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Die Bundestagswahl 2021 findet am 26. September statt. Kennen und verstehen Sie die Wahlprogramme? Bildrechte: imago/IPON

Bundestagswahl 2021 Network Slicing und Edge-Computing: Verstehen Sie die Wahlprogramme?

31. August 2021, 09:22 Uhr

Wissen Sie schon, wen Sie am 26. September in den Bundestag wählen? Die Wahlprogramme sollten eigentlich bei der Entscheidung helfen, doch Forscher der Universität Hohenheim haben herausgefunden: So lang wie dieses Jahr waren die Wahlprogramme noch nie. Und verständlich sind sie auch nicht.

Am 26. September wird ein neuer Bundestag gewählt. Die Ära Merkel endet und wir bekommen eine neue Kanzlerin oder einen neuen Kanzler. Die jeweiligen Wahlprogramme sollten bei der Entscheidung helfen. Doch 2021 sind es die umfangreichsten Programme seit der ersten Bundestagswahl, haben Analysten der Universität Hohenheim herausgefunden (Download der Studie als PDF-Datei). Fremdwörter und Fachwörter, Wortzusammensetzungen, Anglizismen und "Denglisch" sowie lange "Monster- und Bandwurmsätze". Das, so die Studie, mache die Programme der Wahl 2021 zu den zweitunverständlichsten in der bundesdeutschen Geschichte.

Damit Sie nicht bereits jetzt ins Stolpern geraten, hängen wir Ihnen die ganz langen und komplizierten Teile an den Schluss des Artikels.

Wie viele Wahlprogramme zur Bundestagswahl gibt es?

Zunächst aber zum Vorgehen der Wissenschaftler. Nicht jedes Parteiprogramm hat es in die Analyse geschafft. Grundvoraussetzung war: Die Partei musste entweder im Bundestag sitzen oder in mindestens drei Landtagen vertreten sein. Insgesamt wurden 83 Wahlprogramme der vergangenen 19 Bundestagswahlen ausgewertet. Die Parteien CDU/CSU, SPD und FDP steuerten (mit der aktuellen Wahl) jeweils 20 Wahlprogramme zur Analyse hinzu. Das Bündnis 90/Grünen sind mit elf Programmen (seit 1983), Die Linke/PDS ab 1990 mit neun und die AfD ab 2013 mit drei Wahlprogrammen vertreten.

Wie wird die Verständlichkeit der Wahlprogramme gemessen?

Mithilfe der Verständlichkeitssoftware TextLab wurden die Parteiprogramme eingelesen und auf einer Skala, dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex von 0 bis 20 Punkten eingestuft. Der niedrigste Wert steht für "formal schwer verständlich", der höchste Wert für "formal leicht verständlich". Zur Einordnung: Eine Radio-Nachricht erreicht einen durchschnittlichen Wert von 16,4 Punkten und eine politikwissenschaftliche Doktorarbeit einen Durchschnittswert von 4,3 Punkten.

Bemühen sich die Parteien um ein allgemein verständliches Programm? Immerhin wollen sie viele potenzielle Wählerinnen und Wähler erreichen. Abstrakte Wörter, Schachtelsätze oder lange Sätze und Wörter führen zum Gegenteil. Die aktuellen Wahlprogramme sind mit einem Schnitt von 7,2 Punkten die zweitunverständlichsten Wahlprogramme seit der Bundestagswahl 1949. Nur die Programme von 1990 waren schwerer zu verstehen.

1. Ergebnis: Die Längsten Wahlprogramme 

Seit der ersten Bundestagswahl hat sich die durchschnittliche Anzahl an Wörtern in den Parteiprogrammen um das Achtfache erhöht. Zwar gab es immer schon Ausreißer, wie das Wahljahr 1957 mit lediglich 1.513 Wörtern im Mittel (geringster Wert), oder die Jahre 1965 und 1980 mit jeweils rund 14.000 Wörtern. Die Marke von 10.000 Wörtern wird aber erst nach 1987 kontinuierlich überschritten. Zwischen 2009 und heute wurde ein Mittel von mehr als 38.250 Wörter erreicht. Mit im Schnitt 43.541 Wörtern bricht das Wahljahr 2021 alle Rekorde.

Ranking nach Wörtern und Parteien zur Bundestagswahl 2021

Die Wortspanne im Jahr 2021 fängt bei 23.482 Wörtern (AfD) an und endet bei 68.331 Wörtern (Die Linke), womit die Linken die Grünen ablösen. Deren Wahlprogramme umfassen seit 1983 im Schnitt 38.274 Wörter.

Dieses Jahr wird das Mittelfeld von CDU/CSU und FDP gebildet, wogegen die Wahlprogramme von SPD und AfD die wenigsten Wörter aufweisen. Beide unterscheiden sich in ihrer Länge um nur elf Wörter. Mit einem Blick auf die vergangenen Wahlprogramme zeigt sich: Durchschnittlich sind die Wahlprogramme von CDU/CSU und AfD circa 13.000 Wörter lang. Dicht gefolgt von der SPD mit rund 15.000 und der FDP mit circa 18.000 Wörtern.

2. Ergebnis: Formale Verständlichkeit grenzwertig

Die Länge sagt aber wenig über die Verständlichkeit eines Programms aus. Zumindest zeigen das die Grünen mit dem zweitlängsten, aber unverständlichsten Wahlprogramm. Auf dem "Hohenheimer Verständlichkeitsindex" erreichen sie nur 5,6 Punkte – was formal eher dem Niveau einer Doktorarbeit entspricht. Im Gegensatz zu den Linken, die mit dem längsten Wahlprogramm 2021 das verständlichste Programm abliefern (8,4 Punkte).

Die SPD zeigt, dass auch ein kurzes Programm 8,0 Punkte erreichen kann. Gefolgt von CSU/CDU mit 7,7 Punkten (drittlängstes und drittverständlichste Programm), FDP (6,9 Punkte) und AfD (6,8). Wenn man sich das Ergebnis über die letzten 72 Jahre anschaut, kann man alle Wahlprogramme immer weniger gut verstehen. Ausgenommen die Linke, die von 6,6 auf 8,4 Punkte aufgestiegen sind. Den größten Verlust fahren die Grünen mit 2,2 Punkten ein, den geringsten Verlust machte die FDP mit 0,7 Punkten.

3. Ergebnis: Themen unterschiedlich stark verständlich

Doch wie sieht es in den einzelnen Themenfeldern aus? In der Grafik können Sie diese anklicken. Konzentrieren wir uns auf die positiven und negativen Ausreißer. Positiv werden hierbei Themen bewertet, die eine Punktzahl von mehr als zehn erreichen. Themen mit weniger als sieben Punkten werden von den Analysten als negativ bewertet.

Hierbei zeigt sich schnell, dass die AfD in allen Bereichen unter zehn Punkten liegt. In puncto Digitalisierung drückt sie sich am verständlichsten aus (8,3) – immerhin weitaus besser als die SPD, die hier mit 6,6 Punkten den zweiten Platz belegt. Digitalisierung und Union passen mit 6,2 Punkten (ihrem schlechtesten Ergebnis) scheinbar nicht zusammen. Am unverständlichsten drücken sich aber die Grünen aus (3,7).

Ein schlechteres Ergebnis erreicht nur die SPD in ihrer Bildungspolitik (3,1). Mit 9,5 Punkten ist Die Linke bei diesem Thema der Spitzenreiter. Die große Schwäche der AfD ist das Thema Innere Sicherheit und Rechtspolitik (5,3), wobei sich die SPD hier am verständlichsten ausdrückt (8,4). 

Wenn es um den Schlussteil oder die Einleitung, den Leitgedanken und das Selbstverständnis von Parteien geht, haben SPD, Union, Linke und FDP keine Probleme, sich klar auszudrücken. Zumindest holt die Union bei ihrer Finanz- und Haushaltspolitik noch 11 Punkte. Dort ist die AfD das erneute Schlusslicht mit 5,8 Punkten. Die anderen Parteien liegen im Achter und Neuner Bereich.

Neben der Einleitung schafft es die FDP, sich bei den Themen Wahlen (14) und ihrer Kritik an anderen Parteien (19,1) besonders deutlich auszudrücken. Ihre größte Schwäche liegt in der Außenpolitik (4,7), wobei die Grünen mit 3,8 Punkten noch schlechter abschneiden. Am verständlichsten drückt sich dagegen Die Linke (9,5) hierbei aus. Dagegen ist das große Manko der Linken die Wirtschaftspolitik (4,5). Die Union erreicht hier den Spitzenwert von 8,9 Punkten.

Beispiele für schlechte Verständlichkeit

Wie missverständlich sich die Parteien in diesem Wahljahr ausdrücken, zeigt unser Schlussteil. Wie versprochen kommen nun die kompliziertesten Phrasen und Wörter. Der Hauptgrund, warum die Parteien dieses Jahr so schlecht abschneiden, erklären Studienleiter Dr. Frank Brettschneider und Claudia Thoms (M.Sc.) in ihrer Studie: 

Vor allem für Leserinnen und Leser ohne politisches Fachwissen oder ohne akademische Ausbildung stellen unerklärte Fremd- und Fachwörter eine Verständlichkeits-Hürde dar.

Frank Brettschneider & Claudia Thoms Studie: Die Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2021 im Vergleich aller

Wissen Sie beispielsweise, was mit eHealth-Roadmap (CDU/CSU), Edge-Computing (SPD), Yogyakarta-Prinzipien (Grüne), Gene-Drive-Organismen (Linke), Network Slicing (FDP) oder Ämterpatronage (AfD) gemeint ist? Oder fällt es Ihnen auf Anhieb leicht, lange Wörter wie Quellentelekommunikationsüberwachung (36 Buchstaben, FDP), Hochgeschwindigkeitsschienenverkehr (35 Buchstaben, CDU/CSU) oder Rohstoffrückgewinnungstechniken (31 Buchstaben, AfD) zu lesen?

Wenn das noch nicht kompliziert genug war, dann erfreuen Sie sich der nachfolgenden Sätze. Die Parteien haben es geschafft, dass Sätze mit 30 bis 40 Wörtern keine Seltenheit in ihren Programmen sind. (Der längste Satz in diesem Beitrag umfasst übrigens 28 Wörter.) Aber es geht noch deutlich länger. Wenn Sie mutig genug sind, klicken Sie auf die Überschriften.

2 Kommentare

Graf von Henneberg am 31.08.2021

Ein Baron von Münchhausen würde heute Gewinnbenachrichtigungen,
Bekanntschaftsanzeigen, Wahlprogramme und andere Lügengeschichten abfassen.
© Fritz-J. Schaarschuh (*1935), deutscher Philologe und Aphoristiker

Anni22 am 31.08.2021

Tja, was soll man sagen, wer Marx und Lenin studiert hat, der versteht Sätze die eine halbe Buchseite umfassen, sofort ;-)! Ein Dank der guten Schulbildung der DDR! (Kein Witz, sondern erst gemeint.) Logik, Leseverständnis und Naturwissenschaften wurden erfolgreich vermittelt. Den ideologischen Kram musste man aussortieren. Auch Das war, wenn auch ungewollt, eine gute Übung!