SchulGewalt 3 min
Im Video: Um Gewalt an Schulen einzudämmen, gibt es in Arnstadt nun eine neue Sport-AG: Hier sollen Schülerinnen und Schuler lernen, Dinge gemeinsam - ohne Gewalt - anzugehen. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Bildung Gewalt an Schulen nimmt zu: Neue Dienstanweisung soll Lehrern und Lehrerinnen helfen

24. März 2025, 09:31 Uhr

An Thüringer Schulen ist der Ton rauer geworden, die Zahl der Gewaltvorfälle in den vergangenen Jahren gestiegen. Das Bildungsministerium hat jetzt eine neue Dienstanweisung für Schulen veröffentlicht. Der Umgang mit Gewalt soll noch besser geregelt werden. Auch wenn es bereits zahlreiche Ansätze gibt, mittels denen Auseinandersetzungen vermieden werden können.

Sportunterricht in der Klasse 5b der Regelschule Rudolf Bosch in Arnstadt. Hochmotiviert stehen die Kinder vor Sportlehrer und Schulleiter Björn Nießen. Hier geht es nicht um Fitness, sondern um Teambildung - auch ums Gewinnen und Verlieren, aber wenn, dann nur gemeinsam.

Die Sport- und Bewegungsstunde hat nur ein Ziel: "Die Kinder kommen hier aus verschiedenen Zugängen zu uns, unterschiedlichen Grundschulen mit unterschiedlichem Niveau. Wir wollen hier alle zusammenbringen und eine Schulgemeinschaft etablieren, die friedlich miteinander auskommt, ohne Gewalt", erklärt Nießen.

Kinder stehen gemeinsam auf zwei Bänken in einer Turnhalle.
Wie passen alle Kinder auf zwei Sportbänke, ohne dass einer runterfällt? Das überlegt die Klasse 5b der Regelschule in Arnstadt gemeinsam. Bildrechte: MDR/Beate Sieg

Neue Dienstanweisung an alle Schulen verschickt

Wie sich Lehrerinnen und Lehrer verhalten sollten, sollte es dennoch zu Auseinandersetzungen an der Schule kommen, ob nun verbal, körperlich oder auch sexuell, das hat das Bildungsministerium jetzt in einer neuen Dienstanweisung festgeschrieben. Diese ist jetzt an alle Schulen in Thüringen verschickt worden.

Auf den 30 Seiten sind die verschiedenen Formen von Gewalt, von Körperverletzung über Mobbing bis hin zu Grooming (eine besondere Form der sexualisierten Gewalt) beschrieben. Ebenso sind Dienst- und arbeitsrechtliche Konsequenzen sowie zivil- und strafrechtliche Folgen für Schülerinnen und Schüler aufgeführt.

Dienstanweisung gegen Gewalt und sexualisierte Gewalt an Schulen
Die neue Dienstanweisung gegen Gewalt und sexualisierte Gewalt an Thüringer Schulen. Bildrechte: MDR/Beate Sieg

Zahl der besonderen Vorkommnisse ums Dreifache gestiegen

Der Grund für die neue Dienstanweisung: Gewalt hat an Schulen in den vergangenen Jahren immer mehr zugenommen, sowohl unter den Schülerinnen und Schülern, aber auch gegen die Lehrkräfte. In den vergangenen zehn Jahren stieg die Zahl der besonderen Vorkommnisse, wie die Gewalttaten in der Statistik heißen, um das Dreifache. 2014 waren es noch 236, im vergangenen Jahr 751.

Weil besondere Taten auch doppelt gezählt werden, ist die Statistik mit Vorsicht zu genießen, so das Bildungsministerium. Dennoch: Einen Anstieg der Vorfälle streitet hier keiner ab. Besonders nach der Corona-Pandemie hätten diese zugenommen, aber auch die gesamtgesellschaftliche Lage trage dazu bei.

Gewalt an Schulen | Dienstanweisung
Auch wenn manche Vorkommnisse doppelt in der Statistik gezählt werden, ist deren Zahl vor allem seit der Corona-Pandemie gestiegen. Bildrechte: MDR Grafik

Corona-Pandemie als eine Ursache für Zunahme

"Gewaltphänomene haben sich geändert. Die Reaktion auf solche Dinge hat sich in der Gesellschaft verändert", weiß Staatssekretär Bernd Uwe Althaus. So ist in der neuen Dienstanweisung auch explizit das Thema "Sexualisierte Gewalt" mit aufgenommen worden. Ebenfalls mit dabei: Eine Checkliste für Lehrkräfte, um einschätzen zu können, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt.

Die neue Dienstanweisung sei als weiteres Hilfemodul für Schulen zu verstehen, heißt es aus dem Bildungsministerium. Schon jetzt gebe es Fortbildungen zu diesem Thema über das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Thillm).

Auch sei vielerorts die Zusammenarbeit mit multiprofessionellen Teams, dem schulpsychologischen Dienst, Jugendämtern und auch der Polizei gut, ist man sich im zuständigen Referat im Bildungsministerium sicher. Zudem würden die Schutzkonzepte der Einrichtungen greifen.

Dr. Bernd Uwe Althaus, Staatssekretär im Bildungsministerium
Dr. Bernd Uwe Althaus, Staatssekretär im Thüringer Bildungsministerium. Bildrechte: MDR/Beate Sieg

Mit Null-Toleranz-Prinzip gegen Gewalt

Erst seit diesem Schuljahr erhalten die Kinder in der Regelschule in Arnstadt die besondere Bewegungsstunde - zusätzlich zum regulären Sportunterricht. Teams bilden, die Stärken und Schwächen der Anderen kennenlernen und helfen - das ist der Sinn dieses Konzepts, das es nach eigenen Angaben nur in Arnstadt gibt. Unterstützt werde die Schule von Sportvereinen, die nachmittags AGs anbieten.

Gewalt entsteht erst da, wo man Gewalt zulässt. Und um Gewalt gar nicht erst entstehen zu lassen, gehört aus meiner Sicht ein umfassender Ansatz dazu.

Björn Nießen, Schulleiter Regelschule Rudolf Bosch Arnstadt

Das Prinzip scheint aufzugehen, Gewalt und Auseinandersetzungen spielen laut Schulleiter Nießen an der Schule kaum eine Rolle. Das liege auch an dem Null-Toleranz-Prinzip, das in Arnstadt herrsche. Schüler, Eltern, Pädagogen und Experten ziehen an einem Strang. So soll verhindert werden, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt.

Björn Nießen, Schulleiter der Regelschule Rudolf Bosch in Arnstadt
Björn Nießen ist Sportlehrer und Schulleiter der Regelschule Rudolf Bosch in Arnstadt. Bildrechte: MDR/Beate Sieg

"Gewalt entsteht erst da, wo man Gewalt zulässt. Und um Gewalt gar nicht erst entstehen zu lassen, gehört aus meiner Sicht ein umfassender Ansatz dazu. Wir versuchen an der Schule frühzeitig in die Kommunikation zu gehen. Wir stellen die Regeln mit allen beteiligten Akteuren in der Schule gemeinsam auf, kommunizieren diese und versuchen, die auch ganz stringent einzuhalten", sagt Nießen.

Lehrerverband: "Jeder Zweite ist Opfer von Gewalt"

Laut einer Umfrage des Thüringer Lehrerverbands (TLV) im Januar dieses Jahres werden Lehrkräfte, aber auch Referendare, Erzieherinnen, sonderpädagogische Fachkräfte und Schulleitungen regelmäßig Opfer von Gewalt.

An der nicht repräsentativen Umfrage nahmen etwa 300 Angestellte an Schulen teil. Jeder Zweite von ihnen habe bereits Gewalt erfahren, sei es nun verbal oder körperlich, berichtet der TLV.

Körperliche Angriffe, Tritte, Schläge, Bedrohungen und Beleidigungen unter den Schülerinnen und Schülern, Mobbing von Lehrern und Kindern in Whatsapp-Chatgruppen - das sind nur einige der Taten, die das Schulpersonal in der Umfrage aufzählt.

Viele wünschen sich den verstärkten Einsatz von multiprofessionellen Teams, die solche Vorfälle mit Kindern und Eltern aufarbeiten, und auch den stärkeren Rückhalt durch die Schulleitung.

An der Regelschule in Arnstadt begeistert das Konzept nicht nur die Kinder selbst, sondern lockt auch Lehramtsstudenten an. So hat sich Marlon Brömel für das Praktikum extra die Bosch-Schule ausgesucht: "Das Konzept 'Integration durch Sport' hat mir zugesagt. Im Studium hab ich gelernt, dass über den Sport Kinder aus unterschiedlichen Hintergründen zusammengeführt werden. Sie lernen sich besser kennen und bewegen sich zusammen im Team. Und dass es funktioniert, sieht man ja hier."

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Schüler halten sich in der grossen Pause auf dem Schulhof einer Grundschule auf und tollen herum. 5 min
Bildrechte: IMAGO / Sven Simon

MDR (jml)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | THÜRINGEN JOURNAL | 22. März 2025 | 19:00 Uhr

351 Kommentare

Anita L. vor 7 Stunden

„Früher hätte man gesagt“Thema verfehlt“ , darf man heute wahrscheinlich nicht mehr, damit der Schüler nicht traurig ist.“

Zweitens: Keine Sorge, auch heute steht noch „Thema verfehlt“, wenn das Thema verfehlt wurde, unter den Arbeiten.

Erstens: Stimmt, das Thema - steigende Gewalterfahrungen an Schulen - wurde durch die einseitige Ablenkung aus „Herkunft als Ursache“ und darauf folgend (als ersteres nicht belegt werden konnte) auf „Aber in der DDR“. Mit beiden wurde auf typisch-populistische Weise vom eigentlichen Thema und den damit verbundenen Herausforderungen abgelenkt.

Anita L. vor 7 Stunden

„Und was hat das jetzt mit Ausländerfeindlichkeit zu tun?“

@Bria, ich weiß nicht, auf welchen Teil der Diskussion sich das „das“ gerade bezieht, jedoch zeigt sich die Ausländerfeindlichkeit, dass unter einem Artikel, der sich in erster Linie mit einer Auswirkung der Coronapandemie auf Verhaltensweisen in Schulen beschäftigt, niemand der Kommentatoren auf diesen Aspekt eingeht, sondern dass die ganze Diskussion einmal mehr - und das, obwohl der kausale Zusammenhang mehrfach widerlegt wurde - auf das Thema „Herkunft als Ursache für steigende Gewalt“ abgelenkt wurde, und dass, sobald sich die eingeforderten Belege nicht verwenden ließen, nicht etwa ein Einlenken zu erkennen war, sondern das nächste Ablenkungsmanöver gestartet wurde („Aber in der DDR“).

Nico Walter vor 8 Stunden

Während meines Studiums habe ich mal ein Städtebauseminar besucht. Da kamen auch soziale Brennpunkte zur Sprache und es wurde gesagt, das diese eine Folge der Industrialisierung sind: In jeder Industriegesellschaft bildet sich, wenn man nicht aktiv gegensteuert, ein Prekariat, in dem Kriminalität und Gewalt besonders ausgeprägt sind.

Migranten, gerade Wirtschaftsflüchtlinge, haben nun häufig das Problem, ausgerechnet in dieses Prekariat zu migrieren, und damit Gewalt und Kriminalität besonders ausgesetzt zu sein. Das hat nichts mit der Migration zu tun, sondern mit den sozialen Strukturen. Es bringt auch nichts, sie einfach zurückzuschicken. Dann würden Einheimische ins Prekariat nachrutschen. Es sind die sozialen Probleme, die gelöst werden müssen.

Übrigens führten wir diese Diskussion in den 1990er Jahren, lange vor der Flüchtlingswelle.

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