Rechtsextreme Übergriffe an Hochschulen in Sachsen-Anhalt Interview: Warum Hochschulen für Angriffe der extrem Rechten besonders anfällig sind
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31. März 2025, 09:02 Uhr
Eine aktuelle Kleine Anfrage der Linken zeigt auf, dass es an mehreren Hochschulen in Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren rechtsextreme Vorfälle gab. Die Idee, dass an Hochschulen alle demokratisch eingestellt seien, hat wenig mit der Realität zu tun, sagen zwei Menschen, die zu dem Thema forschen. Wie der Stand der Dinge an den einzelnen Hochschulen Sachsen-Anhalts ist – und was die Hochschulen im Kampf gegen Rechtsextremismus tun können.
Der Soziologe Christoph Haker und die Soziologin Rebekka Blum forschen gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen an einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt zum Umgang von Hochschulen mit rechtsextremen Tendenzen. Haker arbeitet schon länger gemeinsam mit dem Wissenschaftler Lukas Otterspeer an der Europa-Universität Flensburg zum Thema. Blum, ansässig an der Universität in Marburg, hat in der Vergangenheit vor allem zu Antifeminismus geforscht und ist im Februar 2025 neu in das Projekt eingestiegen. Um sich selbst vor rechtsextremen Angriffen zu schützen, veröffentlicht sie keine Fotos von sich. Leider sei sie als Wissenschaftlerin viel stärker von Angriffen bedroht als ihre männlichen Kollegen, sagt Blum.
Kleine Anfrage und erster Teil des Interviews zur Einschätzung der Hochschulsitutation
MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Haker, Sie haben bereits eine Studie zu Rechtsextremismus an Hochschulen gemacht. Ist das denn wirklich ein Thema?
Haker: Das ist auf jeden Fall ein Thema! Diese Annahme, die viele haben, dass Menschen an Hochschulen automatisch demokratisch eingestellt sind, weil sie höhere Bildungsabschlüsse haben, das ist unseren Erkenntnissen nach fragwürdig. In unserer Forschung geht es darum, welche Fälle von Rechtsextremismus es an Hochschulen gibt und wie diese auf die Hochschulgemeinschaft wirken.
Und gab es in Ihrer Studie Erkenntnisse, die Sie überrascht haben?
Haker: Es gibt da so ein paar blinde Flecken, die wir ins Blickfeld genommen haben. Zum Beispiel denkt man bei dem Thema häufig an rechtsextreme Äußerungen von Studierenden, aber nicht unbedingt an das Lehrpersonal und dessen Vernetzung ins rechtsextreme Milieu. Und dann haben viele beim Thema Rechtsextremismus automatisch Bilder von aggressiven Männern im Kopf und schauen auch eher auf männlich dominierte Studiengänge wie Jura oder Ingenieurswissenschaften.
Diese Vorstellungen sind nicht ganz falsch, erfassen das Thema Rechtsextremismus an Hochschulen aber nicht umfänglich. Deswegen konzentrieren wir uns in unserer Studie auch ganz bewusst auf pädagogische Studiengänge.
Blum: In pädagogischen Berufen ist es besonders folgenschwer, wenn eine Person eine extrem rechte Einstellung hat, weil sich das dann oft unbemerkt weiterverbreitet in einen breiten Querschnitt der Gesellschaft. Man spricht bei Frauen in dem Kontext von einer doppelten Unsichtbarkeit. Sie werden oft als unpolitisch eingeschätzt – und wenn doch, dann nicht als rechtsextrem oder gewaltbereit. Das beruht auf den traditionellen Vorstellungen von Geschlechtern: Weil Frauen sich entsprechend ihrer Sozialisierung eher sozial und empathisch verhalten, vermutet man bei ihnen weniger eine rechtsextreme Gesinnung, dabei müssen rechte Einstellungen nicht aggressiv vorgetragen werden, um problematisch zu sein.
Nehmen rechtsextreme Einstellungen an Hochschulen zu?
Haker: Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, da die Studienlage sehr dünn ist. Was wir beobachten, ist eine stärkere Ausdifferenzierung des Rechtsextremismus. Damit meine ich: Rechtsextremismus an Hochschulen beschränkt sich nicht nur auf das klassische Bild radikaler Burschenschaften, das Auftreten des Rechtsextremismus wandelt sich. Diese Veränderungen konnte man auch an dem Aufkommen der Identitären Bewegung sehen, wie sie beispielsweise an den Universitäten in Magdeburg und in Halle vertreten war. Ein anderes Beispiel wäre die AfD als sogenannte Professorenpartei oder die Versuche rechtsextremer Verlage, scheinbar wissenschaftliche Publikationen auf den Markt und in die Bibliotheken zu bringen. Für die engagierte Zivilgesellschaft und für engagierte Hochschulen ist gerade das Nebeneinander aber auch die Vernetzung verschiedener Gruppen eine Herausforderung.
Blum: Ich stimme zu. Bei den Angriffen auf einzelne Fachbereiche denke ich manchmal, dass sie schon eine neue Qualität haben. Die Gender Studies werden immer wieder angegriffen, auch nicht zufällig, sondern ganz klar geplant, eine digitale Kampagne. Angriffe gegen kritische Wissenschaften sind jedoch nicht wirklich neu, werden aber durch die sozialen Medien stärker sichtbar und leichter mobilisierbar. Gerade die Identitäre Bewegung nutzt ja gern digitale Strategien, um Raum einzunehmen und zu mobilisieren.
Lässt sich etwas dazu sagen, wo Rechtsextremismus an Hochschulen ein besonders großes Problem ist?
Haker: Im öffentlichen Diskurs zeigt sich immer wieder die Vorstellungen, dass Rechtsextremismus insbesondere ein ostdeutsches Problem sei. In unserer Studie sehen wir aber Rechtsextremismus an Hochschulen in allen Bundesländern. Es gibt sicher regionale Unterschiede: Wo sind seit langem finanziell gut ausgestattete Burschenschaften? Da gibt es zum Beispiel Fälle in Halle und Leipzig, aber auch in Hamburg, Mainz, Marburg und Würzburg. Wo haben Rechtsextreme gute Chancen, unerkannt Qualifikationen bis hin zur Promotion zu erlangen? Wo gibt es Professoren und Professorinnen, die für rechtsextreme Studierende offen sind?
Gleichzeitig ist aber auch die andere Seite wichtig: An welchen Hochschulstandorten ist die kritische Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus besonders stark? Aus unser Forschungsperspektive lässt sich sagen, dass es an vielen Standorten durchaus hohe Expertise für die Situation vor Ort gibt. Ein Überblick über das Feld fehlt aber. Ich würde auch davor warnen, da vorschnell ein Stadt-Land-Thema draus zu machen. Wir beobachten rechtsextreme Vorfälle an großen und kleinen Hochschulen. Welche Möglichkeiten Hochschulen und Betroffene haben, um auf Rechtsextremismus vor Ort und an der Hochschule zu reagieren, ist aber sicherlich vom lokalen Kontext abhängig.
Blum: Klar, in einer Kleinstadt und an einer kleineren Hochschule ist man weniger anonym. Da kann sich vielleicht nicht bewusst für ein Wohnviertel oder für bestimmte Lehrveranstaltungen entscheiden, in denen man sich sicher fühlt. Aber diese Nähe funktioniert auch andersherum. Das kann auch eine Chance sein. Wenn an einer kleinen Uni das Rektorat eine neue Maßnahme einführt, spüre ich das möglicherweise viel direkter. Und in kleineren Städten können ansässige Hochschulen möglicherweise eine stärkere Wirkung auf die Stadt entfalten.
Das Interview geht nach dem Lagebericht über die Situation an den Hochschulen in Sachsen-Anhalt, den sie einzeln aufklappen können, darunter weiter.
So ist die Lage beim Thema Rechtsextremismus an den Hochschulen Sachsen-Anhalts
Zweiter Teil des Interviews
Was wollen die Rechtsextremen denn an Hochschulen?
Haker: Die extreme Rechte weiß, dass sie in alle Funktionsbereiche der Gesellschaft rein muss, um etwas zu erreichen – also auch in den Bereich Wissenschaft und Hochschulbildung. Die Strategien, die sie dabei nutzt, sind ganz unterschiedlich. Sie greifen die Unis einerseits von außen an, indem sie ihnen vorwerfen, "links" zu sein. Das verursacht Verunsicherung. Mit Blick auf die Daten lässt sich das zwar nicht halten, aber für die extreme Rechte ist alles links, was nicht ihrer Meinung entspricht. Zum anderen versuchen die Rechtsextremen trotzdem, personell in den Unis Fuß zu fassen oder sich institutionell der Wissenschaft anzunähern. So können sie von dem Prestige und der Autorität profitieren, die Wissenschaftlichkeit immer noch verleiht. Da denke ich zum Beispiel an die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung oder an die neurechte Denkfabrik in Schnellroda. Dieser Doppelstrategie müssen wir uns bewusst sein. Alles, was die extreme Rechte tut, verfolgt ein Ziel: eine homogene, hierarchische Gesellschaft, in der die Menschen, die im extrem rechten Weltbild dazu gehören, einen festen Platz zugewiesen bekommen und in der die Menschen, die als nicht zugehörig gelten, angegriffen und ausgeschlossen werden.
Sind Hochschulen gegen diese Art Angriffe gut geschützt?
Haker: Sie können in jedem Fall mehr tun. Hochschulen sind zum einen anfällig, weil Universitäten sehr sehr weiße und oft männliche Institutionen sind. Das gilt etwa mit Blick auf die Literatur, die gelesen wird oder die Koryphäen eines Faches, die hohe Reputation genießen. Das gilt aber auch für das wissenschaftliche Personal und die Studierenden, die die Vielfalt der Gesellschaft nicht abbilden. Das ist natürlich ein Nährboden für Diskriminierungen aller Art, auch für Rassismus, und bietet Anknüpfungspunkte für Rechtsextremismus. Zum anderen sind Hochschulen anfällig, weil Wissenschaft auf eine spezifische Weise organisiert ist. Sie ist sehr stark darauf ausgerichtet, dass Studierende und Forschende an ihrer eigenen Qualifikation und Karriere arbeiten. Gerade frühe Karrierephasen von Forschenden finden unter prekären Bedingungen statt, es gibt starke Konkurrenz, über vieles wird nicht offen gesprochen, erst recht nicht über Probleme und Fehler. An Hochschulen ist es deswegen teilweise so, dass Menschen sich nicht trauen, über rechtsextreme Vorfälle zu sprechen. Weil sie fürchten, dass es für sie Nachteile bedeutet.
Blum: Das nutzen extrem Rechte aus und greifen gezielt einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an. Und das beobachten natürlich alle anderen und überlegen, wie sie sich verhalten können, um nicht selbst angegriffen zu werden. Dieses Klima der Angst, das extrem Rechte schaffen, findet an Hochschulen leider Nährboden. Wenn Menschen an Hochschulen einen rechtsextremen Übergriff erleben, trifft es sie oft doppelt. Zum einen durch den Übergriff an sich, zum anderen dadurch, wie die Institution damit umgeht, nämlich oft zurückhaltend. Deswegen ist es so wichtig, dass Betroffene an Hochschulen Solidarität erfahren und spüren, dass sie nicht allein sind und geschützt werden.
Wie können Hochschulen denn noch gegen Rechtsextremismus vorgehen?
Blum: Es ist ganz wichtig, dass Hochschulen Probleme nicht kleinreden, sondern dass im Gegenteil Strukturen schaffen, um bewusst über gesellschaftliche Probleme wie Rechtsextremismus zu sprechen. Das muss dann auch klar benannt werden. Und ich würde mir wünschen, dass Hochschulen nicht nur auf Vorfälle reagieren, sondern sich schon vorher mit dem Thema beschäftigen. Um im Ernstfall Ansprechpersonen und Schutzstrukturen zu haben, die Betroffene unterstützen können. Ein klares Selbstverständnis und eine klare Positionierung der Hochschule, so dass allen klar ist, welche Regeln und Leitbilder wo gelten. Und damit meine ich nicht Regenbogenflaggen, um nach außen gut dazustehen. Sichere Räume schafft man beispielsweise auch über entsprechend ausgebildetes Lehrpersonal.
Haker: Hochschulen muss klar sein, dass sie all das nicht nur für ihre Studierenden tun. Klar gibt es gute moralische, politische, ökonomische oder rechtliche Gründe, sich gegen Rechtsextremismus zu positionieren. Gerade Hochschulen sollten das Thema aber auch aus einer wissenschaftsinternen Perspektive thematisieren. Rechtsextremismusprävention dient auch dazu, bessere Forschung und Lehre zu ermöglichen. Denn offene, inklusive und vielfältige Wissenschaft ist bessere Wissenschaft. Was der Wissenschaft und den Hochschulen bevorsteht, wenn extrem rechte Parteien an die Macht kommen, sehen wir aktuell in den USA und kennen wir schon, etwa aus Ungarn oder der Türkei.
Gerade in solchen Zeiten ist die Vernetzung von Hochschulen wichtig. Ich würde keiner Hochschule empfehlen, rechtsextreme Übergriffe ausschließlich intern klären zu wollen. Ich denke schon, dass Hochschulen jeden kleinen Sticker mit verbotenen Symbolen anzeigen sollten. Und: sich Hilfe holen! Wenn es um die Schaffung von Schutzkonzepten geht, kann eine externe Beratung hilfreich sein. Eine erste Adresse wäre die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus. Insgesamt nehme ich es so wahr, dass immer mehr Hochschulen sich über das Thema Rechtsextremismus Gedanken machen und Schutzkonzepte ins Leben rufen. Darüber freue ich mich.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist nicht kommentierbar. Warum? Die Redaktion hat einen Schwerpunkt zum Thema Rechtsextremismus an Hochschulen veröffentlicht. Um eine geordnete Diskussion zu ermöglichen, möchten wir Sie bitten, hier zu kommentieren.
MDR (Alisa Sonntag) | Erstmals veröffentlicht am 30.03.2025
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 30. März 2025 | 19:00 Uhr