Eure Geschichte Die Lage der Frauen in den östlichen Bundesländern nach 1990
Hauptinhalt
06. Oktober 2023, 21:29 Uhr
"Wir hatten da so einen Spruch über dem Drucker zu hängen: Was uns nicht umbringt, macht uns stark", erinnert sich Viola Klein, Unternehmerin und "Ost-Frau". Wie erging es den Frauen in den östlichen Bundesländern nach 1990?
Als das Leben in der DDR nach 1990 bewertet und kritisch hinterfragt wurde, hatte kaum noch etwas Bestand. In einem war man sich jedoch in Ost wie West weitgehend einig: Auch wenn vieles nicht gut gewesen ist – zumindest die Frauen seien in der DDR gleichberechtigt gewesen. Sie galten als gut qualifiziert, ihre selbstverständliche Berufstätigkeit wurde bewundert. So mancher kam sogar zu dem Schluss, dass das 'Beste an der DDR' die Frauen seien.
Mit diesen Worten begann Anna Kaminsky, Historikerin und Autorin des Buches "Frauen in der DDR", am 17.10.2019 einen umfangreichen Artikel in der NZZ. Während die Forschung zum Thema "Frauen in der DDR" auf einer breiten Literaturgrundlage beruht, gibt es für die Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung nur sehr wenige statistisch und wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zur Lage der Frauen im Osten Deutschlands.
Die Frauen in der DDR arbeiteten
Frauen in der DDR trugen noch 1989 gut 40 Prozent zum Familieneinkommen bei. Der übergroße Teil von ihnen war vollzeitbeschäftigt.
Die einsetzende "Deindustrialisierung" weiter Regionen Ostdeutschlands traf vor allem die – zum Zeitpunkt der Wende – 50- bis 60-jährigen Frauen besonders hart. Sie verschwanden als erste größere Gruppe vom Arbeitsmarkt. Viele beendeten ihr Berufsleben in "Auffanggesellschaften" bzw. "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen" des Arbeitsamtes.
Kaum Arbeit für Frauen nach der Wende
Die Zahl derer, die in der Folgezeit in Depression und/oder Alkoholismus abrutschten, ist weder statistisch noch wissenschaftlich seriös untersucht worden. Die Gruppe der Ost-Frauen im gebärfähigen Alter reagierte – bewusst oder unbewusst – auf die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Unsicherheiten auf eine ganz besondere Weise: Die Geburtenrate verringerte sich bis 1994 auf einen Stand von knapp 0,8 Kindern je Frau. Zu DDR-Zeiten schwankte sie zwischen 2,4 bis 1,4 Kindern je Frau.
Der überwiegende Teil jener 750.000 jungen, meist gut ausgebildeten und motivierten Menschen, die in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre den "Verlockungen" des Westens folgten und Arbeit in den alten Bundesländern fanden, waren Frauen.
Frauen, die blieben...
Diejenigen, die blieben, sahen sich auf dem fast leeren Arbeitsmarkt starken Benachteiligungen ausgesetzt. So wurden von 100 Stellen 40 für Männer, 49 geschlechterneutral und ganze elf explizit für Frauen angeboten. Mehr oder weniger freiwillig fügten sie sich in die Rolle der Hausfrau und Mutter, die in der Bundesrepublik jener Tage im Vergleich zur untergegangenen DDR verbreiteter war.
Rechtliche Stellung nach 1990
Ein Blick auf die rechtliche Stellung der Frauen nach 1990 soll dies deutlich machen. Das Recht auf Arbeit für alle wurde nicht in die bundesdeutsche Verfassung übernommen, die Gleichstellung dauerhafter Lebensgemeinschaften, mit und ohne Trauschein, sowie die Fristenregelung beim Schwangerschaftsabbruch ebenso wenig. Der neue Artikel 3 des Grundgesetzes fordert die Regierung lediglich zu einer aktiven Gleichstellungspolitik auf, ein Prozess, der erst im letzten Jahrzehnt wieder an Dynamik zugelegt hat.
Kindergärten sollten aus dem Boden wachsen
Dem Versuch, die ehemals flächendeckende Versorgung mit Kindergärten/-tagesstätten im Osten zurückzufahren, widersetzten sich die meisten der neuen Länder erfolgreich, wenn auch unter großen finanziellen Belastungen und lange Zeit unter den Vorhaltungen der westdeutschen Länder. Diese mussten allerdings seit Ende der 1990er-Jahre, auch auf Grund der Forderungen der ostdeutschen Frauen in ihren Ländern und Kommunen, gerade hier umsteuern.
Nicht nur die Großstädte traten nahezu in einen Wettbewerb um die größte Kinder- und Familienfreundlichkeit und investierten stark in den Ausbau von Betreuungskapazitäten. Der Bund zog 2013 nach. Er verankerte den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, ohne sich vollends von der traditionellen Familienpolitik zu lösen.
Wandel durch modernisierte Familienpolitik
Dennoch lassen sich gerade in den Bundesländern Ostdeutschlands die Folgen der Modernisierung der Familienpolitik und der damit einhergehende Wandel kultureller Normen gut nachweisen.
Die Kombination aus guter Kinderbetreuung und hoher sozialer Akzeptanz von arbeitenden Frauen bis hinauf in die Führungsetagen der Unternehmen führt hier zu einem hohen Grad an Teilnahme am Arbeitsleben.
Auch führte es zu einem stetigen Wiederanstieg der Geburtenrate seit 1994. Mit einem Wert von 1,6 Kindern je Frau übertrifft sie gegenwärtig sogar knapp den der Frauen in westlichen Bundesländern.
Im Osten arbeiten mehr Frauen
Auch wenn sich der Anteil der erwerbstätigen Frauen in den ostdeutschen Ländern noch nicht wieder auf dem Niveau von vor 1989 bewegt, arbeiten heute doch wieder mehr Frauen in Vollzeit als in den westlichen Bundesländern.
Innerhalb dieser Gruppe sind es die alleinerziehenden Mütter und deren Kinder, die nach der Wende ein enormes Armutsrisiko zu tragen hatten. Ihre massive rechtliche und finanzielle Benachteiligung wurde erst 2017 mit einer Reform des Unterhaltsrechts etwas abgemildert.
Frauen in Führungspositionen
Frauen nahmen 2018 knapp 30 Prozent aller Führungspositionen in Deutschland ein. Ihr Anteil hat damit seit 2012, dem Zeitpunkt der Einführung der aktuellen Klassifikation, nur um 0,8 Prozentpunkte zugenommen.
Laut einer gemeinsamen Studie von MDR und RBB gab es 2019 in den Vorständen deutscher DAX-Unternehmen keine ostdeutsche Frau, aber von 168 Führungspersonen in den 100 umsatzstärksten Unternehmen des Ostens 15 Frauen (neun Prozent).
Werden nur die von Ostdeutschen geführten Unternehmen untersucht, liegt der Frauenanteil bei 25 Prozent. Die bekannteste von ihnen dürfte Viola Klein sein. Zur Vertiefung vergleiche auch die Statistiken zur Frauenquote.