Christoph Oldenburg
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9. Deutsch-Russische Young Leaders Konferenz: Reden ohne Denkschablonen

26. Oktober 2017, 14:58 Uhr

200 Russen und Deutsche im Alter von 25 bis 40 Jahren treffen sich seit heute in Sotchi zur 9. Deutsch-Russischen Young Leaders Konferenz. Bei der Konferenz geht es um den bilateralen Austausch. Was als private Initiative von Studenten und jungen Berufstätigen gegründet wurde, ist mittlerweile eine etablierte Konferenz geworden, mit Debatten, bei denen keiner ein Blatt vor den Mund nehmen muss.

Wir haben mit Christoph Oldenburg, dem Vorsitzenden der Konferenz, gesprochen. Der 31-jährige Chemiker hat die Konferenz während seines Studiums an der Berliner Humboldt-Universität vor neun Jahren mitgegründet. Seitdem fand die Deutsch-Russische Young Leaders Konferenz abwechselnd in Deutschland und Russland statt, unter anderem in Kasan, Moskau, Hamburg, München und zuletzt 2016 in Dresden.

Was hat sie bewogen, die Young Leaders Konferenz mitzubegründen?

Als gebürtiger Hamburger bin ich in einem traditionellen westdeutschen Elternhaus aufgewachsen, geprägt vom Geist der transatlantischen Wertegemeinschaft. Während meines Studiums bin ich über ein Hilfsprojekt für Krankenhäuser und Kinderheime in Murmansk erstmals mit Russland in Berührung gekommen. In dieser Zeit ist mir bewusst geworden: für Stabilität und Wohlstand in Europa ist es essentiell, dass Russen und Deutsche einander kennen und verstehen – was aber nicht bedeutet, dass man immer einer Meinung sein muss. Mit unserer Konferenz wollen wir genau das erreichen: Menschen aus beiden Ländern mit Gestaltungsanspruch eine unabhängige Plattform für den offenen Dialog zu bieten.

Young Leaders, das bedeutet junge Führungskräfte. Im Alter von 25 bis 40 ist man doch aber oftmals noch gar keine Führungskraft …

In Deutschland gibt es seit Jahrzehnten sogenannte Young Leaders Programme für den Austausch der nächsten Entscheidungsträgergeneration verschiedener Länder. Das bekannteste wird von der "Atlantik-Brücke" für Amerikaner und Deutsche ausgerichtet. Insofern orientieren wir uns an bewährten etablierten Formaten.

Sie suchen selber nach geeigneten Teilnehmern in beiden Ländern und sie erhalten Vorschläge von ehemaligen Teilnehmern. Nach welchem Profil suchen sie?

Unsere Young Leaders sind Menschen mit vielfältigen Hintergründen, die als Unternehmensgründer, Abgeordnete, Künstler oder Ärzte durch ihr Engagement bereits trotz ihres vergleichsweise jungen Alters einen Unterschied machen. Um ein Beispiel zu geben: Erst vor wenigen Tagen wurde unser Mitstreiter Lars Klingbeil im Alter von nur 39 Jahren als SPD-Generalsekretär nominiert.

Die Konferenz findet an drei Tagen im Jahr statt, was kann man in so kurzer Zeit für die bilateralen Beziehungen bewirken?

Unser Konferenzprogramm umfasst ein intensives Portfolio an Plenardiskussionen, Workshops und Team Building-Aktivitäten. Wir geben alles, um möglichst viele neue Begegnungen zu ermöglichen. Denn wir denken in erster Linie langfristig: Inzwischen haben mehr als 1000 Young Leaders an unseren Konferenzen teilgenommen. Aus vielen der Begegnungen haben sich dauerhafte professionelle Verbindungen, in etlichen Fällen sogar Freundschaften entwickelt. Es ist immer hilfreich, wenn Entscheidungsträger verschiedener Länder, sei es in Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft, in einer frühen Phase ihrer Karriere Vertrauen untereinander aufbauen. 

Was ist das Ziel der Konferenz?

Zunächst einmal bieten wir eine unabhängige, politisch neutrale Plattform für den individuellen Austausch, eine Plattform, die niemandem etwas aufzwingt. Wenn es uns darüber hinaus gelingt, die nächste Entscheidungsträger-Generation Russlands und Deutschlands persönlich näher zusammenzubringen, ist dies sicherlich kein schlechter Beitrag für Vertrauen und Stabilität in Europa.

Wie wird die Deutsch-Russische Young Leaders Konferenz finanziert?

Nur wer finanziell unabhängig ist, kann dem Anspruch als unabhängige Plattform gerecht werden. Einen wichtigen Beitrag leisten unserer Young Leaders selber: Sie zahlen ihre Reise- und Hotelkosten aus eigener Tasche. Spenden ermöglichen zudem Reisekostenstipendien, da wir niemanden aus finanziellen Gründen ausschließen wollen. Und außerdem engagieren wir uns ehrenamtlich. In den vergangenen neun Jahren hat sich zudem ein breites Netzwerk an Unterstützern aus Wirtschaft und Gesellschaft gebildet, darunter neben Unternehmen die Deutsche Post-Stiftung, die Friedrich Naumann-Stiftung und die Konrad-Adenauer-Stiftung. Ferner unterstützt uns die gastgebende Stadt oder Region oftmals mit der kostenlosen Bereitstellung von Räumlichkeiten sowie beim Rahmenprogramm. Dazu arbeiten wir selber alle ehrenamtlich, sodass die Spenden und Sponsorengelder sehr effektiv eingesetzt werden können.  

In der Sponsorenliste sind Größen aus der Wirtschaft aufgelistet wie die EWE AG, Metro, VNG und LaModa. Wird so eine Konferenz dadurch nicht eher zur Lobbyveranstaltung?

Wir freuen uns, wenn deutsche und russische Unternehmen, die selbst stark vom internationalen Geschäft und offenen Märkten profitieren, sich für Plattformen wie unsere Konferenz als Sponsoren engagieren. Im Gegenzug dürfen sie eine begrenzte Zahl an Young Leaders nominieren. Auf die Inhalte unserer Workshops haben sie hingehen keinen Einfluss. Die bestimmen wir als Organisatoren. Wir setzen die Themen danach, was wir gerade für wichtig erachten und beziehen hier auch die Teilnehmer selber ein. Das sind nicht nur Themen, die spezifisch den deutsch-russischen Kontext betreffen. In den vergangenen Jahren hatten wir auch immer wieder Workshops zum Thema Medien, in diesem Jahr sind es zum Beispiel Themen wie die Zukunft der Bildung oder der Landwirtschaft. Es werden Cyber-Security und die Chancen und Risiken der Blockchain-Technologie diskutiert. Oder es geht um die Nachnutzung von Austragungsorten nach großen internationalen Sportveranstaltungen. Dafür ist Sotchi natürlich ideal.

Werden politische Themen wie die Sanktionen oder der Syrien-Krieg besprochen?

Ja, natürlich. Das findet zum Beispiel innerhalb eines internationalen Sicherheits-Simulationsspieles statt. Es wird eine Krisenlage simuliert und die Teilnehmer müssen über Lösungen verhandeln. Wir ermutigen die Teilnehmer aus ihren Landesrollen auszubrechen. Jeder muss aus der Sicht eines bestimmten Players agieren und herausfinden, was die Gründe dafür sind, warum ein Akteur so denkt. Das soll einen inhaltlichen Austausch anregen und auch neue Lösungsansätze bieten. Außerdem wird es eine moderierte Diskussion im Plenum mit Politikern geben, in denen auch die offiziellen Positionen der Regierungen dargelegt werden.

Sind Vertreter aus der Politik vor Ort?

Der Gouverneur der gastgebenden Region Krasnodar, Veniamin Kondratew, und Deutschlands Botschafter in Russland, Rüdiger von Fritsch, werden die offizielle Seite unserer Länder repräsentieren. Über diese Wertschätzung freuen wir uns. Darüber hinaus sind natürlich auch politische Entscheider unter unseren Young Leaders, aber sie sind ausdrücklich als Individuen eingeladen und nicht als Vertreter eines Staates, einer Partei oder sonst einer Institution.

Wie beurteilen Sie persönlich die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland im Moment?

Man muss da unterscheiden: Wenn es um die Ukraine, die Krim-Frage, den Syrien-Krieg oder die NATO-Osterweiterung geht, sind die Konfliktfelder allgegenwärtig. Gleichzeitig sehen wir gerade im wirtschaftlichen Bereich ein zunehmendes Maß an Dynamik, das darauf hindeutet, dass zumindest die Wirtschaft die Krise hinter sich lassen will. Auf zwischenmenschlicher Ebene habe ich persönlich nie Probleme wahrgenommen, zumindest nicht unter unseren Young Leaders. Meine Erfahrung ist: wenn man fair miteinander umgeht, dem anderen zuhört und ein ernsthaftes Interesse an der Position des anderen mitbringt, kann man auch kontroverse Themen konstruktiv adressieren, und genau das machen wir auf unseren Konferenzen.

Wird es jetzt, in einer Zeit, in der es zwischen Russland und Deutschland nicht so gut läuft, für Sie und Ihr Team schwieriger, die Konferenz zu organisieren?

Nein, überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil! Die Zahl der Bewerbungen und Nominierungen nimmt von Jahr zu Jahr zu. Die schwierigste Frage ist immer, aus der Vielzahl an wirklich außergewöhnlichen Kandidatinnen und Kandidaten eine angemessene Auswahl zu treffen, die unserem Anspruch gerecht wird, jedes Jahr aufs Neue eine wirklich diverse Gruppe zusammenzustellen.

Das Interview führte Bibiana Barth.

Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im TV: MDR | 25.10.2017 | 19:30 Uhr