Kolumne: Das Altpapier am 24. April 2025 Erdnüsse, Vorschlag, Hammer
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24. April 2025, 10:02 Uhr
Sind die EU-Strafen gegen Apple und Meta hoch oder nicht so? Sollten Europäer versuchen, Googles Chrome zu kaufen? Weiter Spannung versprechen öffentlich-rechtliche Intendantenwahl-Bemühungen. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Die EU fletscht Zähnchen
0,7 Milliarden Euro – rein nachrichtlich klingt das derzeit nicht nach seehr viel Geld. Weder aus Sicht der Politik, die in Deutschland trotz weiter steigender Steuereinnahmen in Gesamthöhe von pro Jahr gut zwei Billionen Euro noch mühselig zusätzliche Abermilliarden-Pakete auf die Beine stellte, noch aus Sicht großer Plattform-Konzerne. Apple etwa erzielt inzwischen dreistellige Milliarden-Umsätze und zweistellige Milliarden-Gewinne pro Quartal. "In normalen Zeiten wäre das eine Schlagzeile im mittleren Aufregerbereich", dass die EU-Kommission nun erstmals das noch junge Digitale-Märkte-Gesetz (englisch abgekürzt DMA) einsetzt, und Strafen in dreistelliger Millionenhöhe gegen Apple und Meta verhängt, kommentiert das "FAZ"-Wirtschaftsressort (Abo). Doch heute steht's in "FAZ" wie "SZ" als wichtigste Meldung groß auf der Titelseite
Exakt soll Apple 500 Millionen Euro zahlen, weil sein App Store Apple-eigene Apps bevorzugt. Und der Facebook-Instagram-Whatsapp-Konzern Meta soll 200 Millionen Euro zahlen, weil er von Nutzern Geld verlangt, damit er "die persönlichen Nutzerdaten nicht kombiniert und zur Personalisierung von Werbung verwendet" (netzpolitik.org). Nun "fletscht" er also doch Zähne, "dieser zahnlose Tiger" EU, sagt der Deutschlandfunk. Und die "taz" zitiert weitere Stimmen EU-Europas:
"Im Europaparlament sprachen sich Abgeordnete aller Fraktionen für härtere Maßnahmen gegen die US-Konzerne aus. 'Nur wenn wir unsere Gesetze entschlossen durchsetzen, werden wir Europas digitale Souveränität sichern', sagte Katarina Barley, die binnenmarktpolitische Sprecherin der Europa-SPD. 'Auch die mächtigsten Digitalkonzerne stehen nicht über dem Gesetz', erklärte ihr CDU-Kollege Andreas Schwab".
Breiter zitiert wird allerdings, was der Meta-Zampano Mark Zuckerberg verlauten ließ und über Apples Reaktionen ("... dass die Europäische Kommission Apple in unfairer Weise mit einer Reihe von Entscheidungen ins Visier nimmt") weit hinaus geht:
"Es sei eine Art milliardenschwerer Zoll, die Kommission zwinge Meta, das eigene Geschäftsmodell zu ändern – hin zu einem minderwertigen Dienst. 'Und durch die ungerechte Einschränkung der personalisierten Werbung schadet die Europäische Kommission auch den europäischen Unternehmen und Volkswirtschaften', schreibt Meta",
zitiert jeweils heise.de. Zuckerberg benutzt also Donald Trumps erklärtes Lieblingswort "Zoll". Droht wieder verschärfter Zollstreit? Nicht unbedingt, wenn man im "SZ"-Titelseiten-Artikel weiterliest:
"Im politischen Kontext fallen zwei Dinge auf: Erstens schien die Kommission ihre Entscheidung aus politischen Erwägungen zu verzögern, was die Behörde am Mittwoch allerdings dementierte. Im Vergleich zu früheren Wettbewerbsverfahren der EU gegen US-Tech-Konzerne, in denen teils hohe Milliardenstrafen fällig wurden, fallen die Bußgelder zweitens niedrig aus. Ein hochrangiger Kommissionsbeamter begründete das einerseits mit der kurzen Dauer der Verstöße – die betrachteten Zeiträume seien eben kurz",
heißt's da. Die "Welt" (Abo) benutzt in der Überschrift die alte Deutsche Bank-Metapher "Peanuts" und nennt die Strafen "überraschend gering", ja, "für die beiden Tech-Konzerne fast irrelevant". Denn gemäß DMA
"hätte die Kommission Bußgelder von bis zu zehn Prozent des weltweiten jährlichen Umsatzes der Unternehmen verhängen können. Bei Apple wären damit knapp 35 Milliarden Euro möglich gewesen, bei Meta rund 15 Milliarden Euro."
Größere Kämpfe (um Chrome?)
Ein Verfahren, das wesentlich härter enden könnte als alles, was selbst ein entschlossenes EU-Europa aufzufahren in der Lage wäre, läuft zugleich vor einem US-amerikanischen Gericht gegen den Meta-Konzern (Altpapier). Insgesamt laufen sogar "sechs Kartellverfahren gegen große Tech-Konzerne", ebenfalls gegen Apple sowie gegen Amazon, Microsoft und zweimal den Google-Konzern Alphabet, listete der socialmediawatchblog.de auf. Herauskommen könnten jeweils "drastische Maßnahmen, die bis zur Zerschlagung reichen".
Klar, dass in den USA Spekulationen sprießen, wer dann was kauft – schon weil Superreiche dort immer noch reicher werden und solchen Einfluss wittern, wie etwa Trump und Elon Musk ihn profitabel einsetzen. Im Falle Alphabet-Googles sieht die "Wirtschaftswoche" (auf Basis verlinkter US-amerikanischer Meldungen) voraus, dass dieser Datenkrake mit den meisten Krakenarmen zwischen der Suchmaschine, Youtube und dem Betriebssystem Android zum Verkauf seines Browsers Chrome gezwungen werden könnte. Und befürchtet, dass als williger Käufer OpenAI den Zuschlag bekommen könnte. Was im Kern noch schlimmer wäre, weil OpenAI als Anbieter der auch in Europa bereits massiv marktdominanten KI ChatGPT ja schon Daten in unübersehbarem Ausmaß saugt. Daher
"sollte Europa größtes Interesse haben, dass Entwickler von Browser- und Suchplattformen mit europäischen Wurzeln selbst als offensive Bieter für die Chrome-Plattform auftreten."
Hm, ob irgendein US-Präsident so was zuließe und schließlich ein Milliarden-, äh ... "Deal" für den Kauf Chromes in die Berechnungen von Zöllen auf Volkswagen und Champagner einer-, Erdnüssen (nun im wörtlichen Sinn) andererseits einfließt?
Jedenfalls wird die Brisanz des Themenfelds steigen. Die Frage, ob der US-amerikanische Rechtsstaat noch funktioniert, wirft frisch ein Erfolg auf, den die Reporter ohne Grenzen mit dem Auslandssender Voice of America erzielten: Ein Bundesrichter hat "die US-Regierung angewiesen, die Abwicklung mehrerer amerikanischer Auslandssender wieder rückgängig zu machen". Aber wird dieses Urteil umgesetzt?
Und die Frage, ob EU-Gesetze doch eine Wirkung entfalten können, die über Augenwischerei und kollaterales Schädigen kleinerer, europäischer Anbieter hinausgeht, wird auf neue Weise in Frankreich gestellt: Dort verklagten "rund 200 französische Medien", darunter große Unternehmen, gemeinsam wiederum Meta "wegen mutmaßlich 'illegaler Praktiken' bei Onlinewerbung" auf Basis der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der EU, meldet der "Standard". (Bloß die Fragen, ob denn der "Digitale-Medien-Staatsvertrag", von dessen Projektierung "epd medien" berichtet, irgendeine sinnvolle Regelung enthalten und in allen sechzehn Landtagen durchkommen wird, wird sich im laufenden Jahrzehnt wohl kaum stellen.)
Chefposten bei DW und NDR zu vergeben
Das Gremium tagt zum Wählen "hinter verschlossenen Türen", und "die Öffentlichkeit wird unmittelbar nach der Wahl informiert" – da geht's um die Neubesetzung eines der global wichtigsten Posten, den des Papstes, in Form eines gerade durch Hollywood-Fame gesegneten Konklaves, ne?
Mitnichten, da berichtete die "Süddeutsche" (Abo) über die Neubesetzung des Intendanten-Postens beim steuerfinanzierten, aber öffentlich-rechtlich strukturierten Auslandssender Deutschen Welle. Parallelen zu katholischen Ritualen liegen freilich dankbar nahe, da dem DW-Rundfunkrat Karl Jüsten vorsitzt, "im Hauptberuf Prälat und Leiter des Katholischen Büros, der Lobbyorganisation der Kirche in Berlin". In diesem Büro befragte eine achtköpfige Findungskommission "sieben von den mehr als 20 Bewerbern" auf den Posten und wählte unter denen genau eine Person aus, will die "SZ" wissen. Am 7. Mai soll der 17-köpfige Rundfunkrat ... äh, ... wählen.
Erstens wirft die "SZ" gern einige Namen aus "wilden Spekulationen" in die Runde, neben der fernseh-prominenten Tina Hassel, deren Findung aber "sehr unwahrscheinlich" sei, auch den "'einer zukünftigen ehemaligen Parteivorsitzenden', den gleich mehrere Personen aus dem Umkreis der Welle in Telefonaten mit der SZ hyperventilieren". Es handelt sich um die Noch-Vorsitzende der wirkmächtigen alten, neuen Bundesregierungs-Partei SPD, Saskia Esken. "Fast jeder Nichtpolitiker im Intendantenbüro wird der Belegschaft als das kleinere Übel erscheinen", gibt Moritz Baumstieger ihr mit.
Zweitens handelt es sich bei dem, was in der DW läuft, um genau das Procedere, das gerade beim NDR nicht funktionierte: Eine mehr oder weniger intransparente Findungskommission nimmt den für öffentlich-rechtliche Anstalten besonders wichtigen Vorgang der Wahl im Sinne von Auswahl insgeheim vorweg und überlässt dem größeren, nominell die Gesellschaft repräsentierenden Gremium bloß noch die Wahl zwischen Ja und Nein. Was bei der NDR-Wahl schief lief, analysierte Diemut Roether für "epd medien" ausführlich. Und sieht dann auch bei den dort anstehenden nächsten Schritten Schwierigkeiten voraus. Der NDR-Verwaltungsrat könnte, wenn er am Montag tagt, dem Rundfunkrat einen neuen Vorschlag machen. Aber:
"Heißt 'Vorschlag' zwangsläufig, dass nur eine Person zur Wahl gestellt werden kann oder könnte ein Vorschlag auch mehrere Personen umfassen? Der Rundfunkratsvorsitzende Fickinger ist der Auffassung, dass das Wort Vorschlag im Singular wörtlich zu nehmen ist. Die Personalräte und der Redaktionsausschuss stellen das infrage. Freilich wird es nicht einfacher, in einem Wahlgang eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu erreichen, wenn mehrere Personen zur Wahl stehen. Und mehrere Wahlgänge, wie in anderen Sendern üblich, sind im NDR-Staatsvertrag nicht vorgesehen."
Dass nach der gescheiterten ersten Wahl jeder Name als "zweite Wahl" gelten dürfte, ist sowieso klar. Insofern könnte der Verwaltungsrat auch die Option wählen, keinen Vorschlag zu machen, denn dann müsste "der Rundfunkrat das Verfahren selbst in die Hand nehmen und neue Kandidatinnen und Kandidaten suchen". Und ein öffentlich besser vermittelbares Verfahren würde beginnen.
Der deutsche Paragraf 188 macht Furore
Gestern wurde hier Gary Lineker aus dem "Independent" zitiert. Britische Blätter genießen eben fast noch so guten Ruf wie der englische Vereins-Fußball. Warum nicht auch den "Economist" zitieren?
"The threat to free speech in Germany/ One of the freest countries in the world takes a hammer to its own reputation",
überschrieb die Wochenzeitung einen Artikel (Abo), dessen Foto Nancy Faeser zeigt, während in der ersten Zeile von Barbra Streisand die Rede ist – des nach ihr benannten Effekts wegen. Das bezieht sich auf das vorige Woche hier erwähnte Bamberger Urteil wegen "Politikerbeleidigung" nach § 188 StGB. Die "Welt" fasst übersetzend zusammen und referiert, dass die Briten begründete deutsche Besonderheiten wie die Strafbarkeit von Holocaustleugnung selbstverständlich respektieren.
"Damit reiht sich Deutschland laut 'The Economist' zwar nicht in autoritäre Staaten ein – doch das Land bewege sich in einer Grauzone, in der staatliche Eingriffe zunehmend politische Kritik und Satire treffen könnten",
lautet die Schlussfolgerung. Immerhin, klassische deutsche Medien erkennen und benennen das Grotesk-Kontraproduktive des wirkmächtigsten Digitalmedien-Gesetzes allmählich auch. "Der Paragraf 188 Strafgesetzbuch sollte ersatzlos gestrichen werden" fordert im aktuellen "Spiegel" ein Leitartikel (Abo):
"Es ist wichtig, die Persönlichkeitsrechte von Politikern zu schützen, damit Menschen sich trauen, sich für Staat und Gesellschaft einzusetzen. Die Fälle von Habeck und Faeser haben in der Öffentlichkeit aber eher Unverständnis und Verunsicherung ausgelöst. Der Paragraf 188 wird damit zum Bumerang für den Rechtsstaat. Und die AfD nutzt dies. Ende vergangenen Jahres forderte sie, die fragwürdige Norm vollständig zu streichen. Vermutlich ist die Partei aber geradezu froh, dass es diese besondere Strafvorschrift gibt",
Huch. Müsste also etwas, was die AfD fordert, in der Annahme, dass sie es anders meint, erfüllt werden? Die AfD braucht gar nicht beachtet zu werden, um das Politikerbeleidigungs-Gesetz in der aktuellen Form schwachsinnig zu finden, würde ich sagen.
Jedenfalls drängt es. Auch weil gegen den Rentner, der Robert Habeck "Schwachkopf" nannte und damit zeitversetzt recht weltweit viral ging, nun wegen "anderer Veröffentlichungen in sozialen Medien" eine weitere Gerichtsverhandlung ansteht, wohl ebenfalls in Bamberg. Was die "Welt" (Abo) darüber berichtet, scheint eine Verbesserung des Diskursklimas in sog. soz. Medien mit vergleichsweise geringem Wert zu versprechen – aber jeder Menge Potenzial, um national wie international gegen den deutschen Rechtsstaat verwendet zu werden.
Altpapierkorb (Verantwortungsspreizung, Rundfunkbeitrags-Fragen, René Benko, Uwe Johnson, "Klar", Fernsehkrimimorde)
+++ "Nicht weniger, sondern noch mehr Verantwortungsspreizung" bringen die von der ARD verkündeten neuen Regeln für Moderatoren-Castings, meint Ex-Altpapier-Autorin Annika Schneider bei uebermedien.de (Abo). +++
+++ "Während die ARD mit ihren Geburtsfehlern kämpft, ist das ZDF in der Streaming-Welt angekommen", kommentiert Helmut Hartung auf medienpolitik.net mehrere Äußerungen von Vertretern beider Anstalten. Das neulich schon erwähnte "epd medien"-Interview mit dem noch recht wenig interviewten ARD-Vorsitzenden Florian Hager nennt er "bemerkenswert, weil konstruktiv und realitätsnah". Dagegen kritisiert er Podcast-Aussagen des ZDF-Verwaltungsrats Leonhard Dobusch wie "Unser Wohlstand wächst, warum soll der Anteil für das öffentlich-rechtliche Medienangebot sinken?" (auch "epd medien", mit Link zur entsprechenden "Läuft"-Folge). Dieser Satz dürfte in der Tat nicht unbedingt eine Mehrheitsmeinung widerspiegeln. +++
+++ "Ein Urteilsspruch scheint in weiter Ferne" schreibt Hartung dann in der "FAZ" (Abo) zur Gemengelage rund um den Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag und die beim Verfassungsgericht liegende Rundfunkbeitragserhöhung. +++
+++ "Würden etwa alle öffentlichen Mittel aus dem Printmarkt gezogen – Inserate, Förderungen, indirekte Medienbegünstigungen – könnte von den derzeit nur noch ein Dutzend Tageszeitungen wohl nicht einmal die Hälfte mit ihren Verlagen noch eine Weile überleben", zitierte das "FAZ"-Wirtschaftsressort (Abo) den Kommunikationsforscher Andy Kaltenbrunner in einem Artikel über den österreichischen Pressemarkt nach dem Absturz René Benkos. Der war auch in österreichische Medien kräftig investiert. +++
+++ Daran, dass Uwe Johnson "1964 ein halbes Jahr lang" Sendungen des DDR-Fernsehens rezensierte, erinnert im "Tagesspiegel" (Abo) Gerrit Bartels. +++
+++ "Das 'Wir über uns und die anderen' ist jenseits des kleinen medienjournalistischen Zirkels für die meisten Redaktionen eben Neuland" schrieb Steffen Grimberg für KNA-Mediendienst/turi2.de über das heftig diskutierte neue ARD-Format "Klar". Und kündigte schon mal an, dass es wohl kaum einen Grimme-Preis bekommen wird. +++ "Endlich ein Ende der 'Verengung des Meinungsspektrums' bei den öffentlich-rechtlichen Sendern? Ja, bitte, aber dann doch so, dass man nicht die Partitur der Wütenden einfach übernimmt", meint "Telepolis". +++
+++ "Bis zu 2000 Tötungsdelikte zählen die Fachleute Jahr für Jahr in Krimis am Bildschirm – das Dreifache der im Jahr 2024 668 realen Fälle von 'vollendetem' Mord und Totschlag in Deutschland, die ihrerseits einen Bruchteil des Höchstwerts von 1993 darstellen", schreibt Jan Freitag auf der "SZ"-Medienseite (Abo) zur Doku "Volk in Angst: Wie mit Verbrechen Politik gemacht wird". Die ARD strahlt sie heute abend gleich nach dem Donnerstagskrimi "Mord in Wien – Der letzte Bissen" (um einen "Doppelmord an zwei hohen Staatsbeamten im Wiener Wald") aus.
Das nächste Altpapier schreibt am Freitag Ben Kutz.