"Ziemliche Schnapsidee" Lindner will Umweltbundesamt in Dessau abschaffen: Reaktionen aus Sachsen-Anhalt
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20. Dezember 2024, 15:15 Uhr
Das Umweltbundesamt gibt es seit über 50 Jahren, seit 2005 in Dessau-Roßlau. Jetzt hat Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP, den Vorschlag gemacht, die Behörde abzubauen. Auf X schrieb er: "Ganze Behörden wie das Umweltbundesamt können entfallen." Damit will er Bürokratie abbauen. Darauf haben Politiker und Verbände aus Sachsen-Anhalt reagiert – und zwar so.
Der Vorstoß des FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner, das Umweltbundesamt in Dessau abzuschaffen, stößt bei Landespolitikern in Sachsen-Anhalt auf Kritik. Er hatte in mehreren Medien kürzlich im Rahmen eines "radikalen Bürokratieabbaus" gefordert, das Umweltbundesamt abzuschaffen. Die Behörde sei in ihrer jetzigen Form nicht mehr notwendig. Umweltminister Armin Willingmann (SPD) sagte MDR SACHSEN-ANHALT am Donnerstag, das sei eine ziemliche Schnapsidee.
Man könne sich das auch nur dadurch erklären, dass die FDP bislang in Kernfragen der Umwelt und Naturschutzpolitik nicht sonderlich nach vorne getreten sei: "Ich fürchte, das ist wirklich Wahlkampfgetöse. Ich weiß nicht, ob das die offene Feldschlacht ist, von der die FDP offenbar zuletzt geträumt hat. Ich persönlich halte es für einen ziemlich kuriosen Vorschlag." Der Minister betonte, das Umweltbundesamt sei in den vergangenen fast 20 Jahren völlig anerkannt, auch in Ostdeutschland. Willingmann nannte es bitter, dass ausgerechnet jetzt aus der Berliner Blase heraus gesagt werde, jetzt müsse eine der großen in Ostdeutschland angesiedelten Behörden abgeschafft werden.
Ich fürchte, das ist wirklich Wahlkampfgetöse. Ich weiß nicht, ob das die offene Feldschlacht ist, von der die FDP offenbar zuletzt geträumt hat. Ich persönlich halte es für einen ziemlich kuriosen Vorschlag.
Scharfe Kritik seitens der SPD
Die SPD-Landesvorsitzende Juliane Kleemann verwies in einer Pressemitteilung am Donnerstag darauf, dass das Umweltbundesamt Anfang der 70er Jahre von der FDP gegründet worden und Heinrich von Lersner erster Präsident gewesen sei. Der Anhaltische SPD-Landtagsabgeordnete Holger Hövelmann, gebürtig aus Roßlau, nannte Lindners Forderung nicht nur falsch. Sie zeige auch, wie wenig die FDP mittlerweile von der Bedeutung einer wissenschaftsbasierten Umweltpolitik verstanden habe: "Ausgerechnet die Behörde abschaffen zu wollen, die den CO₂-Emissionshandel organisiert – jahrelang das zentrale klimapolitische Instrument der FDP – ist an Widersprüchlichkeit kaum zu überbieten."
Ausgerechnet die Behörde abschaffen zu wollen, die den CO₂-Emissionshandel organisiert – jahrelang das zentrale klimapolitische Instrument der FDP – ist an Widersprüchlichkeit kaum zu überbieten.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Hasseloff (CDU) wollte sich zu Lindners Forderung nicht äußern. In der Vergangenheit hatte Haseloff jedoch gefordert, mehr Bundesbehörden in den ostdeutschen Ländern anzusiedeln.
Überraschte Reaktion von FDP in Sachsen-Anhalt
Die Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion für Umwelt und Landwirtschaft, Kathrin Tarricone, sagte MDR SACHSEN-ANHALT am Donnerstag, sie sei darüber überrascht und werde den Gründen nachgehen: "Ich gehe davon aus, dass man sich was überlegt hat, warum dieser Vorschlag gekommen ist. Vielleicht ist er ja gut." Tarricone lobte das Umweltbundesamt für seine "tolle Arbeit" in der Forschung. Diese Daten brauche man. Allerdings reguliere die Behörde zu viel, zum Beispiel beim Thema Pflanzenschutzmittel. Man müsse den Unternehmern etwas mehr Freiheit gönnen.
Ich gehe davon aus, dass man sich was überlegt hat, warum dieser Vorschlag gekommen ist. Vielleicht ist er ja gut.
Reaktionen von Umweltbundesamt und IHK Halle-Dessau
Der derzeitige Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, wollte sich auf MDR-Nachfrage nicht genauer äußern. Im sozialen Netzwerk X hatte er zuvor betont, seine Behörde sei für bürokratiearmen und beschleunigten Umwelt- und Klimaschutz zu haben. Messner verwies in diesem Zusammenhang auf die Pariser Klimaziele. Der Präsident zitierte auch eine der Freiburger Thesen der FDP aus dem Jahr 1971: "Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen."
Der Geschäftsführer Standortpolitik der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau, Hendrik Senkbeil, sagte MDR SACHSEN-ANHALT am Donnerstag, grundsätzlich begrüße man es sehr, dass das Thema Aufwuchs des Öffentlichen Dienstes die Bundespolitik erreicht habe. Er sei der einzige Sektor, der in Sachsen-Anhalt noch wachse. Das sei bedenklich: "Menschen, die im Öffentlichen Dienst gebunden sind, stehen nicht der Wertschöpfung in der Privatwirtschaft zur Verfügung." Die Wirtschaft erarbeite "unser aller Wohlstand". Senkbeil warnte jedoch davor, nun im Wahlkampf auf einzelne Behörden zu schauen. Das sollte unaufgeregt und nicht auf der großen politischen Bühne geschehen.
MDR (Engin Haupt, Christoph Dziedo, Dagmar Böddeker, Johanna Daher)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 19. Dezember 2024 | 17:30 Uhr
Micha R vor 14 Wochen
@ Ilse
"Da wundert sich eine im Landtag aus der FDP über das Verhalten ihres langjährigen Parteimessias..."
Eher offenbart "eine im Landtag aus der FDP" mangelnde Kenntnis über das am 18.Dezember veröffentlichte Wahlprogramm der eigenen Partei zur kommenden BT-Wahl im Allgemeinen und speziell auch über die das eigene Bundesland betreffende Forderung im Einzelnen :
https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/fdp-setzt-mit-wahlprogramm-auf-neue-zuversicht,UXJoC5G
P.S.: Im Abschnitt: "...Ein agiler Staat für ein modernes Land
Eine Bundesregierung, die mit gutem Beispiel vorangeht" des FDP Wahlprogramms steht unter anderem: "...Dabei sollten wir den Mut haben, auch neue Wege zu bestreiten — beispielsweise die Abschaffung oder Neuaufstellung von Behörden wie dem Umweltbundesamt. Das spart Steuerzahlergeld und kann durch weniger Überlappungen für mehr Effizienz sorgen..."
Micha R vor 14 Wochen
@ Peter
"Wann Herr Lindner das Umweltbundesamt abschaffen will, hat er nicht gesagt..".
Das sollte politisch Interessierten aber eigentlich bereits seit dem 18. Dezember bekannt sein!
Denn diese Forderung stammt aus dem Wahlprogramm der FDP zur kommenden Bundestagswahl und soll nach dem Willen der Partei demzufolge in der kommenden Legislaturperiode umgesetzt werden, siehe
https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/fdp-setzt-mit-wahlprogramm-auf-neue-zuversicht,UXJoC5G
DER Beobachter vor 14 Wochen
Ja, wobei ich gestehen muss, dass ich die FDP und speziell ihre vielen progressiven Mitglieder vermissen werde. Leider hat sie weder aus Möllemann, noch Rexrodt, noch Rösner, noch Buschmann, noch Niebel, noch Westerwelle, noch Wissing und eben gleich gar nicht Lindner gelernt. Vielmehr hat sie ihn erneut erhoben, anstatt ihnen wegen parteischädigenden Verhaltens ins Nirvana zu versenken. Meine Oma hätte zu so was gesagt "Wer nicht hören will, muss fühlen", und Gorbis Bonmot zu trommelndem Abgesang ist ja auch auch noch bekannt. Wie gesagt, schade um die wirklich Liberalen in der Partei...