Juwelendiebstahl Aus dem Gerichtssaal: Prozesstagebuch zum Grünen Gewölbe

30. März 2023, 16:30 Uhr

Der Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden sorgte weltweit für Aufsehen. Inzwischen stehen die mutmaßlichen Diebe der historischen Juwelen vor Gericht. Für MDR SACHSEN berichten die Journalistinnen Ina Klempnow und Heike Römer-Menschel aus dem Gerichtssaal in Dresden. Abseits der großen Schlagzeilen und Entwicklungen im Prozessverlauf schildern sie im Prozesstagebuch ihre eigenen Beobachtungen und Geschichten am Rande der Verhandlung.

 31. März 2023: Prozess nun endlich auf der Zielgeraden

An diesem 45. Prozesstag soll die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer halten. Nachdem die drei Anklagevertreter an den letzten Verhandlungstagen ihre Unzufriedenheit mit den Geständnissen und dem Frage-Antwort-Prozedere sehr deutlich gemacht hatten, fragen wir uns im Vorfeld wie andere Journalisten auch, ob die Staatsanwaltschaft sich an den sogenannten Deal halten würde. So viel schon mal vor weg – Oberstaatsanwalt Christian Kohle und sein Kollege Staatsanwalt Christian Weber, die heute beide das Wort ergreifen, kippen die Prozessverständigung nicht. Sie halten sich an den im Deal verabredeten Strafrahmen und andere darin getroffene Vereinbarungen. Doch bevor die beiden plädieren können, muss die Kammer noch über insgesamt acht offene Beweisanträge entscheiden. 

Ende der Beweisaufnahme

Sechs der offenen Beweisanträge stammen von den Verteidigern eines der angeklagten Zwillingsbruders. Bei ihm geht es – so unser Eindruck - noch um viel. Der junge Mann hatte sich entschieden, dem Deal nicht zuzustimmen. Er legte auch kein umfangreiches Geständnis ab, stattdessen zwei Mal eine Erklärung. Darin räumte er ein, dass er vom Einbruch ins Grüne Gewölbe wusste und auch Dinge dafür gestohlen habe, zum Beispiel die Äxte in einem Baumarkt. Er betonte aber immer wieder, dass er beim eigentlichen Einbruch und auch beim Ausspähen nicht dabei gewesen sei.

Das Gericht lehnt alle Anträge des Zwillings ab und begründet dies vor allem damit, dass die Bearbeitung dieser Beweisanträge die Entscheidung der Kammer nicht beeinflussen würde.

Auch ein Antrag der Staatsanwaltschaft zur Befragung von zwei weiteren Zeugen wird abgelehnt. Genauso verfährt die Kammer mit einem noch offenen Anliegen der Adhäsionskläger. Die hatten gefordert, einen Sachverständigen zu hören, der etwas zum Wert der noch fehlenden Stücke und zu den Schäden am Zurückgegebenen sagen sollte.

Damit ist die Beweisaufnahme in diesem Mammutprozess nach einem Jahr und zwei Monaten abgeschlossen.

Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft – auch eine Rechtfertigung

Nun kann die Staatsanwaltschaft plädieren. Noch vor der Mittagspause tritt Oberstaatsanwalt Christian Kohle an ein extra dafür bereit gestelltes Stehpult. Er macht allgemeine Anmerkungen. Als erstes hebt er hervor, wie außergewöhnlich dieses Verfahren auch für die Anklagevertreter ist. Schon dass sie im Grüne-Gewölbe-Prozess zu dritt auftreten, sei alles andere als normal. Kohle betont im Weiteren die Leistungen der Polizei, die in einer einmaligen Jagd schließlich sechs mutmaßliche Täter verhaften konnte.

Im Anschluss begründet Kohle, warum die Staatsanwaltschaft Dresden sich im Dezember letzten Jahres auf den stark umstrittenen sogenannten Deal eingelassen hat. Einige Kritiker sehen es als No-Go an, überhaupt mit der Organisierten Kriminalität und kriminellen Teilen von Clans zu verhandeln. Andere monieren, dass man so quasi Nachahmer einlade. Falls Verbrecher nach ähnlich spektakulären Einbrüchen geschnappt würden, könne man ja immer noch einen Deal machen und dann auf milde Strafen hoffen. Kohle zitiert einige Zeitungsberichte. Darin hieß es unter anderem: "Willkommen auf dem deutschen Justizbasar" und "Verkauft der Staat seine Prinzipien?"

Christan Kohle erklärt das Vorgehen von ihm und seinen Kollegen damit, dass Ende letzten Jahres trotz intensiver dreijähriger Ermittlungen keine Spur zu den gestohlenen Schmuckstücken führte. Hätte man sich nicht auf den Deal eingelassen, wären Teile des Sachsenschatzes wahrscheinlich nie wieder aufgetaucht. Die Justiz sei im Übrigen sogar dazu verpflichtet, alles dafür zu tun, dass ein entstandener Schaden gemildert wird. Das alles sei in der Strafprozessordnung geregelt und durch diese gedeckt.

Der Oberstaatsanwalt wertet in seiner Plädoyer-Einleitung das Verfahren trotz allem als Erfolg. Es sei durchaus nicht selbstverständlich, dass man bei so einer Straftat überhaupt Täter findet. Diese dann auch noch vor Gericht stellen zu können und am Ende Verurteilungen zu erzielen, sei bemerkenswert und nur durch die akribische Arbeit von Ermittlern und Laboren möglich gewesen.

Staatsanwaltschaft fordert fünf Haftstrafen

Nach der Mittagspause übernimmt Christian Weber. Er war bei den Ermittlungen der sachbearbeitende Staatsanwalt, kennt also alle Details des Falls am besten. Weber betont nochmal die Skrupellosigkeit der Täter. Diese hätten billigend in Kauf genommen, dass Leben und Leib von Unbeteiligten gefährdet werden. So rasten sie bei der Flucht mit ihrem Audi über die gesperrte Augustusbrücke, wo ihnen eine Fahrradfahrerin nur knapp ausweichen konnte. Beim Anzünden ihres Fluchtwagens in einer Tiefgarage sei ihnen egal gewesen, dass die Mieter, die darüber ahnungslos schliefen, womöglich verletzt werden. Außerdem hätten die Täter – anders als von den Angeklagten beteuert - ganz bewusst Schusswaffen mitgeführt, um diese beim Eingreifen von Polizei oder Wachleuten auch einzusetzen. Für Wissam Remmo und Rabieh Remo fordert Weber darum sechs Jahre und acht Monate Haft und bleibt damit einen Monat unter der im Deal vereinbarten möglichen Höchststrafe. Die beiden gelten für ihn als Haupttäter.

Wissam sei sehr früh in die Planung des Einbruchs eingestiegen, habe das Residenzschloss innen und außen ausgespäht, das Gitter vorm Einstiegsfenster zerschnitten und die Stromverteiler im Pegelhaus angezündet. Er habe außerdem einige der anderen Beteiligten rekrutiert. Das alles habe er während er in Berlin wegen des Diebstahls der 100-Kilo-Goldmünze aus dem Bode-Museum vor Gericht saß gemacht. Außerdem sei er einschlägig jugendrechtlich vorbelastet.

Auch Rabieh Remo sei monatelang in die Planung involviert gewesen, er habe für die Umfolierung eines der Tatfahrzeuge gesorgt und sei schließlich als einer von Zweien direkt in das Grüne Gewölbe eingestiegen, wo er die Vitrinen zerschlagen und die Schmuckstücke eigenhändig entwendet habe. Rabieh hatte schon vor dem Juwelencoup zwölf Eintragungen im Bundeszentralregister. In diesem Register werden strafgerichtliche Verurteilungen, bestimmte Entscheidungen von Verwaltungsbehörden, Vermerke über Schuldunfähigkeit und besondere gerichtliche Feststellungen eingetragen. Auch er ist also kein unbeschriebenes Blatt.

Für einen dritten Angeklagten fordert die Staatsanwaltschaft vier Jahre und sechs Monate Haft. Der Mann habe beim Einbruch ins Grüne Gewölbe nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Er sei erst sehr spät eingestiegen, wohl als Ersatz für einen anderen. Erwähnt wird aber auch bei ihm, dass er die Tat während einer laufenden Bewährungsstrafe verübte.

Für die beiden Zwillinge beantragt die Staatsanwaltschaft, Jugendstrafrecht anzuwenden. Die beiden waren im November 2019 noch keine 21 Jahre alt und damit für die Justiz Heranwachsende. Für einen der beiden Zwillinge fordert die Staatsanwaltschaft vier Jahre und sechs Monate Jugendstrafe. Er habe zwar die Idee zum Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe geliefert, später aber eine untergeordnete Rolle gespielt.

Harte Bandagen für den zweiten Zwilling

Für den anderen Zwilling beantragt Christian Weber sechs Jahre als Einheitsjugendstrafe, wobei eine Bewährungsstrafe aus Berlin einbezogen wird. Das ist eine kleine Überraschung, denn der junge Mann hatte immer wieder beteuert, dass er beim eigentlichen Einbruch in Dresden nicht mitgemacht habe. Um aufzuklären, ob das stimmt, hat das Gericht seit Mitte letzten Jahres einige Polizeibeamte und insgesamt vier Mithäftlinge des Zwillings vernommen. Einer der Mithäftlinge belastete den 24-Jährigen dabei schwer. Er behauptete, dass ihm A. M. Remmo in der Justizvollzugsanstalt erzählt habe, dass er in Dresden dabei war und auch bei anderen Straftaten mitgemacht hat.

In ihrem Plädoyer macht die Staatsanwaltschaft deutlich, dass sie dem Belastungszeugen glaubt. Weber betont, dass noch andere Dinge für die Mittäterschaft des Zwillings sprächen. In einem der Tatfahrzeuge habe man gleich mehrere DNA-Spuren des 24-Jährigen gefunden. In der Tatnacht sei er mit den geständigen Dieben in einem Auto in Berlin unterwegs gewesen. Das war bei einer Polizeikontrolle kurz vor der Abfahrt nach Dresden festgestellt worden. Außerdem sei der junge Mann in den Tatplan eingeweiht gewesen und habe sogar Werkzeug für den Einbruch besorgt. Er hätte ein enges Vertrauensverhältnis zu den mutmaßlichen Tätern – einer davon ist sein Zwillingsbruder, ein anderer sein bester Freund und die restlichen sind seine Cousins.

Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass A. M. Remmo der gesuchte fünfte Mann ist, der am 25. November in Dresden beim Diebstahl war. Aus ihrer Sicht gibt es nur einen, nicht zwei unbekannte Beteiligte.

In dubio pro reo

Im Zweifel für den Angeklagten - mit diesem Rechtsgrundsatz begründet die Staatsanwaltschaft den Freispruch für den sechsten Angeklagten. Wie wir finden - eher zähneknirschend. Christian Weber lässt in seinem Plädoyer durchblicken, dass aus seiner Sicht auch Ahmed Remmo durchaus in den Fall verwickelt sein könne. Es wäre durchaus denkbar, dass er bei der Tatvorbereitung mitgewirkt habe, aber zu einem späten Zeitpunkt ausgestiegen sei -  möglicherweise krankheitsbedingt. Eine Mitwirkung aber könne man dem 25-Jährigen nicht nachweisen. Es fehlen objektive Belege dafür wie etwa DNA-Spuren. Außerdem habe Ahmed Remmo ein Alibi für die Tatnacht. Er war wohl in der Notaufnahme einer Berliner Klinik.

Nach Urteilsverkündung auf freiem Fuß

Nach dem Fällen der Urteile sollen vier Angeklagte aus der U-Haft entlassen werden. Das sind die vier Männer, die dem Deal zugestimmt und Geständnisse abgelegt hatten. In der Prozessvereinbarung war die Haftverschonung verabredet worden. Die Staatsanwaltschaft hält sich nun daran. Die vier müssten bei einer Verurteilung ihre Reststrafen erst später – bei Rechtskraft der Urteile – antreten. Möglicherweise als Selbststeller in einer Berliner JVA.

Der fünfte Angeklagte, der zweite Zwilling A. M. Remmo, soll - wenn es nach der Staatsanwaltschaft geht - nicht in den Genuss dieser Vergünstigung kommen. Er hat dem Deal nach einwöchiger Bedenkzeit schlussendlich nicht zugestimmt, hoffte wohl auf eine Verurteilung nur wegen Beihilfe. Da hat sich der junge Mann möglicherweise verzockt. Die Staatsanwaltschaft begründet ihr eher hartes Vorgehen unter anderem damit, dass bei ihm Fluchtgefahr bestehe.

Das Journalisten-Team bei MDR SACHSEN Die Journalistinnen Ina Klempnow und Heike Römer-Menschel verfolgen für MDR SACHSEN den Prozess um den Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe. In den vergangenen zwei Jahren haben sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Adina Rieckmann mehrere Dokumentationen für ARD und MDR über den Diebstahl von kulturhistorisch unschätzbar wertvollen Juwelen aus dem 18. Jahrhundert produziert. Sie sprachen mit verschiedensten Experten: vom Edelsteinschleifer über die ehemalige Chefrestauratorin des Grünen Gewölbes bis hin zu einem Kunstdieb. Mit diesem Hintergrundwissen berichten sie über die Prozesstage und ihre persönlichen Eindrücke.

Quelle: MDR (pri/cnj/cba)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 20. März 2023 | 19:00 Uhr

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