Verkündigungssendung Das Wort zum Tag bei MDR SACHSEN
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Täglich hören Sie das Wort zum Tag. Montags bis freitags gegen 5:45 Uhr und 8:50 Uhr, am Sonnabend gegen 8:50 Uhr, sonntags 7:45 Uhr. Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche Sebastian Mutke.
Freitag, 14.03.2025: Beim Namen gerufen
Es ist nicht mehr dunkel. Aber als hell würde ich den Himmel auch noch nicht bezeichnen. Es ist irgendetwas dazwischen. So eine richtige Morgengraustunde.
Und ich, ich warte auf die S-Bahn, die mich zum Neustadtbahnhof bringt. Die Fahrt dauert nur 5 Minuten. Die Suche nach einem Sitzplatz lohnt nicht. Zwischen den Vorgängen einsteigen, Sitzplatz suchen, hinsetzen und dem Moment da die Tätigkeiten: umsichtig aufstehen, lächelnd zur Tür schreiten und erfolgreich ankommen, verbleiben nur ein paar Atemzüge.
Gestern durfte ich in dieser knapp bemessenen Atem- und Erlebenszeit etwas ganz Wunderbares erfahren. Während ich noch dabei bin meinen Rucksack auf den Oberschenkel zu verfrachten, nebenbei zaghaft Blickkontakt mit den anderen Fahrgästen aufnehme und abchecke, ob die Fahrräder mir gegenüber auch fest vertäut sind, höre ich: Die Fahrkarten bitte.
Ein gelassenheitsdurchtränkter und tiefenentspannter Zugbegleiter geht seinem Tagewerk nach. Ob er es in den verbleibenden 3 Minuten unserer gemeinsamen Zeit noch zu mir schafft, überlege ich? Es gelingt ihm.
Mein Sitznachbar zeigt sein Werkstatt-Ticket und bekommt unerwartet ein ernstgemeintes, mitfühlendes: "Wird es wieder gesund, das Auto?" angeboten. Er antwortet: "Jaja." Ich kann mir ein gedämpftes Lachen nicht verkneifen.
Dann bin ich dran. Ich strecke stolz mein Handy mit dem Deutschlandticket nach oben, erwarte das vertraute Piepsgeräusch oder ein zustimmendes Nicken.
Stattdessen schaut er mich an und sagt: "Sebastian, also." und lächelt. In dem Moment hat er mich. Ich bin gemeint. Nicht mein Ticket. Auch nicht mein Ausweis.
Es sind nur noch 30 verbleibende Sekunden, die ich auf dieser Sympathiewelle surfen darf, bevor der Zug einfährt. Ich sehe den Zugbegleiter an, der meinen Blick erwidert. Gesprächsfäden wollen geknüpft und zu Geschichten verwoben werden (etwa über vergessene, wertvolle Fahrräder in Zügen). Seine Gelassenheit und sein tiefenentspanntes Vertrauen in den Tag springen auf mich über.
Mir geht ein Wort des Propheten Jesaja durch den Kopf: "Fürchte dich nicht, ich habe dich beim Namen gerufen!" (Jes 43,1) Ich ahne, wieviel Kraft aus einer ernstgemeinten Ansprache fließt. Als ich aussteige ist die Morgengraustunde nur unmerklich vorangeschritten, an meinem Himmel allerdings erstrahlt die Sonne.
Donnerstag, 13.03.2025: Kickoff-Kickout (MK 5,9)
Eine meiner liebsten Geschichten aus der Bibel ist die Erzählung, in der Jesus einen Menschen heilt, der glaubt von einem unreinen Geist fremdbestimmt zu sein. Er fühlt sich kleingehalten. Er ist hoch aggressiv und gewalttätig. Er schreit und hält alle, die versuchen Gemeinschaft mit ihm aufzubauen, auf Abstand. Er hat sinnbildlich eine Mauer um sich und seine Welt errichtet.
Jesus geht geradewegs auf den Menschen und seine Mauer zu. Er überspringt weder den Menschen noch die Mauer. Sondern er nimmt sie ganz bewusst war ... und durchbricht sie. Er nimmt den Menschen ernst und fragt den unreinen Geist: "Wie heißt du?"
Der unreine Geist antwortet: "Mein Name ist Legion, denn wir sind viele." Und er fleht Jesus an, bleiben zu dürfen. Dass Jesus dieser Bitte nicht nachkommen wird, versteht sich von selbst.
Der unreine Geist erlebt sein persönliches Kick-out. Er wird vertrieben werden. In der Geschichte wird er wortwörtlich "zur Sau" gemacht. Es wird erzählt, dass Jesus dem unreinen Geist befiehlt, den Menschen zu verlassen und in eine Schweineherde umzuziehen.
Jesus bezwingt den unreinen Geist nicht durch Medizin oder Zauberei. Vielmehr geht er ihm auf den Grund und fragt nach seinem Namen. "Wer oder was um alles in der Welt bist du denn?"
Jesus sorgt dafür, dass das, was den Menschen von sich selbst und von anderen isoliert eine Bezeichnung bekommt. Kennen Sie den Ausspruch: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt?
Genau das geschieht in der Erzählung. Das Gefahrgut - der unreine Geist - bekommt einen Namen und wird greifbar. Mit Dingen, die ich begriffen habe, kann ich umgehen.
Wenn ich zu einem Arzt oder einem Berater gehe, dann haben diese helfenden Professionen eines gemeinsam: Sie brauchen meine Mitarbeit. Ich muss Ihnen beschreiben, was mich schmerzt und was mich kleinhält. Gemeinsam erfolgt die Suche nach dem passenden Namen für das Phänomen. Ist die Diagnose stimmig und der Name gefunden, kann der Heilungsweg gegangen werden.
Diese Erfahrung mache ich auch dort, wo mich Erwartungen, Gefühle und Bedürfnisse kleinhalten wollen. Sobald ich ihnen einen Namen geben kann, erfolgt ziemlich sicher zeitnah, auch ihr persönliches Kick-Out aus meinem Gedankenkarussell.
"Gefahr benannt - Gefahr gebannt", denke ich dann immer und dann wird mein Tag gut.