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MDR SACHSEN-ANHALT Mi 24.07.2024 07:00Uhr 00:29 min

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Schwangerschaftsabbrüche "Besorgniserregende Zahlen": Immer weniger Kliniken ermöglichen Abtreibungen

24. Juli 2024, 05:00 Uhr

In Sachsen-Anhalt gibt es 22 Krankenhäuser, die eine Abteilung für Frauenheilkunde haben. Einen Schwangerschaftsabbruch führen jedoch nur 14 der Kliniken durch, zwei weniger als noch im vergangenen Jahr. Im Salzlandkreis gibt es gar kein Krankenhaus mehr, in dem eine Abtreibung möglich ist.

Nastassja von der Weiden
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Es gibt immer weniger Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibungen durchführen – in Sachsen-Anhalt sind es derzeit 30. Das gibt die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA) an. Die Entwicklung folgt damit dem bundesdeutschen Abwärtstrend.

14 von 22 Krankenhäusern in Sachsen-Anhalt führen Abtreibung durch

Seit 2022 haben sieben Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, die über eine Genehmigung verfügen, Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu können, ihre Tätigkeit in Sachsen-Anhalt beendet, drei kamen seitdem hinzu.

Ambulante Frauenärztinnen und -ärzte, die Abbrüche durchführen (Stichtag 2. Juli 2024)
Altmarkkreis Salzwedel 1
Anhalt-Bitterfeld 2
Börde 5
Halle 3
Jerichower Land 4
Magdeburg 8
Mansfeld-Südharz 0
Salzlandkreis 2
Stendal 3
Wittenberg 2
   
Gesamt 30
Quelle: Arztregister der KVSA  

Von 22 Krankenhäusern, die eine Haupt- oder Belegabteilung für Frauenheilkunde haben, führen 14 Schwangerschaftsabbrüche durch. 2023 waren es noch 16. Im Salzlandkreis gibt es 2024 keine Klinik mehr für betroffene Frauen, im Jahr davor waren es zwei.

Kliniken, die Abbrüche durchführen
  2022 2023 2024
       
Altmarkkreis Salzwedel keine Daten 1 1
Stendal   - 1
Magdeburg   2 3
Jerichower Land   1 1
Salzlandkreis   2 -
Harz   2 2
Mansfeld-Südharz   1 1
Halle   1 1
Saalekreis   1 1
Burgenlandkeis   2 1
Anhalt-Bitterfeld   2 1
Dessau-Roßlau   1 1
       
Gesamt   16 14
Quelle: Krankenhausgesellschaft Sachsen-Anhalt      

An Frauenärztinnen und -ärzten fehlt es in Sachsen-Anhalt insgesamt aber nicht. Die gesetzlichen Vorgaben zur Versorgung werden sogar übererfüllt. Das geht aus der Antwort einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung hervor.

Grüne: "Katastrophe für das Land und die hier lebenden Frauen"

Die stetig sinkenden Zahlen seien "eine Katastrophe für das Land und die hier lebenden Frauen", sagt Susan Sziborra-Seidlitz, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion. Sie hat die Kleine Anfrage an die Landesregierung zum Thema Schwangerschaftsabbrüche gestellt.

Susan Sziborra-Seidlitz im Landtag von Sachsen-Anhalt.
Man schaue tatenlos zu, wie sich die Versorgungslage Jahr für Jahr in Sachsen-Anhalt verschlechtere, sagt Susan Sziborra-Seidlitz. Bildrechte: MDR/Engin Haupt

Nicht alle darin gestellten Fragen von Sziborra-Seidlitz konnten beantwortet werden. Über Erreichbarkeit und zumutbare Wegezeiten lägen zum Beispiel "keine Anhaltspunkte vor, um zu der Ansicht zu gelangen, dass die Sicherstellung der Versorgungssituation für ungewollt Schwangere im Land Sachsen-Anhalt nicht ausreichend sei", heißt es.

Das Gegenteil sei aber der Fall, sagt Susan Sziborra-Seidlitz. Man schaue tatenlos zu, wie sich die Versorgungslage Jahr für Jahr verschlechtere. Es müsse sicher sein, dass in den Kliniken und Praxen in Sachsen-Anhalt Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt und im Rahmen der Fachärzte-Ausbildung erlernt werden können, fordert sie außerdem. Studierende, die eine mangelhafte Ausbildung beklagen, müssten ernst genommen werden.

Frauen-Rat: Zahlen sind "besorgniserregend"

Der Frauen-Rat in Sachsen-Anhalt beschreibt die aktuellen Zahlen als besorgniserregend: "Jede Einengung des Zugangs ist einer Diskriminierung betroffener Frauen gleichzusetzen."

Michelle Angeli, Vorsitzende des Frauen-Rats, geht auf die Ausbildungs-Situation ein: "Dass studentische Initiativen wie die "Medical Students for Choice" in Halle Workshops zum Thema Schwangerschaftsabbrüche in Selbstorganisation durchführen müssten, weil die Ausbildung zu diesem Thema ungenügend sei, dürfe nicht zum Normalzustand werden.

Vor allem die Kriminalisierung von Abbrüchen sei nicht nachzuvollziehen, sagt Dr. Jana Maeffert, und führe letztlich zu den beklagten Lücken bei der Versorgung. Maeffert setzt sich mit dem Verein "Doctors for Choice" für die Streichung des Paragrafen 218 ein.

Geteilte Reaktionen aus der Politik

Dass Paragraf 218 gestrichen werden sollte, schreibt auch Dr. Heide Richter-Airijoki von der SPD. Sie bewertet die Zahlen aber als "stabil" und findet, in Sachsen-Anhalt sei die Lage "gut bis sehr gut".

Paragraf 218 Nach der aktuell gültigen Regelung nach Paragraf 218 ist ein Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig. Er bleibt aber straffrei, wenn er innerhalb der ersten drei Monate und nach einer Konfliktberatung durchgeführt wird. Nicht rechtswidrig ist eine Abtreibung ausdrücklich, wenn "eine medizinische oder kriminologische Indikation vorliegt", schreibt der Gesetzgeber.

Die Linken-Politikerin Nicole Anger sieht das anders. Sie nennt die Versorgungslage im Land gerade in den ländlichen Regionen "desolat". Schwangerschaftsabbrüche müssten ein normaler Teil der gesundheitlichen Versorgung werden – ohne Zwangs-Beratung und Wartepflicht, findet Anger.

Aus den diesjährigen Debatten ließe sich keine Versorgungs-Knappheit schließen, schreibt hingegen Gordon Köhler, familienpolitischer Sprecher der AfD.

Die FDP betont als Reaktion ihre Werte "Selbstbestimmung, Freiheit und Eigenständigkeit" und dass jede Frau niedrigschwelligen Zugang zu medizinischer Versorgung und Beratung haben sollte. Von der CDU heißt es, die Entfernung für einen Abbruch solle weiterhin zumutbar gehalten werden. Niemand solle gezwungen sein, dafür in ein anderes Bundesland zu reisen.

Bundesweite Debatte um Paragraf 218

Eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission empfiehlt die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und fordert neben Präventionsangeboten und kostenfreier Beratung den gut erreichbaren, barrierefreien und zeitnahen Zugang zu Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Auch das Parlament der Europäischen Union hat sich für die Aufnahme des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch in die Grundrechte-Charta der EU ausgesprochen.

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MDR (Nastassja von der Weiden)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 24. Juli 2024 | 05:00 Uhr

46 Kommentare

Olaf Loge vor 25 Wochen

Ich halte es als Arzt für eine erfreuliche Nachricht, dass zunehmend meine Kollegen und auch Klinikbetreiber nicht für das Töten von ungeborenen Menschen zur Verfügung stehen. Dafür verdienen sie meinen Respekt, zumal die Abtreibungslobby doch recht aggressiv zu sein scheint, wie man auch bei den Kommentaren hier erfahren kann.

ElBuffo vor 25 Wochen

Ja, genau das wird konsequenterweise nächste Frage sein, wobei das Kind ja auch schon 80, schwerpflegebedürftig und Bezieherin von zwei Renten sein kann. Wer kümmert sich dann? Oder wird dieser Zustand dann auch abgebrochen?

Eulenspiegel1 vor 25 Wochen

Also ich denke es geht hier um eine Konfliktsituation. Keine Frau die feststellt das sie schwanger ist will ihr Kind umbringen. Die Frage ist aber ist diese Frau in der Lebenssituation in der der sie nun mal ist in der Lage das Kind auszutragen und großzuziehen.

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