Ägäis Vulkanausbruch im Mittelmeer? Forscher rechnen mit großem Erdbeben und Tsunamis
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17. Februar 2025, 11:41 Uhr
Zwischen den Inseln Santorin und Amorgos bebt immer wieder die Erde. Steht ein Vulkanausbruch bevor? Möglicherweise. Aber wahrscheinlicher erscheint ein großes tektonisches Beben, sagt ein Professor für Neotektonik und Georisiken. Die Gefahr sei real.
Update 17. Februar: Neue Beben sind "nie dagewesenes Phänomen"
Die Erdbebenserie in der Region der Vulkaninsel Santorini ist nach Angaben des griechischen Regierungschefs "ein noch nie dagewesenes Phänomen". Kyriakos Mitsotakis bezog sich bei seinem auf Facebook veröffentlichten Statement auf Wissenschaftler, ohne aber weitere Details zu nennen. Am Wochenende war von einem mehrstündigen Dauerbeben die Rede. Die Forschenden vermuten laut der Nachrichtenagentur dpa, dass das Phänomen von flüssigem Magma verursacht wird, das im Untergrund aufsteigt.
Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner haben die Inseln mittlerweile verlassen. Wer noch dort ist, kann das Aufsteigen des Magmas durch ein nahezu permanentes, leises Dröhnen spüren. Dieses Phänomen, bei dem ständig schwache Erdbeben auftreten, wird von Experten als "harmonisches Dauerbeben" bezeichnet.
Tausende kleine und große Beben
Gut zwei Wochen ist der Februar gerade mal alt, da haben die seismischen Messstationen schon tausende von Erdbeben in der südlichen Ägäis aufgezeichnet. Im Zeitraum vom 26. Januar bis zum 9. Februar waren es bereits 14.000 Beben. Das gab das seismologische Labor der Universität Athen am Donnerstag (13.2.25) bekannt. Auch am Mittwoch und Donnerstag wackelte die Erde zusammengenommen mehr als 200 Mal, so die Forschenden. Viele der Beben waren schwächere, die nur von Instrumenten registriert werden. Die Übersicht zeigt aber seit dem 1. Februar auch mehr als 180 mittelstarke Beben mit Magnituden zwischen 3,4 und 5,3.
Man könnte fast von einem Dauerrumpeln sprechen, vor allem nordöstlich der Insel Santorin, wo sich die Mehrzahl der Beben ereignet hat. Der Hauptbereich liegt zwischen den Inseln Santorin und Amorgos, mit einem Zentrum rund 25 km nordöstlich von Santorin.
Um einer Namensverwirrung vorzubeugen:
Santorin ist ein ringförmiger Archipel, der aus seiner gleichnamigen Hauptinsel und weiteren kleinen Inseln besteht. Oft wird der Name auch mit Santorini transkribiert. Die Hauptinsel wird im Griechischen außerdem auch Thira oder Thera genannt.
Für den in diesem Artikel thematisierten Unterwasservulkan gibt es ebenfalls zwei geläufige Namen: Kolumbo und Kolumbos.
Wir nutzen in diesem Artikel die Varianten Santorin und Kolumbo.
Santorin: 1650 und 1956 geschahen die Katstrophen, vor denen man sich wieder fürchtet
Ganz in der Nähe der meisten Epizentren ist auch der Krater des Unterwasservulkans Kolumbo. Bei dessen letztem großen Ausbruch im Jahr 1650 geschah das, was man im schlimmsten Fall auch jetzt wieder befürchtet: Menschen starben, Gebäude wurden zerstört, und nach dem Kollaps des Vulkans entstand ein gewaltiger Tsunami, der noch auf 150 Kilometer entfernten Inseln Schäden anrichtete.
Auch an Erdbeben ohne Vulkanausbruch gibt es unschöne Erinnerungen auf Santorin, und die sind noch nicht so alt. Im Juli 1956 bebte die Erde mehrfach, der erste und stärkste Erdstoß hatte eine Magnitude von 7,7 – 13 Minuten später folgte ein Nachbeben mit einer Magnitude von 7,2. Dieses zweite Beben trat in der oberen Erdkruste auf und verursachte einen lokalen Tsunami mit Wellenhöhen von bis zu 22 Metern auf der Insel Amorgos. Bei der Katastrophe starben 53 Menschen.
Könnte so etwas wieder bevorstehen? Wenn ja, wird es ein Vulkanausbruch oder ein großes Beben oder beides? All das steht bislang noch nicht fest. Das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und das GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam untersuchen die Vorgänge gemeinsam mit griechischen Partnern. Aber noch konnte nicht herausgefunden werden, ob die Beben auf vulkanische oder plattentektonische Aktivität zurückgehen. Beide Hypothesen gelten als möglich. Und sogar eine Kombination sei denkbar, heißt es von den beiden Forschungszentren, weil sich einzelne Segmente der Ägäischen Erdplatte in der Region um Santorin um wenige Millimeter voneinander wegbewegen. "Das führt zu einer Dehnung und Ausdünnung der Erdkruste, in etwa so, als ob man einen zähen Teig auseinanderzieht, der dann in der Mitte dünner wird. Dort, wo die Kruste sich dehnt, können Fluide und Magmen aufsteigen." Die Plattentektonik könnte – umgangssprachlich – dem Magma also die Tür öffnen.

Die Größe der Punkte korrespondiert mit der Stärke der Beben, die Farbe mit ihrer Tiefe (3 bis 15 km): je dunkler die Farbe, desto tiefer das Beben.
Nordwestlich vom Südwestrand des Epizentrengebiets sieht man die Umrisse des Unterwasservulkans Kolumbo.
Dreiecke zeigen die Lage von seismischen Messstationen. Bildrechte: Marius Isken, GFZ
Zwei Hypothesen mit jeweils drei Szenarien für die nahe Zukunft
Wie es in naher Zukunft weitergehen könnte, haben GEOMAR und GFZ in einem gemeinsamen Bericht beschrieben. Grunderkenntnis daraus: Es gibt derzeit überhaupt keine Sicherheit für irgendwas. Insgesamt sechs Szenarien sind laut Bericht möglich, und nur zwei davon klingen beruhigend.
Falls die Beben auf tektonische Aktivität zurückzuführen sind (Hypothese 1), könnten 1.) Anzahl und Intensität der Beben allmählich abnehmen oder könnte es 2.) zu einem "Hauptschock-Ereignis" kommen: "Die Seismizität eskaliert und erreicht größere Magnituden. Ein Hauptbeben könnte auftreten, gefolgt von Nachbeben. Dies birgt das Risiko von Schäden an Infrastrukturen, Hanginstabilitäten und Tsunamis. Hauptbeben könnten auch Monate nach dem Abklingen des aktuellen Schwarms ohne vorherige Anzeichen auftreten", heißt es im Bericht von GEOMAR und GFZ. Oder schließlich 3.) könnten durch Umverteilung der Spannungen in der Erdkruste weitere Verwerfungen aktiviert werden, was Erdbeben in anderen Regionen hervorrufen könnte.
Drei weitere Szenarien wurden für den Fall beschrieben, dass es sich um magmatische Aktivität handelt (Hypothese 2). Auch hier könnte 1.) die Aktivität abklingen und das flüssige Magma sich langsam verfestigen. Oder 2.) das Magma bricht aus, entweder unter Wasser oder an Land. Je nach Lage könnte der Ausbruch von einem ruhigen Lavafluss in tiefen Gewässern bis zu einer explosiven Eruption in flachen Gewässern reichen. "Der Kontakt von basaltischem Magma mit entwickelten Vulkansystemen wie Santorin oder Kolumbo könnte eine besonders gefährliche explosive Reaktion auslösen", heißt es im Bericht. Und 3.) könnte die magmatische Aktivität sogar ein mittelgroßes bis großes Hauptbeben auslösen, wenn das flüssige Material eine bereits belastete Verwerfung aktiviert.
"Die Ägäis ist der Georisiken-Hotspot in Europa."
Weil alles so unsicher ist, wird natürlich weiterhin intensiv geforscht. GEOMAR, GFZ und weitere Einrichtungen haben im Rahmen des sogenannten MULTI-MAREX-Projekts einen Krisenreaktionseinsatz, eine sogenannte "Rapid Response Mission", gestartet. "Gemeinsam mit unseren griechischen Partnern (Labor für Physische Geographie, Universität Athen) sind wir vor Ort, um zusätzliche Messinstrumente am Meeresboden und in der Caldera von Santorini zu installieren und die seismische Aktivität zu überwachen", erklären die beiden deutschen Forschungsinstitute. Ziel des Monitorings sei es, die Anzahl, den Ort und die Stärke der Erdbeben präzise zu erfassen und exakt zu quantifizieren.
Auch Klaus Reicherter, Leiter des Instituts für Neotektonik und Georisiken an der RWTH Aachen, ist bei MULTI-MAREX dabei. Er sagt, dass Einwohner und Touristen die Insel verlassen, sei keine Überreaktion. Die Gefahr sei real. "Momentan gehen wir eher von einem großen Erdbeben als einem Vulkanausbruch aus", so Reicherter. "Klar ist, dass die Energie durch die bisherigen 5er-Beben noch nicht abgebaut wurde."
Grund sei die riesige Krustendeformation in der Region. Die Türkei werde um zirka 25 Millimeter pro Jahr nach Westen, also in die Ägäis hineingequetscht, erklärt der Professor, daher habe an der ostanatolischen Störung (auch Verwerfung genannt) vor zwei Jahren stark die Erde gebebt.

Die türkische Landmasse stecke wie ein Zwetschgenkern zwischen der ostanatolischen und der nordanatolischen Störung. Aber damit nicht genug, außerdem sinke die afrikanische Platte in der Ägäis unter die eurasische Platte ab. Und diese afrikanische Platte rolle dabei etwas zurück und entwickle dadurch eine zusätzliche "Saugkraft", die den Prozess noch einmal verstärkt. Fast 3,5 Zentimeter Deformation pro Jahr kämen so insgesamt zustande. "Das Deformationsverhalten in der Region ist schon gewaltig", sagt Reicherter, "die Ägäis ist der Georisiken-Hotspot in Europa."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 08. Februar 2025 | 19:31 Uhr