Verkündigungssendung Das Wort zum Tag bei MDR SACHSEN
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Täglich hören Sie das Wort zum Tag. Montags bis freitags gegen 5:45 Uhr und 8:50 Uhr, am Sonnabend gegen 8:50 Uhr, sonntags 7:45 Uhr. Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche Lüder Laskowski.
Freitag, 02.05.2025: Geschmackssache
Dienstag- und Freitagmittag pünktlich zehn nach Zwölf trafen wir uns in der Schlange in der Kantine. Einige Zeit standen wir schweigend. Irgendwann wechselten wir erste Worte und setzten uns an denselben Tisch. Ich plapperte fröhlich weiter, aber er verstummte, sobald er Messer und Gabel in die Hand nahm.
Was dann folgte war erstaunlich. Sehr langsam näherte sich das Besteck dem, was vor ihm auf dem Teller lag. Behutsam schob er einen ersten Bissen auf die Gabel. Es dauerte eine Ewigkeit, bis die in seinem Mund verschwand. Und dann kaute und kaute er. Ganz genau schmeckte er. Schließlich konnte ich sehen, wie sich sein Adamsapfel im Schlucken hob und senkte.
Kein Geschmacksinn ohne die Zunge. Auf ihrem Rücken liegen die Geschmacksknospen, die an bestimmten Stellen süß, sauer, salzig und bitter wahrnehmen. Seit Neuem ist eine fünfte Note in aller Munde. Umami. Japanisch für würzig, füllig, fleischig. Der Geschmackssinn ist eigentlich sehr grob. Er muss nur das Signal geben: essbar oder nicht essbar. Aber man kann ihn schulen. Ihn auf die Unterscheidung winziger Nuancen trainieren. Ein Sommelier, ein Weinverkoster, treibt das auf die Spitze. Und mein stiller Freund.
Er wusste, dass alle Speisen über den Geschmack eine Würde entfalten. Mühe und Kraft, Ästhetik und Segen liegen darin. Der bewusste Genuss der Speisen hat darum einen spirituellen Gehalt. Gemeinsam essen und trinken, so sagte Jesus, ist ein Stück Himmel auf Erden. Am stärksten verdichtet sich diese Erfahrung in seiner Aufforderung an die Jünger in Brot und Wein die Liebe Gottes zur Welt zu schmecken. Wir haben daran bis heute im Abendmahl Anteil.
Es wurde mir irgendwann lang, auf meinen Tischnachbarn warten zu müssen. Einfach gehen, war unhöflich. Soweit mir das möglich war, begann ich ebenfalls langsam zu essen. Er dankte es mir, zeigte auf meinen schließlich doch leeren Teller und sagte grinsend: "Was ist langsam und hat eine Zunge? Eine Schlecke."
Donnerstag, 01.05.2025: Richtiger Riecher
Der 1. Mai riecht nach Fichtennadeln und kühlem Wasser, das über moosbedeckte Steine plätschert. Späterhin auch nach Weißbrot das mit Wurst und Käse belegt ist und dem strengen Geruch von frisch geschälten hartgekochten Eiern. Es ist auch warmer Fels, trockner Sand und Baumharz dabei. Denn an jedem 1. Mai wanderten wir in meiner Kindheit im Elbsandsteingebirge. Nur einmal nicht, da stank es nach den LKWs, die die Volkspolizeimannschaften heranfuhren. Ab und zu strich mir der Parfümduft der Mädchen aus meiner Klasse um die Nase. Einen herben Chemiegeruch hatte die rote Anstecknelke aus Plastik.
Für diese zwiespältigen Erinnerungen ist meine Riechschleimhaut verantwortlich. Die Sinneshaare der Riechzellen, das Zusammenspiel der Moleküle und Nerven, die elektrischen Impulse, die das Gehirn im Langzeitgedächtnis abspeichert hat.
Gerüche und Erinnerungen sind offensichtlich Geschwister. Sie kommen nicht voneinander los, egal, wie viel Zeit vergangen ist. Es lohnt sich, einmal auf die Website des europäischen Forschungsprojektes Odeuroap zu gehen. In dem Wort steckt neben "Europa" auch das französische Wort für Geruch. Odeur. Wie hat es in Europa früher gerochen? Ob Weihrauch, Tabak, Brot, Riechsalze oder gebohnertes Linoleum - Oeuropa stellt mittels historischer Beschreibungen oder Gemälden Gerüche wieder her. Auch unangenehme, wie den der Rinnsteine, als es noch keine Kanalisation gab.
Da rieche ich lieber am „Wohlgeruch des Herrn“, wie die Bibel es formuliert. Der Apostel Paulus hat geschrieben: "Gott sei gedankt. Er bringt den Duft seiner Erkenntnis durch uns zum Vorschein. Wir sind ein Wohlgeruch Christi." (2. Kor 2, 14b + 15a)
Es geht in der Erinnerung um mehr als zufällig im Duftspeicher des Gehirns abgelegte Gerüche. Das Gedächtnis wird geformt von dem Duft unserer Taten. Mal abgesehen vom Parfümduft der Mädchen, ist mir deshalb der Nadelwaldgeruch auf der Wanderung am 1. Mai in deutlich angenehmerer Erinnerung geblieben.