Eure Geschichte Die russische Armee zieht ab – was bleibt?
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03. März 2022, 18:40 Uhr
Die sowjetische Armee war ein fester Bestandteil und dauerhafter Gast der DDR. Mit einem Staatsakt wird der Abzug der russischen Westgruppe der Truppen (WGT) zum 31.08.1994 besiegelt. Wie werden die verlassenen Kasernen nach 1994 genutzt? Was passiert mit den Soldaten der Westgruppe?
Im Zwei-Plus-Vier-Vertrag, der am 12. September 1990 zwischen den vier Siegermächten sowie der BRD und der DDR geschlossen wurde (offiziel "Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland") wurde unter anderem die Mitgliedschaft des wiedervereinigten Deutschlands in dem westlichen Verteidigungsbündnis, der NATO, die Reduzierung der zukünftigen Bundeswehr auf 370.000 Personen, die Garantie der polnischen Westgrenze und auch der Abzug der Westgruppe der russischen Truppen (WGT) aus Deutschland vereinbart.
Für diese weitreichenden Zugeständnisse der UdSSR (umstritten war besonders die Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO) erklärte sich die Bundesrepublik bereit, Geldmittel zur Finanzierung des Abzugs und zur Errichtung von Wohnungen für heimgekehrte Soldaten in der UdSSR zur Verfügung zu stellen. Diese Geldmittel beliefen sich zunächst auf insgesamt etwa 12 Milliarden D-Mark, davon etwa 7,8 Mrd. DM für den Wohnungsbau. Der Abzug der WGT sollte demnach bis Ende 1994 vollzogen sein.
Sowjetische Truppen in Deutschland Wenn von den sowjetischen Truppen in Deutschland die Rede ist, werden in der Literatur unterschiedliche Begriffe benutzt. Aus der seit 1945 in der Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ) stationierten "Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen" (GSBT) wurde nach dem offiziellen Ende der Besatzung 1954 die "Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland" (GSSD). 1989, in der Zeit der Perestroika unter KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow, wurde die Gruppe umbenannt in "Westgruppe der Truppen" (WGT). Dieser Begriff wird im vorliegenden Beitrag verwendet.
In einem deutsch-sowjetischen Partnerschaftsvertrag, der am ersten Jahrestag des Mauerfalls unterzeichnet wurde, einigten sich die beiden Staaten darüber hinaus auf ein Abkommen zur Reduzierung von Gruppengrößen der Bundeswehr, zur weitgehenden Zusammenarbeit bei Wirtschaft, Kultur und Menschenrechten und auf die beiderseitige Achtung und Pflege von Gedenkstätten und Kriegsgräbern.
Putsch gegen Gorbatschow
Unsicherheit bezüglich des Abzuges bestand während des Putschs gegen Gorbatschow im August 1991 (für ausführliche Informationen zu den politischen Geschehnissen 1991 bitte hier klicken), als nicht klar war, wie die WGT sich politisch stellen würde. Durch die Auflösung der Sowjetunion am 31. Dezember 1991 fiel die Westgruppe im März 1992 unter das Kommando des Präsidenten der Russischen Föderation, der zusicherte, den Abzug wie geplant durchzuführen. Ein bewaffneter Putschversuch gegen Präsident Jelzin am 4. Oktober 1993 führte ebenfalls zu keiner Verzögerung im Abzug.
Am 31. August 1994, mehrere Monate vor dem vereinbarten Abzugsdatum, wurden schließlich unter Anwesenheit des russischen Präsidenten Boris Jelzin die letzten Soldaten der Westgruppe verabschiedet. In Berlin fand eine letzte Parade am Denkmal für die gefallenen sowjetischen Soldaten im Treptower Park statt. Zuvor hatte es eine offizielle Zeremonie am Gendarmenmarkt gegeben, wo General Matwej Burlakow, der Oberkommandierende der Streitkräfte, seine Truppe in Ostdeutschland abmeldete.
Ich melde: Der zwischenstaatliche Vertrag über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts der russischen Truppen und die Modalitäten des Abzugs ist erfüllt.
In Erinnerung bleibt aus diesem Tag die Szene, wie der offenbar leicht angetrunkene Boris Jelzin vor dem Schöneberger Rathaus den Taktstock ergreift und das Berliner Polizeiorchester dirigiert.
Der Abzug der Soldaten und die Probleme
Der Abzug war eine logistische Anstrengung: Zwischen 1991 und 1994 wurde die wohl größte Truppenverlegung zu Friedenszeiten in der Geschichte des Militärwesens bewerkstelligt. Im Jahr 1991 war die WGT auf Liegenschaften mit einer Fläche von 2.430 Hektar (also ca. 2,7 Prozent des DDR-Gebiets, etwa die Größe des Saarlandes) stationiert. Sie verfügte über:
- 337.800 Soldaten
- 44.700 Zivilangestellte
- 163.700 Familienangehörige
- 4.288 Kampfpanzer
- 8.208 gepanzerte Fahrzeuge
- 3.682 Artilleriesysteme
- 691 Flugzeuge
- 683 Hubschrauber
- 106.094 Kraftfahrzeuge
- ca. 2,75 Millionen Tonnen Material, darunter 677.032 Tonnen Munition.
Diese Zahlen werden noch beeindruckender, wenn man bedenkt, dass zeitgleich auch die Truppen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn abgezogen wurden. Insgesamt gab es durch diese Truppen nochmals 267.500 Menschen mit entsprechender Ausrüstung. Laut Übereinkunft wurden zwischen 1991 und 1994 jährlich etwa 30 Prozent dieses Kontinents abgezogen. Genutzt wurden Bahntransporte und Fähren über die Ostsee.
Wohnungsprogramm für ehemalige Soldaten
Als er im Frühjahr 1990 zu Verhandlungen über den Abzug der Westgruppe in Moskau weilte, sagte Lothar de Maizière (CDU), der letzte Ministerpräsident der DDR:
Die Soldaten wussten: Sie gehen als geschlagene Sieger, und sie gehen ins soziale Nichts.
Für die politische Führung war somit die Frage der Unterbringung der über eine halbe Million heimkehrenden Soldaten und Familienangehörigen von größter Bedeutung. Die sowjetische Regierung wollte einen großen Teil der Summe, die sie von Deutschland erhalten hatte, zum Bau von Wohnungen und der zugehörigen Infrastruktur wie Geschäfte, Schulen oder Sportstätten für die Heimkehrer nutzen.
Nach einigen Verhandlungen einigten sich beide Seiten auf den Bau von 70.000 Wohnungen, für 35.000 Wohnungen sollte Deutschland aufkommen. Da günstige Angebote für den Wohnungsbau von Firmen aus Finnland, der Türkei und anderen Ländern erfolgten, konnten bis 1996 insgesamt etwa 45.000 Wohnungen an 40 Standorten in Russland, der Ukraine und Weißrussland fertiggestellt werden.
Diese Zahl ist höher als vereinbart, jedoch kann sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Anzahl nicht ausreichte, um alle zurückkehrenden Truppenteile unterzubringen. Besonders für die früh abgezogenen Soldaten bestanden noch keine Wohnungen, so dass viele Soldaten in Zeltstädten oder Behelfsunterkünften unterkommen mussten. Darüber hinaus gab es offenbar Korruption bei der Verteilung der neuen Wohnungen, die sehr begehrt waren und nach deutschen Angaben teilweise in andere Hände vergeben wurden.
Auf deutscher Seite wurde von einer Erfolgsstory gesprochen, tatsächlich war aber das Wohnungsbauprogramm angesichts der Wohnungsproblematik in den Nachfolgestaaten der UdSSR wohl nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.
Nutzung der hinterlassenen Kasernen und Truppenübungsplätze
Die Bundesrepublik Deutschland übernahm nach dem Abzug der WGT 1994 die Kasernen und Truppenübungsplätze der Armee. Die Gebiete erwiesen sich in weiten Teilen als hochgradig durch Munition, Treibstoffe, Schmiermittel und Chemikalien belastet. Der Bund als Neueigentümer bot den ostdeutschen Ländern die Areale kostenlos an.
Dieses Angebot wurde z.B. von Mecklenburg-Vorpommern aufgrund der zu erwartenden hohen Sanierungskosten ausgeschlagen. Brandenburg, Thüringen und Sachsen entschlossen sich hingegen, die kompletten Liegenschaften zu übernehmen. Die Bundeswehr zeigte darüber hinaus Interesse an einer Nachnutzung einiger Truppenübungsplätze. Es sollen exemplarisch drei Beispiele für eine Nachnutzung vorgestellt werden.
Brandenburg: Bornstedter Feld
Die brandenburgische Landeshauptstadt Potsdam konnte beachtliche Erfolge mit dem Projekt Bornstedter Feld aufweisen. Hier gelang es in Zusammenarbeit mit einem Entwicklungsträger, 7.000 Wohnungen in Kasernengebäuden zu vermieten. Durch die Bundesgartenschau erfuhr die Stadt Potsdam mit EU-Förderung eine weitere Aufwertung von Konversionsflächen.
Ehemalige Garnisonstandorte wurden von der ansässigen Fachhochschule belegt. Dies wurde auch durch den stetigen Zuzug nach Potsdam in den 1990er-Jahren möglich. Andere Gegenden, in denen Standorte der WGT lagen, sind strukturschwach und von Bevölkerungsschwund betroffen, was das Finden von Investoren für die Neunutzung von Kasernengeländen, gerade unter unklaren Sanierungskosten, schwierig macht.
Mecklenburg-Vorpommern: Kyritz-Ruppiner Heide
Die Kyritz-Ruppiner Heide, ein ursprünglich waldreiches Gebiet in Mecklenburg-Vorpommern, wurde nach 1945 zum Truppenübungsplatz der Roten Armee. Bis zum Abzug 1993 nutzten die sowjetischen Truppen etwa 14.200 Hektar Land, welches ab 1960 für die DDR-Bevölkerung abgesperrt war.
Durchgeführt wurden dort Schießübungen mit Panzern und ab 1960 auch Luft-Boden-Schießübungen im Tiefflug, was zu einer sehr großen Lärmbelastung in der Gegend führte. Anwohner berichteten von erheblichen Belästigungen durch Druckwellen von Bomben und Anflugübungen von tieffliegenden Bombern.
Bürgerinitative verhindert Bombodrom
Schon im Jahr 1992 werden Pläne der Bundeswehr publik, das Gelände nach dem Abzug der WGT zum größten Bombenabwurfplatz in Europa auszubauen und dort ein so genanntes "Bombodrom" zu errichten.
Daraufhin gründete sich die Bürgerinitiative "Freie Heide", die in den Folgejahren Unterstützung von anderen Bürgerinitiativen aus der Region und bundesweit erhielt sowie in 27 Gerichtsverfahren und über hundert Protestwanderungen und anderen Demonstrationen gegen die Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide durch die Bundeswehr protestierte. Am 9. Juli 2009 gab der damalige Verteidigungsminister Franz-Josef Jung schließlich bekannt, auf das Bombodrom zu verzichten.
Im Zuge dessen wurden 9.000 ha zum Flora-Fauna-Habitat erklärt und erlangten somit den höchsten Grad europäischer Naturschutzgebiete. Im Sommer 2011 übernahm die Heinz-Sielmann-Stiftung 4.000 ha als Fläche des Nationalen Naturerbes. Die Stiftung strebt die nachhaltige Sicherung der wertvollen Heidelandschaft (ca. 2.000 ha), verbunden mit der Entwicklung des Naturtourismus, Naturerleben und der Umweltbildung an.
Durch die hohe Belastung der Heide durch Kampfmittel und Munition bleibt der Zugang jedoch beschränkt. Kampfmittel werden nach und nach beseitigt, um die Heide zugänglich zu machen. Seit 2017 können etwa 15 Kilometer Wege im beräumten Süden der Heide betreten werden. Wetterschutzhütten und Rastplätze stehen Wanderern und Radfahrern zur Verfügung. Besucher können geführte Rad- und Wandertouren buchen, darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Heide mit Pferdefuhrwerken zu erkunden.
Hauptquartier der sowjetischen Truppen in Wünsdorf
Das ehemalige Hauptquartier der sowjetischen Truppen in Wünsdorf, etwa 50 Kilometer südlich vom Stadtzentrum Berlins gelegen, war schon in und vor beiden Weltkriegen ein bedeutender Militärstandort. Zwischen 1940 und 1945 hatte hier das Oberkommando der Wehrmacht seinen Sitz. Nach 1945 machte die sowjetische Besatzungsmacht den Ort zu ihrem Hauptquartier. Bis 1994 waren hier bis zu 69.000 Angehörige der GSSD bzw. WGT in der Garnisonsstadt stationiert – neben etwa 2.700 Einwohnern des Ortes Wünsdorf.
Die Militärstadt war streng bewachte Tabuzone. Auch als Wünsdorf nach dem Abzug der russischen Truppen zur unbewohnten Geisterstadt wurde, war der Zugang wegen militärischer Altlasten noch lange Zeit gesperrt. Das wurde erst anders, als das Land Brandenburg beschloss, eine Nutzung anzustreben und in diesem Zuge Teile der Landesverwaltung hierhin ausgelagert wurden, so zum Beispiel die Landesämter für Denkmalpflege und Arbeitsschutz.
Einige ehemalige Kasernen wurden zu Wohnhäusern umgebaut. Dazu waren umfassende Altlastenbereinigungen nötig. Manche Wohnprojekte wurden gut angenommen, in manchen Projekten blieben viele Wohnungen leer, da das Bevölkerungswachstum in Wünsdorf sich anfangs nicht so entwickelte wie prognostiziert.
Es gab auch den Wunsch, Gewerbe in der ehemaligen Garnisonsstadt anzusiedeln. Antiquare und Historiker gestalteten 1998 die so genannte "Bücherstadt", eine Ansammlung von Antiquariaten mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten auf dem ehemaligen Kasernengelände. Zu finden ist auch ein Museum über die Geschichte des Ortes und die der sowjetischen Truppen in Deutschland. Wünsdorf ist heute auch Anziehungspunkt für so genannten "Lost-Places-Fotografen", die auf der Suche nach verlassenen und geheimnisvollen Fotomotiven sind. Die alten und verfallenen Anlagen, wie das Garnisons-Theater oder das Haus der Offiziere, sowie die Bunkerbauten der Nationalsozialisten ziehen Besucher an und zeugen von der langen und wechselhaften Militärgeschichte des kleinen Ortes.
Zur Vertiefung ist noch der Film zur Verabschiedung der Truppen von 1994 zu empfehlen: