Kultur

Impressionen aus der Galerie Hochdruckpartner Leipzig
4 min
Wie sehr half Neustart Kultur Kunst- und Kulturschaffenden in Mitteldeutschland tatsächlich? Gloria Weimer hat fünf Jahre nach Beginn der Coronapandemie mit Künstlerinnen und Künstlern gesprochen. Bildrechte: MDR / Gloria Weimer

5 Jahre Corona Was bleibt von der 1,6 Milliarden Euro "Neustart Kultur"-Förderung?

12. März 2025, 03:30 Uhr

Für Künstlerinnen und Künstler war der erste Lockdown im März 2020 der Beginn einer langen Zeit ohne Aufträge und Auftritte. Viele Existenzen waren bedroht. Deshalb startete die Bundesregierung bereits im Mai 2020 ein Soforthilfeprogramm. "Neustart Kultur" sollte Abhilfe schaffen. Auch Künstlerinnen und Künstler aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben profitiert. An der langfristigen Wirkung des Programms gibt es rückblickend Kritik.

"Neustart Kultur" war das zentrale Förderprogramm der Bundesregierung für Künstlerinnen und Künstler während der Pandemie. Im Rückblick bewerten es die Betroffenen durchaus unterschiedlich. Das hat eine Recherche von MDR KULTUR ergeben.

Positiv bewertet es zum Beispiel Susann Hoch. Die Bildende Künstlerin betreibt mit drei weiteren Kunstschaffenden die Galerie und Werkstatt "Hochdruckpartner" in Leipzig-Leutzsch. Die vier gehören zu denjenigen, die durch "Neustart Kultur" finanziell unterstützt wurden. 2021 bewarben sie sich auf die Förderung und konnten in der Folge auf ihrer Homepage einen Webshop einrichten.

Der Nutzen kam später, aber dauert dafür heute noch an.

Künstlerin Susann Hoch über die "Neustart Kultur"-Förderung

Von diesem profitieren sie noch heute, sagt Susann Hoch. Das mache das Programm für sie nachhaltig. "Jetzt, einige Jahre, später merken wir, dass immer mehr diesen Webshop nutzen. Es werden jetzt auch höherwertige Drucke gekauft, das Vertrauen ist gestiegen. Der Nutzen kam später, aber dauert dafür heute noch an."

Eine Frau mit halblangen grauen Haaren, Brille, bunter Bluse und roter Arbeitsschürze steht vor einem Tisch, auf dem ein großer Linolschnitt liegt. An den Wänden hängen verschiedene Bilder.
Susann Hoch zeigt sich zufrieden mit der Förderung durch "Neustart Kultur". Bildrechte: MDR / Gloria Weimer

"Neustart Kultur": Akute Hilfe und Weichenstellung für Zukunft?

Im Fall von Susann Hoch und ihren Geschäftspartnern sind die Ideen von "Neustart Kultur" aufgegangen. Künstlern helfen, konkrete Projekte während der Pandemie umzusetzen und sie so langfristig stärken – das waren die erklärten Ziele des Förderprogramms. Kunstschaffende sollten so ermutigt werden, ihre Arbeit fortzuführen, sagte die damalige Kulturministerin Monika Grütters MDR KULTUR in einem Bilanzgespräch. Grütters rief das Förderprgramm mit einem Volumen von einer Milliarde Euro 2020 ins Leben, später wurde es auf 1,6 Milliarden Euro aufgestockt.

Es hat sich nicht verstetigt. Wir haben jetzt wieder die gleichen Herausforderungen mit sogar noch schwereren Bedingungen.

Theatermacherin Josephine Bock über "Neustart Kultur"

Als Akuthilfe während der Pandemie habe "Neustart Kultur" einen wichtigen Anteil daran gehabt, Kunstschaffende zu stärken, bilanziert die Vorsitzende des Landesverbands der freien Theater Sachsen, Josephine Bock. Von Mitgliedern ihres Verbandes habe sie nicht gehört, dass Häuser aufgrund fehlender Einnahmen schließen mussten oder Mitglieder aufgehört hätten. "Dass erstmals faire Löhne gezahlt worden sind und man nicht nur eine auskömmliche Bezahlung bekommen hat, das ist natürlich ein großer Vorteil gewesen." Insofern habe die Szene profitiert.

Josephine Bock: eine Frau mit grauer Strickjacke, heller Brille und hochgesteckten Haaren lächelt in die Kamera.
Josephine Bock sieht die positiven Effekte von "Neustart Kultur" während der Pandemiezeit, kritisiert aber die langfristige Hilfe. Bildrechte: Anja Schneider

Kritik an nachhaltiger Hilfe durch Neustart Kultur

Das Ziel einer langfristigen Hilfe durch "Neustart Kultur" über die Pandemie hinaus sieht Josephine Bock im Bereich der freien Theater allerdings nicht umgesetzt: "Es hat sich nicht verstetigt. Wir haben jetzt wieder die gleichen Herausforderungen mit sogar noch schwereren Bedingungen."

Auch Marcel Noack, Vorsitzender des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler, kritisiert, dass "Neustart Kultur" nicht nachhaltig genug gewesen sei: "Man hat wirklich gehofft, dass nach Corona Wissen vorhanden war, wie wichtig Kultur ist und dass sie gefördert werden muss", sagt Noack. Nach Corona sei es auch um die Frage gegangen, die Kulturförderprogramme des Bundes zu verstetigen und mit mehr Geld auszustatten. "Der Schuss ging nach hinten los. Wenn wir sehen, dass der Kunstfond jetzt mit 40 Prozent weniger Geld auskommen muss, ist das, was man zu Coronazeiten durch Programme und Evaluation aufbauen konnte, wieder ad acta gelegt." Dass man mittlerweile bei der Kultur wieder den Rotstift ansetzt, findet Noack fatal.

Ein Mann mit kurzen grauen Haaren, Brille und einem gestreiftem Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln steht mit verschränkten Armen da und lächelt in die Kamera.
Auch Marcel Noack schätzt die akute Hilfe durch "Neustart Kultur". In der Nachhaltigkeit sieht er Lücken. Bildrechte: Sandra Kunze

Förderung nach Branchen

Besonders kritisiert Noack die Verteilung der Gelder auf die unterschiedlichen Kulturbranchen. Seinen Angaben zufolge erhielt der Bereich Bildende Kunst vergleichsweise wenig Unterstützung: "Musik und darstellende Kunst sind sichtbarer in der Gesellschaft und sind eher in der Lage, häufiger zusammen aufzutreten, weil sie auch häufiger zusammenarbeiten." Das sei bei Bildender Kunst nicht der Fall. "Hier gibt es viele Soloselbständige." Insgesamt sei der Etat von "Neustart Kultur" viel zu gering gewesen, so Noack weiter.

Das bestätigt auch eine Recherche von Deutschlandfunk Kultur aus dem vergangenen Jahr. Demnach sind bei "Neustart Kultur" im Bereich der Bildenden Kunst deutschlandweit ungefähr 30.000 Anträge gestellt worden – die dritthöchste Antragszahl im Vergleich zu anderen Branchen. Bewilligt wurde am Ende aber nur etwa ein Viertel dieser Anträge. Im Bereich der Theater dagegen wurden von 24.000 Anträgen etwas mehr als die Hälfte bewilligt. Damit kamen Theater insgesamt auf eine Fördersumme von 309 Millionen Euro. Die Bildende Kunst landete bei 91 Millionen Euro – der zweitniedrigste Wert aller Sparten. Weniger erhielt nur der Tanz.

Sebastian Weise ist Bildender Künstler aus Halle. Er hatte sich auf ein Stipendium bei "Neustart Kultur" beworben, das auf ein halbes Jahr mit 18.000 Euro angelegt war – und wurde abgelehnt: "Das wäre für mich ein ganzes Jahr zu leben gewesen. Diese Fördersumme hätte mir ermöglicht, ausschließlich künstlerisch tätig zu sein und hätte mich künstlerisch weitergebracht." Das wäre für ihn essentiell und absolut beruhigend gewesen, sagt Weise.

Ein Mann mit Schiebermütze, grauem Bart und dunklem Hemd steht vor einem dunklen Hintergrund und blickt freundlich in die Kamera
Während der Pandemie brachen dem Künstler Sebastian Weise aus Halle viele Aufträge weg. Trotzdem bekam er keine "Neustart Kultur"-Hilfe. Bildrechte: Sebastian Weise

Dass Förderanträge abgewiesen werden, sei für Künstlerinnen und Künstler alltäglich, sagt Weise. Er schätzt die Förderung durch "Neustart Kultur" als wichtig und richtig in der Zeit während der Pandemie ein. Trotzdem hätte er sich gewünscht, die Förderhöhe pro Person zu begrenzen und dafür mehr Menschen finanziell zu unterstützen. "In die Fläche gehen und schauen, dass es gerechter verteilt wird. Ich habe den Eindruck, dass da manchmal mit Scheuklappen agiert wird."

Sachsen weit vorn bei Pro-Kopf-Förderung pro Bundesland

Wertet man das Förderprogramm nach Bundesländern aus, werden große Unterschiede deutlich: Pro Kopf gab es in Sachsen-Anhalt und Thüringen 12 Euro. Damit liegen sie im Bundesvergleich weit hinten. In Berlin wurden zum Beispiel 85 Euro pro Kopf ausgegeben. In Sachsen liegt die Pro-Kopf-Förderung immerhin bei 23 Euro. Ein Grund hierfür könnte die große Dichte an Kunstschaffenden in Leipzig und Dresden sein.

Ein dunkles, mit Grafitti überzogenes Metalltor mit der Aufschrift "Hochdruckpartner. Galerie + Werkstatt" grenzt an eine orangefarbene Mauer.
Die Galerie und Werkstatt "Hochdruckpartner" in Leipzig konnte durch "Neustart Kultur" einen Webshop einrichten. Bildrechte: MDR / Gloria Weimer

Die Bildende Künstlerin Susann Hoch von "Hochdruckpartner" aus Leipzig sieht noch einen weiteren Grund in der hohen Förderung für Sachsen: Sie empfindet die Vernetzung der Kunstschaffenden untereinander als wichtige Stütze. "Man ist in Städten wie Dresden und Leipzig weniger auf sich allein gestellt. Man hat die Berufsverbände und Kollegen um die Ecke. Ich glaube, man macht sich gegenseitig mehr Mut, solche Sachen zu nutzen und erfährt vielleicht auch besser davon."

Für sie und ihre Kollegen hat "Neustart Kultur" den gewünschten künstlerischen Schub gebracht – und sendete auch ein wichtiges Zeichen für die Zukunft: Es geht weiter.

Quelle: MDR KULTUR (Gloria Weimer)
Redaktionelle Bearbeitung: bh, tmk

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 12. März 2025 | 15:40 Uhr

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