Kolumne: Das Altpapier am 10. April 2025 Keine Vision, also nicht zum Arzt.
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10. April 2025, 12:01 Uhr
Im Koalitionsvertrag steht eine kurze Passage über Medien. Der Inhalt ist eher enttäuschend. An einem Punkt sogar gefährlich. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Mehr Kontrolle wagen
Am Mittwochnachmittag hat die schwarz-rote Koalition in Berlin ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Das Thema Kultur und Medien nimmt darin etwa viereinhalb von 144 Seiten ein, um Medien selbst geht es nur auf anderthalb Seiten. Allein das macht deutlich, dass das Thema in den Verhandlungen wohl nicht so wichtig war.
Die Passage zur Medienpolitik (kurz überlegt, sie hier komplett als Zitat einzufügen) wirkt auf den ersten Blick wie ein Bekenntnis zur Medienfreiheit, auf den zweiten offenbart sich allerdings ein etwas widersprüchliches Verhältnis zu dieser Freiheit. Auf Seite 123 steht etwa:
"Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können."
Da fängt es schon an: Wer bestimmt denn, was "bewusst falsch" ist? Und wer bestimmt, was Hass und Hetze sind? Die Grenzen zwischen Lüge, Polemik und unliebsamer Meinung sind ja oft doch recht fließend.
Eine mögliche Interpretation der Sätze ist: Die Landesmedienanstalten sollen mehr Befugnisse bekommen. Und man muss nicht mal an den Fall denken, dass die AfD im Land irgendwann das Sagen haben könnte (am Mittwoch war sie im Sonntagstrend erstmals bundesweit stärkste Kraft), es reicht schon eine CDU, die lästige Nicht-Regierungsorganisationen über die Finanzierung angreift und ihnen auf diese Weise einen Warnschuss verpasst, eine CDU, die wichtige Posten wie den der Bundestagspräsidentin oder des Bundeskanzlers an Menschen vergibt, die selbst mehrfach dadurch aufgefallen sind, dass sie immer wieder falsche Informationen verbreitet haben.
Und es reicht schon eine CDU, die laut darüber nachdenkt, das Informationsfreiheitsgesetz abzuschaffen. Immerhin das soll jetzt nicht passieren. "Frag den Staat"-Macher Arne Semsrott schreibt, die neue Regierung wolle das Gesetz sogar verbessern und zitiert die Passage auf Seite 59 des Koalitionsvertrags, die das ankündigt.
"Das Informationsfreiheitsgesetz in der bisherigen Form wollen wir mit einem Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger und Verwaltung reformieren."
Das muss allerdings noch nichts Gutes heißen. Denkbar ist zum Beispiel, dass der Mehrwert für Bürger sein könnte, dass mehr Informationen automatisch veröffentlicht werden. Das könnte man als Verbesserung verkaufen. Gleichzeitig könnte man die Verwaltung entlasten, indem man bestimmte unangenehme Auskunftspflichten einschränkt. Man muss also abwarten.
Ist staatsfern wirklich staatsfern?
Aber noch einmal zurück zum Plan, gegen Desinformation etwas zu unternehmen. Der Zusatz, dass eine "staatsferne" Medienaufsicht gegen Hass und Hetze und Informationsmanipulation vorgehen können soll, klingt zunächst beruhigend. Immerhin will der Staat das ja nicht selbst machen.
Wie wirksam solche staatsfernen Konstrukte sind, wenn der Politik trotzdem Einflussmöglichkeiten bleiben, zeigt sich unter anderem am Beispiel der Rundfunkfinanzierung.
Hier gibt es sehr klare Regeln, die verhindern sollen, dass der Staat über das Geld Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nimmt. Nach diesen klaren Regeln wäre der Rundfunkbeitrag zum Jahreswechsel gestiegen. Doch das ist nicht passiert.
Bayern und Sachsen-Anhalt wollen die Anstalten sogar zwingen, ihr Recht durch eine Klage in Anspruch zu nehmen, indem sie ihre Zustimmung zur Rundfunkreform davon abhängig machen, ob die Sender die Klage zurücknehmen.
Das alles passiert in einem Klima, in dem sich nie ganz trennen lässt, ob das Ziel tatsächlich einfach ist, die Sender etwas schlanker und wirtschaftlicher zu machen – oder ob es nicht vielleicht auch darum geht, eine laute Stimme etwas leiser zu machen. Wäre der Beitrag also tatsächlich eine so große Sache, wenn sie sich politisch mehr nach rechts orientieren würden? Schon dieser Eindruck sollte möglichst nicht entstehen.
Die RBB-Intendantin Ulrike Demmer betont heute in einem Interview Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite, dass sie die Klage der Sender für richtig hält. Sie sagt:
"Die Festlegung des Rundfunkbeitrags folgt einem staatsfernen Verfahren. Wir leben in einem Rechtsstaat, in dem sich alle an die Regeln halten müssen, auch die Regierungen."
Auf Hanfelds Rückfrage, ob es nicht klüger wäre, zu sagen, wir verzichten zwei Jahre lang auf einen höheren Beitrag, dann käme ein neues Verfahren, und da hätten die Länder noch weniger Einfluss, sagt sie:
"Der RBB würde, wenn wir jetzt nicht handeln, 2026 in die Zahlungsunfähigkeit laufen. Wir haben erkannt, dass wir uns reformieren müssen, und wir tun es – ohne auf den gestiegenen Rundfunkbeitrag zu warten. Gleichwohl bin ich davon überzeugt, dass er wichtig und richtig für einen funktionierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist. Abgesehen davon würde sich jede Geschäftsführung angreifbar machen, wenn sie auf Einnahmen verzichtete, die dem Unternehmen rechtmäßig zustehen."
Ende des Exkurses zur Frage, wie beruhigend es ist, dass die Regierung über den Umweg einer staatsfernen Medienaufsicht etwas gegen Hass, Hetze und Desinformation machen will.
Gemeinnützigkeit, hello again
Darüber hinaus liest sich der Koalitionsvertrag ein bisschen wie ein Buzzword-Bingo, in dem man möglichst alles irgendwie unterbringen wollte. Vielfalt, Gemeinnützigkeit, Demokratie. Aber natürlich, es ist ein Koalitionspapier, es geht nur um die groben Pläne, doch auch gemessen daran bleibt vieles sehr vage.
Wenn die Desinformationsbekämpfung so wichtig ist und man an die Pressefreiheit glaubt, wäre es dann nicht sinnvoller, sicherzustellen, dass in der Medienlandschaft aus den im vergangenen Jahr identifizierten Steppen keine Wüsten werden?
Über eine Zustellförderung für Tageszeitungen ist dem Eindruck nach nicht sehr lange diskutiert worden, denn dann wäre aufgefallen, dass der Satz im Koalitionsvertrag so, wie er da steht, gar keinen Sinn ergibt. Dort steht, oben auf Seite 123:
"Die Herausforderungen der Zustellung der Zeitungen werden wir mit den Verlagen erläutern."
Gemeint ist vermutlich "erörtern". Und das sollte man tatsächlich in Erwägung ziehen. Allerdings halten Fachleute wie der Medienwissenschaftler Christopher Buschow eine Zustellförderung eher für ein Mittel, das den Versuch unternimmt, die Zeit anzuhalten. Notwendig wäre seiner Meinung nach eine Förderung, die Anreize für Innovationen gibt. Und was steht dazu im Koalitionsvertrag?
Nicht so viel. Die digitale Realität von Medien ist eher ein Nebenschauplatz, und das ist eine sehr wohlwollende Beschreibung, denn im Grunde kommt die digitale Transformation von Medien gar nicht vor.
Vielleicht ist es zu viel verlangt, ein paar Worte zu den Mechanismen der Plattformökonomie und der strukturellen Abhängigkeit vieler Medienangebote von Google, Meta oder Tiktok zu erwarten. Nur, so bleibt der Eindruck, dass das alles überhaupt keine Rolle spielt. Okay, die Parteien kündigen eine "Abgabe für Online-Plattformen an, die Medieninhalte nutzen". Falls man da noch einen Namen sucht, könnte der zum Beispiel lauten: Leistungsschutzrecht. #nostalgie #symbolpolitik
Obwohl der Koalitionsvertrag nur als pdf-Datei vorliegt, riecht er doch sehr nach moderigem Papier. Bleiben wir bei den Dingen, die fehlen. Im letzten Satz steht:
"Wir setzen uns für sichere und gute Arbeitsbedingungen für Journalistinnen und Journalisten ein und schützen sie besser, indem sie eine Auskunftssperre im Melderegister erwirken können."
Das ist gut, aber das war’s dann auch schon. Kein Wort zu strukturellen Problemen im Journalismus, zu prekärer Beschäftigung, ökonomischem Druck und der Abhängigkeit der Redaktionen von Werbekunden oder Stiftungen. Oder doch, Moment:
"Im Sinne der flächendeckenden Versorgung mit journalistischen Angeboten schaffen wir mit Blick auf die Gemeinnützigkeit Rechtssicherheit."
Da war doch was. Oder? Ach ja, vor vier Jahren hieß es (auf Seite 97):
"Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus (…)"
Und hier wird deutlich, dass die Ankündigungen im Koalitionsvertrag keine Versprechen sind, sondern eher vage Absichtserklärungen, denen die Wirklichkeit immer noch dazwischenstolpern kann.
Freiheit nach Vorschrift
Im Falle der europäischen Slapp-Richtlinie (Altpapier), die es erschweren soll, Medien mit Klagen einzuschüchtern, hat die Koalition die Absicht allerdings mit einem Wörtchen konkretisiert. Deutschland muss die Richtlinie ohnehin umsetzen, doch das soll laut Koalitionspapier "zeitnah" passieren,
"um zu verhindern, dass unser Rechtsstaat und unsere Justiz zur Einschüchterung, zum Beispiel von Journalisten sowie zivilgesellschaftlich Engagierten, missbraucht werden".
Einen aktuellen Fall erwähnte René Martens gestern im Altpapier. Der junge österreichische Alt-Bundeskanzler Sebastian Kurz hat dem "Falter" eine Kanzlei auf den Hals gehetzt, um Berichte über seine privaten Geschäfte und Verbindungen zu verhindern.
Was steht sonst noch im Koalitionsvertrag? Das Team von netzpolitik.org gibt einen umfangreichen Überblick über das Spektrum der Digitalthemen. Alexander Frei fasst für das Medienmagazin dwdl.de etwas kürzer die wichtigsten medienpolitischen Punkte zusammen.
Die neue Bundesregierung will zum Beispiel das Filmförderungsgesetz reformieren, damit in Deutschland mehr Filme gedreht werden. Das soll unter anderem mit Investitionsanreizen und einer Investitionsverpflichtung passieren. Innovationsverpflichtung bedeutet: Streamingdienste und Sender müssen einen Teil ihrer Einnahmen in die Produktion von Filmen und Serien im jeweiligen Land investieren.
Ein weiterer Punkt ist: Es soll keine neuen Werbeverbote geben, vor allem keine Einschränkungen von Werbung für ungesunde Lebensmittel, wie die Ampel sie angekündigt hatte. Der Koalitionsvertrag bezieht sich nicht explizit darauf, aber das ist der Hintergrund.
An dieser Stelle wird eine Ambivalenz deutlich, die sich auch in der Medienpassage zeigt. Auf der einen Seite steht das Bekenntnis zur Freiheit, im Falle der Medien zur Pressefreiheit. Doch im Grunde möchte man den Menschen doch nur dort Freiheit gewähren, wo sie im Einklang mit der eigenen Überzeugung steht.
Ein kurzer Schritt heraus aus dem Medienkosmos. Bei Schwangerschaftsabbrüchen ist keine Liberalisierung geplant, das Cannabis-Gesetz soll evaluiert werden, es steht also auf der Kippe. Auf dem Medienmarkt geht es vor allem darum, das zu schützen, was schon da ist. Und das Neue? Ja, das hat die Freiheit, sich zu überlegen, wie es sich auch ohne innovationsfreundlichen Rahmen gegen das Alte durchsetzen kann.
Altpapierkorb (Klar, AP-Urteil, New York Times, Starlink-Ersatz, Faeser-Urteil, Lisa-Maria Kellermayr, Medienrat)
+++ Der NDR und der BR starten mit "Klar" ein gemeinsames Reportagemagazin, das sich mit kontroversen Themen auseinandersetzen will, die die Gesellschaft spalten oder polarisieren, berichtet Timo Niemeier für dwdl.de. In der ersten Folge geht es um Migration. Allerdings spaltet schon das Format selbst. Der für den NDR arbeitende Journalist Daniel Broeckerhoff schreibt bei "Threads": "Aus irgendeinem Grund haben es Verantwortliche des NDR für eine gute Idee gehalten, eine Doku-Reihe namens ‚Klar‘ zu pilotieren, in der schon in der ersten Folge rechtspopulistische Takes normalisiert werden." Die Dramaturgie der Reportage ist tatsächlich unglücklich. Der Film bemüht sich zwar immer wieder, rechte Narrative einzuordnen, emotionalisiert aber so sehr in die andere Richtung, dass die Einordnung darin ziemlich untergeht.
+++ Ein US-Bundesgericht hat entschieden, dass das Weiße Haus der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) wieder Zugang zu Terminen mit Präsident Trump gewähren muss, berichtet unter anderem "epd Medien" (Altpapier). Der Richter, der von Donald Trump ernannt worden war, habe sich dabei auf die in der US-Verfassung garantierte Pressefreiheit berufen und betont, dass Journalisten nicht wegen ihrer Ansichten ausgeschlossen werden dürften. Die Nachrichtenagentur begrüßte die Entscheidung als wichtigen Sieg für die Pressefreiheit. Dass das Weiße Haus das jetzt einfach so hinnehmen und akzeptieren wird, erscheint allerdings nicht ganz so wahrscheinlich.
+++ Der "New York Times"-Verleger Arthur G. Sulzberger macht sich Sorgen um den Zustand der Presse- und Meinungsfreiheit in den USA. Donald Trump sei "längst hinter uns her", sagt er im Interview mit dem "Stern". Sulzberger rechnet damit, dass der Druck auf Medien in den USA noch größer wird, sieht seine Zeitung aber gut vorbereitet. Sulzberger: "Trump kann uns nicht einschüchtern.”
+++ Die Europäische Union sucht nach einer Alternative zum von Elon Musk kontrollierten Satelliteninternetdienst Starlink und setzt dabei auf die französische Firma Eutelsat, berichtet Alexander Bühler für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres". Der Anbieter ist hochumstritten. Trotz westlicher Sanktionen arbeite Eutelsat weiterhin mit russischen Medienunternehmen zusammen, die Kriegspropaganda und Desinformation verbreiten – auch in die von Russland besetzten ukrainischen Gebiete. Eine Alternative zu Eutelsat sieht Bühler allerdings nicht.
+++ Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat Anzeige gegen den rechten Publizisten David Bendels erstattet, weil der ein manipuliertes Bild veröffentlicht hatte, das Faeser mit dem Slogan "Ich hasse die Meinungsfreiheit" zeigt, berichtet Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite. Das Amtsgericht Bamberg verurteilte Bendels wegen politischer Verleumdung zu sieben Monaten auf Bewährung, einer Geldstrafe, und – für ihn wahrscheinlich am schlimmsten – er muss sich schriftlich bei Faeser entschuldigen. Das alles kann man auch ohne Sympathien für Bendels kritisch sehen. Das Verfahren geht relativ wahrscheinlich in die nächste Instanz und könnte dann sogar vor dem Bundesverfassungsgericht landen.
+++ Das Landesgericht Wels hat einen Impfgegner im Zusammenhang mit dem Suizid der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr vom Vorwurf der gefährlichen Drohung mit Todesfolge freigesprochen, da man keinen direkten Zusammenhang habe nachweisen können, schreibt Verena Mayer für die "Süddeutsche Zeitung". Der Prozess habe allerdings eine komplexere Wahrheit offenbart: Kellermayr habe seit ihrer Jugend unter schweren psychischen Belastungen gelitten, ihre Suizidabsichten seien in ihrem Umfeld oft ignoriert worden.
+++ Der geplante Medienrat, auf den sich die Bundesländer im Reformstaatsvertrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk geeinigt haben, soll ab Dezember 2025 die Auftragserfüllung von ARD, ZDF und Deutschlandradio evaluieren, schreibt Volker Nünning für das Verdi-Medienmagazin "Menschen Machen Medien". Der Medienrechtler Wolfgang Schulz begrüßt laut Nünning die Idee grundsätzlich, er warne jedoch vor möglichen Überschneidungen mit bestehenden Gremien und unklaren Aufgaben. Der Medienrat soll alle zwei Jahre Berichte zur Auftragserfüllung vorlegen. Er soll aus sechs unabhängigen Fachleuten bestehen, bislang sei jedoch weder klar, wie der Rat arbeiten werde, noch, wer in ihm sitzen wird.
Das Altpapier am Freitag schreibt Klaus Raab.