Montag, 28.04.2025: Im Augenlicht
Bing. Eine Nachricht im Familienchat am Abend. Ein kurzes Video. Nur ein paar Sekunden lang, ein bisschen verwackelt aber doch gestochen scharf. Die Kamera streicht über einen See. Spiegelglatt ist das Wasser. Orangerot und Türkis der Himmel. Weit hinten am schmalen Horizont erhebt sich ein Kohlekraftwerk. Dann geht die Kamera auf die grellrot sinkende Sonne. Die letzte Sequenz zeigt nackte Füße ausgestreckt auf einem Stein, daneben steht eine Bierflasche im stillen Wasser. Im Hintergrund wird gelacht.
Sachlich ist hier nichts Außergewöhnliches geschehen. Licht tritt durch die Pupille ins Auge ein. Es wird durch eine Linse gebündelt und auf die Hinterseite des Organs projiziert. Dort entsteht ein scharfes Bild, das noch auf dem Kopf steht. Nervenzellen erfassen es und leiten es über kodierte Stromstöße ins Gehirn. Da findet das eigentliche Sehen statt. Inwieweit das dann mit der Wirklichkeit zu tun hat oder nur unsere eigene Welt ist, wissen wir nicht.
So abgeklärt habe ich die Bilder aber nicht gesehen. Ein Feuerwerk von Erinnerungen, Assoziationen und Gefühlen durchfluteten mir Herz und Hirn. Wie ich vor drei Jahrzehnten an der staubigen Abbruchkante des Tagesbaus stand, der nun dieser See war. Die Freude, dass mein Sohn gerade jetzt an uns gedacht hat. Die Lust, mir selbst ein Bier aufzumachen.
Auge und Herz sind verbunden. Das wird mir klar in diesem Moment. Alles, was ich sehe, geht tief in mich hinein. Ob ich will oder nicht. Anders herum heißt das auch, es ist entscheidend, worauf ich den Blick richte. "Das Auge ist das Licht des Leibes."
Dieser Satz kommt von Jesus. Eigentlich sagt er: "Das Auge ist ein Licht für den Leib." Und weiter: "Wenn dein Auge ehrlich und gut ist, so wird dein Leib licht sein." (Lk 11,34) Eine Vorstellung, die ich in den Schlaf und danach in den Tag mitgenommen habe. Das Auge strahlt in mich hinein und leuchtet mich innerlich aus. Wie der leuchtende Bildschirm eines Smartphones. Oder besser noch ein Beamer. Welcher Film dort läuft, wo und wie ich hinsehe, prägt mein Herz.