Eure Geschichte Beitritt zur BRD: Vom Westen "überrannt"?
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03. März 2022, 18:51 Uhr
Die DDR ist dem Westen und dem Geltungsbereich des Grundgesetzes 1990 beigetreten. Westdeutsche Spitzenpolitiker führen anschließend die ostdeutschen Verwaltungen. Welche Auswirkungen haben die Entscheidungen von damals heute?
Am 13. und 14. Februar 1990 fuhr die DDR-Regierung unter Ministerpräsident Hans Modrow nach Bonn, um Fragen bezüglich der deutschen Einheit zu diskutieren. Obwohl die Delegation vorwiegend aus SED- und Blockparteimitgliedern bestand, waren auch acht Bürgerrechtler als Minister ohne Arbeitsbereich dabei. In der Sitzung des Zentralen Runden Tisches (Erläuterungen dazu finden Sie hier) am 19. Februar 1990 beschrieben diese Teilnehmer später die herablassende Art und Weise, wie sie von der Regierung Kohl empfangen wurden.
Der Teilnehmer Matthias Platzeck sprach von einer "Zumutung", wie der Delegation begegnet worden sei. Der Bürgerrechtler Gerd Poppe, ebenfalls Mitglied der Delegation, stellte fest, dass "nur von Geld die Rede war" und dass er angenommen habe, dass eigentlich "Wertvorstellungen wie Demokratie und Selbstbestimmung eine Rolle spielen, die seit Jahrzehnten dort im Mund geführt werden."
Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung
Für die DDR führte Günter Krause, damals Parlamentarischer Staatssekretär bei Ministerpräsident Lothar de Maizière, die Verhandlungen über die deutsche Einheit, für die Bundesrepublik tat dies Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Es stellte sich heraus, dass Krause in vielen Bereichen mit der westdeutschen Vorstellung von der Art der Vereinigung der beiden deutschen Staaten übereinstimmte und so den Weg für eine weitgehende Übertragung des bundesrepublikanischen Modells auf die DDR freimachte.
Die Volkskammerwahlen vom 18. März 1990 zeigen recht deutlich, dass Krause mit dieser Vorstellung nicht allein war. Die Wahl wurde von der "Allianz für Deutschland", einer Parteienverbindung bestehend aus der ehemaligen Blockpartei CDU (die für sich schon 40,8 Prozent erreichte), der DSU (die der bayerischen CSU nahestand) und dem Demokratischen Aufbruch (DA) gewonnen. Die SPD (ursprünglich in der DDR unter der Abkürzung SDP) kam auf knapp 22 Prozent der Stimmen, die SED-Nachfolgepartei PDS auf etwa 16 Prozent. Das Wahlergebnis zeigt auch, dass die Bürgerrechtsparteien, die einer schnellen Vereinigung eine Demokratisierung der DDR vorgezogen hatten ("Freiheit vor Einheit") wie z.B. das Bündnis 90, marginalisiert wurden.
Erste freie Wahl der DDR
Die Wahl vom 18. März 1990 wird gemeinhin als erste freie Wahl in der DDR bezeichnet. Der Soziologe Steffen Mau (*1968 in Rostock) schließt sich dieser Auffassung nicht an. Die Regeln eines fairen Wettbewerbs der Parteien sieht er als nicht gegeben an. Besonders die "Allianz für Deutschland" und die ostdeutschen Sozialdemokraten seien massiv aus dem Westen unterstützt oder sogar gesteuert worden.
Mau bezeichnet die ostdeutschen Parteien als "Auftragnehmer westdeutscher Parteien", ihre Kandidaten als "Platzhalter". Die PDS wiederum konnte auf ihr Vermögen und ihre starke Mitgliederzahl zurückgreifen. Zwischen diesen Polen hätten die neugegründeten unabhängigen Parteien in der DDR keine Chance gehabt. Die Versprechungen des Westens von Wohlstand, Einheit und schneller Verbesserung der Konsumlage hatten gesiegt; die von den Bürgerrechtlern favorisierte Idee eines demokratischen, sozialistischen deutschen Staates war in den Hintergrund gerückt.
Zwei Wege zur Einheit
Im Laufe des Jahres 1990 entstand die Frage, wie die Wiedervereinigung verfassungsrechtlich durchgeführt werden könnte. Es gab zwei Möglichkeiten: zum einen den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Art. 23 GG, zum anderen die Erarbeitung einer neuen Verfassung für das gesamte deutsche Volk nach Art. 146 GG.
Hatte Bundeskanzler Helmut Kohl im Februar 1990 zunächst noch davon gesprochen, dass "das was sich bewährt hat, und zwar auf beiden Seiten, von uns übernommen werden soll" , womit er die Erarbeitung einer neuen Verfassung meinte, so kristallisierte sich im Laufe des Jahres immer stärker der Beitritt nach Artikel 23 GG als Weg zur Einheit heraus. Die Volkskammerwahl vom 18. März würde dabei als Plebiszit gelten, hieß es. Dieser Weg wurde damals unter anderem mit dem engen Zeitplan für die Wiedervereinigung begründet.
Die Frage ist nun, inwieweit diese "Landnahme" (Steffen Mau) des bundesrepublikanischen Modells dazu führte, das Machtgefälle zwischen West und Ost zu zementieren. Eine Neugestaltung einer gemeinsamen Verfassung oder zumindest eine formale Volksabstimmung über den Einigungsvertrag hätten unter Umständen eine größere Identifikation der Ostdeutschen mit dem vereinigten Staat erreichen können.
Einigung nur auf dem Papier?
So entstand in Ostdeutschland der Eindruck, dass von der ehemaligen DDR in der Bundesrepublik außer dem Rechtsabbiegerpfeil und einigen Ampelmännchen nicht viel übernommen wurde. Im Westen erzeugte dieser Umgang mit der Einigung ein Gefühl von Überlegenheit.
Es gab in der alten Bundesrepublik keinen Anlass, über politische Veränderungen und über das eigene Selbstverständnis nachzudenken. In Ostdeutschland jedoch wurden massive Veränderungen durchgeführt, wie die sehr schnelle Privatisierung der Betriebe oder die Lockerung der Arbeitsmarktregulierungen.
Die unterschiedliche Wahrnehmung der deutschen Einheit führten zu Begriffen wie "Besserwessis" auf der einen Seite, die in der Sicht vieler Ostdeutscher als Kolonialisten auftraten, und "Jammerossis" auf der anderen Seite, die aus der Sicht vieler Westdeutscher nicht verstehen wollten, dass es ihnen jetzt insgesamt besser ging und sie sich lediglich als Bedrängte und Benachteiligte inszenierten.
Die Rekrutierung von Verwaltungseliten nach 1990
Im Zuge der Einigung kamen viele Verwaltungsbeamte als "Aufbauhilfe Ost" aus dem Westen in die neuen Bundesländer. Ohne diese Kräfte wäre der Aufbau von funktionierenden Verwaltungsstrukturen schwer möglich gewesen.
Ilko-Sascha Kowalczuk hält die Rekrutierung der Eliten für eines der kompliziertesten und nachhaltigsten Kapitel im Transformationsprozess. Die rekrutierten Beamten kamen nahezu durchgängig als Vorgesetzte in die ostdeutsche Verwaltung, und diese Struktur hat sich auch Jahrzehnte danach erhalten.
Ostdeutschlands Spitzenpolitiker kommen aus dem Westen
Bis 1995 schickten die westdeutschen Kommunen, die Länder und der Bund etwa 35.000 Beamte in die neuen Bundesländer. Diese Beamten hatten durch die Anstellung im Osten gute Möglichkeiten, auf der Karriereleiter nach oben zu kommen. Das Ergebnis war, dass in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung der Satz galt, je höher der Status des Amtes, desto geringer die Chance, einen Ostdeutschen zu treffen.
Diese Entwicklungen sind durch die Übertragung der westdeutschen Wirtschafts-, Sozial und Rechtsordnung nachvollziehbar, doch was bis heute fehlt, ist eine langfristig angelegte Förderung ostdeutscher Karrierewege.
Warum schaffen es nur wenige Ostdeutsche in Spitzenpositionen?
Steffen Mau sieht einen Grund für die mangelnde Repräsentation von Ostdeutschen in der einseitigen Besetzung der Führungspositionen von Unternehmen, Universitäten und Verwaltung in der Gesellschaftsstruktur der beiden vereinigten Staaten: Auf der einen Seite stehe die Mittelschichtsgesellschaft der Bundesrepublik, auf der anderen Seite die Arbeitergesellschaft der DDR.
Für ihn ist zwangsläufig, dass sich hierbei zunächst die Mittelschichtsgesellschaft bei der Besetzung von Führungspositionen durchsetzt. Langfristig jedoch müssten Karrierewege für ostdeutsche Biografien gefördert werden. Genau dies sieht Mau als einen der größten Fehler in der Nachwendezeit an, nämlich dass nicht genug in die Ausbildung von ostdeutschen Führungspersönlichkeiten investiert wurde.