Bildung "Respekt Coaches" in Thüringer Schulen vor dem Aus: Ein Beispiel aus Gotha
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23. August 2023, 10:10 Uhr
Vor fünf Jahren waren sie an ausgewählten Schulen eingeführt worden: Sogenannte Respekt Coaches. Dies sind Sozialarbeiter, die sich um Demokratiebildung bemühen sollten, um einen respektvollen Umgang miteinander und um Extremismusprävention. Gerade nach der Pandemie ist das an Schulen gefragt. Doch in den Sommerferien wurde bekannt: Der Bund will das Programm vorzeitig auslaufen lassen. Betroffen sind auch acht Standorte in Thüringen. Ein Beispiel aus Gotha.
Die Kooperative Gesamtschule "Herzog Ernst" in Gotha ist ein imposanter Bau, innen wie außen. Fast 900 Kinder und Jugendliche lernen hier, absolvieren Schullaufbahnen vom Hauptschulabschluss bis zum Abitur. Das bedeutet, sagt Schulleiter Klaus Breitsprecher, dass die Vielfalt groß sei. Für den sozialen Zusammenhalt brauche es Hilfe: "Der Ton ist rauer geworden in der ganzen Gesellschaft und natürlich auch bei uns an der Schule, das spiegelt sich eins zu eins." Dagegen gezielt anzugehen, könnten Lehrerinnen und Lehrer nicht leisten.
Der Ton ist rauer geworden in der ganzen Gesellschaft und natürlich auch bei uns an der Schule, das spiegelt sich eins zu eins.
"Respekt Coach" mit eigenem Büro und festen Sprechzeiten
Deshalb ist Breitsprecher froh, dass drei Sozialarbeiterinnen die Schule unterstützen. Eine davon ist Elisa Bönisch, die als "Respekt Coach" Toleranz, Vielfalt, und Empathie bei den Schülerinnen und Schülern fördern soll. Diese Demokratiebildung fängt im Kleinen an - allein dadurch, dass Bönisch in den Pausen zu festen Zeiten in ihrem Büro ansprechbar ist für die Anliegen aller.
Darüber hinaus organisiert sie je nach Bedarf Angebote für Gruppen: beispielsweise einen Workshop zum Thema Rassismus, eine Fahrt in die KZ-Gedenkstätte Buchenwald, theaterpädagogische Gewaltprävention, ein Projekt zum Thema Flucht und Migration.
Gruppenangebote zu vielen Themen
Mit ihrem Budget kann sie Bildungsträger zu speziellen Themen beauftragen. Oder sie übernimmt selbst Themen, beispielsweise, wenn es um den Zusammenhalt in einer Klasse geht. Dann schlage sie Teamspiele vor, erzählt Bönisch. Anschließend wird überlegt, wie die Erkenntnisse aus dem Spiel in den Klassenalltag übernommen werden können.
Die Jugendlichen überlegten sich Regeln - und auch, was zu tun sei, wenn sie nicht eingehalten werden. Eine Klasse habe festgelegt, dass Verstöße mit Liegestützen zu ahnden seien, erzählt sie. Das funktioniere gut, wenn es von den Schülerinnen und Schülern selbst kommt.
Lehrer stellen inzwischen Zeit zur Verfügung
Die Zeit für solche Angebote geht in der Regel vom Unterricht ab. In den ersten Jahren habe es da oft "kleine Kämpfe" gegeben, sagt Bönisch. Dafür hatte sie gerade in Corona-Zeiten Verständnis, weil es so viel Stoff aufzuholen gab.
"Aber unsere Themen sind auch wichtig", betont sie. "Jetzt nach drei Jahren ist es wirklich so, dass die Lehrerinnen und Lehrer auf mich zukommen, selbst anfragen und immer ihre Zeit zur Verfügung geben."
Fake News überfordern Jugendliche
Mit welchen Problemen die jungen Leute zu ihrem "Respekt Coach" kommen? Derzeit treibe sie vor allem das Thema Internetsicherheit, Fake News und Verschwörungsmythen um, sagt Elisa Bönisch. Damit fühlten sich viele Schülerinnen und Schüler überfordert.
"Die kriegen jeden Tag so viele Infos zu so vielen verschiedenen Themen, sei es Ukraine-Krieg oder davor die Corona-Pandemie. Die wissen gar nicht: Was soll ich noch glauben, wie gehe ich mit all diesen Infos um, wie geht es überhaupt weiter? Da sind wir auch die, die Schülerinnen und Schüler auffangen in diesen Zeiten."
Zwei weitere Trainer in Mihla und Eisenach
Angestellt ist Elisa Bönisch beim Diakoniewerk Gotha. Das beschäftigt auch zwei weitere "Respekt Coaches" an Schulen in Eisenach und Mihla. Geschäftsführerin Anne-Juliane Pogander schätzt dieses Bundesprogramm, das seit 2018 läuft, ganz besonders.
Zum einen richte es sich - anders als viele andere - nicht an einzelne Gruppen, sondern an alle. Und es arbeite präventiv: "Wir können da an Schulen etwas machen, bevor die Kinder in den Brunnen gefallen sind", sagt sie. "Das ist eine Arbeit, die für die Gesellschaft total wichtig ist." Auch eine wissenschaftliche Begleitstudie habe dies bestätigt.
Wir können da an Schulen etwas machen, bevor die Kinder in den Brunnen gefallen sind.
Drei Sozialarbeiterinnen gekündigt - fatale politische Folgen befürchtet
Umso überraschter war Pogander, als sie in die Sommerferien die Nachricht vom Bundesfamilienministerium bekam, dass die Arbeit der "Respekt Coaches" dieses Jahr vorzeitig enden soll. Sie musste ihren drei Sozialarbeiterinnen kündigen und befürchtet fatale Folgen - auch politisch.
"Gerade in Thüringen mit einer Wahlprognose, die eine menschenfeindliche Partei an erster Stelle sieht, ist es für uns als Diakonie besonders wichtig, uns dem entgegenzustellen. Und dass da jetzt ein Rotstrich drunter gesetzt wird, das macht uns echt wütend."
Bund will Programm an Länder geben
Das Bundesfamilienministerium begründet das Aus mit den Sparzwängen bei der aktuellen Haushaltsplanung. 31 Millionen Euro stellt der Bund in diesem Jahr für das Programm zur Verfügung. Davon werden bundesweit rund 600 "Respekt Coaches" an 240 Standorten finanziert.
Man wolle jedoch die Sozialarbeit an Schulen massiv ausbauen, teilte das Ministerium MDR THÜRINGEN mit. Das Programm der "Respekt Coaches" solle schrittweise in die Schulen und damit in die Zuständigkeit der Länder überführt werden. Ob, wann und wie das geschehen könne, werde derzeit zwischen Bund und Ländern ausgelotet, heißt es aus Berlin.
Bedauern an der Gothaer Schule
Ein wirklicher Verlust für die Schule.
An der Gesamtschule "Herzog Ernst" in Gotha bedauert Schulleiter Klaus Breitsprecher die Entscheidung. "Das wäre mehr als schade", sagt er. Vieles werde wegbrechen - "ein wirklicher Verlust für die Schule".
Die 18-jährige Leni hatte erst im vergangenen Jahr über das Programm mit ihrer Jahrgangsstufe die Gedenkstätte Buchenwald besucht. Ohne "Respekt Coach" würden auch Projekte fehlen, sagt sie, "die den Schülern zeigen, dass man gut miteinander umgehen kann, dass dieses Gemeine oder Fiese gar nicht nötig ist". Auch Ausflüge wie der nach Buchenwald, die für alle Jugendlichen über das Programm finanziert wurden, "wären einfach nicht mehr da".
MDR (co)
Dieses Thema im Programm: Deutschlandfunk, Campus & Karriere | 21. August 2023 | 14:38 Uhr
Anita L. am 24.08.2023
"Ist die Schule nicht ein Bestandteil der Gesellschaft?"
Sie sagen es: "ein" Teil der Gesellschaft. Und zwar einer, dem vom "Verstehen einer Steuererklärung" über das "Beibringen, was eine Tarifverhandlung ist" bis zum "guten Ton" (ach, und das "Schönschreiben" nicht vergessen) inzwischen alles aufgebürdet wird, die sich jedoch wegen aufgegebener Hausaufgaben, nicht genehmer Noten oder einer Ordnungsmaßnahme teilweise bis vor die Gerichte rechtfertigen muss, von Anzeigeportalen bestimmter Parteien für "unliebsame politische Äußerungen" mal ganz abgesehen. Die Schule ist keine eierlegende Wollmilchsau. Sie kann Umgangsformen und Verhalten beibringen und vorleben, soviel sie will, solange die Eltern zuhause die Auffassung vertreten, dass Schule Mist sei und die Lehrer sowieso nur überbezahlte Besserwisser, die einem eh nichts zu sagen haben (etwas überspitzt dargestellt), tut sie dies nicht nur kostenlos, sondern auch umsonst.
D. Jung am 24.08.2023
Ist die Schule nicht ein Bestandteil der Gesellschaft? Es ist ein Teufelskreis, wenn die einen denken, dass sich mit Geld Probleme lösen lassen und die anderen, wenn dann mal was angepackt wird, das als Bürde empfinden.
Wenn der Anstand und Umgang miteinander in der Gesellschaft verloren gegangen ist, muss er neu gelernt werden. Da müssen auch Schule und Eltern zusammenfinden und sich gegenseitig erst einmal wieder wertschätzen statt immer nur die Schuld beim anderen zu suchen. Die Medaille hat immer zwei Seiten!
Aber leider war es wohl nicht möglich, dass die "Respekt Coaches" auch die Eltern oder Lehrer*innen mit "ins Boot" holen, also auch da mal Angebote unterbreiten konnten.
D. Jung am 24.08.2023
"Das Programm der "Respekt Coaches" solle schrittweise in die Schulen und damit in die Zuständigkeit der Länder überführt werden. Ob, wann und wie das geschehen könne, werde derzeit zwischen Bund und Ländern ausgelotet, heißt es aus Berlin."
Also am Ende wieder eine Frage der Hoheit? Wenn die Coaches nur an einer Schule eingesetzt waren, haben sie doch früher oder später den "normalen" Sozialarbeiter*innen, die von den Kommunen finanziert werden, Konkurrenz gemacht. Und sich dann auch noch zeitlich und vielleicht auch inhaltlich in die Bildung eingemischt. Dann war es also nur eine Frage der Zeit, dass der Bund da einen Ausweg sucht. Jetzt bleibt zu hoffen, dass das Programm nicht ganz unter die Räder kommt, wenn es anfängt erste Früchte zu tragen.