
Frauen eher von Altersarmut betroffen Wer es ein Leben lang schwer hatte, landet eher in der Altersarmut
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17. April 2021, 13:49 Uhr
Etwa ein Sechstel der Rentnerinnen und Rentner in Sachsen-Anhalt ist durch Armut gefährdet. Besonders betroffen sind Menschen mit niedrigeren Abschlüssen, Langzeitarbeitslose und Frauen. Sandro Witt vom Deutschen Gewerkschaftsbund erklärt, wie Altersarmut entsteht – und was wir dagegen tun können.
Nicht arbeiten müssen und stattdessen Zeit so verbringen können, wie es einem beliebt: So erhoffen sich viele ihre Rentenzeit. Aber für immer mehr Menschen sieht die Realität im Alter so nicht aus. 16,4 Prozent der Rentnerinnen und Rentner in Sachsen-Anhalt waren 2018 von Armut gefährdet. Zehn Jahre zuvor war es noch ein Fünftel weniger. Bei kaum einer anderen Altersgruppe ist das Risiko so stark gestiegen.
Als von Armut bedroht gilt, wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung hat. Für Alleinstehende lag diese Schwelle 2018 bei 1.035 Euro im Monat. Frauen, die in Sachsen-Anhalt 2018 neu in Rente gegangen sind, haben im Schnitt allerdings nur 969 Euro Rente monatlich erhalten. Männer in derselben Position lagen mit 1.073 Euro noch knapp über der Armutsgefährdungsgrenze.
Altersarmut ist in Sachsen-Anhalt also durchaus ein drängendes Thema. MDR SACHSEN-ANHALT hat mit Sandro Witt darüber gesprochen. Der 39-Jährige ist stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Thüringen-Hessen und Experte für das Thema.
MDR SACHSEN-ANHALT: Ab wann würden Sie davon sprechen, dass jemand von Altersarmut betroffen ist?
Sandro Witt: Ich würde sagen: Wenn jemand zu wenig Geld hat, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, dann ist die Person arm. Auch wenn die Politik sagt, das Geld, was die Person hat, ist genug. Aus politischer Sicht ist da ja quasi eine Grenze festgelegt worden und wer darunter liegt, erhält Grundsicherung und wer darüber liegt, nicht.
Glauben Sie, es gibt eine Dunkelziffer an Menschen, denen eigentlich Grundsicherung im Alter zustehen würde, die sie aber nicht beantragen?
Ich glaube schon, dass eigentlich viel mehr Menschen Anspruch auf Grundsicherung hätten und Leistungen beantragen könnten. Aber Armut zieht sich zurück und schämt sich, das ist leider meist so. In meiner Wahrnehmung hat das sogar zugenommen. Mich ärgert das, dass es diese Abwertung der staatlichen Leistungen gibt, dass Menschen das nicht in Anspruch nehmen wollen. Wir brauchen öffentliche Debatten, um die Leute in ihrem Anspruch zu bestärken. Schließlich ist das Geld, das Ihnen zusteht.
Was führt dazu, dass Menschen von Altersarmut betroffen sind?
Die tieferen Gründe sind sehr unterschiedlich. Es kann sein, dass jemand lange nicht in Erwerbsarbeit war und lange Ausfallzeiten hatte, es kann aber auch sein, dass eine Person ihr Leben lang in Niedriglohnbeschäftigung unterwegs ist und nie die Summe erreicht, die man für einen Rentenpunkt braucht. Da spielen oft auch persönliche Tragödien mit hinein, zum Beispiel, wenn man über längere Zeit krank wird.
Wer hat denn dann ein besonders großes Risiko, in der Altersarmut zu landen?
Das betrifft vor allem drei Personengruppen. Zum einen hängt das mit Niedriglohn und damit auch mit Qualifikationen und Schulabschlüssen zusammen. Wer keine Ausbildung oder keinen Schulabschluss macht und dann in schlechter bezahlte Tätigkeiten gehen muss, hat ein großes Risiko, später nicht genug Rente zu bekommen.
Dasselbe gilt für Langzeitarbeitslose, die über längere Zeiträume nicht gearbeitet und damit auch nichts verdient haben. Und auch Frauen haben ein deutlich höheres Risiko, in der Altersarmut zu landen. Unter anderem, weil die öfter in den Jobs arbeiten, die schlechter bezahlt sind, zum Beispiel die Pflege.
Eigentlich heißt das doch, dass die Menschen, die es ohnehin ihr Leben lang schwerer hatten, dann auch wahrscheinlich im Alter zu wenig Geld haben?
Ja, das kann man so sagen. Die Diskriminierung setzt sich fort. Das beginnt in dem Moment, wo ich mich für eine Ausbildung entscheide. Wenn ich mich für den Öffentlichen Dienst entscheide, dann wird es wahrscheinlich auch im Alter gut aussehen für mich, aber wenn ich, sagen wir mal, Maler und Lackierer werde, stehen meine Chancen schlechter. Das heißt, eigentlich müssen auch die jungen Leute schon ganz genau hinschauen, was sie machen. Auch, wenn es natürlich nicht immer so ist, dass man wirklich eine freie Wahl hat. Wer Arbeiterkind ist, hat schlechtere Chancen auf Bildung und landet viel eher in der Schleife von Altersarmut.
Diskriminierung setzt sich fort. Wer Arbeiterkind ist, hat schlechtere Chancen auf Bildung und landet viel eher in der Schleife von Altersarmut.
Ist das Risiko, im Alter arm zu sein, für Menschen in Sachsen-Anhalt größer?
In Ostdeutschland und auch in Sachsen-Anhalt arbeiten besonders viele Menschen in Niedriglohnjobs und haben deswegen auch Aussichten auf eine niedrige Rente. In der Hinsicht hat, wer in Sachsen-Anhalt wohnt, also schon eine höhere Wahrscheinlichkeit, in der Altersarmut zu landen. Gleichzeitig landen Frauen im Osten aktuell weniger wahrscheinlich in der Falle Altersarmut. Das sind die Folgen der DDR. Im Vergleich mit Westdeutschland haben in Ostdeutschland mehr Frauen gearbeitet, es gab meist ausreichend Kitaplätze, die Frauen waren weniger abhängig.
Wie spielt der demographische Wandel da mit hinein – wenn es immer mehr alte und immer mehr junge Menschen gibt? Schließlich ist Sachsen-Anhalt aus demographischer Sicht immer noch ein Sorgenkind.
Der demographische Wandel bringt in Sachen Altersarmut natürlich ganz neue Schwierigkeiten mit sich. Durch die Abwanderung und die Alterung der Gesellschaft fehlt es massiv an Fachkräften und irgendwann wandern dann ganze Unternehmen ab. Das macht es für die Menschen hier schwerer, genug zu verdienen, um eine würdige Rente zu bekommen. Dazu kommt, dass immer weniger junge Menschen die Rente immer mehr alter Menschen finanzieren müssen. Vor allem in Ostdeutschland werden wir deswegen in vielerlei Hinsicht auf Zuwanderung angewiesen sein. Auch, um die Rente zu erhalten.
Was muss aus Ihrer Sicht politisch passieren, damit weniger Menschen im Alter arm sind?
Wir brauchen höhere Löhne. Aktuell sind viele Löhne einfach zu niedrig, genau das ist das Problem. Und da kann der Staat sicherlich eingreifen und entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, das können wir auch fordern, aber die Leute müssen das auch ein Stück weit selbst in die Hand nehmen. Das finde ich wichtig, zu sagen. Gesetzgeber ändern sich, aber ich persönlich möchte meine Rente nicht so in Abhängigkeit davon stellen, wer da politisch dran ist.
Ansonsten ist es aus Sicht des DGB natürlich wichtig, das Rentenniveau zu stabilisieren, damit es nicht noch weiter fällt. Das ist eine politische Entscheidung. Und wir könnten auch darüber reden, was eigentlich alles auf die Rente angerechnet wird. Ich finde, dass zum Beispiel die Hochschulzeit da mehr angerechnet werden könnte.
Wir haben die Landtagsparteien in Sachsen-Anhalt gefragt, wie sie gegen Altersarmut vorgehen wollen. Das waren ihre Antworten.
Und was kann ich als Privatperson tun, um Altersarmut vorzubeugen?
Ich finde nicht, dass es unsere Aufgabe sein sollte, privat fürs Alter vorzusorgen. Dafür haben wir ja das Rentensystem. Wenn es möglich ist, würde es schon helfen, Jobs, von denen man nicht leben kann, auch nicht anzunehmen. Oder zu versuchen, einen besser bezahlten Job zu finden. Sich nicht mehr ausbeuten zu lassen. Aber ich möchte das auch nicht an der Person festmachen – so einfach ist das nicht.
MDR/Alisa Sonntag
Magdeburger Jung am 18.04.2021
Sorry aber ich habe nichts von „grundlegender Reformation“ geschrieben!
Das ist wohl auch sicher innerhalb einer Legislaturperiode nicht machbar. Aber eine Partei hat wenigstens den Ansatz zu Änderungen mit ins Parteiprogramm aufgenommen. Aber das würde halt nur als regierende Partei umsetzbar sein. Als Opposition wohl kaum......
Frank 1 am 18.04.2021
@ Magdeburger Jung: Vielleicht bin ich begriffsstutzig, kann ja sein. Dann helfen Sie mir bitte. Bei welcher Partei haben Sie im Wahlprogramm entdeckt, dass sie das beschriebene Problem nachhaltig lösen möchte, also die Alterssicherungssysteme grundlegend reformieren möchte und wie konkret das geschehen soll. Habe ich da etwas übersehen? Für Ihre Bemühungen vielen Dank im Voraus.
Frank 1 am 18.04.2021
Hartz IV ist eine der Hauptursachen für die Misere. Wer hat es in Regierungsverantwortung als alternativlos eingeführt? Einige Foristen scheinen das nicht zu wissen.
Kleine Nachhilfe, es war die SPD in Regierungsverantwortung mit den Grünen unter der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder. Möchte das jemand bestreiten?