"Prinz von Anhalt" Wehmut zum Abschied: 300 Jahre alter Gasthof in Radegast wird abgerissen
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27. Mai 2024, 08:32 Uhr
Der Gasthof "Prinz von Anhalt" gehörte lange zu Radegast – 300 Jahre lang, um genau zu sein. Nun hat der Landkreis Anhalt-Bitterfeld beschlossen, das marode Gebäude abreißen zu lassen. Der Besitzer hatte den Gasthof erst vor etwa zwei Jahren gekauft. Was nun auf dem Grundstück entstehen soll, ist ungewiss.
- Der 300 Jahre alte Gasthof "Prinz von Anhalt" in Radegast wird abgerissen.
- Eigentlich hatte der Besitzer Pläne für das marode Gebäude – doch dann beschloss der Landkreis den Abriss.
- Die Zukunft des Grundstücks ist noch ungewiss.
Mit einem lauten Krachen reißt der Bagger einen Balken aus dem Dach des einst so stolzen "Prinz von Anhalt" im Herzen von Radegast. Zwei ältere Herren, die sich den Abriss des über 300 Jahre alten Gasthauses aus sicherer Entfernung ansehen, sind sichtlich gerührt: "Da wird man schon 'n bisschen wehmütig. Wir haben uns da immer alle getroffen, da drinnen. Haben etliche Stunden dort verbracht. War immer schön", sagt der eine, den Blick weiter auf das alte Fachwerkhaus gerichtet, dessen Dach nun beinahe komplett abgetragen ist.
Wehmut beim Abschied vom "Prinz von Anhalt" in Radegast
Auch Jörn Mozdzanowski, der Ortsbürgermeister von Radegast, einem Ortsteil der Gemeinde Südliches Anhalt im Kreis Anhalt-Bitterfeld, erinnert sich an viele Abende im Prinzen. Er habe dort seine halbe Jugend verbracht, sagt der 56-Jährige und lächelt vor sich hin. Vor der Disko und danach, immer wieder traf man sich in der Gaststätte im Zentrum des Ortes. Einem Gebäude, das über Jahrhunderte auch eine Art Wahrzeichen war: "Es ist das älteste Haus hier im Ort, es ist auf jeder Postkarte, bei jeder Google-Suche nach Radegast. Überall kommt der Prinz." Doch das ist nun vorbei.
Es ist das älteste Haus hier im Ort, es ist auf jeder Postkarte, bei jeder Google-Suche nach Radegast. Überall kommt der Prinz.
Besitzer hatte Pläne für den Gasthof
Weil Gefahr im Verzug war, immer wieder Ziegel auf die Gehwege fielen, das Haus im nächsten Sturm vielleicht ganz in sich zusammengefallen wäre, erließ der Landkreis Anhalt-Bitterfeld eine Verfügung zum umgehenden Abriss, erklärt Daniel Bohnsack.
Bohnsack ist seit gut zwei Jahren der Besitzer des Gasthofs "Prinz von Anhalt", der achte Eigentümer in den letzten 20 Jahren, in denen das Haus leer stand. Wie so mancher seiner Vorgänger hatte der Unternehmer aus Thüringen große Pläne. "Ich war Anfang 2022 gerade dabei, eine bayrische Firma zu übernehmen, die Laborgeräte für Brauereien herstellt und habe nach genau solch einem Objekt gesucht", sagt er, "Ein Haus mit Geschichte, wirklich schön, repräsentativ. Dazu der Standort Radegast, zwischen meinen damaligen Arbeitsorten Jena, Berlin und Erfurt – das passte genau in mein Konzept."
Der Plan war es, in Radegast eine Werkstatt zur Montage der Laborgeräte einzurichten, vielleicht eine Schaubrauerei, dazu eine kleine Gastwirtschaft. "Das wäre gutes Marketing für die Firma gewesen und hätte Radegast etwas belebt. Ich wollte auch Arbeitsplätze schaffen", so Bohnsack.
Statt Sanierung sofortiger Abriss
Dass das Gebäude nicht im besten Zustand war, war dem 46-jährigen Unternehmer durchaus klar. Von dringendem Handlungsbedarf sprach ein Gutachten von 2018, eine neue Begutachtung aber empfahl den sofortigen Abriss. "Ich habe das Haus zu spät und zu früh gekauft", meint Daniel Bohnsack, "Zu spät, weil der Verfall des Hauses schon so weit vorangeschritten war und zu früh, weil ich in eins, zwei Jahren vielleicht andere Fördermittelmittel hätte akquirieren können."
Zwei bis drei Millionen Euro hätte es gebraucht, um das Gebäude zu retten, schätzt Bohnsack und übt sich in Galgenhumor: "Wenn der Abriss abgeschlossen ist, bin ich immerhin Besitzer einer ziemlich teuren Wiese."
Wenn der Abriss abgeschlossen ist, bin ich immerhin Besitzer einer ziemlich teuren Wiese.
Auch Ortsbürgermeister Jörn Mozdzanowski kann dem Abriss durchaus etwas Positives abgewinnen: "Wir sind froh, dass der Schandfleck jetzt bald weg ist. Die Dachziegel fallen runter und das Haus ist auch nicht mehr schön anzusehen. Jetzt kriegen wir eine Wiese, kümmern uns ums Mähen und dann sieht es am Markt wieder anständig aus."
Portal für die Nachwelt gesichert – aber noch keine Pläne für das Grundstück
Ganz vergessen werden soll der historische Gasthof aber natürlich trotzdem nicht. Mozdzanowski hat das Eingangsportal des Hauses gesichert, dazu ein paar der handgefertigten Dachziegel, die er gern irgendwann woanders einbauen möchte. All das wird zu besprechen sein – und auch, was auf der teuren Wiese von Daniel Bohnsack zukünftig entstehen könnte. Zum Straßenfest im Juni hat der Unternehmer seinen Besuch in Radegast angekündigt, freut sich Jörn Mozdzanowski und richtet seinen Blick wieder auf den alten Fachwerkbau.
Der Bagger hat gerade den ersten Giebel des "Prinz von Anhalt" eingerissen, eine Staubwolke hängt in der Luft und ein paar Backsteinstücke liegen auf der Straße. Ortsbürgermeister Mozdzanowski greift zum Besen und beginnt zu fegen.
MDR (Jana Müller, Maren Wilczek)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 26. Mai 2024 | 07:40 Uhr