Dienstag, 29.04.2025: Ganz Ohr sein

Am Nachmittag ist der Zug immer voll. Fast jeder Platz ist besetzt. Die Leute sind müde, kommen nach einem langen Tag aus dem Büro, der Werkhalle, dem Schulzimmer. Sie scheinen sich zu ducken in der Enge des viel zu kleinen Fahrgastraumes und der zu geringen Sitzabstände. Wie verpuppt blenden sie das drückende Gedränge aus.

Alle um mich herum hören etwas anderes. Manche über kleine weiße Stecker, kaum sichtbar im Ohr. Andere über Hörer mit dicken schwarzen Polstern, die für alle sichtbar machen: "Du große Welt bleib draußen. Ich ziehe mich zurück in meine eigene." Ich habe heute meine Kopfhörer vergessen. Wenn ich die Augen schließe, brummen die Motoren. Die Räder auf den Schienen surren und klappern.

Lüder Laskowski 3 min
Bildrechte: Lüder Laskowski
3 min

gesprochen von Lüder Laskowski

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Di 29.04.2025 05:45Uhr 02:30 min

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Schall passiert das äußere Ohr. Die Ohrmuscheln fangen ihn auf und leiten ihn ins Mittelohr. Er trifft auf das Trommelfell und setzt eine Reihe von Knöchelchen in Schwingung. Hammer, Ambos und Steigbügel heißen die. Als sie entdeckt wurden, bestimmte noch Pferdegetrappel den Verkehr.

Der Steigbügel lässt im Innenohr die Hörschnecke vibrieren und wandelt die Bewegung in elektrische Nervensignale um. Der Hörnerv leitet sie zum Hörzentrum des Gehirns. Das setzt alles zusammen und verbindet die Eindrücke mit anderen Sinneswahrnehmungen.

Die Menschen um mich herum nehme ich mit geschlossenen Augen nicht wahr. Es ist, als säße ich in einem leeren Zug. Etwas sträubt sich in mir. Hier passiert doch gerade mehr, als die biophysikalische Beschreibung klärt. Wir alle haben eine innere Welt.

Sie wird reicher oder ärmer durch das, was wir hören. Ohr und Seele stehen in direkter Verbindung könnte man sagen. Geprägt durch zufällige Geräusche, viel mehr noch durch Musik und am prägnantesten durch Worte. "Wer Ohren hat, der höre." (Mt 11,15 u.a.) Mit diesem Ruf wirbt Jesus um Aufmerksamkeit für seine Worte. Weghören ist auch keine Lösung, denke ich. Als meinem Sitznachbarn einer seiner Stöpsel versehentlich aus dem Ohr fällt, frage ich ihn: "Was hören sie denn Schönes?".

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Lüder Laskowski

Lüder Laskowski

geboren 1973 in Dresden und dort aufgewachsen I 1992 Abitur I 1992 - 1995 Ausbildung zum Steinmetz/Steinbildhauer bei den Sächsischen Sandsteinwerken Pirna I 1995/96 Zivildienst im Landesjugendpfarramt Sachsen / Behindertenarbeit I 1996 bis 2004 Studium der ev. Theologie in Leipzig und Berlin I 2004 - 2007 Geschäftsführer einer Unternehmensberatung im Kulturbereich in Dresden I 2007 - 2009 Vikariat an der Lutherkirche Radebeul I 2009 - 2019 Pfarrer Kirchgemeinde Großschirma / Freiberger Dom / Studierendenpfarrer Bergakademie Freiberg I seit 2019 Projektpfarrstelle "Kirchliche Arbeit in neuen Stadtquartieren" beim Kirchenbezirk Leipzig

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.