Demonstrierende der Firma Atos vor dem Essener Cinemaxx 2022
Gewerkschaften handeln meist indirekt auch Vorteile für Nicht-Mitglieder aus. Doch ist es rechtlich auch möglich, dass es Vorteile nur für Mitglieder gibt. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Funke Foto Services

Arbeitnehmervertretung Tarifverträge: Boni nur für Gewerkschaftsmitglieder meist rechtens

08. Juli 2024, 12:03 Uhr

Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie hat für engagierte Mitglieder Extra-Urlaub im neuen Tarifvertrag ausgehandelt. Ein MDR-AKTUELL-Hörer aus Halle fragt, wie der Extra-Urlaub für Gewerkschaftsmitglieder mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Richtigerweise argumentiert er mit dem Grundgesetz. Dort heißt es, dass niemand wegen politischer Ansichten benachteiligt werden dürfe. Trotzdem tendieren Gerichte in eine andere Richtung.

Auf den ersten Blick ist die Sache ganz einfach. Gewerkschaften verhandeln Tarifverträge für ihre Mitglieder. Formal gelten die Vereinbarungen deshalb tatsächlich nur für sie. Trotzdem bekommen in tarifgebundenen Unternehmen in der Regel alle Beschäftigten die ausgehandelten Leistungen.

Das entschieden die Arbeitgeber aber in eigener Verantwortung, sagt der Arbeitsrechtler Olaf Deinert. Und daran habe der Arbeitgeber auch ein ureigenes Interesse. Denn: "Wenn er das nicht macht und nur den Organisierten die Ergebnisse des Tarifvertrages gewährt, dann kann er sich ja ausrechnen, dass die Nicht-Organisierten, wenn sie weniger bekommen, in die Gewerkschaft eintreten, um dann das Mehr zu bekommen." Daher gewähre der Arbeitgeber auch den Nicht-Organisierten dieses Mehr, um nicht noch einen Anreiz zu setzen, dass auch sie noch in die Gewerkschaft eintreten, so Deinert.

Gewerkschaftler opfern Zeit und Geld

Für die Gewerkschaften ist das unbefriedigend. Denn nur ihre Mitglieder zahlen für Tarifverhandlungen Beiträge und opfern mitunter auch Zeit. Am Ende profitieren aber alle. Schon länger versuchen Gewerkschaften deshalb, Boni nur für ihre Mitglieder auszuhandeln.

Thorsten Schulten von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung findet das nur fair. Es gebe keine Ungleichbehandlung. "Es wird nur für die, die sich engagieren, ein Stück weit ein Ausgleich gegeben. Ich glaube, so gesehen ist das eher eine Regelung, die wieder Gleichheit herstellt als eine, die Unterschiede verstärkt", sagt Schulten.

Grundgesetz könnte von Boni für Gewerkschaftler verletzt werden

Trotzdem ist unter Juristen umstritten, wieviel Boni Gewerkschaftsmitglieder erhalten dürfen. Und das hat, wie der MDR-Hörer richtig vermutet, tatsächlich mit grundgesetzlichen Freiheiten zu tun. Ein Bonus darf nämlich nicht dazu führen, dass sich Angestellte gezwungen sehen, einer Gewerkschaft beizutreten. Denn es gibt nicht nur das Recht auf Gewerkschaftsmitgliedschaft. Es gibt auch das Recht, sich dagegen zu entscheiden.

Die Gewerkschaft dürfe deshalb keine Vereinbarungen treffen, die für Nicht-Mitglieder ausdrücklich deutliche Nachteile bringen, sagt Rechtsprofessor Olaf Deinert. "Wenn im Tarifvertrag geregelt wird: 'Gewerkschaftsmitglieder bekommen 100 Euro.' Das kann man machen." Man könne aber nicht gleichzeitig regeln, dass Nicht-Gewerkschaftsmitglieder nichts oder weniger bekämen. "Weil dann würde der Tarifvertrag beanspruchen, Regelungen nicht nur für die Gewerkschaftsmitglieder zu schaffen, sondern auch Regelungen für die Außenseiter", erklärt Deinert.

Arbeitsgericht: Tarifvertrag darf Boni für Gewerkschaftler enthalten

Das klingt nach juristischem Kleinklein. Tatsächlich hat sich das Bundesarbeitsgericht auch schon mehrfach mit dem Thema beschäftigt. Tenor bisheriger Urteile: Ein Tarifvertrag darf Boni für Gewerkschafter enthalten. Über Höhe und Vertragsgestaltung urteilten die Richter aber unterschiedlich.

Urlaub als Zeitausgleich für Gewerkschaftsarbeit

Für den Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott ist der jetzt vereinbarte Zusatzurlaub in der Chemie jedenfalls nicht zu beanstanden. Wenn er den Tarifabschluss der Chemieindustrie richtig deute, dann gebe es Sonderurlaub nur für bestimmte Jubiläen und eine Art Freizeitausgleich für aktives gewerkschaftliches Engagement. "Insoweit sehe ich da gar keine Probleme, dass die derzeitigen Regelungen im Tarifabschluss der Chemie eine völlig zulässige und rechtskonforme Regelung darstellen", sagt Fuhlrott.

Das Bundesarbeitsgericht hat auch schon eine Sonderzahlung über 535 Euro nicht beanstandet. Und vor sechs Jahren urteilte auch das Bundesverfassungsgericht mit dem Tenor: Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn durch Sonderzahlungen ein gewisser Anreiz zum Beitritt in eine Gewerkschaft entsteht. Es dürfe mit den Boni aber weder Zwang noch Druck aufgebaut werden.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 08. Juli 2024 | 06:21 Uhr

14 Kommentare

Wessi vor 37 Wochen

Und natürlich einen gewissen Egoismus @ Frank 1.Allein "gespart" lässt diesen Schluß zu.Dann dürften auch Worte wie "Kollegialität" und "Solidarität" Ihnen fremd sein.Wundert mich das?Bei Ihrer politischen Präferenz? Kaum.Ich habe 2 "solide Berufsausbildungen(Erfahrung" und konnte Druck aufbauen.Da ich kein "Arbeiterveräter"bin, habe ich beides genutzt, um mit der Gewerkschaft schwächeren KollegInnen zu helfen.Dabei sind dann einige egomane Nichtmitglieder auf der Stecke geblieben...selbst Schuld.

Frank 1 vor 37 Wochen

Ich habe das anders gehandhabt, Gewerkschaftmitgliedschaft habe ich mir gespart. Statt dessen die Absicht erkennen lassen den Arbeitgeber zu wechseln, wenn nicht...........! Hat prima funktioniert und ich kam einkommensseitig schneller vom Fleck wie Gewerkschaftsmitglieder. Allerdings muß ich sagen, ich habe eine solide Berufsausbildung und Berufserfahrung und somit genug Druckmittel. Natürlich muß das jeder mit sich selbst ausmachen ob er dieses Druckmittel einsetzen kann.

Liveguide vor 37 Wochen

Tarifabschluss Metall und ElektroIndustrie: 8,5 %.
Wenn ich für ein Prozent 8,5% Rendite erhalten würde, hätte ich schon mein ganzes Geld investiert.
Diejenigen, die nichts dafür getan haben, dürfen sich gerne in den Spiegel schauen und sich fragen: Was habe ich eigentlich dafür getan.

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