Smartphone zeigt das Gesicht eines Mannes, ein Laptop im Hintergrund eine Waffe
Der Täter von Magdeburg: Taleb A. hat viele seiner Botschaften über Monate im sozialen Netzwerk X gepostet. Bildrechte: IMAGO

Fragen und Antworten Attentat in Magdeburg: Was über den Täter Taleb A. bekannt ist

15. April 2025, 18:47 Uhr

Wenige Minuten nach dem Anschlag in Magdeburg wurde der Täter Taleb A. festgenommen. Er sitzt in Untersuchungshaft. Viele Fragen sind nach wie vor offen. Was heute über Motiv, Herkunft und Ermittlungen bekannt ist – die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wer ist der Täter Taleb A.?

Bei dem Attentäter von Magdeburg handelt es sich um Taleb A., einen 50-Jährigen aus Saudi-Arabien. Er hat allein gehandelt, stammt laut Deutscher Presse-Agentur aus Al-Hofuf im Osten Saudi-Arabiens und lebt seit 2006 in Deutschland. Nach seiner Einreise hatte er zunächst mit einer Aufenthaltserlaubnis zum Studium in Hamburg gelebt – laut Senat in Hamburg war er vom 3. März 2006 bis 14. Januar 2008 in der Hansestadt gemeldet.

2016 erhielt er Asyl als politisch Verfolgter: Er soll Schiit sein. Nach Angaben von Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) verfügt Taleb A. über einen unbefristeten Aufenthaltstitel.

Stichwort: Schiiten In Saudi-Arabien gelten nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung als schiitisch. Das Land ist mehrheitlich sunnitisch geprägt. Es gibt immer wieder Berichte über Diskriminierungen gegenüber Schiiten im Land. 

Der 50-Jährige arbeitete in der Salus-Klinik in Bernburg im Salzlandkreis als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er war seit 2020 im Maßregelvollzug für suchtkranke Menschen beschäftigt, zuletzt aber als arbeitsunfähig gemeldet gewesen.

Wo ist Taleb A. jetzt?

Der Todesfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt ist am 15. April erneut aus dem Gefängnis Dresden in die JVA Leipzig mit Krankenhaus verlegt worden. Entsprechende Informationen bestätigte ein Sprecher des Justizministeriums in Dresden auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur. Zu den Hintergründen der Überstellung wollte er sich nicht äußern.

In Sicherheitskreisen hieß es, der Täter habe die Nahrungsaufnahme zuletzt teilweise verweigert und sei durch "aufmüpfiges Verhalten" aufgefallen. Anfang Januar war der Untersuchungsgefangene aus der JVA Burg in Sachsen-Anhalt zunächst nach Dresden verlegt worden. Vom 30. Januar bis zum 6. März war er schon einmal in die JVA Leipzig mit Krankenhaus überstellt worden. Auch damals ging es um unregelmäßiges Essverhalten.

Kurz nach seiner Tat war er in die JVA in Burg gebracht worden. Angesichts der hohen Zahl der Betroffenen und der Tatsache, dass der Mann selbst im Maßregelvollzug arbeitete, wurde er Anfang Januar 2025 verlegt. In Sicherheitskreisen hieß es, damit sollte auch eine räumliche und menschliche Nähe des Täters zu Betroffenen oder Menschen, mit denen er früher dienstlich zu tun hatte, vermieden werden.

Das Amtsgericht Magdeburg hatte in der Nacht zum 22. Dezember Haftbefehl erlassen und Untersuchungshaft angeordnet.

neutrale Person mit Trauerkerze 30 min
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Welches Motiv hatte der Täter für seinen Anschlag?

Das ist noch Gegenstand der Ermittlungen. Geführt werden sie von der Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg. Durch Recherchen von Medien und die begonnene politische Aufarbeitung des Anschlags verdichten sich aber inzwischen Informationen, dass Taleb A. mehrere Feindbilder aufgebaut hat: In sozialen Netzwerken präsentierte er sich als vehementer Kritiker des Islams und Saudi-Arabiens, doch auch die Säkulare Flüchtlingshilfe in Köln und der deutsche Staat gehörten zu seinen Feindbildern. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte den Attentäter kurz nach der Tat als "offensichtlich islamophob" bezeichnet.

Das Nachrichtenmagazin "Spiegel" will erfahren haben, dass Taleb A. nach bisherigem Stand der Ermittlungen aus "überwiegend persönlichen Motiven" gehandelt haben soll.

Warum der MDR Taleb A. als Täter bezeichnet In der Regel sprechen wir bei Gewalttaten und Verbrechen bis zu einem Urteil von "mutmaßlichem Täter/mutmaßlicher Täterin". Denn: Jede Person, die wegen einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig. Eine Ausnahme machen wir dann, wenn die Täterschaft gut belegt ist. So ist es auch im Fall des Anschlags von Magdeburg. Hier ereignete sich die Tat in der Öffentlichkeit. Taleb A. wurde festgenommen, nachdem er aus dem Tatfahrzeug ausgestiegen war. Deshalb sprechen wir von Taleb A. als Täter und Todesfahrer und verzichten auf den Zusatz "mutmaßlich".

Laut dem Radikalisierungsforscher Hans Goldenbaum ist mit Blick auf die Aktivitäten des Mannes in sozialen Netzwerken erkennbar, dass der Täter Deutschen Vorwürfe gemacht hat, Flucht, Migration, Asyl zum Beispiel für Syrer zugelassen zu haben. "Man merkt, dass er sich von dem deutschen Staat, der deutschen Gesellschaft angegriffen und gekränkt fühlt, weil die liberal und weltoffen ist", sagte Goldenbaum dem MDR im Dezember.

Was ist bekannt über psychische Probleme von Taleb A.?

Endgültig klären soll das ein Gutachten eines Psychiaters. Dessen Ergebnis soll bis etwa Ostern vorliegen. Die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg hat Anfang Februar 2025 aber durchblicken lassen, dass sie Taleb A. für "wohl schuldfähig" hält.

Aufhorchen ließ in diesem Zusammenhang eine MDR-Recherche: Demnach hat Taleb A. seine Tat Monate zuvor im Gespräch mit Kollegen angedeutet. In einem Dienstzimmer des Maßregelvollzugs Bernburg soll er demnach zwei Kollegen auf deren Frage, ob es ihm gut gehe, wörtlich geantwortet haben: "Nein, ich befinde mich in einem Krieg, aber nicht im metaphorischen Sinn, sondern in einem wirklichen Krieg, dessen Ausgang entweder sterben oder umbringen sein wird." Als Konsequenz auf die Enthüllungen hat die landeseigene Salus GmbH, die den Maßregelvollzug betreibt, eine Sonderuntersuchung angekündigt und den Ärztlichen Direktor vorläufig freigestellt.

Medien nannten ihn "Dr. Google": Ist Taleb A. wirklich Arzt?

Medienberichte haben daran Zweifel genährt, die die zuständigen Behörden allerdings zurückgewiesen haben. Beschäftigte im Maßregelvollzug hätten Taleb A. gemeinhin "Dr. Google" genannt, schrieb vor Weihnachten 2024 etwa die Mitteldeutsche Zeitung – weil der Mann "vor jeder gestellten Diagnose im Internet nachgucken musste", wie ein Mitarbeiter im Gespräch mit der MZ sagte. Seine Visiten soll Taleb A. demnach grundsätzlich allein gemacht haben. Es habe Patienten gegeben, die sich geweigert hätten, von ihm behandelt zu werden. Auch dem MDR sind aus Bernburg Zweifel an der fachlichen Kompetenz des Attentäters bekannt, unter anderem wegen Berichten über mögliche Fehlbehandlungen.

Die Salus Klinik Bernburg hat ihre Fahnen auf Halbmast gesetzt.
Taleb A. war zuletzt als Arzt im Maßregelvollzug in Bernburg beschäftigt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Rebsch

Auch Kolleginnen und Kollegen aus seiner Zeit an der Uniklinik in Hamburg hatten laut Medienberichten Bedenken angemeldet, Taleb A. Patienten anzuvertrauen. Auf Hinweise habe er aggressiv reagiert. Leitende Ärzte hätten das Ausbildungsverhältnis dann beendet.

Die Klinikleitung in Bernburg wies die Vorwürfe zurück: Ihr seien solche Beschwerden nicht bekannt. Die Personalakte von Taleb A. gebe auch keinen Anlass, an seiner Qualifikation zu zweifeln.

Ähnlich äußerte sich die Landesärztekammer: Sie teilte MDR SACHSEN-ANHALT mit, an sie seien keine Beschwerden oder Meldungen über den Arzt herangetragen worden. Facharzturkunde und Approbationsurkunde seien ihr vorgelegt worden, als Taleb A. Mitglied der Ärztekammer in Sachsen-Anhalt geworden sei. Das Sozialministerium von Sachsen-Anhalt, das als Aufsichtsbehörde für die Salus-Klinik in Bernburg zuständig ist, teilte MDR SACHSEN-ANHALT mit, es hätten keine Zweifel an der ärztlichen Qualifikation von Taleb A. bestanden. So wurde laut Ministerium im Einstellungsprozess geprüft, ob der Mann anerkannter Facharzt ist und über eine ärztliche Zulassung verfügt.

Der Attentäter soll bereits 2013 mit einer terroristischen Tat gedroht haben. Laut Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern gab es damals einen Streit mit der Ärztekammer des Landes während der Facharztausbildung von Taleb A., konkret wegen der Anerkennung von Prüfungsleistungen. Taleb A. habe der Ärztekammer telefonisch mit Handlungen gedroht, die "international Aufsehen erregen" würden, und verwies auf den Anschlag beim Boston-Marathon, bei dem mehrere Menschen ums Leben kamen. Nach der Drohung hatten Ermittler den Angaben zufolge seine Wohnung durchsucht und elektronische Geräte überprüft. Hinweise auf eine konkrete Anschlagsvorbereitung hätten sie aber nicht gefunden.

Taleb A. war demnach spätestens Anfang 2015 auch den zuständigen Bundesbehörden als potenziell Verdächtiger bekannt.

Das belegen auch diese Zahlen: Im Vorfeld des Anschlags in Magdeburg haben deutsche Sicherheitsbehörden mehr als 100 Vorfälle mit Taleb A. registriert. Das geht aus einem Bericht hervor, um den es im Januar 2025 im Innenausschuss des Bundes ging. Der Bericht stammt vom Bundesinnenministerium und beruht auf Daten, die Bundesbehörden und -länder dem Bundeskriminalamt (BKA) übermittelt hatten.

Was ist über Gefährderansprachen gegen Taleb A. bekannt?

Screenshot aus einem am 22.12.2024 vom Saale Grill Bernburg zur Verfügung gestellten Video, das am 19. Dezember entstand, zeigt Taleb A., der den Imbiss betritt.
Am Abend vor der Tat soll Taleb A. in seinem Stamm-Imbiss in Bernburg essen gewesen sein. Bildrechte: picture alliance/dpa/Saale Grill Bernburg | Saale Grill Bernburg

Weil Taleb A. MDR-Recherchen zufolge eine Mail an die Kölner Staatsanwaltschaft geschrieben hatte und die als abstrakte Drohung gewertet worden war, gab es im September 2023 offenbar eine erste Gefährderansprache durch die Polizei. Taleb A. soll in besagter Mail geschrieben haben: "Daher habe ich kein schlechtes Gewissen für die Ereignisse die in den nächsten Tagen passieren werden (...)." Eine weitere Gefährderansprache gab es nach den Worten von Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) am 4. Oktober 2024: Taleb A. soll zuvor einen Rechtsanwalt, der ihn einst in einem Verfahren vertreten hatte, sowie dessen Familie und Kanzleimitarbeiter bedroht haben. Eine Gefährderansprache sei im Revier im Salzlandkreis gehalten worden, eine andere an der Arbeitsstelle des späteren Attentäters in Bernburg.

Doch damit nicht genug: Im Januar 2025 erklärte Zieschang, die Polizei Dessau habe nach einem Post von Taleb A. im Dezember 2023 Ermittlungen gegen den späteren Attentäter aufgenommen. Taleb A. hatte in dem Post den Umgang Deutschlands mit saudischen Asylbewerbern kritisiert und mit Rache gedroht. In der Folge habe es insgesamt fünf Versuche gegeben, Taleb A. erneut einer Gefährderansprache zu unterziehen. Taleb A. sei aber in diesen Fällen weder an der Wohnung noch auf der Arbeit angetroffen worden. Der Versuch, eine Durchsuchung zu erwirken, wurde laut einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von einem Richter zurückgewiesen. Das Verfahren wurde später eingestellt.

Warum arbeitete Taleb A. trotz Gefährderansprache als Arzt?

Taleb. A war seit 2020 als Stationsarzt tätig. Er arbeitete im Maßregelvollzug in Bernburg mit suchtkranken Straftätern. Obwohl er für die psychiatrische Betreuung von Patienten zuständig war und die Gefährderansprache auf der Arbeit erfolgte, gab es zwischen Arbeitgeber, Gesundheitsunternehmen Salus und der Polizei keinen Austausch. "Den Grund für das Aufsuchen des Mitarbeiters Taleb A. hat die Polizei nicht mitgeteilt", sagte dazu eine Salus-Sprecherin. Das LKA teilte dazu mit, es habe unmittelbar nach der Gefährderansprache keine Anhaltspunkte dafür gegeben, "dass durch eine Datenübermittlung Gefahren im Umfeld des Arbeitgebers abgewehrt werden könnten". Damit seien die Voraussetzungen für eine Datenübermittlung nach derzeitigem Prüfungsstand nicht erfüllt gewesen.

Wie beschreiben Menschen, die Taleb A. kennen, den 50-Jährigen?

Taha Alhajji, ein aus Saudi-Arabien stammender Rechtsanwalt, berichtete dem MDR, der Täter habe in der saudi-arabischen Community in Deutschland als aggressiv und isoliert gegolten. Alhajji ist unklar, warum die Polizei nicht auf die Drohungen reagiert hat, die der Täter im Netz geäußert hat. Dort postete A. Aussagen wie "Wenn Deutschland uns töten will, werden wir sie schlachten."

Taleb ist eine generell aggressive Person. Er ist widersprüchlich, ignorant und eingebildet, also sehr eingebildet. Er behandelt Menschen entsprechend.

Taha Alhajji Rechtsanwalt aus Saudi-Arabien
In dieser Straße in Bernburg soll der Täter gewohnt haben 1 min
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Ein Nachbar des mutmaßlichen Attentäters in Bernburg schilderte im MDR-Interview den Mann als sehr zurückgezogen und verschlossen.

MDR FERNSEHEN Sa 21.12.2024 12:19Uhr 01:07 min

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Ein Nachbar beschrieb Taleb A. im MDR-Interview am Tag nach der Tat als "sehr zurückgezogen und verschlossen". Man habe ihn mal in der Stadt beim Einkaufen gesehen. "Aber für mich war es ein ganz normaler Nachbar, ein ganz normaler Bürger."

Taleb A. soll mehrere Anzeigen erstattet haben. Was ist darüber bekannt?

Zwischen April 2023 und Oktober 2024 erstatte Taleb A. fünfmal Anzeige. Zunächst beklagte er, dass ihm ein USB-Stick aus dem Briefkasten gestohlen worden sei, der Beweise für Straftaten des saudi-arabischen Staates enthalte. Zudem legte er sich mit der Säkularen Flüchtlingshilfe an, einem Verein, der sich um die Interessen atheistischer Flüchtlinge kümmert. Er warf Mitarbeitern zweimal sexuelles Fehlverhalten vor. Dazu kommen zwei weitere Fälle, wegen angeblicher Bedrohung durch die saudi-arabische Regierung und wegen Verleumdung.

Weiterer Vorwurf: Hatte Taleb A. Fotos von Missbrauchsdarstellungen?

Im März wurde bekannt, dass die Ermittler im Fall Taleb A. noch einem weiteren Verdacht nachgehen. Nach Informationen der Mitteldeutschen Zeitung und der Welt sollen sich auf dem Computer des Mannes Bilder befinden, die Missbrauchsdarstellungen von minderjährigen Mädchen zeigen.

Die Staatsanwaltschaft Halle sagte der MZ, Datenträger-Auswertungen hätten einen entsprechenden "Anfangsverdacht" ergeben. Die Behörde ermittele. Bis zur Auswertung gelte die Unschuldsvermutung, betonte die Staatsanwaltschaft.

Mehr über den Anschlag in Magdeburg

Reuters, dpa, MDR (E. Haupt, D. Knauft, J. Merkel, L. Grothe, M. Engert, L. Deutschländer, M. Wilczek, H. Leonard, C. Seidel, D. Salpius) | Erstmals veröffentlicht am 21.12.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 04. März 2025 | 11:00 Uhr

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