Nahostkonflikt auf TikTok Gewaltvideos in Sozialen Medien
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30. Oktober 2023, 14:22 Uhr
Mit ihrem Angriff auf Israel flutete die Terrororganisation Hamas die Sozialen Netzwerke mit grausamsten Inhalten. Sie bilden zusammen mit informativem Content, Meinung und Falschmeldungen eine gefährliche Mischung. Die Ersteller versuchen die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte des Konflikts zu lenken. Die Sozialen Netzwerke bieten in der Regel keinen ausreichenden Raum, um die Tiefe und Nuancen des Konflikts angemessen zu erfassen.
- Mit den verbreiteten Gewaltvideos soll die Öffentlichkeit für einen gewünschten Kriegsverlauf mobilisiert werden.
- Die Medienpsychologin Lena Frischlich warnt vor "Doomscrolling". Das belaste nicht nur die eigene Psyche, sondern verstärke auch die Sichtbarkeit der Inhalte auf den Plattformen.
- Auf Twitter und TikTok ist das Risiko besonders hoch, auf Gewaltvideos zu stoßen. Obwohl es keinen garantierten Schutz gibt, gibt es Einstellungen, die das Risiko senken.
Grausame Videos aus Israel und Palästina überfluten die Sozialen Medien. Das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Verbreitung übertreffen schon jetzt das, was viele Medien beim Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine als "ersten TikTok-Krieg" bezeichneten. Besonders durch die Live-Funktionen von TikTok und Co. liegen teilweise nur Sekundenbruchteile zwischen Folter und Verbreitung. Diese Bilder sind selbst für Erwachsene schwer zu ertragen. Der Angriff der Hamas auf Israel markiert eine Zäsur für die Aktivitäten auf Sozialen Netzwerken. Denn es geht nicht mehr nur darum, die Videos zeitnah und reichweitenstark zu veröffentlichen, sondern Familienangehörige, Menschen vor Ort aber auch die Weltöffentlichkeit zu beeinflussen.
Laut dem Medienwissenschaftler Prof. Dr. Jan Claas van Treeck gebe es ein Interesse, bestimmte Emotionen mit Bildern zu erzeugen. Die Öffentlichkeit für einen gewünschten Kriegsverlauf zu mobilisieren, sei ein Teil der Kriegsführung. Die Rede ist von psychologischer Kriegsführung, die von sogenannten "PsyOps-Einheiten" durchgeführt werden. Es sei ein Kampf David gegen Goliath, schreibt Caroline Krohn, IT-Sicherheitsexpertin und Gründerin der Arbeitsgemeinschaft Nachhaltige Digitalisierung. Die Nutzerinnen und Nutzer der Sozialen Netzwerke und auch Journalistinnen und Journalisten können sich noch so sehr abstrampeln, "wo immer sie hinkommen, lauert schon die nächste Täuschung und hinterlässt – unabhängig von der Faktenlage – Gefühle, die bleiben", so Krohn.
Weltweite psychische Belastung
Die Hamas terrorisiert nicht nur physisch die Einwohnerinnen und Einwohner der Kibbuze in Israel, sondern auch psychisch die Nutzerinnen und Nutzer Sozialer Medien weltweit. Vor allem, wenn man selbst oder Menschen, die man kenne, betroffen seien, könne das wahnsinnig belastend sein, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin und Medienpsychologin Prof. Dr. Lena Frischlich. "Voreinstellungen und Vorerfahrungen spielen eine wichtige Rolle. Zum Beispiel können die Bilder traumatische Erinnerungen wecken, etwa bei Personen mit eigener Kriegserfahrung, oder insgesamt starke negative Emotionen wie Angst, Trauer oder Wut auslösen."
Doch wie können wir als Social-Media-Nutzer den Gewaltinhalten entgehen? "Das ist sehr schwierig bis unmöglich", sagt Medienwissenschaftler Treeck im Interview. Den einen Tipp, um seinen eigenen Feed gewaltfrei zu halten, gibt es laut ihm nicht. Das Problem sei die große Masse an Inhalten, die über verschiedene Netzwerke verbreitet wird. "Aber das, was es geben könnte, ist ein gemeinsames Lernen. Und das Bewusstsein, dass die eigene Kontrolle, welche Inhalte mir angezeigt werden, begrenzt ist", so Treeck.
Die einzige Möglichkeit sei, den eigenen Feed sehr streng zu kontrollieren und ganz bewusst nur Kanäle zu abonnieren, die ausschließlich Inhalte gefiltert verbreiten.
Medienpsychologin Frischlich warnt außerdem explizit vor Doomscrolling, also sehr viel Zeit damit zu verbringen, negative und extreme Inhalte zu konsumieren. Es sei zwar normal, "auf extremen Inhalten hängen zu bleiben", führe aber neben den Folgen für die eigene Psyche auch dazu, dass Algorithmen diese Inhalte verstärkt weiterempfehlen. Durch den eigenen Aufmerksamkeitstunnel steigt also auch die Wahrscheinlichkeit für andere Nutzer, diese Inhalte zu sehen.
Wie kann man Kinder und Jugendliche schützen?
Die Sozialen Medien sind ein Ort, an dem auch Kinder ungewollt mit Gewaltvideos in Kontakt kommen können. Um Kinder vor brutalen Inhalten zu schützen, bieten die Sozialen Medien häufig eigene Filter an. Bei TikTok sei das der "Eingeschränkte Modus", beschreibt Jörg Schieb, Journalist und ARD-Digitalexperte. Damit sollen gewalthaltige und potenziell schädliche Inhalte blockiert werden. Bei Instagram biete das "Instagram Family Center" "Eltern eine Reihe von Tools zur Kindersicherung, darunter auch die Möglichkeit, gewalttätige Inhalte zu blockieren". Allerdings schränkt der Digitalexperte ein: "Solche Filter schützen nur bis zu einem bestimmten Grad, da kein Filter 100% sicher arbeitet."
Deshalb ist es "gerade für Kinder- und Jugendliche (…) zentral, dass sie über Medieninhalte mit Vertrauenspersonen sprechen können", sagt Dr. Lena Frischlich. Was helfen kann: "Erzählen, wie sehr es einen selbst traurig macht, dass Menschen sich schlimme Dinge antun und wie man damit umgeht." Auch kinderorientierte Formate wie die Nachrichtensendung "logo!" könnten dabei helfen.