriffe im Jemen geschrieben. Und sie haben Jeffrey Goldberg, Chefredakteur von "The Atlantic", dazu eingeladen. Der hat die Geschichte natürlich gern aufgeschrieben (Altpapier gestern).
"Trumps Truppe in Not", titelt Michael Hanfeld in seinem "FAZ"-Kommentar:
"Dass Hillary Clinton seinerzeit als Außenministerin sorglos mit dienstlicher Kommunikation umging, war ein Dauerbrenner von Trumps Wahlkampf im Jahr 2016. Jetzt verständigen sich seine Minister und obersten Sicherheitschefs ungeschützt in einer Plaudergruppe über Kriegspläne. Mehr Leichtsinn ist kaum vorstellbar, mehr Dummheit und Ignoranz auch nicht, wie sie sich im Chat widerspiegelt, in dem J. D. Vance und Pete Hegseth ihrer Verachtung für die Europäer freien Lauf lassen."
Der "Spiegel" erinnert, dass die App Signal schon Tradition im Weißen Haus hat. Eine Begegnung aus 2017:
"Der erste Regierungssprecher von Donald Trump forderte in einer Krisensitzung alle Anwesenden auf, ihre Handys auf den Tisch zu legen, damit man überprüfen könne, ob sich Apps wie Signal darauf befänden. Dazu referierte Spicer, dass die Nutzung von verschlüsselten Messenger-Apps für Regierungsvertreter illegal sei, ein Verstoß gegen das Gesetz Presidential Records Act von 1978. Grund waren die ständigen Leaks aus dem Weißen Haus, die die erste Amtszeit Donald Trumps begleiteten und für peinliche Berichte sorgten. Acht Jahre später gibt es wieder so ein Leak, wieder steht dabei Signal im Mittelpunkt. Der US-Präsident heißt wieder Donald Trump."
Und wie reagiert US-Präsident Trump auf die ganze Misere? Wie so oft mit Lügen, berichtet CNN (via Bluesky). "The Atlantic" sei ein "failing magazine", wettert Trump. Das Gegenteil ist richtig, "The Atlantic" ist profitabel und wächst aktuell.
Auch Trumps Umfeld teilt aus – gegen Jeffrey Goldberg selbst. Das schreibt die "Berliner Morgenpost":
"US-Verteidigungsminister Pete Hegseth – selbst Teil des Chats – bezeichnete Jeffrey Goldberg als 'einen betrügerischen und hochgradig diskreditierten sogenannten Journalisten', der es sich zur Aufgabe gemacht habe, 'immer wieder mit Falschmeldungen hausieren zu gehen'."
Getroffene Hunde und so.
Jeffrey Goldberg, der Mann der Stunde
Ganz anders lesen sich die zahlreichen Porträts über Jeffrey Goldberg, die man gestern in zahlreichen deutschsprachigen Medien lesen konnte. Die "Süddeutsche" bezeichnet Goldbergs Signal-Recherche als "Höhepunkt eines erfolgreichen Reporterlebens". Auch der "Standard" widmet dem Journalisten, "der zum stillen Zeugen wurde", einen ganzen Text:
"Trump habe es geschafft, die Idee einer freien Presse zu verteufeln. Dagegen heiße es anzukämpfen, [sagt Goldberg]. Und gegen die Lügen Trumps. Goldberg ist mit seiner Arbeit der richtige Mann dafür. Das hat der dreifache Familienvater [...] gerade erst wieder bewiesen."
Und auch die "Berliner Morgenpost" (bereits oben verlinkt) weiß den Lügen von Trump und Konsorten etwas entgegenzusetzen:
"Dabei ist der Journalist hochdekoriert, unter seiner Leitung gewannen Autoren des traditionsreichen 'The Atlantic' erstmals den renommierten Pulitzer-Preis und das Medium überwand ein wirtschaftliches Tief. Die Liste der Polit-Promis, die Goldberg bereits interviewt hat, ist lang."
Trump wird wohl eher nicht mehr dazukommen. Denn Goldberg und Trump haben eine Art, ähm, Vorgeschichte, schreibt der "Tagesspiegel":
"Goldberg ist ein Intimfeind von Präsident Donald Trump. Im September 2020, mitten im Wahlkampf, publizierte Goldberg einen Bericht, demzufolge sich der damalige US-Präsident zwei Jahre zuvor abfällig über gefallene amerikanische Soldaten geäußert haben sollte. Die seien 'loser' und 'sucker'. Trump tobte. Im Oktober 2024, wieder kurz vor der Präsidentschaftswahl, hieß es in 'The Atlantic', Trump hätte gegenüber seinem damaligen Stabschef John Kelly den Wunsch geäußert, er brauche 'Generäle, wie Hitler sie hatte'. Trump tobte erneut."
Die Kollegen vom "Tagesspiegel" sind es auch, die für den Hoffnungsschimmer des Tages sorgen. "Für die Opposition ist der Skandal ein Weckruf", schreiben sie. Die Demokraten sind wohl endlich aus ihrem Dornröschenschlaf aufgewacht und kündigen eine umfassende Untersuchung an. "Endlich rührt sich wieder was", schreibt der "Tagesspiegel".
Mir macht es Hoffnung, dass in der völlig verrückt scheinenden US-Welt manche Schlagzeilen doch noch für Skandale sorgen. Und dass der US-Journalismus noch nicht kaputtautokratisiert ist.
Ein toter Papst bringt ordentlich Geld
Über das "zynische Geschäft mit falschen Todesmeldungen" hat das österreichische "Profil" einen lesenswerten Text veröffentlicht. Auf Social Media, hauptsächlich bei X, häufen sich – zum Glück falsche – Todesmeldungen über Promis. Papst Franziskus zum Beispiel. Oder Schriftsteller Daniel Kehlmann. Das läuft immer nach dem gleichen Muster ab, schreibt das "Profil":
"Im Mittelpunkt der Spekulationen steht eine prominente Person. Mehr oder weniger detailliert verkünden Social-Media-Accounts den Tod der Betroffenen. Um die Glaubwürdigkeit der Todesmeldungen zu erhöhen, geben sie sich als Person oder Organisation aus, die mit den vorgeblich Verstorbenen in engem Kontakt stand."
Weil die Fakes gut gemacht sind, glauben sie viele Menschen. Doch warum das Ganze?
"Es ist inzwischen ein Geschäftsmodell geworden, als Premium-Account Desinformation, KI-generierte Bilder oder Verschwörungstheorien auf X zu verbreiten. [...] Je mehr Likes, Kommentare und Shares ein Posting eines zahlenden Premium-Accounts bekommt, desto mehr Geld gibt es für den Absender des Posts."
Und mit nichts kann man so herrlich Aufmerksamkeit erlangen als mit dem Tod anderer Menschen. Wahrheitsgehalt: egal, schreibt das "Profil":
"Nachrichten zu erfinden ist einfacher, als Sachverhalte aufwendig zu recherchieren. Dass sich dafür vor allem Todesmeldungen eignen, weiß auch Barbara Buchegger, Leiterin von saferinternet.at, einer Initiative zur Steigerung der digitalen Medienkompetenz: 'Alle wollen wissen: Echt? Stimmt das wirklich? Das erzeugt einfach Aufmerksamkeit', so die Expertin zu profil. Auch wenn fingierte Todesnachrichten über Celebrities nichts neues sind, beobachtet auch Buchegger, dass die Masche 'aktuell ein Trend zu sein scheint'."
Trend: Geld verdienen durch Desinformation. Und die X-Lenker unterstützen die Masche, weil sie auch mitverdienen. Manchmal geht mir der Kapitalismus vielleicht auf den Zeiger.
Altpapierkorb (Presserat verschärft Regeln | Koalitionsnamen-Poker | Hirschhausen kämpft gegen Deepfakes | Petition zur Rettung sozialer Netzwerke | Krieg in Nahost "findet kaum statt" | Werbung im ÖRR | Digitalisierung: Leider zu teuer)
+++ Der Presserat verschärft seine Regeln. Das meldet unter anderem kress.de. Redaktionen müssen mögliche Interessenskonflikte künftig transparenter machen. "Es erreichen uns immer wieder Beschwerden, wenn Journalistinnen und Journalisten beispielsweise über den Stadtrat, einen Sportverein oder ein Unternehmen berichten, in dem sie selbst ein Amt ausüben oder PR-Arbeit leisten", lässt sich der Presserat-Sprecher zitieren.
+++ Über das Hobby von Journalisten, sich Koalitionsnamen auszudenken, schreibt Stefan Niggemeier bei "Übermedien": "Man muss die Frage schon unbedingt diskutieren wollen, aus Langeweile, aus Witzelsucht, um politische Punkte zu machen oder eben gerade nicht über Politik zu reden. Die freundlichste Erklärung, die mir einfällt, wäre noch das, was der Engländer 'Comic Relief' nennt, eine erholsame unterhaltsame Ablenkung von dem sonstigen Elend."
+++ Eckart von Hirschhausen muss im Internet seit Jahren als Gesicht für Diät- oder Potenzmittel herhalten. Eingewilligt hat er nie. In den Sozialen Netzwerken kursieren zahlreiche Deepfakes. Wie Hirschhausen nun dagegen vorgeht, erklärt er in einem "SZ"-Gastbeitrag. Oft erlebe er "jede Menge Verzögerungstaktik und Schutzbehauptungen" seitens der Plattformen. Vor Gericht hat er nun allerdings Recht bekommen.
+++ "Mehr als 250.000 Unterschriften fordern Rettung sozialer Netzwerke", meldet "Turi2". Unterschrieben haben neben DJV und DJU auch Promis wie Känguru-Autor Marc-Uwe Kling, Cartoonist Ralph Ruthe und ein gewisser Eckart von Hirschhausen. "Sie fordert von der Politik u.a., alternative Online-Netzwerke zu stärken sowie offenen Austausch auf Big-Tech-Plattformen zu sichern und deren Nicht-Haftungsprivileg zu prüfen". Die Initiatoren haben die Unterschriften an die Politik übergeben und hoffen, dass ihre Forderungen in die Koalitionsverhandlungen eingehen.
+++ Wird der Krieg in Nahost bei uns in den Medien genug abgebildet? Und ist die Berichterstattung ausgewogen? Der Blog "Schantall und Scharia" findet: nein. Der Journalist Fabian Goldmann hat sich die Cover von "Spiegel", "Stern" und "Fokus" seit dem 7. Oktober 2023 angeschaut und untersucht, wie oft der Krieg Thema ist. Ergebnis: "Der Krieg in Nahost findet auf den Covern von Spiegel, Focus und Stern kaum statt. Palästinensisches Leid ist nahezu unsichtbar, Empathie gibt es nur mit Israelis."
+++ Über die strengen Regularien bei Fernsehwerbung schreibt "DWDL". Titel: "Wie eine 12 Jahre alte Werberegelung ARD & ZDF bremst". Seit 12 Jahren ist Sponsoring im Öffentlich-Rechtlichen nach 20 Uhr nicht mehr erlaubt. Die Sender beschweren sich regelmäßig darüber. "Auch wenn die Politik nach immer neuen Wegen sucht, um die Öffentlich-Rechtlichen zum Sparen zu bringen und den Rundfunkbeitrag möglichst niedrig halten will: Von einer Lockerung der geltenden Werbe- und Sponsoring-Regelungen ist aktuell eher nicht auszugehen", schreibt "DWDL". Ich dagegen vermisse das Sponsering so gar nicht – und hatte völlig vergessen, dass früher jeder Tatort mit der Krombacher-Insel-Idylle begann.
+++ Dass wir in Deutschland ein Digitalisierungs-Problem haben, wird wohl oft genug deutlich im Altpapier, zuletzt hier. Wie bei allen Koalitionsverhandlungen versichern die Parteien brav, sich dem Problem nun endlich mal anzunehmen. Eine Meldung von netzpolitik.org dämpft die Hoffnungen aber schon wieder. "Deutsche Bahn: Digitalisierung aufs Abstellgleis" meldet Autor Daniel Leisegang. Und weiter: "Aus Kostengründen will das Unternehmen nun die Digitalisierung massiv zurückfahren – obwohl das geplante Sondervermögen Investitionen ermöglichen sollte." Wie immer wahnsinnig tolle Idee, an der Zukunft zu sparen.
Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag Ralf Heimann.