Kolumne: Das Altpapier am 7. April 2025 Das wird man ja wohl noch armselig finden dürfen
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07. April 2025, 09:48 Uhr
Sandra Harzer-Kux sollte NDR-Intendantin werden, war die einzige Kandidatin – und fiel durch. Wie kam’s? Und was passiert jetzt? Außerdem: Die ARD feiert sich mit einer Nostalgieshow – und mit einem 13-jährigen Dieter Hallervorden. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Beim NDR fällt die einzige Kandidatin durch
In der Typologie des Managers ist die "Person von außen" diejenige, die Dinge hören und sehen soll, die ein Team allein nicht mehr wahrnimmt; die neuen Ideen oder Ressourcen einbringen und bestehende Strukturen herausfordern soll. Der Zukunftsrat der Öffentlich-Rechtlichen, besetzt mit solchen Personen von außen, hat zum Beispiel Vorschläge zur Reform beigetragen, die Personen von innen offensichtlich nicht so einfach aussprechen konnten (außer vielleicht unter lustigen Verrenkungen als Privatleute in Übersee-Clubs). Die "Person von außen" genießt deshalb als Idealtyp einen guten Ruf.
Aber mit einer Betrachtung von Idealtypen allein kommt man nicht weit. Es geht in konkreten Einzelfällen immer um konkrete Personen, die ein konkretes Anforderungsprofil erfüllen sollen. Und beim NDR ist bei der Intendantenwahl nun die Bewerberin von außen durchgefallen – obwohl sie die einzige Person war, die zur Wahl stand und damit erfahrungsgemäß als einigermaßen aussichtsreiche Anwärterin betrachtet werden musste. Sandra Harzer-Kux heißt sie. Sie kommt dermaßen von außen, dass sie hier im Altpapier bislang nur ein einziges Mal erwähnt worden ist; am vergangenen Dienstag war das, im Zusammenhang mit ihrer Kandidatur beim NDR: "Sie hat keine Vorgeschichte in öffentlich-rechtlichen Anstalten, sondern leitete einst die Kundenzeitschriften-Abteilung des Verlags Gruner+Jahr", schrieb da Christian Bartels unter Verweis auf einen Artikel bei Meedia.de. Vorgeschlagen hatte sie der Verwaltungsrat des NDR. Der Rundfunkrat aber hat sie nun abgelehnt. Warum?
"Das Kontrollgremium Rundfunkrat, das die Senderspitze wählt, kritisierte unter anderem, dass es keine Wahl zwischen mehreren Kandidaten gab. Das liegt am NDR-Staatsvertrag, der festlegt, dass der Verwaltungsrat einen Personalvorschlag machen kann",
heißt es im Bericht der "dpa", der etwa von faz.net, sueddeutsche.de und spiegel.de aufgegriffen wurde. Das ist ein oft gebrauchtes, aber deshalb nicht falsches Argument gegen Wahlen, die eigentlich wenig Wahl lassen. Kandidiert nur eine Person, sorgt das in der Öffentlichkeit wie im jeweiligen Wahlgremium, das sich als Durchwinkverein missverstanden fühlt, regelmäßig für Unmut. Das allein reicht als Begründung, warum Harzer-Kux abgelehnt wurde, allerdings noch nicht.
Im konkreten Fall geht es, wenn man einem Kommentar von Zeit Online folgt, auch um die Schwächen einer Person von außen: Sie hat zwar einen anderen, eventuell frischen Blick, aber nicht die Kenntnisse, die man nur innen bekommen kann. Götz Hamann schreibt über Harzer-Kux:
"Sie fiel durch, weil sie in der entscheidenden Sitzung weder erkennen ließ, dass sie den öffentlichen-rechtlichen Sender in der Tiefe kennt, noch dass sie einen Masterplan für den NDR für die kommenden fünf Jahre hat. Das war für die Mitglieder des Rundfunkrats zu wenig. Und das ist nachvollziehbar."
Auf viele Fragen habe sie nur vage geantwortet:
"Wo sie Schwachstellen und Stärken im Programm sehe? Wie sie dazu stehe, dass der NDR mehrere erstklassige Orchester unterhalte? Wie sie die Zukunft der Landesfunkhäuser plane? Der NDR sendet in vier Bundesländern und hat deshalb eine entsprechend kleinteilige Struktur mit Studios, Außenstellen, Immobilien überall in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Wer Chefin eines solchen Labyrinths werden will, sollte sich auskennen oder wenigstens sagen, wie ihr Ariadnefaden aussieht, mit dem sie sich in diesem Labyrinth zurechtfinden will."
Wie aber nun weiter? Eines Tages wird es natürlich trotzdem eine neue NDR-Intendantin oder einen neuen NDR-Intendanten geben; der NDR ist wohl kaum nachhaltig beschädigt, und der "Eklat" (Zeit Online) ist nur einer, bis er konstruktiv beendet ist. Bis dahin allerdings steht das Auswahlverfahren in der Kritik. Gerade auch intern. Darf denn wirklich nur eine einzige Person vorgeschlagen werden?
"Redaktionsausschuss, Gesamtpersonalrat und Personalrat Hamburg fordern in einer gemeinsamen Stellungnahme die Politik dazu auf zu prüfen, ob ein Wahlvorschlag tatsächlich nur eine Person enthalten darf",
heißt es bei dwdl.de (wo Alexander Krei darüber hinaus auch kommentiert). Alle drei genannten Gremien – bei denen es sich um die Vertretungen der NDR-Beschäftigten handelt, also relevante Gruppen – hätten auch keine Chance gehabt, "eine Frage an die vorgeschlagene Kandidatin zu stellen". Wenn die gescheiterte Wahl etwas Gutes hat, dann könnte es darin bestehen, dass solche anachronistisch wirkenden Verfahren überdacht werden. Personen von außen finden es jedenfalls schon auch ziemlich komisch.
Was Roger de Weck sich immer noch für die ARD vorstellt
Den 75. Geburtstag der ARD, der eigentlich erst im Juni ansteht, aber so jung wie im April kommt man ja nicht mehr zusammen, feiert unsere allerliebste öffentlich-rechtliche Arbeitsgemeinschaft mit Dokus, Shows und natürlich auch mit wohlmeinenden Menschen. Mit dem Schweizer Publizisten Roger de Weck, zum Beispiel, Mitglied des oben erwähnten insgesamt wohlmeinenden Zukunftsrats. Er hat "NDR Info" ein Interview gegeben, in dem er über die ARD spricht. Und setzt bei seinem – am Wochenende auch bei infosperber.ch noch einmal herausgekramten – hübsch formulierten Gedanken an, der Journalismus müsse vor den Medien gerettet werden.
Und bei der Überlegung des Zukunftsrats, es brauche eine oberste ARD-Instanz:
"Wir haben ein Gefüge mit einem Etat von sieben Milliarden Euro und keine oberste Instanz der Aufsicht und der Strategie – das geht nicht!"
Mehr Aufmerksamkeit erregt hat die ARD aber mit einem anderen Geburtstagsprogramm.
ARD feiert sich – aber warum denn so?
Bedauerlich, dass keine Person von außen nochmal auf die vorab aufgezeichnete Gala geschaut hat, die die ARD sich am Samstag zur einst besten Sendezeit ausgerichtet hat. Was wäre ihr wohl aufgefallen?
Sie feierte sich da mit einer großen Nostalgieshow, in der Kai Pflaume durch viel angestaubtes Fernsehen moderierte, hach und schnarch. Die Schriftstellerin Anne Rabe kritisiert bei Zeit Online (Abo) allerdings deutlich, was sie gesehen hat (und anderem etwa Stern.de, kritisieren es auch): einen Dieter Hallervorden nämlich, der seinen "Palim, Palim"-Sketch nicht einfach noch einmal vorspielte, wie man es von einer ordentlichen ideenlosen Geburtstagssendung hätte erwarten dürfen, sondern mit einem neuen Einleitungstext.
"In dem Sketch spielen zwei Gefängnisinsassen aus Langeweile miteinander Kaufmannsladen, und der Witz besteht vor allem darin, dass Hallervorden wiederholt versucht, Pommes frites in Flaschen zu kaufen. Am Samstagabend jedoch nutzt Hallervorden die Gelegenheit, um dem Sketch eine neue Einleitung zu verpassen. Er sitzt auf seinem Gefängnisbett und stöhnt: 'Mann, Mann, Mann, du, Knast, du. Hätte ich gewusst, dass man das nicht mehr sagt’ – und dann spricht Hallervorden das Z-Wort (für ein Schnitzel) und das N-Wort (für eine Süßigkeit) aus. Der Sketch beginnt also mit der Behauptung, er sei für die Verwendung dieser Worte eingesperrt worden."
Die Konflikte, die es um die Benutzung eindeutig rassistischer Wörter gab, sind eigentlich längst ausgetragen. Eine unbedarfte Weiterbenutzung ist seitdem für Menschen, die beruflich mit Sprache zu tun haben, ausgeschlossen. Wer sie im Rahmen einer Samstagabendshow zur Selbstbejubelung in einem extra dafür geschriebenen Text vorträgt – einem Text, der zudem nicht einmal den leisesten Bezug zum Thema Sprachentwicklungen hat –, der tut das bewusst und im Wissen um einen politischen Zusammenhang.
Die wohlwollendste Deutung ist die als gezielte Provokation, und genau darauf läuft es in der zurechtgestrickten Erklärung der ARD nun hinaus (t-online.de): "überspitzt den Wandel der Sprache", "heute aus guten Gründen nicht mehr zeitgemäß", "in diesem satirischen Kontext jedoch bewusst als Provokation gesetzt" usw. usf… Die ARD feiert ihren 75., ein 89-jähriger Dieter Hallervorden feiert mit. Aber irgendwie sind sie halt doch sehr 13-jährig.
Michael Hanfeld, der Hallervordens Text im Gegensatz zu Rabe wörtlich zitiert und online auch den passenden YouTube-Schnipsel einbindet, packt in der "FAZ" (Abo) die Flasche mit den Fragezeichen aus: "Rassismus in der ARD?", …. "dann hielt Hallervorden das Stöckchen hin, über das nun all jene springen, die meinen, die ARD habe den Geist des Rassismus aus der Pommesflasche gelassen. Hat sie?".
Eine entscheidende Frage stellt er nicht: warum denn bloß? Anne Rabe schreibt in ihrem Text:
"Hallervorden ist ein Urgestein der ARD und damit ein naheliegender Gast. Im Begleitmaterial zur Sendung findet sich ein Interview mit ihm. Dort kritisiert er, durch die vom Privatfernsehen vorangetriebene Dynamik drohten am Ende 'Menschenwürde, Moral und Empathie auf der Strecke' zu bleiben."
Hallervorden, der vor einigen Jahren selbst nicht einmal mehr Didi genannt werden wollte, scheint also tatsächlich zu wissen, dass man nicht alles sagen, machen und zeigen sollte und muss, was man sagen, machen und zeigen könnte. Die Frage ist ja nicht, ob es verboten ist, das zu sagen, was man angeblich alles nicht mehr sagen darf. Ist es nicht. Sondern ob man nicht aus freien Stücken darauf verzichten könnte, es zu sagen. Zumindest für jemanden, der kein A-Wort sein will, böte sich das doch vielleicht an.
Altpapierkorb (Gelbhaar-Bericht, Bedrohungen gegen Lokaljournalisten, TikTok-Bann, Grimme-Preise, Medien an Schulen, Enthüllungen dank IFG, Druckerei-Reportage)
+++ Nachdem der RBB seine Untersuchungen zum Fall Gelbhaar abgeschlossen hat (Altpapier), schrieben am Wochenende die "Süddeutsche" (Abo) und die "FAZ" (Abo) darüber. "96 Seiten umfasst die Ausarbeitung, sie liegt seit einem Monat vor, die Öffentlichkeit aber bekommt nur die Zusammenschau auf sechs Seiten zu sehen. Rundfunkräte können alle Seiten durchblättern, müssen dafür aber einen Lesesaal aufsuchen, kopieren dürfen sie nichts", schreibt Michael Hanfeld in der "FAZ" und hat noch Fragen: "(D)ie Frage, wie die innerparteiliche Intrige gegen den Grünenpolitiker Gelbhaar beim RBB derart Raum greifen konnte, ist nicht beantwortet. Ging das alles von einer Autorin und einer zuständigen Redakteurin aus? Wenn der Chefredakteur sich schon nicht damit beschäftigte – wo waren die Redaktionsleitungen? Wieso lässt sich das Justitiariat mit oberflächlichen Erklärungen abspeisen?"
+++ "Lokaljournalismus unter Druck – Sicherheitsempfinden und Bedrohungserfahrungen von Lokaljournalistinnen und Lokaljournalisten in Sachsen und Thüringen" heißt eine Studie des European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF) in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Die "FAZ" (Abo) fasst sie zusammen. "In der Studie berichten Journalisten, die seit den Neunzigerjahren dabei sind, wie der Journalist von einer Respektsperson zu einem Feindbild wurde." Von "Bedrohungen und Einschüchterungsversuche" sowohl durch Bürger als auch durch Mandatsträger "extrem rechter Parteien, die in Sachsen und Thüringen auf kommunaler Ebene enorm an Macht gewonnen haben", ist die Rede.
+++ Am Samstag lief die Frist aus, bis zu der die Kurzvideo-App TikTok in den USA einen Käufer haben sollte. Sie wurde um 75 Tage verlängert. epd Medien schreibt: "Der von der US-Regierung angestrebte Deal zum Verkauf der Kurzvideo-App TikTok ist wegen Unstimmigkeiten über Präsident Donald Trumps Zölle gegen die Volksrepublik China vorläufig gescheitert."
+++ Ebenfalls epd Medien schreibt über die Verleihung der Grimme-Preise am Freitag in Marl. Zur Verleihung ist eine Preispublikation des Grimme-Instituts erschienen (pdf), in der Vertreterinnen und Vertreter der Nominierungskommissionen und Jurys über ihre Entscheidungen schreiben und in der Preisträgerinnen und -träger zu Wort kommen. Ich habe als Mitglied einer Nominierungskommission ein Interview mit Ulrike von der Groeben und Peter Kloeppel von RTL geführt, die besonders geehrt wurden.
+++ "Dieser meistbeachtete und folgenschwerste Ego-Trip der Gegenwart hat diesmal eine Schärfe und Frequenz, die Chronisten und Publikum zunehmend in den Wahnsinn treibt." Schreibt Peter Burghardt in der "SZ" (Abo) in einem Text, in dem er den Alltag eines USA-Korrespondenten reflektiert, der über Donald Trump nicht nicht berichten kann.
+++ Dass die sehr gute britische Netflix-Serie "Adolescence" nun auf Anweisung von Premier Keir Starmer in britischen Schulen gezeigt werden soll, findet Arno Frank ("Spiegel", Abo) ein Armutszeugnis. Für Gesellschaft und Politik: "Outsourcing des Problems jedenfalls kann nicht die Aufgabe von Politik, Gesellschaft und Familie sein. Ihre Aufgabe wäre es, diese Probleme anzugehen und zu lösen. 'Dies ist eine Herausforderung', erklärte Keir Starmer, 'die Politiker nicht einfach per Gesetz regeln können. Glauben Sie mir, wenn ich einen Hebel betätigen könnte, um sie zu lösen, würde ich es tun’. Statt sich ihrer durchaus vorhandenen Hebel zu vergewissern, engagiert die Politik mit großer Geste lieber die Kunst als externe Beraterin."
+++ Die Ratlosigkeit in der Diskussion über digitale Medien an deutschen Schulen adressiert Christian Meier in der "Welt" (Abo).
+++ Welche Enthülliungen das Informationsfreiheitsgesetz ermöglicht hat, dessen Fortbestand seit einer Einlassung von CDU-Politiker Philipp Amthor in Zweifel steht (Altpapier), darüber schreibt der "Spiegel" (Abo).
+++ Die "taz" plant, im Oktober ihre Werktagsausgabe in gedruckter Form einzustellen. Vorher begleitet sie Menschen bei der Arbeit, ohne die eine gedruckte Zeitung nicht entstünde und verteilt würde: eine Zustellerin etwa oder Menschen in der Druckerei.
Das nächste Altpapier schreibt am Dienstag Christian Bartels.