
Kolumne: Das Altpapier am 4. April 2025 Die polizeiliche Sicht der Dinge
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04. April 2025, 11:02 Uhr
Wenn die Union den Medien vorwirft, die Behörden "vorzuführen", sollte die Öffentlichkeit skeptisch werden. Eine gute Portion Misstrauen ist auch beim Verbreiten der Polizeilichen Kriminalstatistik angemessen. Heute kommentiert Antonia Groß die Berichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Bedingungsloses Misstrauen
Wenn Medien kritisch gegenüber der Politik – also den Angaben von Behörden und Regierungen – sind, ist das genau richtig. Es ist der Sinn von Berichterstattung, und heißt nichts weiter als Informationen zu hinterfragen, sie doppelt zu prüfen, einzuordnen – wenn man so will: ihnen gegenüber misstrauisch zu sein.
Aktuell heißt das im bundesdeutschen Kontext: Wenn Regierungen dafür sorgen, dass behördliche Vorgänge, Entscheidungen, Kommunikation und Interessenkonflikte ihrer Mitglieder geheim bleiben – dann sollte das die (mediale) Öffentlichkeit erst recht misstrauisch machen. Besonders, wenn sie Nachfragen und Recherchen in den eigenen Reihen verhindern wollen, so, wie es ein Vorstoß der Union kürzlich nahegelegt hat. Jedenfalls lässt der beleidigte Tonfall von Initiator Philipp Amthor das vermuten.
Zunächst der Hintergrund: Auf dem Mist von ebenjenem CDU-Politiker Amthor ist der Satz im Koalitionspapier gewachsen, nachdem das Informationsfreiheitsgesetz "in seiner jetzigen Form" abgeschafft werden soll (Altpapier). Es war das mediale Aufregerthema der vergangenen Woche. Medienverbände und selbst Behörden protestieren, 41 Organisationen veröffentlichten kurz darauf einen Brief, adressiert an den Koalitionspartner SPD. Die Journalistin Jana Ballweber kommentiert den Vorgang bei "turi2" am Donnerstag nun noch einmal grundlegend:
"Dass Journalisten überhaupt so vom IFG abhängig sind, liegt auch daran, dass es bis heute kein Presseauskunftsrecht auf Bundesebene gibt. [...] Aber natürlich ist das auch für Amthor kein Anlass, sich in den Koalitionsverhandlungen für ein solches Auskunftsrecht für Journalisten gegenüber Bundesbehörden und -institutionen einzusetzen."
Ballweber beschreibt das Vorhaben der Union als einen inszenierten Vertrauensbruch gegenüber den Medien:
"Stattdessen trieft aus Amthors Rhetorik das Misstrauen gegenüber der Zivilgesellschaft, den Medien und den Bürgern. Schon 2019 unterstellte er "sogenannten Aktivisten”, das IFG zu missbrauchen, um "unsere Behörden vorzuführen”. Misstrauen gegenüber seiner eigenen Person hält er dem NDR zufolge hingegen für unangebracht."
Eine gute Begründung, weshalb Erkenntnisse aus IFG-Anfragen Behörden "vorführe", bleiben Amthor und die zivilgesellschafts-feindliche Union (Altpapier) bislang schuldig. Möglicherweise liegt das an Amthors eigener, IFG-induzierter Skandalgeschichte. Oder daran, dass ein überzeugendes Argument dafür, warum die Öffentlichkeit Regierung und Behörden bedingungslos vertrauen sollte, noch erfunden werden muss.
Polizeiliche Schlagseiten
Zumal sich viele Behörden ohnehin kaum Sorgen machen müssen, dass der große Teil der Medien ihre Aussagen besonders kritisch anfassen. Etwas altertümlich klingt es manchmal, wenn Behörden in einem Atemzug mit Nachrichtenagenturen als "privilegierte Quellen" bezeichnet werden – als vertrauenswürdig, weil sie zu wahrheitsgemäßen Auskünften verpflichtet sind (vorausgesetzt, dass sie zur Auskunft verpflichtet sind). Dabei sind von staatlicher Seite gelieferte Informationen natürlich nicht frei von Interessen, sondern gefärbt von politischen Positionen, sie spiegeln ihre Strukturen wider. Der Zirkus um die Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zeigt das alljährlich wieder. Präsentiert hat das Bundeskriminalamt die neusten Zahlen am Mittwoch.
"Die Polizeiliche Kriminalstatistik können alle so interpretieren, wie es ihnen gerade in den Kram passt", ärgert sich netzpolitik.org.
Der Autor Markus Reuter warnt im Text: Die PKS sei "gefährlich", eigne sich besonders "zum Stimmung machen". Die Zahlen seien "mit Vorsicht zu genießen". Sind etwa bestimmte Delikte in einem Jahr prozentual gestiegen, heiße das nicht unbedingt, dass es mehr dieser Delikte gab:
"Damit hellt sich das Dunkelfeld dieser Straftaten auf und mehr Täter:innen werden zur Rechenschaft gezogen – ohne dass die Gefahr, Opfer einer solchen Straftat zu werden, angestiegen ist."
In der diesjährigen Stimmungsmacher-Variante der PKS führte das in den Schlagzeilen etwa zu vermeintlich mehr "nichtdeutsche[n] Tatverdächtige[n]" ("Welt"), als auch zu mehr "Polizisten [die] in Deutschland Opfer einer Straftat" werden ("Augsburger Allgemeine").
Jedes Jahr aufs Neue führen die vom Bundeskriminalamt (BKA) vorgestellten Zahlen zu hochgejazzten Skandal-Berichten, meist mit rassistischer Schlagseite. Dafür sorge schon die Struktur des Berichtes selbst, schrieb dazu vor einem Jahr der "Übermedien"-Autor Andrej Reisin. Allein durch die Aufschlüsselung des BKA in deutsche und nicht-deutsche Tatverdächtige, "als sei das die entscheidende Kategorie". Reisin spricht sich implizit gegen den privilegierten Status von Polizei als Quelle aus:
"Allein daran wird deutlich, wie politisch gefärbt schon der Bericht selbst ist. Es handelt sich nicht um eine objektive, kriminologische Kriminalitätsdarstellung, wie das BKA und die Innenminister:innen suggerieren, sondern um die polizeiliche Sicht der Dinge."
Wie in jedem Jahr kritisieren vor allem linke Medien die Angaben:
"Die Kriminalstatistik ist somit letztlich eine von vielen Datensammlungen, mit denen ein Durchgreifen des Staates gegen Personengruppen ohne Lobby legitimiert werden soll. Denn mit Härte gehen dessen Organe stets auch gegen arme Ladendiebe und Schwarzfahrer vor, während bei der Steuerfahndung das Personal fehlt."
Das schreibt Jana Freilinghaus für "neues deutschland". In den Statistiken sind nur die polizeilichen Anzeigen erfasst, nicht nachgewiesene Gewalt- und Straftaten. Die Kritik daran gab es bereits vor der Veröffentlichung der Zahlen (Altpapier). Vielleicht, um unter Medien für mehr gesundes Misstrauen zu sorgen?
Falsches Misstrauen
Der rbb hat seine extern beauftragten Untersuchungen zum Fall Gelbhaar abgeschlossen. Dem Berliner Grünen-Politiker war im Dezember sexualisierten Gewalt vorgeworfen worden, doch der rbb musste kurz darauf eine fehlerhafte Berichterstattung einräumen. Der Chefredakteur und die Programmdirektorin des rbb sind deshalb zurückgetreten. Nun hat der rbb eine Zusammenfassung des 96-seitigen Dokuments zum Abschluss der Untersuchungen veröffentlicht.
Der Bericht liest sich wie eine Chronologie handwerklicher Fehler, aber auch wie ein Verantwortungs-Ping-Pong. "Die Autor:innen haben schwere journalistische Fehler begangen", steht in der Bewertung des Falls. So weit, so offensichtlich. Es sei "nicht nachvollziehbar, dass dieses Team mit dem Thema betraut wurde", da die beteiligten Autor:innen "keine Erfahrungen im Bereich des investigativen Journalismus" hatten. Dem geschiedenen Chefredakteur wird vorgeworfen, sich nur "rudimentär" mit der Recherche beschäftigt zu haben. Das Justiziariat habe sich mit "ungenügenden" Ergebnissen zufriedengegeben.
Der Bericht endet mit Empfehlungen. Etwa: "Recherchen dieser Tragweite sollten künftig unter Einbeziehung der investigativen Einheit im rbb erfolgen", die Chefredaktion solle diese Einbindung sicherstellen und die Recherchen in einem "Mindestmaß" inhaltlich prüfen.
Der Sender muss die Empfehlungen nun interpretieren und umsetzen. Die Folgen aus der Berichterstattung über Gelbhaar streuen längst. Für den rbb war das bis hierhin vor allem die Aufarbeitungsprozedur, die Konsequenzen für die beteiligten und verantwortlichen Journalist*innen. Außerdem fordert Gelbhaar Schadenersatz von rund 1,7 Millionen Euro.
Für Betroffene sexualisierter Gewalt im Allgemeinen bedeutet der Fall aber vermutlich noch mehr Misstrauen, als ihnen ohnehin begegnet – das Misstrauen von der schlechten Sorte. Womöglich könnte der Fall auch zu falscher Vorsicht führen, Chefredaktionen einen weiten Bogen um #MeToo-Berichte machen. Unter geht dabei auch, was mit den verbleibenden sieben Personen ist, die bis zuletzt an ihren Vorwürfen gegen Gelbhaar festhalten. Und den Konsequenzen, die sie eigentlich gebraucht hätten.
Altpapierkorb (Doppelstandards zu Gaza / Reformstaatsvertrag / TikTokTakeover / TeslaTakedown)
+++ Die "Übermedien"-Redakteurin und Ex-Altpapier-Autorin Annika Schneider hat mit sieben Journalistinnen gesprochen, die in der Berichterstattung über den Krieg in Gaza und die dort verübten Verbrechen Doppelstandards erkennen: "vor allem beim ungleichen Umgang mit Quellen. Während Aussagen der israelischen Regierung und Armee immer wieder ungeprüft übernommen würden, würden Berichte von unabhängigen internationalen Quellen wie Amnesty International oder der UN angezweifelt oder abgelehnt. Menschen aus dem arabischen oder palästinensischen Umfeld bekämen in Berichten wenig Raum oder müssten in Interviews erst einmal unter Beweis stellen, dass sie den Terrorakt der Hamas verurteilen – während israelischen Stimmen regelmäßig vorurteilsfrei begegnet werde." +++
+++ Der Reformstaatsvertrag wurde von allen 16 Ministerpräsident*innen unterschrieben. Nachdem die Landesparlamente ihren Segen gegeben haben, soll er zum 1. Dezember 2025 in Kraft treten, meldet "epd medien". Im Oktober gab es Diskussion um den Vorschlag, die Sender 3sat und Arte ineinander aufgehen zu lassen (Altpapier). Ganz scheint der Vorschlag nicht vom Tisch, eine "engere Zusammenarbeit" zwischen den Sendern ist wohl vorgesehen. +++
+++ TikTok Takeover: Am Samstag läuft die Frist aus, bis zu der das Netzwerk TikTok in den USA einen neuen Eigentümer braucht. Kaufinteressierte gibt es viele. Es besteht die Sorge, dass die chinesische App zum nächsten MAGA-Sender werden könnte, schreibt das Magazin "status". +++
+++ Tesla Takedown oder: die Gerüchteküche um den politischen Rückzug von Elon Musk. Berichten von "Politico" zufolge soll sich der Trump-Handlanger und Financier möglicherweise aus der Politik zurückziehen. Musk werden Bestechungsgelder in Millionenhöhe vorgeworfen, seine Firmen machen Miese und seine Tesla-Fabriken werden gerade weltweit zum Ziel von Protesten. +++
Das Altpapier am Montag schreibt Klaus Raab.