
Interview "Erbschaften um die 40.000 Mark galten schon als bedeutend"
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12. Mai 2015, 12:16 Uhr
Auch im Osten war das Erbrecht gewährleistet. Es gab nur sehr viel weniger zu vererben als im Westen. Aber getrickst wurde genauso viel. Constanze Trilsch, Fachanwältin für Erbrecht, gibt Auskunft.
Karl Marx hatte im "Kommunistischen Manifest" die Abschaffung des Erbrechts gefordert. Später ist er von seiner Forderung wieder abgerückt. Die Ungerechtigkeit des Erbens sollte freilich durch eine höhere Erbschaftssteuer gelindert werden. Wie ging das - Erben im Osten?
Auch Lenin hatte 1920 noch dafür plädiert, das Erbrecht abzuschaffen. Das ist aber nie ernsthaft umgesetzt worden. Es sollte ja auch im Sozialismus das Privateigentum nicht abgeschafft werden. Und so gab es natürlich auch ein Erbrecht. Zunächst galt in der DDR - mit einigen Modifikationen - das Bürgerliche Gesetzbuch einfach weiter. Dann gab es aber doch etliche weitere Veränderungen im Erbrecht im Zuge der Einführung des Zivilgesetzbuches der DDR.
Welche gravierenden Unterschiede gab es von da an?
Anders als im Western wurden im Osten auch sämtliche nichtehelichen Kinder begünstigt, egal, wann sie geboren worden sind. Das war die eigentlich modernere und europäischere Regelung. Beim Pflichtteilsrecht gab es kein Pflichtteil für Eltern. Der Pflichtteil wurde auch nur an minderjährige Kinder gezahlt oder solche, die noch nicht wirtschaftlich selbständig waren. Das Pflichtteilsrecht war deutlich eingeschränkt. Außerdem gab es etwas geringere Möglichkeiten bei der Testamentsgestaltung. So war zum Beispiel eine Vor- und Nacherbschaft nicht möglich oder es konnte auch kein Erbvertrag abgeschlossen werden. Grundsätzlich war aber das Erbrecht garantiert und gewährleistet. Es war im Grunde eine vereinfachte Fassung der Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches.
Konnte man ein Erbe auch ausschlagen?
Ja, klar. Das war eine Regelung, die dem Bürgerlichen Gesetzbuch nachempfunden war, Paragraf 402 Zivilgesetzbuch.
Damals ein Mietshaus zu erben, war ja alles andere als erfreulich. Meist waren die Häuser marode und die billigen Mieten machten eine Sanierung fast unmöglich.
Keiner war gezwungen, eine Erbschaft anzunehmen. Ich konnte aber nicht sagen, ich verzichte auf das Haus und nehme lieber das Geld auf dem Konto der Oma. Ganz oder gar nicht. Das war wie heute auch. Ich musste die Erbschaft im Ganzen annehmen oder ausschlagen.
Konnte da nicht auch getrickst werden?
Da gab es ein beliebtes Spiel: Leute im vorgerückten Alter, die ein schrecklich verfallenes Mietshaus hatten, das keiner wollte, sind bettelarm verstorben. Die Verwandten konnten also beruhigt die Erbschaft ausschlagen. Die alten Leute hatten nämlich vorher schon jeglichen Schmuck und das Bargeld verschenkt. So dass niemand eine alte Bude erben musste, die nur Ärger bereitete.
Gab es noch andere Tricks?
Viele haben versucht, bei der Erbschaftssteuer zu schummeln oder mit Bargeld zu regeln, dass halt nichts auf dem Konto war. Die Spielchen eben, die es heute auch gibt. In diesem Punkt gab es nichts, was spezifisch für die DDR gewesen wäre.
Die Erbschaftssteuer soll unverschämt hoch gewesen sein. Wohl der Versuch, die Ungerechtigkeit des Erbens durch eine hohe Steuer zu mildern?
Die Erbschaftssteuer war tatsächlich relativ hoch. Es gab zwei Steuerklassen: Steuerklasse I waren Ehegatten und Kinder; Steuerklasse II waren alle sonstigen Erbberechtigten. Die Erben, die in die Steuerklasse I fielen sind noch einigermaßen verschont worden – da gab es für den Ehegatten einen Freibetrag von 20.000 Mark, für Kinder immerhin noch 10.000 Mark. Die Erben, die in die Steuerklasse II fielen, hatten dagegen nur einen Freibetrag von 1.000 Mark. Das ist nicht viel…
Und die Erbschaftssteuer selbst…?
Die wurde, je nach Höhe der Erbschaft, fällig und war gestaffelt. Es konnten bis zu zirka 80 Prozent Erbschaftssteuer fällig werden.
Wie hoch fielen die Erbschaften im Allgemeinen aus?
Viel, viel geringer als heute. Wenn eine alte Dame 20.000 Mark auf dem Konto hatte, war das schon viel. Erbschaften um die 40.000 Mark galten bereits als bedeutend. Wirklich große Erbschaften gab es nur ganz, ganz wenige. Und auch Einfamilienhäuser waren zumeist nur auf 15.000 bis 70.000 Mark geschätzt worden.
Gab es auch komplizierte Erbschaftsfälle?
Es konnte sehr kompliziert werden, wenn etwa hochwertige Kunstsammlungen vererbt worden sind. Die konnten in ihrem Wert sehr schnell große Höhen erreichen, und dann musste auch ein nicht geringer Teil der Kunstschätze verkauft werden, um die Erbschaftssteuer aufbringen zu können.
Wie sah das mit Privat- oder Handwerksbetrieben aus? Konnten die problemlos vererbt werden?
Die konnten ganz normal vererbt werden. Da konnte zuweilen aber auch eine hohe Erbschaftssteuer fällig werden.
… die den Ruin des Betriebes hätte bedeuten können?
Ein guter Unternehmer hatte auch zu DDR-Zeiten was auf der "hohen Kante" liegen. Ärgerlich war es freilich allemal, wenn so viel Steuer bezahlt werden musste, klar.
Von einer besonders perfiden Form der Enteignung lässt sich aber nicht sprechen?
Das kann ich so bei Kleinbetrieben tatsächlich nicht bestätigen. Bei Antiquitätenhändlern und Kunsthändlern allerdings konnte es Probleme geben in der Form, dass der größte Teil vom Warenbestand verkauft werden musste, wenn der Warenbestand, also die Kunstwerke, ganz bewusst sehr hoch eingeschätzt worden war. Da sind mir einige Fälle bekannt, dass der Handel nicht weitergeführt werden konnte.
Was geschah, wenn die Erben im Westen wohnten?
Erben konnten sie, die Frage war, was sie damit anfangen konnten...
Zum Beispiel, wenn sie ein Mietshaus geerbt hatten…
Das kam in aller Regel in die Verwaltung der staatlichen Wohnungswirtschaft, weil die westdeutschen Erben sich um das Haus nicht kümmern konnten oder wollten. Sie wollten ja schließlich kein Geld in die Sanierung investieren angesichts der geringen Mieten: Die Investition hätte sich nie amortisiert.
Schwieriger war es wieder bei Kunstgegenständen. Die West-Erben konnten ja nicht mit dem Auto über die Grenze rollen und alles einsacken. Das ging überhaupt nicht. Und das lag zuallererst am Zollgesetz der DDR. Das hatte etwa 30 Durchführungsbestimmungen. So musste der Erbe zum Beispiel eine Bestätigung des Staatlichen Kunsthandels der DDR beschaffen, dass es sich bei den vererbten Gegenständen nicht um historisch wertvolle Kunstschätze handelt. Und das Ganze musste dann auch noch innerhalb eines Jahres erledigt sein. Da musste man schon rennen und springen. Das war ein Wettlauf gegen die Zeit.
Den die Erben gewiss nicht selten verloren…
Das waren natürlich Regelungen, die ganz bewusst kompliziert gehalten waren. Wer sich da nicht genauestens auskannte, der hatte keine Chance, an sein Erbe zu kommen.
Das Erbrecht der DDR erlosch am 3. Oktober 1990. Dennoch haben Sie mit ihm noch immer zu tun. Wie das?
Es gibt immer noch etliche Testamente, die eröffnet werden, die aus der Zeit vor dem 3. Oktober 1990 stammen. Wenn etwa Eheleute 1985 ein Testament geschrieben haben und der letzte ist erst jetzt verstorben, dann wird zum Beispiel die Frage, ob das Testament überhaupt wirksam ist, nach DDR-Recht beurteilt. Also ich habe immer noch das Zivilgesetzbuch und die Gesetzbücher der DDR im Schrank stehen, denn hin und wieder brauche ich sie noch.
Rechtsanwältin Constanze Trilsch Constanze Trilsch, 1963 in Dresden geboren, studierte Rechtswissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität und promovierte 1994 an der Universität Hamburg. Seit 1988 arbeitet Constanze Trilsch als Rechtsanwältin in Dresden, seit 2006 ist sie Fachanwältin für Erbrecht.