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Das letzte Wort Der journalistische Nachruf

03. März 2025, 10:51 Uhr

Der ehemalige Ministerpräsident Bernhard Vogel nahm es 2019 mit 86 Jahren gelassen, über Nachrufe - auch seine eigenen - zu reden. Allein von Amts wegen war er Kandidat der sogenannten Nachruflisten, die in vielen Redaktionen vorliegen. MEDIEN360G sprach mit ihm sowie mit leitenden Redakteuren und Autoren über diese Art des journalistischen Porträts und das Spannungsfeld von guter Vorbereitung und gebotener Rücksichtsnahme.

Als Karl Lagerfeld starb, füllte kurze Zeit später sein schwarz-weißes Konterfei Tageszeitungen und Boulevard-Blätter. Rundfunkredakteure titulierten den Designer in ihren Beiträgen mit "Legendärer Modezar", "Rockstar der Mode" oder "Der Unsterbliche". Die Magazine Der Spiegel und Focus setzten den Designer sogar auf das Cover ihrer Februarausgabe. Je nach Redaktion lag der Nachruf bereits vorab in der Schublade.

Was morbide klingt, ist gängige journalistische Praxis. Um auf den Tod einer prominenten Person schnell reagieren und ihr Lebenswerk umfassend würdigen zu können, produzieren Rundfunk- und Printredaktionen Nachrufe häufig "auf Halde".

Gerade bei prominenten Personen wie MinisterpräsidentInnen und PolitikerInnen hohen Ranges liegen vorbereitete Nachrufe schon einige Zeit vor dem Tag X in den Schubladen vieler Redaktionen. Über Bernhard Vogel, ehemaliger Ministerpräsident von Thüringen und Rheinland-Pfalz, existieren Nachrufe allein von Amts wegen.

Bernhard Vogel sinniert über seinen eigenen Nachruf

An einem Freitagnachmittag Ende März 2019 sitzt Bernhard Vogel auf einem schwarzen Stuhl in seinem Büro im Thüringer Landtag in Erfurt. Er hat seine Brille vom Gesicht genommen und denkt über eine Frage nach: Wie er es findet, dass über ihn schon Nachrufe vorab existieren?

"Ich bin zu abgebrüht, als dass ich aus Pietät nicht daran dächte, dass Leute vorbereiten, dass auch andere sterben. Das ist leider so", sagt er, hält kurz inne und wiederholt noch einmal: "Das ist leider so". Denn auch wenn ihm die gängige journalistische Praxis geläufig erscheint, so übt er doch am Nachrufprozedere der Redaktionen auch Kritik: "Was mich ein bisschen stört, ist nicht, dass Material gesammelt wird, sondern dass so unverzüglich schnell, gleich am nächsten Tag, lange Würdigungsartikel erscheinen, die ganz sicher nicht in den wenigen Stunden seit der Todesnachricht entstanden sein können."

Der Nachruf vorab

Tagesaktuelle Redaktionen arbeiten unter Zeitdruck. Gelangt eine Todesnachricht zu einem/r Prominenten in Umlauf, integrieren sie den arrangierten Nachruf oft noch am gleichen Tag in das Programm oder in die nächste Printausgabe. Bernhard Vogel sähe es jedoch lieber, dass JournalistInnen den Nachruf erst einige Zeit nach dem Tod eines/r Prominenten in Angriff nähmen. So träfe eine Würdigung aus der "Situation des Augenblicks heraus" ohne großen zeitlichen Vorlauf den Ton im Nachruf besser.

Anders ging der deutsche Talkshow-Moderator Harald Schmidt vor. Er schrieb 2013 seinen Nachruf bei einer Late-Night-Show gleich selbst mit. Was für den deutschen Entertainer eine gefundene Gag-Vorlage im Rahmen einer TV-Sendung war, liegt dem CDU-Politiker jedoch fern. Er wolle nicht wissen, was JournalistInnen in vorbereiteten Nachrufen über ihn berichten. Stattdessen verfolgt er in Zeitungen die Nachrufe von Weggefährten mit einem gewissen Interesse. Er merke einem Nachruf "eine besondere Farbe" an, wenn sich Porträtierte und AutorInnen bereits vorab kannten. Er hält eine persönliche Bekanntschaft jedoch nicht für zwangsläufig notwendig.

De mortuis nil nisi bene - Von den Toten nur gut

Von der scheinbar gängigen Pietätsmaxime, über eine Person sollte postum nur Gutes gesagt werden, ist der Politiker nicht überzeugt. Eine fundierte Würdigung schließen für ihn auch kleine Verfehlungen, bekannte Skandale oder Fehltritte mit ein. "Sie (die Biografie) sollte nicht nur das Gute und Vorbildliche, sondern die ganze menschliche Gestalt schildern. Es gibt bei den größten Vorbildern den ein oder anderen Schatten. Den sollte man nicht leugnen." Leicht schmunzelnd lehnt er sich in seinem Stuhl zurück und fügt noch hinzu: "Zu viel Weihrauch schwärzt den Heiligen".

Sicher in der digitalen Welt

In einer langen Reihe stehen Menschen nebeneinander und schauen jeweils auf ihre Handys.
In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der Jugendlichen mit problematischer Social-Media-Nutzung verdoppelt. Bildrechte: Panthermedia
Frontale Ansicht des Reichstags in Berlin. Das Bild ist von stilistischen, digitalen Bildfehlern durchzogen.
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Mehrere Kinder sitzen nebeneinander auf einer Fensterbank und schauen auf ihre Handys.
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Ob Bahnticket oder Arzt- und Behördentermin – ohne Smartphone und Internet geht fast nichts mehr. Wer sich dem verweigert, läuft Gefahr, abgehängt zu werden. Bildrechte: MDR MEDIEN360G | Panthermedia

Rundfunk, Presse und Politik

Eine Europa-Karte auf der europäische Länder in drei Farben eingefärbt sind. Die Karte befindet sich unter Sonar-Kreisen, auf denen Zeitungs-, Fernseh- und Radio-Symbole platziert sind. mit Video
Rundfunkbeitrag, Steuer oder beides? Für die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt es in Europa unterschiedliche Systeme. Bildrechte: MEDIEN360G
Im Hintergrund sitzt eine Person. Sie ist nicht erkennbar. Im Vordergrund ist ein Mikrofon zu sehen.
Lokaljournalisten, die in Dörfern und Kleinstädten arbeiten, laufen Gefahr, dass sich ihr Berufsleben auch auf ihr Privatleben auswirkt. Sie haben Sorge vor Übergriffen, weil nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Wohnorte oder Autos häufig bekannt sind. Bildrechte: MDR MEDIEN360G