Kommunalpolitik AfD-Politiker an Spitze des Stadtrats Gera gewählt - Kritik von Auschwitz-Komitee
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25. September 2020, 12:18 Uhr
AfD-Politiker Reinhard Etzrodt ist neuer Vorsitzender des Stadtrats in Gera. Er erhielt 23 von 40 Stimmen - nicht nur von der AfD. In Erfurt scheiterte ein AfD-Stadtrat erneut bei der Wahl zum dritten Stellvertreter des Stadtratsvorsitzenden.
Der AfD-Politiker Reinhard Etzrodt ist zum Vorsitzenden des Geraer Stadtrates gewählt worden. Der Arzt im Ruhestand erhielt am Donnerstagabend in geheimer Abstimmung 23 von 40 abgegebenen Stimmen. Die AfD selbst verfügt nur über zwölf Plätze im Parlament. Zu Etzrodts Stellvertretern wurden Nina Wunderlich (Linke), Andreas Kinder (CDU) und Norbert Hein (Liberale Allianz) gewählt.
Er sei stolz über das Ergebnis, sagte Etzrodt nach der Wahl. "Es ist sicher ein Novum, dass in einer größeren Stadt der Vorsitzende des Gemeinderates ein AfD-Mitglied ist."
Monatelanges Tauziehen um Wahlverfahren
Der schriftlichen Wahl war ein 15 Monate dauerndes Tauziehen um das Wahlverfahren vorausgegangen. Das Landesverwaltungsamt hatte überraschend die Hauptsatzung moniert und eine Änderung gefordert. In der Satzung war seit Jahren verankert, dass die stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht für den Parlamentsvorsitz hat - in diesem Fall die AfD. Nach Kritik nicht nur aus den Reihen der AfD rückte das Landesverwaltungsamt von der Forderung wieder ab.
Wegen der rund 15 Monate langen Hängepartie um den Stadtratsvorsitz hatte der parteilose Oberbürgermeister Julian Vonarb bisher die Sitzungen geleitet. Diese Aufgabe übergab er nun am Donnerstag an Etzrodt für den weiteren Verlauf der Sitzung.
Wahl stößt auf scharfe Kritik
Kurz nach der Wahl des AfD-Politikers an die Spitze des Geraer Stadtrates erhob Linke-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow schwere Vorwürfe gegen die CDU. Auf Twitter schrieb sie: "Wie kann eine demokratische Partei, die sie sein wollen, immer wieder Handlanger einer extrem rechten Partei sein?" Ähnlich äußerten sich Vertreter der SPD.
CDU weist Anschuldigungen zurück
CDU-Landeschef Christian Hirte wies dies zurück: "Die CDU hat sich in der Fraktion klar darauf verständigt, den AfD-Kandidaten nicht zu wählen. Genau so ist auch erfolgt. CDU-Landtagsfraktionschef Mario Voigt trat Anschuldigungen gegen seine Partei im Geraer Fall entgegen. "Die Linie der CDU ist klar, deswegen hat sie in Gera den AfD-Mann auch nicht gewählt", schrieb er auf Twitter. "Klare Haltung der Stadtrat-Fraktion."
SPD-Bundestagsabgeordnete erinnert an Kemmerich-Wahl
Die Ostthüringer SPD-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Kaiser sprach von keinem guten Signal für Gera. Die Landes-SPD fragte auf Twitter, ob die Thüringer CDU nichts aus dem 5. Februar gelernt habe.
Damals war der FDP-Landtagsabgeordnete Thomas Kemmerich auch mit Stimmen von AfD und CDU zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt worden. Dies hatte ein politisches Beben weit über die Landesgrenzen ausgelöst. Wenige Tage später war Kemmerich zurückgetreten, blieb aber noch über Wochen geschäftsführend bis zur Wahl Bodo Ramelows (Linke) im Amt.
Auschwitz-Komitee: "Verheerendes Signal"
Auch das Internationale Auschwitz-Komitee kritisierte die Wahl in Gera scharf. Die Vereinigung von Überlebenden des nationalsozialistischen Vernichtungslagers nannte die Wahl des AfD-Manns auf Twitter "würdelos und geschichtsvergessen".
Der Geschäftsführende Vizepräsident des Komitees, Christoph Heubner, erklärte am Freitag: "Für die Menschen in Gera und für Geras Wirkung nach außen ist dies ein verheerendes Signal." Die Wahl des AfD-Repräsentanten müsse "Überlebenden von Auschwitz wie Hohn in den Ohren klingen". Wenn Stadtverordnete einen Vertreter der AfD zu ihrem obersten Repräsentanten wählten, sei das "ein Zusammenbruch an Glaubwürdigkeit und eine Destabilisierung der Demokratie".
In Erfurt fällt AfD-Kandidat erneut durch
In Erfurt ist AfD-Stadtrat Marek Erfurth bei der Wahl zum dritten Stellvertreter des Stadtratsvorsitzenden erneut gescheitert. Er erhielt am Donnerstagabend 15 Stimmen. 30 Stadträte enthielten sich der Abstimmung. Auch der AfD-Kandidat für den Seniorenbeirat bekam keine Mehrheit.
Schon seit der konstituierenden Sitzung des damals neu gewählten Stadtrates im Juni 2019 versucht die AfD-Fraktion, Marek Erfurth als dritten Stellvertreter des Ratsvorsitzenden durchzusetzen. Eine Mehrheit des Stadtrates lehnt es bislang ab, Mitgliedern der AfD-Fraktion Posten zu übertragen.
Quelle: MDR THÜRINGEN/nis/mm, dpa
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 24. September 2020 | 20:00 Uhr
Freies Moria am 26.09.2020
@Heimatloser: Mit Thälmann habe ich mich nur wenig auseinandergesetzt, er hat sich wohl selbst als Stalinist profiliert, in Kenntnis von dessen Methoden. Das rechtfertigt gewiß keine Ermordung und keine Lagerhaft, aber einem staatlichem Gedenken würde ich widersprechen.
Das ein Freundeskreis den Ort seiner letzten Rede erwirbt und Gedenken im Rahmen des Gesetzes betreibt, halte ich dagegen für legitim und vertretbar - in Hamburg gibt es wohl eine ähnliche Stätte.
Lothar Thomas am 26.09.2020
ENDLICH IST DIESES DESASTER IM GERA'ER STADTRAT BEENDET !
Wenn der Herr Etzrodt in geheimer Wahl von den Mitgliedern des Stadtrates gewählt wurde, dann ist doch eigentlich alles Klar.
Wie kann eine Frau Henning-Wellsow sich dann so echauffieren über die Wahl und die CDU dafür kritisieren?
Wurde sie nicht als "Blumenmädchen" eingeladen?
Woher will sie wissen, dass die Stimmen von der CDU waren?
Ich bin jetzt ganz UNSICHER, dürfte der AfD Kandidat gar nicht gewählt werden?
WARUM?
In meinen Augen geht es doch in einem Stadtrat um Kommunalpolitik, um DAS, was im täglichen Leben wichtig ist.
Es wird seinen Grund haben, warum der Herr Etzrodt nun einmal in der AfD seine Arbeit macht.
Ich nehme auch einmal an, wenn er früher als Arzt tätig war, dass er bestimmt auch beliebt war, bei seinen Patienten, sonst wäre er sicher nicht in den Stadtrat gewählt worden.
Man lasse den Mann doch erst einmal seine Arbeit für die Stadt GERA machen und möge danach über seine Leistung urteilen.
Freies Moria am 26.09.2020
@ Wessi: Ich verurteile pauschale Ausgrenzung, egal wen es trifft.
Die Gedenkstätten können ihr Hausrecht und ihre moralische Position nutzen, um konkrete Einzelfälle zu beackern, gern überall wo sie vorkommen.
Was die Gedenkstätten nicht dürfen, und dem haben Sie nicht widersprochen, ist pauschal jemand oder ganze Gruppen aufgrund einer politischen Zugehörigkeit auszugrenzen.
Ihre Meinung respektiere ich, sehe aber auch dort Pauschalverurteilungen.
Ich spreche aus persönlicher Neugier mit Menschen aller Einstellungen. Und ich erfahre immer wieder, daß diese Zugehörigkeiten sehr individuelle Hintergründe haben und in der Mehrheit der Fälle nicht dem Stereotyp entsprechen. Umso schlimmer ist es natürlich, wenn Menschen stereotyp abgeurteilt werden, und ganz besonders schlimm wenn das Gedenkstätten tun, die vor solchem Verhalten warnen sollten.
Den Klageweg anzubieten, ist zynisch und passt gar nicht zu Ihrer dargelegten Familiengeschichte.