Neugeborenes süßes Baby mit Hand hält Clip auf Nabelschnur in einem Krankenhaus Kinderzimmer.
Bei der Geburt bleibt etwas Blut in der Nabelschnur zurück. Bildrechte: imago/Panthermedia

Erste Frau geheilt Mit Nabelschnurblut: Neue Therapie heilt HIV-Patientin

19. Februar 2022, 15:00 Uhr

Menschen von HIV zu heilen, ist eine der großen Herausforderungen der medizinischen Forschung. Zwar ist es bereits zwei Mal gelungen, dass HIV-Patienten von dem Virus geheilt werden konnten, doch nur unter sehr speziellen Bedingungen und mit heftigen Nebenwirkungen. Medizinerinnen und Medizinern in den USA ist es nun bei einem dritten Menschen gelungen: Mit einer neuen Therapie konnte erstmals eine HIV-positive Frau geheilt werden. Eine zentrale Rolle dabei spielte Nabelschnurblut.

Das HI-Virus ist unerbittlich: Hat es sich einmal einen Wirt gesucht, nistet es sich unaufhaltsam ein und bekämpft sein Immunsystem. Der Wirt erkrankt an Aids. HIV sorgt seit Jahrzehnten für eine Pandemie: Weltweit leben fast 38 Millionen Menschen mit dem Virus, knapp drei Viertel von ihnen sind in Behandlung. Mit speziellen antiretroviralen Medikamenten kann das Virus heute gut kontrolliert werden.

Die erste Frau

Medizinerinnen und Medizinern in den USA ist es nun gelungen, die dritte Person weltweit von dem Virus zu heilen, berichtet die New York Times. Es handelt sich dabei um eine Frau mit gemischt-ethnischer Abstammung. Möglich machte das eine neue Transplantationsmethode: Die Fachleute haben Nabelschnurblut genutzt statt Stammzellen von Erwachsenen, die in Knochenmarktransplantationen verwendet werden, und bei den vorherigen beiden Heilungen eingesetzt wurden.

Die meisten Knochenmarkspender sind weiße Menschen, sodass diese Stammzellen ohnehin nur für diese Gruppe genutzt werden können. Das Nabelschnurblut hingegen muss den Medizinerinnen und Medizinern zufolge nicht so genau auf den Empfänger abgestimmt werden.

Nabelschnurblut Nabelschnurblut ist das Blut, das nach der Entbindung des Kindes in der Nabelschnur zurückbleibt. Nach der Geburt hat die Nabelschnur ihre Aufgabe erledigt und wird meist entsorgt. Doch das restliche Blut enthält wertvolle Blutstammzellen, ähnlich derer, die auch im Knochenmark vorkommen. Diese Stammzellen können sich sowohl in rote und weiße Blutzellen entwickeln und in Blutplättchen. Sie können deshalb Menschen helfen, die an Blutkrebs (Leukämie) oder anderen Erkrankungen des blutbildenden Systems erkrankt sind und sogar deren Leben retten.

Eine Sache hat die Frau jedoch mit ihren Vorgängern gemein: Sie leidet an Leukämie. Und das macht auch ihre Heilung zu einem speziellen Fall: Nur bei einer zusätzlichen Krebserkrankung ist die Behandlung wirklich sinnvoll.

Bei allen anderen sei das Risiko angesichts der guten Therapiemöglichkeiten zu hoch, sagt etwa Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft (Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit): "Da gibt es immer noch eine Todesrate von zehn bis 15 Prozent, das heißt, das kann man nicht wirklich einem HIV-Patienten anbieten, der nicht an Blutkrebs erkrankt ist."

Da gibt es immer noch eine Todesrate von 10 bis 15 Prozent, das heißt, das kann man nicht wirklich einem HIV-Patienten anbieten, der nicht an Blutkrebs erkrankt ist.

Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft

HI-Virus nicht mehr nachweisbar

Bei der Frau war im Juni 2013 HIV diagnostiziert worden. Die Viruswerte konnten dann dank einer Therapie niedrig gehalten werden. Im Jahr 2017 wurde bei ihr zusätzlich die Leukämie-Erkrankung diagnostiziert. Noch im selben Jahr bekam sie in der neuartigen Therapie das Nabelschnurblut von einem nur teilweise passenden Spender gegen den Krebs.

Die Blutstammzellen hatten allerdings eine Besonderheit: Sie hatten eine Mutation, die das Eindringen von HIV in die Zellen blockiert. Gleichzeitig erhielt sie aber auch Blut von einem nahen Verwandten. Das sollte ihre Immunabwehr während der Transplantationszeit von bis zu sechs Wochen aufrechterhalten. So stützten sie das Immunsystem, bis die Nabelschnurblutzellen dominant geworden sind. Das mache die Transplantation viel weniger gefährlich, sagte Dr. Marshall Glesby vom New Yorker Forschungsteam. "Die Transplantation von der Verwandten ist wie eine Brücke, die sie bis an den Punkt gebracht hat, an dem das Nabelschnurblut übernehmen konnte", ergänzt er.

Die Transplantation von der Verwandten ist wie eine Brücke, die sie bis an den Punkt gebracht hat, an dem das Nabelschnurblut übernehmen konnte.

Dr. Marshall Glesby, Weill Cornell Medicine

37 Monate nach der Transplantationstherapie hat die Patientin schließlich die antiretroviralen Medikamente gegen das HI-Virus abgesetzt. Und seitdem gilt sie als geheilt: Bis heute zeigt sie keine Anzeichen von HIV in Bluttests und scheint auch keine nachweisbaren Antikörper mehr gegen das Virus zu haben.

Therapie viel besser verträglich

Und die Forschenden sehen noch einen Erfolg bei ihrer Therapie: Im Vergleich zu ihren Vorgängern sind die Nebenwirkungen der Therapie viel geringer gewesen.

Timothy Ray Brown
Timothy Ray Brown war der erste Mensch, der von HIV geheilt wurde. Bildrechte: imago images/GlobalImagens

Die erste Person, die von HIV geheilt wurde, war Timothy Ray Brown, der auch als "Berliner Patient" bezeichnet wurde. Er war 12 Jahre lang HIV-frei, starb aber 2020 an Krebs. Im Jahr 2019 dann wurde Adam Castillejo auf die gleiche Weise geheilt. Beide hatten Knochenmarkspenden von Menschen erhalten, die die Mutation gegen das HI-Virus hatten. Das kommt allerdings relativ selten vor, bisher wurde die Mutation nur bei etwa 20.000 Spenderinnen und Spendern vornehmlich nordeuropäischer Abstammung gefunden.

Doch die beiden Männer hatten nach den Knochenmarktransplantationen heftige Nebenwirkungen – unter anderem eine sogenannte Graft-versus-Host-Reaktion. Dabei greifen die im Implantat des Spenders enthaltenen T-Zellen den Empfängerorganismus an. Timothy Ray Brown wäre beinahe daran gestorben. Bei Adam Castillejo war die Reaktion weniger stark, er hatte aber viel Gewicht verloren, litt an Hörverlust und bekam mehrere Infektionen.

Die Frau dagegen konnte das Krankenhaus schon 17 Tage nach Ende ihrer Transplantation verlassen und entwickelte überhaupt keine Graft-versus-Host-Reaktion, heißt es von Dr. JingMei Hsu, dem Arzt der Patientin bei Weill Cornell Medicine. Offenbar hätte sie die Kombination aus Nabelschnurblut und Zellen ihres Verwandten davor bewahrt.

"Magische Zellen" im Nabelschnurblut

Warum die Therapie mit den Stammzellen aus dem Nabelschnurblut so erfolgreich verlaufen ist und gut zu funktionieren scheint, ist den Fachleuten aber noch unklar. Die Weill Cornell-Mediziner können nur mutmaßen: Eine Möglichkeit sei etwa, dass sie sich besser an eine neue Umgebung anpassen könnten, sagte Dr. Koen Van Besien, Direktor des Transplantationsdienstes. Denn Neugeborgene seien eben anpassungsfähiger.

Es könnte aber auch sein, dass das Nabelschnurblut neben den eigentlichen Blutstammzellen auch noch weitere Bestandteile hat, die förderlich für die Transplantation sind. Die Medizinerinnen und Mediziner des New Yorker Forschungsteams sind sich jedenfalls einig: Diese Zellen im Einzelnen und das Nabelschnurblut im Allgemeinen haben für sie etwas Magisches.

(kie)

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