Kolumne: Das Altpapier am 23. April 2025 Feinde anlocken, Freunde vergraulen
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23. April 2025, 13:33 Uhr
Ein Historiker greift das ZDF an und das ZDF ihn. Die BBC lässt sich zur Prime Time im eigenen Programm kritisieren. Ein neues Buch würdigt den Mann, "der den deutschen Popjournalismus erfand". Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
"Viele Medien haben sich in den letzten Monaten die Migrationsfeindlichkeit der AfD angeeignet"
Am Dienstag sind wir an dieser Stelle am Rande bereits auf eine Äußerung des Historikers Jens-Christian Wagner eingegangen, der den vorauseilenden Gehorsam eines öffentlich-rechtlichen Senders gegenüber der AfD kritisierte.
Im Gespräch mit Jonas Mueller-Töwe von t-online.de stellt Wagner, der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Weimar, nun klar, worum genau es ging: um ein Interview mit dem ZDF. Wagner sagt:
"Es ging (darin) um die Frage, wie Deutsche die Konzentrationslager und ihre Insassen wahrgenommen haben. Deswegen ging es um Kriminalisierungsdiskurse gegenüber den Ausgegrenzten, gegenüber den KZ-Häftlingen, die in der Propaganda der Nationalsozialisten als gefährliche Feinde und Verbrecher markiert wurden. Dabei habe ich einen Aktualitätsbezug hergestellt: Solche Kriminalisierung erlebt man unter anderen Vorzeichen auch heute."
Dann, so Wagner, habe er "über den migrationsfeindlichen Diskurs gesprochen, den es mittlerweile nicht mehr nur in der AfD gibt, den die Partei aber maßgeblich geprägt hat (…) Dass Migration nur noch als Gefahr für die öffentliche Sicherheit beschrieben wird, ist Hetze. Das hat dazu beigetragen, dass viele Menschen die AfD gewählt haben".
Die entscheidende Passage des Interviews lautet schließlich:
"Die Journalistin sagte mir dann, ich solle das gern noch einmal sagen, aber ohne die AfD zu erwähnen. So etwas habe ich nie zuvor erlebt."
Nach allem, was wir gesichert wissen, wäre das ein singulärer Vorfall, denn Vergleichbares hat bisher zumindest öffentlich noch niemand berichtet, der von einem öffentlich-rechtlichen Sender interviewt wurde.
Mittlerweile hat das ZDF darauf reagiert. Jonas Mueller-Töwe zitiert daraus in einem weiteren Beitrag:
"Im konkreten Fall bat die Autorin den Interviewpartner darum, den Vergleich zur AfD wegzulassen, da sich der rund 1:52 Minuten kurze 'heute'-Beitrag inhaltlich auf die historische Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen vor 80 Jahren konzentrierte und nicht die aktuelle parteipolitische Auseinandersetzung mit der AfD zum Thema hatte."
Der Hinweis auf die Kürze von Beiträgen in Nachrichtensendungen ist so richtig wie banal. Ansonsten verfängt die Argumentation des ZDF aber nicht. Denn: Das Sprechen über den Nationalsozialismus und die Befreiung davon ist natürlich wesentlich weniger instruktiv, wenn man keinen Bezug zur AfD nimmt. Wer über gestern nur reden will, ohne über heute zu reden, kann es auch sein lassen.
Jens-Christian Wagner hat in dem Gespräch mit t-online.de das ZDF aber nicht nur kritisiert, sondern auch betont, dass er dort "bislang immer Ross und Reiter genannt" habe. In einem anderen Interview mit dem ZDF (am 4. April im "Morgenmagazin") hat Wagner den Geschichtsrevisionismus der AfD tatsächlich sehr wohl benennen können (ab 6:40).
Man sollte das Interview, das Wagner t-online.de gegeben hat, ohnehin nicht nur auf den Vorfall reduzieren, den das ZDF offiziell anders wahrgenommen hat als er. Lesenswert ist es auch wegen der generellen Medienkritik, die Wagner hier übt:
"Demokratische Parteien und viele Medien haben sich in den letzten Monaten (…) die Migrationsfeindlichkeit der AfD angeeignet."
Ich würde diese maßgebliche Fehlentwicklung des deutschen Journalismus wahrscheinlich mit weniger akademischen Worten beschreiben, sondern von einem rassistischen Dauerfeuer sprechen. Und ich gehe auch eher davon aus, dass sich Journalisten Rassismus nicht "aneignen" müssen, sondern dass sie froh sind, dass sie ihn heute freier ausleben können als in zivilisierteren Zeiten.
Gary Lineker inspiriert die Kritiker des ÖRR
Ein anderes Interview, das derzeit in deutschen Timelines häufig mit Bezug auf deutsche Verhältnisse zitiert wird, lief am Dienstag um 19 Uhr bei BBC Two. Ich erwähne Sendeplatz und Sendezeit nicht zuletzt deshalb, weil sie für die Einordnung des Interviews nicht unmaßgeblich sind. Geführt hat es der BBC-Mitarbeiter Amol Rajan mit dem BBC-Mitarbeiter Gary Lineker (Altpapier), und offenbar hat es aufmerksamkeitsökonomisch generell gut funktioniert.
Lineker redet hier (nachzulesen bei "The Independent") unter anderem über das bevorstehende (und schon vor Monaten verkündete) Ende seiner Tätigkeit für die zu Recht als legendär bezeichnete Sendung "Match of the Day" und sagt, dass er gern weiter gemacht hätte. Er formuliert weitere Kritik an der BBC (für die er weiterhin arbeiten wird), stellt Hausregeln in Frage, fragt zum Beispiel, warum er als "Freiberufler", der "immer eine ehrliche Meinung über die Dinge hatte", "unparteiisch" sein müsse. Und schließlich dann die viel zitierte "Stelle":
"(Es) ist der Fehler der BBC, (dass sie) versucht, die Leute zu besänftigen, die die BBC hassen, die Leute, die immer über die Rundfunkgebühr reden und die BBC angreifen. Darüber machen sie sich viel zu viele Gedanken, anstatt sich um die Menschen zu kümmern, die die BBC lieben, was die große Mehrheit ist."
Dass dieses Zitat viel kursiert, liegt nahe, denn der Eindruck, dass ARD und ZDF das tun, was Lineker an "seiner" BBC kritisiert, ist nicht von der Hand zu weisen: Sie versuchen, ihren Gegnern zu gefallen (die ihnen das niemals positiv anrechnen werden) und vergraulen ihre Freunde. Um nicht missverstanden zu werden: Dass ARD und ZDF versuchen, Zielgruppen U50 zu erreichen (die sie bisher zu wenig erreichen), ist nicht nur legitim, sondern notwendig. Aber man muss dafür kein feindfreundliches Programm machen.
Man kann ja viel gegen die BBC sagen. Hier zu Lande wäre so etwas aber kaum vorstellbar: ein Prime-Time-Interview mit einem sehr prominenten Mitarbeiter, der künftig weiterhin für ARD oder ZDF arbeiten wird, aber in wenigen Wochen gegen seinen Willen einen dieser Jobs aufgeben muss, und der dann erstens den Umgang mit seiner Person und dann auch noch das Selbstverständnis des Hauses kritisiert.
Wenig Waschen, viel Niveacreme
Wir gehen ja hier hin und wieder auf Bücher von Journalisten oder Bücher über Journalismus ein, und in der Regel haben sie einen Bezug zu den Themen, die wir im Altpapier regelmäßig verhandeln. Letzteres lässt sich über das Buch "Die Wahrheit über Kid P. Wie ein Hamburger Punk den deutschen Popjournalismus erfand", das ausgewählte Texte des 2021 verstorbenen und zunächst unter dem Pseudonym Kid P. bekannt gewordenen Autors Andreas Banaski versammelt, zwar nicht sagen. Was sich aber sagen lässt: Wer in diesem Jahr nur ein Irgendwas-mit-Journalismus-Buch liest, lese dieses. Am morgigen Donnerstag wird es in Hamburg vorgestellt.
Der Buchtitel bezieht sich auf eine kleine gnadenlose Städtereportage-Reihe, die 1982 unter dem Autorennamen Kid P. in der mit dem Wort "einflussreich" eher banal beschriebenen Zeitschrift "Sounds" erschienen sind. Die meisten der Texte, die in "Die Wahrheit über Kid P." wiederveröffentlicht werden, stammen übrigens aus Zeitschriften, die es nicht mehr gibt ("Sounds", "Spex", "Elaste", "Tango").
Banaski war einst unter anderem Dokumentar bei der Zeitschrift "Tempo" (die er scheiße fand), und ich war dort eineinhalb Jahre lang Redakteur. Ohne ihn wäre ich nie auf den heute (wieder) sehr aktuell wirkenden Protestsänger Phil Ochs (1940-1976) gestoßen.
Diedrich Diederichsen schreibt in einem der beiden Vorworte: Banaski war eine "im deutschen Journalismus bis heute komplett singuläre Type". Und in einer der Kapiteleinleitungen (die für Leute, die heute zum ersten Mal einen Kid.P-Text von 1982 lesen, notwendig sein dürften), schreibt Hans Nieswandt:
"Viele seiner Formulierungen aus den 'Wahrheiten' habe ich immer noch parat, ähnlich Zitaten von vergleichbaren Großinfluecern wie Erika Fuchs, Oscar Wilde oder Thomas Bernhard."
Das geht mir tatsächlich genau so, obwohl es sich wohlgemerkt um Texte handelt, die vor 43 Jahren erschienen sind. Eines dieser Zitate (aus "Die Wahrheit über Hamburg!") lautet:
"Der schwergewichtige Karikaturistensohn Markus Oehlen (25, Kunstmaler, ein echter Oehlen in der Größe 2x3 m liegt bei 8.000,-) verbringt seine Freizeit mit Alkohol ('muß trinken'), Wichsen und penibler Körperpflege ('wenig Waschen, viel Niveacreme')."
Heute würde man das vielleicht als Persiflage auf exzessiven Personality-Journalismus lesen, aber so war es nicht gemeint, vielmehr sah Banaski "Klatsch als eine legitime Erkenntnisquelle" (noch einmal Diedrich Diederichsen). Auf "Wenig Waschen, viel Niveacreme" habe ich Markus Oehlen später mal in der Kneipe angesprochen, aber was er gesagt hat, habe ich vergessen.
Am ausführlichsten gewürdigt wurde das Buch bisher in der vorvorigen Wochenendausgabe des ND - mit gleich zwei Beiträgen: mit einem vorher nie veröffentlichten Interview mit Banaski aus 2009 und einer langen Rezension. Dort schreibt Frank Jöricke:
"Wie Banaski (….) in seinen Nebensätzen, Einschüben und Klammern immer wieder neue Fässer aufmacht und dabei Verknüpfungen zwischen Fußballeuropameisterschaften, alten Hollywoodfilmen und Politik herstellt – das ist ein Fest für Freunde des assoziativen Denkens".
Möglich war das alles nur deshalb, weil Andreas Banaski keine journalistische "Ausbildung" hatte - erst recht nicht an irgendeiner Schule.
Altpapierkorb (Musks Hetzjagd gegen Tesla-Kritikerin, Lob für "Apotheken Umschau", Stiftungskohle für die NZZ)
+++ Darüber, wie Elon Musk der Tesla-Kritikerin Valerie Costa das Leben zur Hölle, und "dass die meisten Opfer von Musks Hexenjagden (…) Frauen (sind), berichtet die FAZ.
+++ Lässt sich was Positives über die "Apotheken Umschau" sagen? Durchaus, findet Kathrin Hollmer ("Übermedien"): "Expertinnen sind in den meisten Medien in der Unterzahl (…) Beim Wort & Bild Verlag, zu dem unter anderem die 'Apotheken Umschau' gehört, ist das anders. In kaum einem Publikumsmagazin tauchen so viele Fachleute auf."
+++ Brost-Stiftung, how low you can go? Von eben dieser Stiftung bekommt die NZZ in dem kommenden drei Jahren 500.000 Euro jährlich für den Podcast "Machtspiel". Darüber berichtet kress.de. Gäbe es nicht geeignetere Empfänger für Journalismusförderung durch Stiftungsgelder?
Das Altpapier am Donnerstag schreibt Christian Bartels.