Verkündigungssendung Das Wort zum Tag bei MDR SACHSEN

Täglich hören Sie das Wort zum Tag. Montags bis freitags gegen 5:45 Uhr und 8:50 Uhr, am Sonnabend gegen 8:50 Uhr, sonntags 7:45 Uhr. Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche Lüder Laskowski.

Sonnabend, 03.05.2025: Bauchgefühl

Menschen in der Gegenwart treffen bis zu 35.000 Entscheidungen täglich. Diese Zahl zumindest geistert durch eine Reihe von Fachartikeln verschiedener Psychologiezeitschriften. Wenn das stimmt, dann wären das bei siebzehn wachen Stunden am Tag ganze 2.000 Entscheidungen pro Stunde oder eine Entscheidung alle zwei bis drei Sekunden.

Das wäre enorm. Ich spreche jetzt seit 25 Sekunden. Theoretisch müssten sie in dieser Zeit mehr als zehn Entscheidungen getroffen haben. Gedeckt von der eigenen Wahrnehmung ist das sicher nicht. Sie werden sich fragen, ob sie in dieser Zeit überhaupt irgendetwas entschieden haben. Aber sie sind mit ihrer Aufmerksamkeit bei mir geblieben, haben das Telefon ignoriert, einen Schluck Kaffee genommen, den Rücken durchgedrückt, sich am Ellenbogen gekratzt, die Brille gerade gerückt oder skeptisch die Augenbrauen gehoben angesichts dessen, was sie hier hören.

Lüder Laskowski 3 min
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gesprochen von Lüder Laskowski

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Sa 03.05.2025 08:50Uhr 02:34 min

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So ist nachvollziehbar, dass Wissenschaftler davon ausgehen, über 90 Prozent unserer Entscheidungen träfen wir unbewusst. Angesichts der Menge anstehender Entschlüsse ginge es auch gar nicht anders. Der sogenannte 6. Sinn ist demnach ein fester Bestandteil unseres Lebens. Wir brauchen ihn zum Überleben. Auch wenn wir die Fülle der Impulse nicht auseinander klamüsern können, folgen wir doch den ganzen Tag unseren Intuitionen. In ihnen fließen unterbewusste Wahrnehmungen, Vorerfahrungen, soziale wie kulturelle Prägungen und viele Einflüsse mehr zusammen.

Zu Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen haben Wissenschaftler auch etwas beizutragen. Sie sagen, es macht unglücklich, perfekte Entscheidungen treffen zu wollen und plädieren für mehr Vertrauen in das Bauchgefühl. Das werde ich versuchen. Aber mir ist noch ein anderer Gedanke wichtig. Er verbindet sich mit einem schönen Sprachbild, das der Apostel Paulus gefunden hat. Der spricht von den "erleuchteten Augen des Herzens" (Epheser 1,18). Sie sehen die Hoffnung in unseren Entscheidungen. Also wenn schon Bauchgefühl, dann so.

Freitag, 02.05.2025: Geschmackssache

Dienstag- und Freitagmittag pünktlich zehn nach Zwölf trafen wir uns in der Schlange in der Kantine. Einige Zeit standen wir schweigend. Irgendwann wechselten wir erste Worte und setzten uns an denselben Tisch. Ich plapperte fröhlich weiter, aber er verstummte, sobald er Messer und Gabel in die Hand nahm.

Was dann folgte war erstaunlich. Sehr langsam näherte sich das Besteck dem, was vor ihm auf dem Teller lag. Behutsam schob er einen ersten Bissen auf die Gabel. Es dauerte eine Ewigkeit, bis die in seinem Mund verschwand. Und dann kaute und kaute er. Ganz genau schmeckte er. Schließlich konnte ich sehen, wie sich sein Adamsapfel im Schlucken hob und senkte.

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gesprochen von Lüder Laskowski

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Fr 02.05.2025 05:45Uhr 02:45 min

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Kein Geschmacksinn ohne die Zunge. Auf ihrem Rücken liegen die Geschmacksknospen, die an bestimmten Stellen süß, sauer, salzig und bitter wahrnehmen. Seit Neuem ist eine fünfte Note in aller Munde. Umami. Japanisch für würzig, füllig, fleischig. Der Geschmackssinn ist eigentlich sehr grob. Er muss nur das Signal geben: essbar oder nicht essbar. Aber man kann ihn schulen. Ihn auf die Unterscheidung winziger Nuancen trainieren. Ein Sommelier, ein Weinverkoster, treibt das auf die Spitze. Und mein stiller Freund.

Er wusste, dass alle Speisen über den Geschmack eine Würde entfalten. Mühe und Kraft, Ästhetik und Segen liegen darin. Der bewusste Genuss der Speisen hat darum einen spirituellen Gehalt. Gemeinsam essen und trinken, so sagte Jesus, ist ein Stück Himmel auf Erden. Am stärksten verdichtet sich diese Erfahrung in seiner Aufforderung an die Jünger in Brot und Wein die Liebe Gottes zur Welt zu schmecken. Wir haben daran bis heute im Abendmahl Anteil.

Es wurde mir irgendwann lang, auf meinen Tischnachbarn warten zu müssen. Einfach gehen, war unhöflich. Soweit mir das möglich war, begann ich ebenfalls langsam zu essen. Er dankte es mir, zeigte auf meinen schließlich doch leeren Teller und sagte grinsend: "Was ist langsam und hat eine Zunge? Eine Schlecke."

Donnerstag, 01.05.2025: Richtiger Riecher

Der 1. Mai riecht nach Fichtennadeln und kühlem Wasser, das über moosbedeckte Steine plätschert. Späterhin auch nach Weißbrot das mit Wurst und Käse belegt ist und dem strengen Geruch von frisch geschälten hartgekochten Eiern. Es ist auch warmer Fels, trockner Sand und Baumharz dabei. Denn an jedem 1. Mai wanderten wir in meiner Kindheit im Elbsandsteingebirge. Nur einmal nicht, da stank es nach den LKWs, die die Volkspolizeimannschaften heranfuhren. Ab und zu strich mir der Parfümduft der Mädchen aus meiner Klasse um die Nase. Einen herben Chemiegeruch hatte die rote Anstecknelke aus Plastik.

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gesprochen von Lüder Laskowski

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Do 01.05.2025 07:45Uhr 02:40 min

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Für diese zwiespältigen Erinnerungen ist meine Riechschleimhaut verantwortlich. Die Sinneshaare der Riechzellen, das Zusammenspiel der Moleküle und Nerven, die elektrischen Impulse, die das Gehirn im Langzeitgedächtnis abspeichert hat.

Gerüche und Erinnerungen sind offensichtlich Geschwister. Sie kommen nicht voneinander los, egal, wie viel Zeit vergangen ist. Es lohnt sich, einmal auf die Website des europäischen Forschungsprojektes Odeuroap zu gehen. In dem Wort steckt neben "Europa" auch das französische Wort für Geruch. Odeur. Wie hat es in Europa früher gerochen? Ob Weihrauch, Tabak, Brot, Riechsalze oder gebohnertes Linoleum - Oeuropa stellt mittels historischer Beschreibungen oder Gemälden Gerüche wieder her. Auch unangenehme, wie den der Rinnsteine, als es noch keine Kanalisation gab.

Da rieche ich lieber am „Wohlgeruch des Herrn“, wie die Bibel es formuliert. Der Apostel Paulus hat geschrieben: "Gott sei gedankt. Er bringt den Duft seiner Erkenntnis durch uns zum Vorschein. Wir sind ein Wohlgeruch Christi." (2. Kor 2, 14b + 15a)

Es geht in der Erinnerung um mehr als zufällig im Duftspeicher des Gehirns abgelegte Gerüche. Das Gedächtnis wird geformt von dem Duft unserer Taten. Mal abgesehen vom Parfümduft der Mädchen, ist mir deshalb der Nadelwaldgeruch auf der Wanderung am 1. Mai in deutlich angenehmerer Erinnerung geblieben.

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Lüder Laskowski

Lüder Laskowski

geboren 1973 in Dresden und dort aufgewachsen I 1992 Abitur I 1992 - 1995 Ausbildung zum Steinmetz/Steinbildhauer bei den Sächsischen Sandsteinwerken Pirna I 1995/96 Zivildienst im Landesjugendpfarramt Sachsen / Behindertenarbeit I 1996 bis 2004 Studium der ev. Theologie in Leipzig und Berlin I 2004 - 2007 Geschäftsführer einer Unternehmensberatung im Kulturbereich in Dresden I 2007 - 2009 Vikariat an der Lutherkirche Radebeul I 2009 - 2019 Pfarrer Kirchgemeinde Großschirma / Freiberger Dom / Studierendenpfarrer Bergakademie Freiberg I seit 2019 Projektpfarrstelle "Kirchliche Arbeit in neuen Stadtquartieren" beim Kirchenbezirk Leipzig

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.