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Wohlbefinden verloren Einsamkeit: Die schwersten Stunden des Tages

30. Dezember 2024, 17:34 Uhr

Viele Menschen in Sachsen-Anhalt leiden unter Einsamkeit. Die Auswirkungen gehen meist zulasten der Gesundheit. Dabei sind junge Menschen besonders betroffen, zeigen Studien.

MDR SACHSEN-ANHALT-Autor Hannes Leonard steht im Profil vor einer Wand
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"Ich wünsche mir manchmal jemanden, der mir Mut zuspricht", sagt Brigitte Biehle aus Merseburg. "Jemand, der mir sagt, du hast es probiert, bist zwar gescheitert, aber es lag nicht an dir." Die 63-Jährige ist vor ein paar Jahren schwer erkrankt, hat mehrere Schlaganfälle überstanden. "Als mir deshalb die Ärzte gesagt haben, ich werde nicht mehr arbeiten können, ist mein Leben zusammengebrochen." Durch den Jobverlust und die Krankheit seien Biehle viele soziale Kontakte weggebrochen, erzählt sie.

Abends, wenn ich über meinen Hof laufe, noch eine rauche, dann kommen die Gedanken. Dann fange ich an zu grübeln über Dinge, die ich nicht ändern kann.

Renaldo Schulz über Einsamkeit

Auch Renaldo Schulz kennt solch schwere Stunden. "Abends, wenn ich über meinen Hof laufe, noch eine rauche, dann kommen die Gedanken. Dann fange ich an zu grübeln über Dinge, die ich nicht ändern kann." Auf seinem Vier-Seiten-Hof im Süden Sachsen-Anhalts ist Schulz gut eingespannt. "Ich bin handwerklich begabt und kann fast alles alleine machen." Aber sich nach getaner Arbeit über das Tagwerk auszutauschen, das fehlt Schulz schon sehr.

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Einsamkeit betrifft alle Menschen

Biehle und Schulz bezeichnen sich als 'einsam'. Damit sind sie nicht alleine, bestätigt Petra Schober von der Telefonseelsorge in Halle im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT. "Richtig zugenommen hat es seit Corona." Von Einsamkeit sind alle Menschen betroffen, so Schober. "Und jeder versucht, damit nicht in Berührung zu kommen. Bloß nicht dieses Chaos und dieses Ohnmachtsgefühl erleben."

Ein Mann und eine Frau sitzen an einem Tisch
Brigitte Biehle und Renaldo Schulz in dem Räumen der Selbsthilfegruppe gegen Einsamkeit in Merseburg. Bildrechte: MDR/Hannes Leonard

In Deutschland kennen fast 60 Prozent der Erwachsenen das Gefühl von Einsamkeit, hat eine repräsentative Studie der Techniker Krankenkasse gezeigt. Die Untersuchung zeigt auch, dass davon alle Bevölkerungsschichten betroffen sind. Allerdings fühlen sich junge Erwachsene häufiger einsam als ältere.

Einsamkeit kann krank machen

Dazu kommt: Jüngere Menschen leiden auch mehr unter Einsamkeit, zeigt die Studie der Krankenkasse. Bei den unter 40-Jährigen hat demnach mehr als jeder Dritte angegeben, eher stark oder sehr stark von Einsamkeit belastet zu sein. Bei älteren Menschen gilt das nur für etwa jeden Fünften. Dabei kann die Einsamkeit auch ganz konkrete negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben, bestätigt auch Schober von der Telefonseelsorge.

"Ich habe sehr oft im Bett gelegen und über viele Sachen nachgedacht, die ich aber nicht beeinflussen kann", erzählt Renaldo Schulz. Nur Medikamente hätten ihm letztlich geholfen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und wieder mehr zu schlafen. "Einsamkeit kann ein richtiger Sog sein. Sie kann sprachlos machen. Ich habe einsame Menschen erlebt, die fast keine Stimme mehr hatten, weil sie sie so lange nicht mehr benutzt haben", erzählt Schober.

Mehr über Einsamkeit lernen

Auch in der Politik hat man das Problem inzwischen erkannt. "Der Themenbereich Einsamkeit wird als eine sehr wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen", teilt das Sozialministerium in Magdeburg auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT mit, "da Einsamkeit negative Folgen auf die Gesundheit, auf das Gemeinschaftsgefühl und auf die wirtschaftliche Produktivität" haben kann.

Deshalb habe man unter anderem zwei Studien finanziert, um das Phänomen genauer zu untersuchen. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts "Wohnformen und soziale Netzwerke und deren Einfluss auf Einsamkeitserfahrungen" sollen demnächst veröffentlicht werden. Dabei habe man auch untersucht, warum jüngere Menschen besonders unter Einsamkeit leiden und was man sich von den Alten abschauen kann, die offenbar eher "über Kulturtechniken des Alleinsein-Könnens verfügen".

Zuhören im persönlichen Umfeld

Es sei gut, dass das Thema psychische Erkrankungen und die Einsamkeit inzwischen mehr in der Öffentlichkeit besprochen wird, betont Schober von der Telefonseelsorge. "Aber wir Menschen müssen auch genauer hinschauen, in der Familie, der Nachbarschaft." Schober vermisst bei den Menschen oft den Willen, richtig zuzuhören. "Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass die Menschen oft nur von sich reden und gar nicht mitbekommen, dass das Gegenüber vielleicht einsam ist oder sogar Suizidgedanken hat."

Biehle und Schulz wollten sich mit ihrer Einsamkeit irgendwann nicht mehr abfinden. Seit einiger Zeit treffen sie sich regelmäßig mit anderen Betroffenen bei einer Selbsthilfegruppe des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. "Wir unternehmen sogar etwas gemeinsam", erzählt Biehle mit strahlenden Augen. In der Vorweihnachtszeit waren die Teilnehmer zusammen auf dem Weihnachtsmarkt.

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MDR (Hannes Leonard), dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 29. Dezember 2024 | 19:00 Uhr

7 Kommentare

SusiB. vor 12 Wochen

Das ist doch logisch das so viele einsam sind. Die jungen und älteren Leute haben nichts mehr wo sie hingehen können um andere zu treffen. Die Diskotheken werden reihenweise zugemacht, da sie sich kaum noch einer leisten kann. Genauso die Treffpunkte älterer wie Cafés sind alles so teuer geworden das sich Rentner das nicht mehr leisten können. Auf den Dörfern gibt es keine Treffpunkte mehr wie Einkaufsmöglichkeiten oder Kneipen.

Anita L. vor 12 Wochen

Die Weihnachtsmärkte waren nach Berlin voll, sie sind nach Magdeburg voll. Das festzustellen, hat nichts mit Pietätlosigkeit zu tun, sondern ist eine Tatsache.

Maria A. vor 12 Wochen

Es ist leider ein Tabuthema - das Einsamkeitsempfinden. Dabei täte es gut, zumindest für den Anfang, vertraute Menschen darüber in Kenntnis zu setzen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass nicht nur Alleinlebende depressive Phasen durchleben. Ja, gerade zu Weihnachten drängt die Vereinsamung nach vorne bei den Gemütsempfindungen. Besonders schlimm ist das nächste Weihnachtsfest nach Verlust eines oder mehrerer Angehörigen. Ich sah vor einiger Zeit eine Sendung über das Organisieren von wöchentlichen Treffen für ältere Menschen. Und es war wirklich rührend, wie eine davon begeisterte Frau in den Siebzigern schilderte, wie trostlos sie ihren Jahresablauf vorher gesehen hatte. Nicht erstaunlich, denn wer nicht in Gemeinschaft eingebunden ist, vermisst schmerzlich den Gesprächsaustausch. Wenn Bewegungseinschränkungen vorliegen, entfällt die für viele Einsame letzte Möglichkeit, mal reden zu können, das Einkaufen. Traurig. Bedrückend, dass bereits jüngere Menschen über Vereinsamung klagen.

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