Chatprotokoll zum Nachlesen Diagnose Demenz

25. September 2019, 11:58 Uhr

In Deutschland leiden über eine Millionen Menschen an Demenz. Die meisten von ihnen werden zu Hause von Angehörigen betreut. Was ist für ein würdiges Leben aller Beteiligten nötig? Ab wann kann man den Verfall erkennen? Wie sollte dann gehandelt werden? Welche Möglichkeiten hat man, dem Erkrankten, aber auch sich, das Leben zu erleichtern? Kann der geistige Abbau aufgehalten werden? Wie kann man sich mit anderen Betroffenen austauschen?

Darüber haben wir mit den Studiogästen

- Prof. Vjera Holthoff, Psychiaterin und Leiterin des Bereichs Gerontopsychiatrie an der Dresdner Uniklinik
- Dr. Gesine Marquardt, Architektin und Expertin für Sozial- und Gesundheitsbauten
- Steffen Kummerlöw, gelernter Altenpfleger, Leiter eines Pflegeheims im Meißen und einer Selbsthilfegruppe für Angehörige

gesprochen ... und mit Ihnen!

MDR 1 RADIO SACHSEN | 15.01.2013

  • Chat-Moderator: Guten Abend und herzlich willkommen zum Chat von "Dienstags direkt". Heute möchten wir mit Ihnen über das Thema "Alleingelassen mit der Diagnose Demenz. Was ist für ein würdiges Leben aller Beteiligten jetzt nötig?" diskutieren. In wenigen Minuten geht es los.
  • Chat-Moderator: Zu Gast im Studio sind heute - Prof. Vjera Holthoff, Psychiaterin und Leiterin des Bereichs Gerontopsychiatrie an der Dresdner Uniklinik - Dr. Gesine Marquardt, Architektin und Expertin für Sozial- und Gesundheitsbauten - Steffen Kummerlöw, gelernter Altenpfleger, Leiter eines Pflegeheims im Meißen und einer Selbsthilfegruppe für Angehörige
  • Gregor: Guten abend aus Frankfurt Main
  • Gregor: Wie sollte man mit betroffenden Angehörigen darüber reden über mögliche Betreungsangebote für Demenzkranke.
  • Steffen Kummerlöw: Sie sollten immer das Stadium der Demenz beachten und das Gespräch darauf abstimmen. Bitte holen Sie sich vorher Rat bei Fachleuten oder Selbsthilfegruppen.
  • bär5: hallo
  • ilona: Wie unterscheidet sich denn Alzheimer von Demenz?
  • Vjera Holthoff: Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz. Es gibt noch andere Formen der Demenz, z.B. Demenz durch Durchblutungsstörungen des Gehirns (vaskuläre Demenz). Demenz ist also nur der Überbegriff für verscheidene Demenzformen mit verschiedenen Ursachen.
  • bär5: Welche beschäftigungen sind den gut für die menschen mit demenz
  • Steffen Kummerlöw: Die Beschäftigungen sind sehr vielfälltig, wichtig ist den Betroffenen zu fordern jedoch nicht überfordern. Bei der Art der Beschäftigungen sollten Sie nach biographischen Aspekten wählen, d.h. was hat der Betroffene in der Vergangenheit gern getan.
  • Wissen: Hilft eigentlich eine Vorsorgevollmacht oder eine Patientenverfügung, was ist denn wichtiger???
  • Vjera Holthoff: Eine Vorsorgevollmacht kann in jedem Erwachsenenalter erstellt werden,solange man über seine vollständidge geistige Leistungsfähigkeit. Das geht also nicht mehr, wenn die Demenz besteht. Die Vorsorgevollmacht regelt, wer mich bei Ämtern, der Bank, beim Vermieter, im Krankenhaus etc vertreten kann und Entscheidungen für mich treffen kann. Die Patientenverfügung gibt den Ärzten und auch meiner Familie eine Anweisung, was ich mir wünsche,wenn ich krank bin. Beide sind sehr wichtig.
  • Franz: Gibt es Medikamente, die Alzheimer heilen oder aufhalten können?
  • Vjera Holthoff: Eine Heilung ist nicht möglich. Bei der Alzheimerdemenz sind Medikamente wirksam, die den Verlauf verlangsamen. Sie heissen Antidementiva.
  • nina: guten abend. was ist das besondere an der bauweise von einrichtungsgegenständen, möbeln ... für demenzkranke.
  • Gesine Marquardt: Menschen mit Demenz brauchen Räume und Objekte, die sie verstehen und benutzen können - nur so können sie ihre Selbständigkeit erhalten. Dabei muss man sich auf ihre Lebenswelt beziehen, die häufig nicht der Gegenwart entspricht.
  • Wissen: ... und bis zu welchem Punkt kann diese noch rechtskräftig unterschrieben werden? - die Frage ist sicherlich eher für einen Rechtsanwalt, aber in der Praxis - kann das auch noch nach der Diagnose Alzheimer unterschrieben werden??? oder ist man dann gleich nicht mehr geschäftsfähig?
  • Vjera Holthoff: Die Vorsorgevollmacht ist leider an die Geschäftsfähigkeit gebunden. Die liegt nicht mehr vor bei einer Demenz. Wenn sie jetzt noch eine Regelung treffen möchten, dann können Sie auch von einem Demenzerkrankten eine Betreuungsvorsorge noch unterschreiben lassen, der dann als gesetzlicher Betreuer vom Amtsgericht eingestetzt wird.
  • bär5: bitte mal zu der letzten frage einbeispiel danke
  • Chat-Moderator: Zu welcher Frage bitte?
  • bär5: hier drauf bitte das beispiel danke nina: guten abend. was ist das besondere an der bauweise von einrichtungsgegenständen, möbeln ... für demenzkranke. Gesine Marquardt: Menschen mit Demenz brauchen Räume und Objekte, die sie verstehen und benutzen können - nur so können sie ihre Selbständigkeit erhalten. Dabei muss man sich auf ihre Lebenswelt beziehen, die häufig nicht der Gegenwart entspricht.
  • Gesine Marquardt: Ein Beispiel wären Wohnküchen, die man in Altenpflegeeinrichtungen vorsieht. In ihrer Funktion sind sie demenzkranken Bewohnern vertraut und werden deshalb von ihnen sehr gern aufgesucht und auch gut aufgefunden. In der Gestaltung dieser muss man die Lebenswelt der Bewohner widerspiegeln. Diese liegt oftmals in der Zeit, in der sie zwischen 20 und 30 Jahren alt waren. Demzufolge sind Objekte, Gegenstände und Farben dieser Zeit ihnen vertraut.
  • KurzeFrage: Kann man mal ein Haus sehen, welches besonders altersgerecht gebeut wurde... um mal eine Anregung zu bekommen?
  • Gesine Marquardt: Grundlegend sollten dies alle Altenpflegeeinrichtungen, Gebäude für betreutes Wohnen etc. sein. Im Bereich privater Häuser werden Sie unter dem Stichwort "barrierefreies Bauen" Beispiele finden können.
  • nina: kann man demenz irgendwie vorbeugen? wenn ja, wie?
  • Vjera Holthoff: Risikofaktoren, die manche Demenzformen hervorrufen können oder andere Demenzformen verstärken können sind: schlecht eingestellter Bluthochdruck, schlecht eingestellter Diabetes, starkes Übergewicht, wenig körperliche Bewegung, fehlende menschliche Ansprache (soziale Isolation). Bei der Alzheimerdemenz gibt es aber auch einen angeborene Anfälligkeit für die Alzheimerdemenz, die man nicht beeinflussen kann.
  • nina: ist es "normal", einen angehörigen aufgrund von demenz ins heim zu geben? d.h. man muss sich nicht schlecht fühlen?
  • Steffen Kummerlöw: Was ist normal? Allein die Tatsache das man an Demenz erkrankt ist stellt einen Schicksalsschlag für sich, den Partner, die Familie und den Bekantenkreis dar. Wenn die Krankheit-Demenz soweit fortgeschritten ist, dass Verhaltensweisen bzw. Verhaltensauffälligkeiten den Partner soweit beeinträchtigen das die Belastung des zu Berteuenden nicht mehr zu bewältigen ist. In einem solchen Fall ist eine Heimunterbringung sowohl für den Betroffenen als auch für seine Angehörigen die beste Lösung
  • nina: ab wann, also ab welchem punkt sollte man sich eingestehen, dass man es nicht mehr schafft und den angehörigen in ein heim geben?
  • Steffen Kummerlöw: Wenn der unmittelbar Betreuende am Ende seiner Belastbarkeit angekommen ist muß man nach Alternativen suchen.Diese Alternativen sind ja sehr vielfälltig. Tagespflege, Kurzzeitpflege, Pflegeheime. Der Punkt ab wann man es sich eingestehen muß ist immer fallabhängig.
  • nina: ab wann, also ab welchem punkt sollte man sich eingestehen, dass man es nicht mehr schafft und den angehörigen in ein heim geben?
  • Vjera Holthoff: Meine persönliche Meinung als Ärztin ist: in dem Moment in dem Pflegende nicht mehr vorwiegend liebevoll und geduldig mit dem Erkrankten umgehen können, weil sie körperlich am Ende sind, oder Angst bekommen, das Unglücke geschehen und schlaflos sind und selber erkranken. Die liebevolle Fürsorge im Heim durch den vertrauten Angebhörigen ist auch im Heim sehr wichtig. Der Abschied ist oft trotz 'übermenschlichen' Einsatzes wegen der Erkrankungsschwere nicht zu verhindern.
  • Heidrun Müller: Herrn Kummerlöw: Welche Beschäftigungsangebote liegen in Ihrem Heim vor?
  • Steffen Kummerlöw: Die Beschäftigungangebote sind sehr vielfälltig, sie gehen über Gruppenangebote, Einzeltherapien, gemeinsammes Kochen und Backen,Tiertherapien uvam. Gerne lade ich Sie, Frau Müller, zu einem Besuch in die durch mich geleiteten Heime ein. Da haben wir Gelegenheit auf weitere Beschäftigungsangebote einzugehen.
  • wüterich: Die Aussage, dass man sich nicht schlecht zu fühlen braucht,ist ja richtig. Ich habe es aber bei meinem Schwiegervater erlebt, der wegen Überlastung meiner Schwiegermutter in die Kurzzeitpflege musste,dass er fürchterliche Wutausbrüche bekam. Auch dann in der Einrichtung hat er ständig nur geschimpft über die Schwestern, das Essen, über die anderen Kranken. O-Ton: "Wenn ich schon die alten verblödeten Weiber dort vorn sitzen sehe,
  • Steffen Kummerlöw: Allen recht getan ist eine Kunst die keiner kann ! Ich glaube ihr Schwiegervater hat das Recht entäuscht über seine Lebensituation zu sein. Aus meiner Erfahrung heraus kann ich Ihnen nur empfehlen Verständnis zu zeigen und zu gewährleisten das ihrer Schwiegermutter alle erforderlichen Leistungen angeboten werden. Ich glaube ihr Schwiegervater ist zu entäucht um seine Aussage, über die Pflege, immer als realistisch anzusehen.
  • wüterich: Teil 2 Beschäftigen hat er sich auch nicht lassen. Was soll man dann machen?
  • Steffen Kummerlöw: Leider gibt es im Krankheitsverlauf mancher Demenzkranken eine völlige Blockade gegenüber Beschäftigungsangeboten. Was einen aber nicht daran hindern darf immer wieder neue Beschäftigungen anzubieten. Diese sollten sehr Biographiebezogen sein, dh. was hat der Schwiegervater in gesunden Zeiten gern gemacht das sollte man ihm immer wieder anbieten. Steter Tropfen hölt den Stein.
  • gunnar: ist jedes pflege- oder altenheim entsprechend der anforderungen gebaut? warum lassen so viele heime im außenbereich zu wünschen übrig? ist ein innerstädtisches unterbringen überhaupt zu empfehlen?
  • Gesine Marquardt: Pflegeheime müssen immer den Anforderungen hinsichtlich Heimmindestbauverordnung, Barrierefreiheit etc. entsprechen. Es spricht nichts gegen Heime in der Innenstadt-wer schon immer städtisch gewohnt hat, wird sich dort wahrscheinlich vertrauter und damit wohler fühlen, als nach einem Umzug in ein ungewohntes, ländliches Umfeld. Dennoch kommt einem gut nutzbaren Außenbereich eine hohe Bedeutung zu, dies kann auch ein gut gestalteter Balkon o.ä. sein.
  • Chat-Moderator: Die letzten 20 Minuten der Sendung und des Chats sind angebrochen. Nutzen Sie die Zeit und stellen Sie Ihre Fragen! Unsere Gäste stehen Ihnen gerne Rede und Antwort.
  • gunnar: woher weiß man, welche art der pflege die beste für den erkrankten ist? wo wende ich mich hin?
  • Steffen Kummerlöw: Holen Sie sich Rat bei Fachleuten( Selbsthilfegruppen, Pflegeberater der Krankenkassen, Ambulante Dienste, Gedächtnisambulanzen, Hausärzte)
  • Gregor: Ich möchte schonmal Danke sagen an die Moderatorin, Chat-Moderatorin, Redakteur, Techniker und Experten. Es hat mir sehr geholfen mit meinen betroffenen Angehörigen zu leben.
  • hilde maier: Mein Mann ist befroffen und im ubergang zur Pflegestufe 3. Ich komme aus Radebeul und bin an dem Punkt wo ich langsam nicht weiter weiß! ich würde mich gern die nächsten Tage in Verbindung setzen! Mein Mann ist sehr auf seine Katze fixiert, kann diese mitgebracht werden?
  • Steffen Kummerlöw: Bitte rufen Sie mich in der Meißner Einrichtung unter 03521408900 an und vereinbaren Sie einen Termin mit mir. Wir haben bereits 4 Katzen in der Einrichtung.
  • Chat-Moderator: Der Chat ist beendet. Vielen Dank an unsere Studiogäste. Und natürlich auch an Sie! Das Chatprotokoll können Sie in Kürze nachlesen unter: http://www.mdr.de/mdr1-radio-sachsen/index.html Dort finden Sie auch die Sendung zum Nachhören.