
"Demokratie ist mehr als wählen gehen" Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen: Was Kulturschaffende umtreibt
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31. Juli 2024, 03:00 Uhr
Am 1. September sind Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Laut Umfragen wenden sich viele Menschen den Extremen des Parteienspektrums zu und stellen so die Demokratie in Frage. MDR KULTUR wollte wissen, was Kultur- und Kunstschaffende im Osten darüber denken und wie sie ihre eigene Rolle dabei sehen. Hören Sie hier die sehr persönlichen Kolumnen von den Schriftstellerinnen Isabelle Lehn und Daniela Danz, von Maler Michael Triegel sowie dem Schriftsteller Wilhelm Bartsch.
- Mit Sorge blickt die Leipziger Schriftstellerin Isabelle Lehn auf die Landtagswahlen am 1. September.
- Der Leipziger Maler Michael Triegel sieht seine Rolle als Künstler darin, auf humanistischen Werten zu beharren und erklärt, was das konkret für seine Arbeit bedeutet.
- Der Schriftsteller Wilhelm Bartsch aus Halle fragt nach der Zukunft der Demokratie und formuliert sieben Gebote.
- Die Thüringer Schriftstellerin und Kulturvermittlerin Daniela Danz blickt auf ihre Arbeit mit jungen Leuten und erklärt, warum Demokratie mehr ist als Unmut bekunden und Protest-Wählen-Gehen.
Vor 17 Jahren bog Isabelle Lehn in die "Ostkurve" ein, sie kam nach Leipzig, um am Deutschen Literaturinstitut (DLL) zu studieren. Die Stadt erschien ihr wie ein Versprechen, offen und voller Freiräume.
Isabelle Lehn: "Gehen oder Bleiben?"
Der Osten, so Lehn, machte ihr das "Geschenk", die gediegene westdeutsche Heimat im Rheinland hinter sich lassen und ein Leben führen zu können, das nicht mit Mitte 20 bereits festgelegt war; frei von Erwartungen zu schreiben, sich auszuprobieren und "kurvige Wege fahren zu dürfen".
Ich habe Angst, dass die Wahlen im Herbst der Scheitelpunkt meiner Ostkurve sind. (...) Noch ist es möglich, eine andere Geschichte zu schreiben, sie nicht von anderen erzählen zu lassen.
Doch diese Freiheit sieht Isabelle Lehn schon länger in Gefahr. Sie warnt vor denjenigen, die ihr Recht auf Freiheit zu Demonstrationen schützen lassen, in denen sie fordern, anderen ihre Freiheit zu nehmen. Sie beklagt, dass in einem vergifteten Klima nichts außer Hass, Angst und Gewalt "gedeihen". Und sie diskutiert mit Freunden, was ein Wahlerfolg der AfD bedeutet, einer Partei, "die sich gegen die Vielfalt des Miteinanders ausspricht und eine Entsiffung des Kulturbetriebs fordert". Gehen oder Bleiben? Auf diese Frage läuft es für sie hinaus.
Michael Triegel: "Ich halte fest an einer humanistischen Idee"
Michael Triegel gehört zu den eigenwilligsten und erfolgreichsten Malern seiner Generation. Der 1968 in Erfurt geborene Künstler wurde international bekannt durch sein Porträt von Papst Benedikt XVI. – zuletzt sorgte sein Altargemälde für den Naumburger Dom für Aufsehen. Wichtig für ihn war jedoch auch ein großformatiges Wandbild, das er zu Beginn seiner Karriere um die Jahrtausendwende für das Rathaus im baden-württembergischen Plochingen schuf: "Ich wollte die Allegorie einer guten Regierung malen", auch als "Impuls für Eintracht und gesellschaftlichen Frieden" für die Parlamentarier, erinnert er sich zum Einstieg in seine "Ostkurven"-Kolumne.
Der einzelne Mensch muss im Zentrum stehen, nicht seine Gruppenzugehörigkeit. Damit nicht diejenigen triumphieren, die humane Werte mit Füßen treten.
Jedes Kunstwerk könne politisch sein, sagt Triegel. Dabei ist ihm die Politisierung von Kunst "zunehmend suspekt", er nennt "die unsäglichen antisemitischen Schmierereien auf der letzten Documenta" als abschreckendes Beispiel. Das Kollektiv Taring Padi habe statt jüdischer Menschen "fratzenhafte Stereotype" in "Stürmer"-Manier hingepinselt, um eine abstrakte Idee zu bebildern. Aufgewachsen in der DDR, reagiere er besonders empfindlich, wenn Kunst als Propagandainstrument missbraucht werde, so Triegel.
Ihm sei klar, dass wir "das Erbe unserer Kultur immer wieder neu befragen, kontextualisieren und durchaus kritisieren sollten". Dennoch halte er fest an einer humanistischen Idee: dass nicht die Gruppenzugehörigkeit, sondern "der einzelne Mensch in seiner Würde und Schönheit, seiner Verletzlichkeit und Stärke, auch in seiner Fehlbarkeit" im Zentrum stehen sollte. So lautet sein Credo und Plädoyer: "Damit nicht diejenigen triumphieren, die humane Werte mit Füßen treten und sich zugleich als Verteidiger der Unterdrückten und des christlichen Abendlandes aufspielen."
Wilhelm Bartsch: "Hat die Demokratie noch Zukunft?"
"Hat die Demokratie noch Zukunft?", fragt der hallesche Schriftsteller Wilhelm Bartsch. Er sieht keine Alternative, außer sich beherrschen zu lassen von "meist alten und gewaltbereiten Männern wie Trump, Putin oder den Ayatollahs". In der "Ostkurven"-Kolumne kommt er auf seine Vorschläge zu sprechen, "wie man sich – ob nun jung oder alt – als Demokrat verhalten sollte". Nicht nur bei Wahlen.
Spaß muss Demokratie ja auch nicht immer machen.
Ein alter Hut seien die drei Bibel-Gebote: "Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht lügen." Niemals ganze Menschengruppen zu verurteilen, das hat für Bartsch gerade heute Gebots-Rang. Sich selbst nicht für fehlerfrei oder allwissend zu halten, könne da helfen. Außerdem lädt er dazu ein, von denen zu lernen, "die dir widersprechen" und auch gegen Feinde, "keinen Krieg mit Worten zu führen". Auch gegen das Bashing demokratischer Institutionen wendet er sich, selbst wenn sie nicht vollkommen sein sollten: "Sie sind leichter zu beseitigen, als wir ahnten."
Dass Bartsch seine Gebote selber ernst nimmt, zeigt sein Eintreten gegen Antisemitismus. Mit seinem Programm "Das antisemitische Virus – sind wir befallen? Eine Selbstbefragung" geht er an Schulen und veröffentlichte auch ein Video zum Projekt.
Daniela Danz: Demokratie ist mehr als wählen gehen
Nicht nur gebannt auf Umfragen und mögliche Wahlergebnisse zu schauen, dafür plädiert die Thüringer Schriftstellerin Daniela Danz. Es sei ein Lichtblick, dass zuletzt so viele Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen seien. Die Proteste seien ein wichtiges Zeichen auch für die Menschen, die in Wort und Tat ausgegrenzt würden – was nicht hinzunehmen sei in einer Demokratie. Genauso wenig dürften aber die Interessen junger Menschen weiter ignoriert werden, betont Danz in ihrer "Ostkurven"-Kolumne für MDR KULTUR.
Die permanente Showdown-Atmosphäre halte ich für gefährlich, weil zu viel liegen bleibt. Das wird mir klar, wenn ich mit Kindern und Jugendlichen zu tun habe und schaue, wie es ihnen in dieser Welt gerade geht.
Sie hält es für absolut dringlich, "eine demokratische Schulkultur voranzubringen". Sie beklagt, dass es an kommunaler Mitbestimmung junger Menschen fehle, und sie befürchtet, dass in der "permanente Showdown-Atmosphäre" der Wahlkämpfe auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene "wichtige Weichen für den Erhalt unserer Natur nicht gestellt werden". Junge Menschen müssten aber "Demokratie erfahren, üben und ausüben können", damit sie nicht "am Ende den einfachen Lösungen glauben werden, die man ihnen ins rechte Ohr flüstert", appelliert Danz.
Dabei ruft sie nicht nur nach der Politik, um es zu richten, sondern verweist auf die Elternvertretungen an Schulen und Kitas, auf Vereine und Initiativen, die bürgerschaftliches Engagement brauchen. Demokratie sei viel mehr als Unmut bekunden, vermeintliche politische Gegner und die "Obrigkeit" beschimpfen oder Protest-Wählen-Gehen, stellt sie so klar.
Quelle: MDR KULTUR (Kolumnen-Reihe "Ostkurve" mit Isabelle Lehn, Michael Triegel, Wilhelm Bartsch, Daniela Danz), redaktionelle Bearbeitung: ks
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 22. Juli 2024 | 08:15 Uhr