Semperoper Dresden Könige soll man nicht lieben: "Die Jüdin von Toledo" hat ihre Liebe mit dem Leben bezahlt

Uraufführung eines Werks von Detlev Glanert

12. Februar 2024, 13:50 Uhr

An der Semperoper in Dresden wird Gegenwart in Geschichte gespiegelt, hat die Uraufführung von Detlev Glanerts Oper "Die Jüdin von Toledo" das Premierenpublikum in europäische Vergangenheit geführt. Aktueller kann Oper kaum sein!

"Die Jüdin von Toledo" ist am ehesten aus dem Theater oder dem Bücherregal bekannt. Doch man muss weder das Trauerspiel von Franz Grillparzer noch den Roman Lion Feuchtwangers kennen, um diese Oper von Detlev Glanert zu verstehen, zumal es ja bereits im frühen 17. Jahrhundert eine Adaption von Lope de Vega sowie in den 1920er Jahren eine erste Verfilmung dieses Stoffes gab.

Thematisiert wird darin die Liaison des Königs von Kastilien, Alfonso VIII., mit Rahel, der Tochter eines jüdischen Kaufmanns, seiner Mätresse. Bei Glanert erschließen sich die Vorgänge und Beziehungen so abstrakt wie direkt aus der etwa zweieinhalbstündigen Oper.

Die Handlung komprimiert

Rahel, genannt La Fermosa, die Schöne, und ihre Schwester Esther dringen in die königlichen Gärten ein, wo Alfonso und sein Hofstaat gerade den nächsten Krieg gegen die Mauren vorbereiten – der König ist solcher "Amtsgeschäfte" müde, verliebt sich umgehend in das schöne Mädchen, fühlt sich wohl zum ersten Mal in seinem Leben frei und als Mensch. Seine Frau, mit der er einen kranken Sohn hat, ist heftig enttäuscht, sie interveniert und intrigiert, ruft den Staatsrat ein und will den König entmachten.

Aktueller Stoff

Das mag so pur zunächst nach einem historischen Stoff klingen, doch der 1960 in Hamburg geborene Komponist Detlev Glanert und sein Librettist Hans-Ulrich Treichel entdeckten in dieser Vorlage etwas, das heutigem Publikum viel zu sagen hat. Es geht darum, wie eine diffizile Privatsituation politisch instrumentalisiert und wie Politik auch privat benutzt werden kann. Populismus, Machtgier, Religionsstreit und Krieg – all diese Dinge sollten längst überwunden sein, beschäftigen und bedrohen die Menschheit aber gerade mal wieder mehr denn je.

Diese sehr aktuelle Thematik wird in Glanerts Oper freilich nicht vordergründig gespiegelt, im Mittelpunkt steht zunächst die zeitlos schöne Liebesgeschichte, in der dieses ebenso unbefangene wie übermütige Mädchen den Mann erobert und sich ihm hingibt. Ob der nun König ist oder sonst was, hat sie nicht interessiert.

Perfekt arrangiert

Dramaturgisch ist das alles perfekt arrangiert, komponiert und orchestriert. Detlev Glanert weiß genau, wie Wirkung erzeugt wird, er ist ein erfahrener Opernkomponist und hat in seinem zwölften großen Bühnenwerk einmal mehr auf den Autor Hans-Ulrich Treichel vertraut. Dessen Libretto ist sprachlich ziemlich spröde, ganz geradeaus.

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Detlev Glanert ist einer der erfolgreichsten Komponisten. Mit Grit Schulze spricht er über seine jüngste Oper, seine Zeit in Italien, seinen Lehrer Hans Werner Henze und über die Zusammenarbeit mit Regisseuren.

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Glanerts Musik dazu wirkt stellenweise geradezu schroff, setzt auf viel Schlagwerk, lautstarke Bläser und satte Streicherklänge, sie ist sehr modern, aber nie modernistisch – man kann sich ihr nicht entziehen. Die Sächsische Staatskapelle sowie der exzellente Staatsopernchor legen sich wuchtig ins Zeug, der britische Dirigent Jonathan Darlington hat die Exzentrik der Musik großartig koordiniert – auch und gerade in fesselnd aufblühenden Zwischenspielen! – , während der Szenen streckenweise zu Lasten der Textverständlichkeit, was aber durch zweisprachige Übertitel wieder wettgemacht wird.

Oper ist keine Utopie, bleibt der Realität verhaftet

Die Oper beginnt mit dem zarten Ton einer Ud, die dann immer mal wieder zu hören ist und arabische Klangwelt assoziiert. Dazu erzeugt auch das Bühnenbild spanisch-arabisches Flair, da ist durchaus an die Mezquita, die Moschee von Córdoba zu denken. Der kanadische Regisseur Robert Carsen hat das zeitlos aktuelle Geschehen raffiniert mit Historie verwoben und gemeinsam mit seinem Ausstatter Luis F. Carvalho eine bestechende Atmosphäre geschaffen.

Auf der Bühne durchweg schwarze Kostüme, der Hofstaat im Anzug mit Rollkragenpullover, nur der König mit Krawatte und weißem Hemd, Rahel allerdings in unschuldsvollem Weiß mit ihrem Gebetsschal, dem Tallit. Über den ganzen Abend hinweg immer wieder ausdrucksstarke Bilder, beispielsweise am vorderen Bühnenrand eine Liebesszene zwischen Rahel und Alfonso, die so innig und rein auf die dahinter gespielte Vision ausstrahlt, wo sich die drei monotheistischen Religionen schon aufgrund ihrer gemeinsamen Wurzeln vereinen könnten! Doch diese Oper ist keine Utopie, sondern sehr der Realität verhaftet.

Das Ensemble

Bemerkenswert real wirkt auch das Spiel des gesamten Ensembles. Und durchweg höchst faszinierend ist dessen Gesang. Angefangen mit den Schwestern Rahel und Esther – mädchenhaft unbefangen die Eine, Heidi Stober legt große Kraft in ihre Stimme, agiert auch in Höhenlagen ganz unbeschwert– und ernsthaft ängstlich die Andere, Lilly Jorstad beweist große Spannbreite von Sanftem bis ins Schrille. Tanja Ariane Baumgartner gibt eine herrschsüchtige Königin Eleonore, überzeugt mit bedrohlich dunklem Mezzo, scheint getrieben wie eine Lady Macbeth.

Aaron Pegram gestaltet seinen Don Garceran mit schlankem Tenor, Bassbariton Markus Marquardt verkörpert dessen Vater Manrique (Graf von Lara) gravitätisch bis hin zum Opportunismus, um vermeintliche Regeln und Ordnung durchzusetzen. Er war Lehrer des Königs, hat ihm gedient und wendet sich von ihm ab, wird zum Einpeitscher, wenn es um Krieg und Staatsmacht geht. Christoph Pohl vermag es, stimmlich und darstellerisch bravourös die Zerrissenheit des Alfonso darzustellen, sich der Liebe hinzugeben und dann wieder ganz rücksichtslos König zu sein, Rahel töten zu lassen, um an der Macht zu bleiben und in den nächsten Krieg zu ziehen.

Geht unter die Haut

Die Verschränkung von Liebesgeschichte, Machtpoker, Religionsstreit und kriegerischer Politik öffnet ein breites Spektrum. Dank musikalisch und darstellerisch packender Umsetzung wird das Resultat zur Premiere heftig gefeiert. Obwohl das Finale dieser Oper durchaus sehr unter die Haut geht, vor allem im Schlussbild. Da werden wieder Waffen gesegnet, geht es wieder in einen unheilig Heiligen Krieg, kommen Filmeinspielungen hinzu, wie sie heute die Nachrichten fluten; katastrophale Bilder, die weniger von Völkern, sondern mehr durch einzelne Machthaber hervorgebracht werden.

Ist die Menschheit da nicht schon weiter gewesen?

Panzer, Kriegsschiffe, Bombenflugzeuge sowie völlig zerstörte, ausradierte Stadtlandschaften werden gezeigt – und ganz zum Schluss dann die Bühne voller Soldaten, Mörder mit Maschinengewehren, die sich gegenseitig niederschießen. Was zunächst erschrocken wahrgenommen wird, wenn Gebetsschals aus den Uniformen geholt und um die Schultern gelegt werden. Doch der erste Eindruck trügt, es sind nicht nur jüdische Tallits, sondern auch weiße Tücher der Mauren, mittendrin die Kämpfer der Christen – Carsens Mahnung geht folglich an alle. Die Gesellschaft braucht weltweit Versöhnung, keine Kriege, keine Glaubenskämpfe - und auch keinen König. Könige soll man nicht lieben.

Weitere Informationen: Auftragswerk der Sächsischen Staatsoper Dresden

Weitere Aufführungen:
15., 18. und 26. Februar sowie 1. und 8. März 2024


Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 12. Februar 2024 | 09:10 Uhr

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