
Architektur Teure Machtzentrale in Bukarest
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14. März 2019, 14:44 Uhr
Da Rumänien derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, findet der Europäische Gipfel der Regionen und Städte diesmal in Bukarest statt. Ausgetragen wird er im Parlamentspalast, den der rumänische Diktator Nicolae Ceausescu einst für sich bauen ließ. Das zweitgrößte Haus der Welt zu unterhalten, kostet Rumänien jährlich eine Stange Geld.
Der österreichische Mediziner Franjo Zivkovic kommt angesichts des gewaltigen Parlamentspalastes ins Schwärmen. "Wenn ich an unsere Volksvertretung in Wien denke, dann wirkt die vergleichsweise wie ein kleiner Kiosk dagegen", sagt der 57-Jährige schmunzelnd. Auf seinem Kurztrip durch Bukarest besucht Zivkovic das bekannteste Wahrzeichen von Bukarest: Die Machtzentrale, die 1984 der rumänische Diktator in Auftrag gegeben hatte. Es ist das zweitgrößte Gebäude der Welt, nach dem Pentagon. Urlauber Zivkovic meint zu den gigantischen Dimensionen: "Ceausescu war seiner Zeit voraus".
Am Symbol der Macht mitgearbeitet
Nicolae Ceausescu - ein Zukunftsvisionär? "Er kam jeden Samstag zur Baustelle. Bei seinem Besuch haben sich die Architekten jedesmal mit Ideen überschlagen“, erzählt Marius Marcu-Lapadat. Er war einer von 400 Architekten, die Ceausescu für den Bau eines rekordverdächtigen Palastes anheuern ließ. Arbeitskräfte aus dem ganzen Land wurden zur Großbaustelle abkommandiert, auf der rund um die Uhr gearbeitet wurde. Marcu-Lapadat sollte als Junior-Architekt die Schmuckleisten für einen Hauptsaal entwerfen und umsetzen. Man sieht die detailintensive Decken-Dekoration noch heute: "Ich weiß nicht, ob es gut war, am Symbol der absoluten Macht mitgearbeitet zu haben. Aber eine andere Möglichkeit gab es damals für mich nicht."
Von Pjöngjang inspiriert
Auf die Idee, eine riesige Machtzentrale bauen zu lassen, kam Ceausescu bei einem Besuch von Machthaber Kim Il-sung in Pjöngjang. Bei seiner Heimkehr gab der Diktator die Devise aus, mit Nordkorea um die "anspruchsvollste sozialistische Architektur der Welt" zu konkurrieren. Ein Fünftel der Bukarester Altstadt wurde in kürzester Zeit dem Erdboden gleich gemacht. Kloster, Kirchen, Krankenhäuser, Art-Déco-Häuser - nichts blieb vom Abriss verschont. Über 40.000 Bukarester wurden zwangsumgesiedelt, damit ein einziger Bau entstand: das "Haus des Volkes", wie Ceausescu es uneigennützig nannte. In Wirklichkeit sollte es sein politisches Machtzentrum werden, von dem aus er mit seiner Ehefrau Elena den gesamten Staat überwachen und regieren wollte.
Überfluss in Hülle und Fülle
Noch heute ist der Bau ein Sinnbild für den Größenwahn des Diktators. Man braucht Vergleiche, um die Geltungssucht von Ceausescu zu erahnen. Auf die Grundfläche des Palastes würden fünf Kölner Dome passen. Das Innere gleicht einem Labyrinth: zehn Etagen ist das Bauwerk hoch, verschachtelt in 21 Einzelteile. Im Erdgeschoss reiht sich ein Festsaal an den nächsten, viele sind mit Marmor verkleidet, von den teils goldverzierten Decken hängen tonnenschwere Kristallleuchter.
Der Überfluss des Hauses würde wohl eher zu einem Ölstaat wie Dubai passen, stattdessen residieren das rumänische Parlament im Palast und knapp 20 andere staatlichen Behörden. Den Platz - 1.000 Räume zählt der Palast - können sie zusammen gar nicht ausfüllen. Deshalb werden vor allem die Festsäle immer wieder vermietet - für opulente Hochzeiten, für Erotikmessen, für politische Veranstaltungen. Während der rumänischen EU-Ratspräsidentschaft finden im einstigen Ceausescu-Palast gut 140 europäische Meetings und Ereignisse statt.
Kälte, Hunger, Angst
Kein Gebäude in Bukarest hat solch einen radikalen Imagewandel seit 1989 erlebt wie dieser Palast. Neben Dracula ist das Bauwerk das wohl berühmteste Wahrzeichen des Landes: es wird auf T-Shirts vermarktet, mit Ansichtskarten und Kühlschrankmagneten. Noch vor drei Jahrzehnten war der Palast das Symbol der Schreckensherrschaft eines Despoten, den man im Volk heimlich mit drei "F" beschrieb: frig, frica si foame - Kälte, Angst und Hunger.
In den 1980er-Jahren kündigte Ceausescu eine rigorose Entschuldung des Landes an, die die Bürger zu schultern hatten: Lebensmittel, Strom und Wärme gab es nur noch auf Ration. Derweil entstand in Bukarest ein Luxusbau, der kein Budget kannte. Als das Volk Ende Dezember 1989 Ceausescu stürzte, blieb seine Machtzentrale stehen. Heute - 30 Jahre später - halten viele Rumänen das Bauwerk für grandios und bewundernswert, als hätte es die Entbehrungen unter einem größenwahnsinnigen Diktator nie gegeben.
Politik übernimmt Palast
Doch wie kommt es zu diesem Wandel? "In Rumänien verwechselt man Größe gern mit Schönheit", meint der rumänische Karikaturist Dan Perjovschi. Der 58-jährige Künstler gilt als bekannter Kritiker des Bauwerkes, das er gern "Monster" oder "post-barocke-nordkoreanische Pastete" nennt und in seinen Karikaturen verspottet.
Nach der 1989er-Revolution gab es Ideenwettbewerbe, was mit dem Diktatorenpalast geschehen solle. Künstler Perjovschi hätte daraus am liebsten einen Erinnerungsort an die Schrecken der Diktatur gemacht und die vielen Büros im Palast kostenlos an Nichtregierungsorganisationen vermietet, "damit sie von dort aus die Welt verändern". Architekt Marius Marcu-Lapadat schlug damals vor, den "politisch kontaminierten Palast in ein Disneyland zu verwandeln". Beide Ideen trafen nicht den Nerv der Politik. Vielmehr drängten die Parlamentarier und Regierungspolitiker darauf, den Palast zu übernehmen und ihn als Machtzentrale zu nutzen.
Sechs Millionen Euro für Reparaturen
Das riesige Bauwerk wird vom Parlament bis heute mit Superlativen beworben. Vom teuersten Palast der Welt ist auf der hauseigenen Website die Rede. Was man darunter versteht, beantwortet die Parlamentsverwaltung nur schriftlich. Gemäß eines Regierungsbeschlusses liege der Wert des Parlamentspalastes bei rund 1,12 Milliarden Euro, heißt es auf MDR-Anfrage. Das Bauwerk zu unterhalten, kostet dem rumänischen Steuerzahler eine gute Stange Geld. Die Jahresrechnung für Strom, Wasser und Wärme beläuft sich auf rund 2,5 Millionen Euro. Das Leitungsnetz im Kellergeschoss müsste dringend überholt werden, täglich platzen Rohre, täglich gibt es Havarien. Gut sechs Millionen Euro gab das Parlament allein im vorigen Jahr für Reparaturen aus.
Geld, um die bröckelnde Außenfassade einer Generalsanierung instand zu setzen, gab es bislang keines. Der langsame Verfall verwundert Marcu-Lapadat nicht: "Das Bauwerk zerfällt schneller, als man es sanieren kann." Der Architekt kennt die baulichen Schwächen des riesigen Palastes, der von 1984 an in einer fünfjährigen Rekordzeit aus dem Boden gestampft wurde. Für Marcu-Lapadat hat der Palast hat keine Zukunft: "Man wird ihn eines Tages aufgeben müssen."
Über dieses Thema berichtete der MDR auch in der Doku "Paläste fürs Volk": 04.11.2018 | 23:55 Uhr