
Geschichte & Geschichte(n) Palmsonntagsprozession: Das Wunder von Heiligenstadt
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25. März 2024, 09:29 Uhr
Festlich in Schwarz gekleidete Männern mit weißen Handschuhen und Zylinder – so sehen sie aus die Träger der überlebensgroßen Figuren bei der Palmsonntagsprozession in Heilbad Heiligenstadt. Ein Ehrenamt, das in Familien über Generationen hinweg "vererbt" wird. Am 24 April 2024 startete das Passionsspiel wieder und erinnerte am Sonntag vor Ostern an den Leidensweg von Jesus Christus. Dazu kamen tausende Besucherinnen und Besuchers ins katholisch geprägte Eichsfeld. Was die Palmsonntagsprozession so besonders macht:
So läuft es am Palmsonntag, 14 Uhr in Heiligenstadt: Die Prozession startet, in sechs dramatischen Bildern zeigt sie den Leidensweg Jesu mit Kreuzigung und Tod. Überlebensgroße Holzstatuen werden, begleitet von Gebet und Gesang der Gläubigen, durch die Gassen von Heiligenstadt getragen.
Von Jesuiten 1581 ins Leben gerufen
Seit 1581 gibt es dieses Passionsspiel. Die Prozession wurde von den Jesuiten ins Leben gerufen und fand ursprünglich am Karfreitag statt. An dem Tag, der an die Kreuzigung Jesu erinnert. Später wurde sie aus praktischen Gründen auf Palmsonntag vorverlegt. Dass sie ausfällt, kam in den vergangenen 400 Jahren erst drei Mal vor. 2020 und 2021 war das pandemiebedingt der Fall.
Tradition und Familienerbe
Am Leben gehalten wird die Tradition von Heiligenstädter Familien wie den Spillners, die Söhne übernehmen das Amt von den Vätern. So wie es Rolf Spillner an seinen Junior Richard weiter gegeben hat. Damit wird Richard Teil einer Tradition, die in Heiligenstadt fast schon Heiligenstatus hat.
Dem jungen Mann ist die Bedeutung des Amtes bewusst. Nicht dass er sich als einer von zwölf Trägern die 320 Kilo schwere Darstellung des Grabes Jesu nicht zutrauen würde. Aber die Ehre wiegt schwer.

Glaubensbekenntnis vs. Event
Es braucht kein Organisationskomitee und kein Veranstaltungsbüro, um die größte Prozession Mitteldeutschlands mit bis zu 8.000 Teilnehmern alljährlich auf die Beine zu stellen. Die Aufgaben sind verteilt und werden innerhalb der Familien weitergegeben. Die Spillners, Kunzes und Heinevetters kümmern sich in der Woche vor dem Ereignis um die Herrichtung der sechs überlebensgroßen Darstellungen des Leidensweges Jesu.
Von 2015 bis 2022 leitete Torsten W. Müller das kulturhistorische Eichsfeldmuseum in Heiligenstadt. Er konzipierte dort einen Erlebnisraum, in dem seit 2021 mehr über die Palmsonntagsprozession zu erfahren ist. Zu sehen sind etwa zwei der imposanten Prozessionsfiguren. Müller schwebte von Anbeginn vor, mehr vom Passionsspiel zu zeigen, sind doch die Prozessionsfiguren in den einstigen Jesuitenkolleg untergebracht. Die Pieta wurde vor rund 120 Jahren neu angefertigt, die anderen Figuren stammen zum Teil noch aus der Zeit vor 400 Jahren.
Doch zunächst waren nicht alle mit der Prozession verbundenen Heiligenstädter von der Idee begeistert. Den Geist der Prozession könne man nicht ausstellen, den müsse man erleben, meinte dazu Bernadette Heinevetter:
Das ist ein Glaubensbekenntnis. Ich kann das nicht mit dem Sommergewinn in Eisenach vergleichen oder mit der Bratwurstkrönung in Erfurt oder mit den Altenburger Spielfiguren.
Seit 2016 Immaterielles Unesco-Kulturerbe
Es gleicht einem Wunder, wie es den Heiligenstädtern gelungen ist, ihre Prozession über die Jahrhunderte hinweg stoisch zu verteidigen. Nur einmal, im Kriegsjahr 1945, fand die Prozession nicht statt und es gab Zeiten, in denen Mut dazu gehörte, sich den Gläubigen anzuschließen. Unter den Nazis wurden jugendliche Teilnehmer mit Straflager verwarnt. Zu DDR-Zeiten setzten Abiturienten ihren Studienplatz aufs Spiel. Doch die Prozession zu unterbinden, wagte niemand. Noch nicht einmal die Genossen der SED.
Hinter Gebet und Tradition stand und steht ein Bekenntnis: Für die Heimat, für den Glauben und gegen politisch auferlegte Doktrin. 2016 wurde die Palmsonntagsprozession ins bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der Deutschen UNESCO aufgenommen, auch dafür hatte sich Torsten W. Müller stark gemacht. Die Ehre schmeichelt den Eichsfeldern schon, aber eigentlich wollen sie eine Woche vor Ostern nur eines: Glaubensstark und andächtig miteinander und mit Jesus durch Heiligenstadt ziehen.
Ausstellungs- und Buchtipp
Eichsfeldmuseum
Kollegiengasse 10
37308 Heilbad Heiligenstadt
Telefon: 03606 / 677-480
E-Mail: eichsfeldmuseum@heilbad-heiligenstadt.de
Palmsonntagsprozession im Eichsfeldmuseum: Der große Ausstellungsraum präsentiert zwei der imposanten Figuren und macht die Prozession ganzjährig museal erlebbar.
Öffnungszeiten
Montag: Geschlossen
Dienstag–Freitag: 10 bis 17 Uhr
Samstag, Sonntag: 14:30 bis 17 Uhr
Torsten M. Müller
Die große Palmsonntagsprozession in Heilbad Heiligenstadt
Cordier Verlag
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 15. April 2022 | 07:05 Uhr