
Radverkehr Sachsen-Anhalt: Wo die meisten Fahrradunfälle passieren
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05. Oktober 2024, 05:00 Uhr
Eine Auswertung von Unfalldaten zeigt, wo in Sachsen-Anhalt die meisten Radfahrer verunglücken. Mit mehr als 450 Unfällen in den vergangenen fünf Jahren und einer hohen Zahl an tödlichen Unfällen sticht Wittenberg besonders hervor. Der ADFC erklärt, was für die Sicherheit von Radfahrenden in Sachsen-Anhalt getan werden könnte.
- In Wittenberg passieren im Verhältnis zur Einwohnerzahl die meisten Radunfälle in Sachsen-Anhalt.
- In Städten kommt es häufiger zu Radunfällen, da dort das Verkehrsaufkommen am höchsten ist.
- Wenn Radfahrer verunglücken, tragen häufig Autofahrer die Schuld. Der ADFC fordert deshalb strengere Verkehrskontrollen und den Ausbau von Radwegen.
Wittenberg steht an der Spitze einer traurigen Statistik: Keine andere Stadt in Sachsen-Anhalt verzeichnet, gemessen an der Einwohnerzahl, so viele Fahrradunfälle wie die Lutherstadt. Das geht aus Daten des Statistischen Bundesamts hervor, das einen Großteil der Verkehrsunfälle in Deutschland erfasst, bei denen Menschen verletzt oder getötet werden.
Zwischen 2019 und 2023 wurden in Wittenberg insgesamt 465 Unfälle registriert, an denen Radfahrerinnen und Radfahrer beteiligt waren. Angesichts der Einwohnerzahl von rund 45.000 entspricht das etwa 10,3 Unfällen pro 1.000 Einwohner.
Auch die Zahl der tödlichen Unfälle sticht hervor: Seit 2019 starben in Wittenberg sieben Menschen bei Radunfällen, das entspricht fast zehn Prozent aller tödlichen Radunfälle in Sachsen-Anhalt. Zum Vergleich: In der etwa fünfmal größeren Landeshauptstadt Magdeburg gab es im selben Zeitraum zwei tödliche Fahrradunfälle.
Warum es in Wittenberg so viele Fahrradunfälle gibt, konnte die Stadt auf Anfrage von MDR Data nicht beantworten. Eine mögliche Ursache könnte das hohe Durchschnittsalter der Einwohner sein. 2019 lag es bei 48,9 Jahren, etwa vier Jahre über dem bundesweiten Durchschnitt. Ältere Menschen sind beim Radfahren besonders anfällig für schwere Verletzungen, insbesondere bei Stürzen.
Wittenberg: Keine konkreten Pläne zur Verbesserung der Verkehrssicherheit
Trotzdem gibt es in Wittenberg momentan keine konkreten Pläne zur Verbesserung der Verkehrssicherheit für Radfahrer. "Derzeit konzentriert sich die Lutherstadt Wittenberg auf die Instandhaltung und Reparatur des bestehenden Radwegenetzes", so das zuständige Fachamt. Ein umfassendes Radverkehrskonzept, das auch die Ortsteile sicherer mit der Innenstadt verbindet, ist nach Angaben des Fachamts zwar perspektivisch vorgesehen, doch es fehlen bislang sowohl detaillierte Pläne als auch die Finanzierung.
Auch in Magdeburg, Bitterfeld-Wolfen, Halle, Stendal und Salzwedel registrierte die Polizei in den vergangenen fünf Jahren mehr als sieben Fahrradunfälle pro 1.000 Einwohner. Die Daten des Statistischen Bundesamts zeigen, dass sich in Städten mehr Radunfälle ereignen als auf dem Land.
Das liegt daran, dass Menschen in der Stadt auch öfter auf ihr Rad steigen als in ländlichen Regionen. "In den Städten gibt es mehr Radverkehr als auf dem Land, weil auf dem Land Radwege oft ganz fehlen und der ÖPNV meist nicht so gut ausgebaut ist – und deshalb diese Mobilitätskombination als Alternative zum Auto häufig wegfällt", erklärt Stephanie Krone, Bundespressesprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC).
Allerdings zeigt eine aktuelle Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV), dass auch die Zahl der schweren Radunfälle auf Landstraßen in den vergangenen zehn Jahren um 30 Prozent gestiegen ist.
ADFC sieht Verkehrssicherheit in Sachsen-Anhalt kritisch
Bereits 2019 nahm die Regierung von Sachsen-Anhalt die Vision Zero – das Ziel von null Verkehrstoten – in den Landesradverkehrsplan 2030 auf. Der Plan umfasst unter anderem den Ausbau eines lückenlosen Radverkehrsnetzes zur Verbesserung der Radinfrastruktur. Derzeit verfügen nur etwa 668 Kilometer oder 16 Prozent der Landesstraßen in Sachsen-Anhalt über einen begleitenden Radweg. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Landtagsabgeordneten Cornelia Lüddemann (Bündnis 90/Die Grünen) an die Landesregierung hervor. Für das Jahr 2024 ist demnach der Bau von weiteren zwölf Kilometern Radweg geplant.
Im vergangenen Jahr kamen 13 Menschen bei Fahrradunfällen in Sachsen-Anhalt ums Leben. 2022 waren es sogar 21 tödliche Radunfälle. Die Zahl der Unfälle mit Schwerverletzten ist 2023 im Vergleich zum Vorjahr wieder leicht gestiegen.
"Wenn wir als Maßstab die Vision Zero, also das Ziel von null Verkehrstoten ansetzen, dann ist die Verkehrssicherheit der Radfahrenden im Land kritisch zu beurteilen", so Stephan Marahrens, Vorsitzender des ADFC in Sachsen-Anhalt. Für zwei Drittel aller Radunfälle seien Autofahrer verantwortlich, häufig aufgrund mangelnder Rücksichtnahme und falsch verstandener Verkehrsregeln.
Insbesondere die Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen und des Mindestabstands beim Überholen von Radfahrern müsse engmaschiger kontrolliert werden. "Der Überholabstand von 1,50 Metern innerorts und zwei Metern außerorts ist noch nicht in allen Köpfen angekommen. Wir brauchen mehr Kontrolldruck auf unseren Straßen", so Marahrens.
Zudem fehle es landesweit an Radwegen und damit an einem lückenlosen Radwegenetz. "Wo baulich keine Möglichkeiten bestehen, müssen Maßnahmen der Verkehrsorganisation umgesetzt werden", so Marahrens. Dazu gehören Geschwindigkeitsbegrenzungen für Autofahrer, geschützte Radstreifen und sichere Kreuzungen.
In Bremen und Hamburg passieren die meisten Radunfälle
Im deutschlandweiten Vergleich liegt Sachsen-Anhalt mit 4,4 Fahrradunfällen pro 1.000 Einwohnern in den vergangenen fünf Jahren im Mittelfeld. Die meisten Fahrradunfälle passieren in Bremen, gefolgt von Hamburg.
Laut der letzten Erhebung von 2017 haben Bremen mit einem Anteil von 21 Prozent und Hamburg mit 15 Prozent den höchsten Radverkehrsanteil am gesamten Verkehrsaufkommen. In Sachsen-Anhalt liegt der Radverkehrsanteil bei 11 Prozent.
MDR (Ella Gößelein)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 07. Oktober 2024 | 05:30 Uhr
Nudel81 vor 22 Wochen
Das Beste wäre mehr Kontrollen bei Auto- und Radfahrern. Beleuchtung und getunte E Bikes sind da gute Stichworte. Das Auto muss ja auch regelmäßig zum TÜV.
Denkschnecke vor 22 Wochen
Dass das in der Mehrzahl der Fälle so war, hat sich ja nicht der Autor ausgedacht, sondern das geht aus den polizeilichen Unfallaufnahmen hervor. Es ist auch immer wieder erstaunlich wie viele Auto Fahrende der Meinung sind, dass das Schild Vorfahrtsstraße oder rechts vor links nur für den Kraftverkehr gelten würde. Wenn es dann knallt, war es die böse Radfahrerin - natürlich.
grossmutter vor 22 Wochen
Die im Unfallatlas enthaltenen Daten sind als OpenData zum Download verfügbar. Die eingehende Analyse der Fahrradunfälle in Wittenberg zeigt, dass es zwischen 2019 (Beitritt Sachsen-Anhalt zum Unfallatlas-Projekt) und 2023 insgesamt 674 Fahrradunfälle gab, von denen 537 der Kategorie "leicht" (=keine im Krankenhaus behandelte Verletzung) angehörten. Von den 137 "schweren" Unfällen fand etwa die Hälfte ohne KFZ-Beteiligung statt (41 Alleinstürze, 13 Rad-Rad-Unfälle und 8 Kollisionen mit dem Fußverkehr). Der überwiegende Anteil der Zusammenstöße mit KFZ erfolgte an Kreuzungen (13x Abbiegen, 50x Vorfahrt/Fahrbahnquerung). Es gab in Wittenberg in fünf Jahren insgesamt überhaupt nur 5 Unfälle mit KFZ im Längsverkehr, davon lag aber bei dreien der Unfallort außerhalb des geschlossenen Ortsgebiet auf Landstraßen. Bei den einzigen zwei innerörtlichen Unfällen liegt die Unfallstelle in Straßen mit Radwegen. Klartext: "fehlende Radwege" sind in Wittenberg kein Unfallfaktor.